Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Maßgebliches und Unmaßgebliches

Der mniländische "Cvrriere della Sem" fügt noch eine merkwürdige Betrachtung
hinzu: "Der Besuch Wilhelms des Zweiten im Vatikan fand in einem psychologischen
Augenblick statt, in einem Augenblick, wo Frankreich dabei ist, den Bruch mit dem
Papsttum zu vollenden. Jetzt träumt der deutsche Kaiser davon, in Enropa und
in Rom die von Frankreich aufgegebne Stelle einzunehmen und es in seinem reli¬
giösen Einfluß auf die Welt abzulösen." Ob er davon "träumt"? Liegt nicht
dieser Gedanke sehr nahe, liegt er nicht gewissermaßen in der Richtung der ganzen
heutigen Entwicklung? Oder soll Deutschland eine sich ihm ungesucht vielleicht bietende
Gelegenheit, seinen Einfluß auszudehnen, unbenutzt lassen, nur weil die Sache so
manchem Protestanten verdächtig und bedenklich vorkommt? Wir protestantischen
Deutschen müssen uns eben abgewöhnen, in dem Papsttum eigentlich etwas Unbe¬
rechtigtes zu sehen. Was geht es uns noch an, daß Luther in eiuer Zeit des heftigste"
Kampfes deu Papst gelegentlich für den leibhaftigen Antichrist gehalten hat und
dabei einer phantastischen mittelalterlichen Vorstellung gefolgt ist, die noch etwas
weniger tatsächlichen Grund hatte, als die ebenfalls mittelalterliche Vorstellung vom
Priesterkönig Johannes? Eine historische Macht, die so alt ist wie das Papsttum,
trägt schon in ihrem Dasein das Recht des Daseins in sich. Wir müssen uns
ebensogut abgewöhnen, in unsern katholischen Mitbürgern nnr deshalb schlechtere
Deutsche zu sehen, weil sie ihr kirchliches Zentrum, von dem sie sich nun einmal
nicht trennen wollen, außerhalb Deutschlands haben. Gerade die Zerfahrenheit der
protestantischen kirchlichen Verhältnisse, wie sie jetzt wieder bei den Erörterungen
über einen deutsch-evangelischen Kirchenbund höchst unerbanlich hervortritt, muß
ihnen den Wert ihrer einheitlichen Kirchenverfassung recht nachdrücklich vor Angen
führen. Die Hunderte deutscher Pilger, die dem Kaiser in Rom nicht nur an der
Peterskirche, sondern auch bei der Rückkehr von Monte Cassino am 5. Mai und
wieder bei der Abfahrt von Rom am 6. Mai unter dem nationalen Banner ge¬
huldigt haben, waren doch wohl keine schlechten Deutschen. Dergleichen wäre freilich
in den Jahren des Kulturkampfs und noch lange nachher gewiß nicht möglich gewesen,
und es ist doch wohl ein großer, der nationalen Einheit förderlicher Fortschritt,
daß das möglich geworden ist. Dazu aber gehört auch ein gutes Einvernehmen
zwischen Kaiser und Papst.

Einen ganz andern Charakter als der Besuch des Kaisers im Vatikan trug
seine Anwesenheit in der ehrwürdigen Benediktinerabtei Monte Cassino am 5. Mai.
Daß ihn die großartig liebliche Landschaft, die sich da nnter der goldnen Sonne eines
herrlichen Frühlingstages immer weiter vor ihm auftat, je höher der Wageuzug
auf der prächtigen Straße den stolzen Kegelberg, der die mächtige weiße Kloster¬
burg trägt, hinaufstieg, in lebhaftes Entzücken versetzte, ist selbstverständlich, aber
Nebensache. Die Hauptsache war doch, daß nach Jahrhunderten wieder ein deutscher
Kaiser die uralte Abtei betrat, die so lange in so engen Beziehungen zu den Trä¬
gern der mittelalterlichen Kaiserkrone gestanden hatte, die auch heute wieder einen
Deutschen, den Hessen Bonifntius Krug ans Füldn, zum Abte hat und wertvollen
künstlerischen Schmuck aus den Händen deutscher Benediktiner von Beuron empfangen
hat, daß er aber uicht als ihr Oberherr, sondern als Bundesgenosse des Landes¬
herrn, des Königs von Italien, und an dessen Seite erschien. Denn damit wurde
dargetan, daß die römische Kirche als solche keineswegs die Beziehungen zu dem
Hause Scwoyen abgebrochen, daß sie sich dem großen "Kirchenraube" von 1866
stillschweigend gefügt hat -- außer in Rom, wo sie noch protestiert. Deshalb
trat bei dem Besuch des Kaisers im Vatikan der prinzipielle Gegensatz zwischen dein
Papsttum und dem Quirinal wieder hervor, in Monte Cassino war er verschwunden.
Der Abt Krug hat ja auch in der Ansprache an die Majestäten besonders betonen
dürfen, daß die Benediktiner von Monte Cassino ihre Schüler (im Priesterseminar
und im Gymnasium) zur Frömmigkeit und zur Vaterlandsliebe erziehn. Und doch
ist Monte Cassino durch die Einziehung des größten Teils seiner reichen Güter
sehr hart getroffen worden. Die Italiener sind eben zu kluge Leute, als daß sie


Maßgebliches und Unmaßgebliches

Der mniländische „Cvrriere della Sem" fügt noch eine merkwürdige Betrachtung
hinzu: „Der Besuch Wilhelms des Zweiten im Vatikan fand in einem psychologischen
Augenblick statt, in einem Augenblick, wo Frankreich dabei ist, den Bruch mit dem
Papsttum zu vollenden. Jetzt träumt der deutsche Kaiser davon, in Enropa und
in Rom die von Frankreich aufgegebne Stelle einzunehmen und es in seinem reli¬
giösen Einfluß auf die Welt abzulösen." Ob er davon „träumt"? Liegt nicht
dieser Gedanke sehr nahe, liegt er nicht gewissermaßen in der Richtung der ganzen
heutigen Entwicklung? Oder soll Deutschland eine sich ihm ungesucht vielleicht bietende
Gelegenheit, seinen Einfluß auszudehnen, unbenutzt lassen, nur weil die Sache so
manchem Protestanten verdächtig und bedenklich vorkommt? Wir protestantischen
Deutschen müssen uns eben abgewöhnen, in dem Papsttum eigentlich etwas Unbe¬
rechtigtes zu sehen. Was geht es uns noch an, daß Luther in eiuer Zeit des heftigste«
Kampfes deu Papst gelegentlich für den leibhaftigen Antichrist gehalten hat und
dabei einer phantastischen mittelalterlichen Vorstellung gefolgt ist, die noch etwas
weniger tatsächlichen Grund hatte, als die ebenfalls mittelalterliche Vorstellung vom
Priesterkönig Johannes? Eine historische Macