Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Zweites Vierteljahr.Lenert mit wachsender Hoffnung fort und schloß das mutwillige Mädchen immer tiefer Marjci Jwcmowna, fragte ich eines Tags, als sie fleißig mit der Nadel ar¬ Ich glaubte sie in Verlegenheit zu setzen, denn wir hatten über dieses Ich sah mich getäuscht. Sie ließ die Heerde mit der Stickerei sinken, machte Ach ja. Mama hat es ja auch getan! Ich mußte laut lachen. Das Gesicht und die Worte wirkten zu komisch. Ich Das ist freilich ein triftiger Grund, sagte ich. Aber Mama hatte sich doch Wieder zuckte es ihr um die Lippen, und die Augen lachten ganz offen. Doch Das ist leichter gesagt als getan, Alexander Andrejewitsch. Wenn man sich Ich denke, man nimmt den, den man liebt, siel ich ein. Und ist später, wenn die Liebe verraucht ist, ergänzte sie, an einen Menschen Ich saß eine Zeit stumm da. Aus dem Scherz war sie in bittern Ernst Sie begann von andern Dingen zu reden. Auch ich berührte nu diesem Tage Ich konnte dieser praktischen Auffassung meine Zustimmung nicht versagen. Ich Lenert mit wachsender Hoffnung fort und schloß das mutwillige Mädchen immer tiefer Marjci Jwcmowna, fragte ich eines Tags, als sie fleißig mit der Nadel ar¬ Ich glaubte sie in Verlegenheit zu setzen, denn wir hatten über dieses Ich sah mich getäuscht. Sie ließ die Heerde mit der Stickerei sinken, machte Ach ja. Mama hat es ja auch getan! Ich mußte laut lachen. Das Gesicht und die Worte wirkten zu komisch. Ich Das ist freilich ein triftiger Grund, sagte ich. Aber Mama hatte sich doch Wieder zuckte es ihr um die Lippen, und die Augen lachten ganz offen. Doch Das ist leichter gesagt als getan, Alexander Andrejewitsch. Wenn man sich Ich denke, man nimmt den, den man liebt, siel ich ein. Und ist später, wenn die Liebe verraucht ist, ergänzte sie, an einen Menschen Ich saß eine Zeit stumm da. Aus dem Scherz war sie in bittern Ernst Sie begann von andern Dingen zu reden. Auch ich berührte nu diesem Tage Ich konnte dieser praktischen Auffassung meine Zustimmung nicht versagen. Ich <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0052" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/240434"/> <fw type="header" place="top"> Lenert</fw><lb/> <p xml:id="ID_273" prev="#ID_272"> mit wachsender Hoffnung fort und schloß das mutwillige Mädchen immer tiefer<lb/> in mein Herz.</p><lb/> <p xml:id="ID_274"> Marjci Jwcmowna, fragte ich eines Tags, als sie fleißig mit der Nadel ar¬<lb/> beitete, und ich in Unordnung geratne Seidenfäden entwirrte und nach den Farben<lb/> sonderte; haben Sie die Absicht, sich zu verheiraten?</p><lb/> <p xml:id="ID_275"> Ich glaubte sie in Verlegenheit zu setzen, denn wir hatten über dieses<lb/> und jenes geplaudert, was mit der Frage in keinem Zusammenhange stand und<lb/> keine Veranlassung zu ihr gab. Ich freute mich im voraus auf ihr verblüfftes<lb/> Gesicht.</p><lb/> <p xml:id="ID_276"> Ich sah mich getäuscht. Sie ließ die Heerde mit der Stickerei sinken, machte<lb/> schmachtende Augen und antwortete mit einem Seufzer, ohne sich zu bedenken:</p><lb/> <p xml:id="ID_277"> Ach ja. Mama hat es ja auch getan!</p><lb/> <p xml:id="ID_278"> Ich mußte laut lachen. Das Gesicht und die Worte wirkten zu komisch. Ich<lb/> sah es ihr an, daß auch sie im Begriff war anzulanden, aber sie bezwang sich,<lb/> blieb ernst und schien sich über meine Lustigkeit zu wundern.</p><lb/> <p xml:id="ID_279"> Das ist freilich ein triftiger Grund, sagte ich. Aber Mama hatte sich doch<lb/> auch jemand ausgesucht, mit dem sie sich dann verheiratete. Haben Sie dafür schon<lb/> Sorge getragen?</p><lb/> <p xml:id="ID_280"> Wieder zuckte es ihr um die Lippen, und die Augen lachten ganz offen. 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Lenert
mit wachsender Hoffnung fort und schloß das mutwillige Mädchen immer tiefer
in mein Herz.
Marjci Jwcmowna, fragte ich eines Tags, als sie fleißig mit der Nadel ar¬
beitete, und ich in Unordnung geratne Seidenfäden entwirrte und nach den Farben
sonderte; haben Sie die Absicht, sich zu verheiraten?
Ich glaubte sie in Verlegenheit zu setzen, denn wir hatten über dieses
und jenes geplaudert, was mit der Frage in keinem Zusammenhange stand und
keine Veranlassung zu ihr gab. Ich freute mich im voraus auf ihr verblüfftes
Gesicht.
Ich sah mich getäuscht. Sie ließ die Heerde mit der Stickerei sinken, machte
schmachtende Augen und antwortete mit einem Seufzer, ohne sich zu bedenken:
Ach ja. Mama hat es ja auch getan!
Ich mußte laut lachen. Das Gesicht und die Worte wirkten zu komisch. Ich
sah es ihr an, daß auch sie im Begriff war anzulanden, aber sie bezwang sich,
blieb ernst und schien sich über meine Lustigkeit zu wundern.
Das ist freilich ein triftiger Grund, sagte ich. Aber Mama hatte sich doch
auch jemand ausgesucht, mit dem sie sich dann verheiratete. Haben Sie dafür schon
Sorge getragen?
Wieder zuckte es ihr um die Lippen, und die Augen lachten ganz offen. Doch
gleich sah sie nachdenklich, sogar etwas einfältig aus, legte den Zeigefinger an das
Kinn und sagte altklug:
Das ist leichter gesagt als getan, Alexander Andrejewitsch. Wenn man sich
jemand aussucht, mit dem man sich verheiraten will, so heißt das, man hat die
Absicht, mit ihm das ganze Leben zusammen zu verbringen, und wenn man be¬
greift, was das bedeutet, so wird man schwerlich leichtsinnig dabei zu Werke gehn.
Man hat da so vielerlei zu bedeuken, zu beobachten, zu prüfe« . . .
Ich denke, man nimmt den, den man liebt, siel ich ein.
Und ist später, wenn die Liebe verraucht ist, ergänzte sie, an einen Menschen
gebunden, an dem man mit jedem Tage neue Untugenden, neue abstoßende Seiten
entdeckt, an einen Menschen, der einem Abscheu einflößt, den man verachtet, sogar
haßt, von dem man sich aber nicht befreien kann, schon um des leidigen täglichen
Brotes willen, dessen man für sich selbst oder gar für etwa vorhandne Kinder be¬
dürftig ist. Ich danke für solches Heiraten aus schnell entflammter Liebe, Alexander
Andrejewitsch.
Ich saß eine Zeit stumm da. Aus dem Scherz war sie in bittern Ernst
übergegangen. Die Stimme klang fest und sogar einigermaßen rauh. Und wie
grell, wie treffend malte sie mit wenig Worten in seiner ganzen Nacktheit das
Elend, das so vielfach vorhanden ist, das zu beobachten ich schon so oft Gelegen¬
heit gehabt hatte!
Sie begann von andern Dingen zu reden. Auch ich berührte nu diesem Tage
den Gegenstand nicht mehr, doch kam ich bei einem meiner folgenden Besuche
darauf zurück, und wir behandelten noch manchmal dieses Thema. Sie sprach sich
frei aus. Nach ihrer Ansicht kam es bei einer Ehe vor allem darauf an, daß die
Bedingungen zu sorgenlosen, friedlichem Zusammenleben vorhanden seien. Daß
die Leute sich gern sähen, gern beieinander wären und einander nichts anmerken
könnten, was später Widerwillen erwecken möchte, das hielt sie für genügend. Liebe
— meinte sie mit einem Seufzer — sei ohne Zweifel ein schönes Wort und ein
schöner Begriff, aber sie ziehe doch die Art der Liebe vor, die sich allmählich
während der Ehe auf der Grundlage wachsender Achtung und steigenden Vertrauens
ausbilde.
Ich konnte dieser praktischen Auffassung meine Zustimmung nicht versagen. Ich
sah ein und gestand ihr anch auf ihre Frage, daß sie ohne Zweifel Recht hätte.
Aber ganz nach meinem Geschmack war diese Philosophie nicht. Ich hätte es vor¬
gezogen, sie so, wie sie da saß und kluges Zeug redete, in die Arme zu schließen
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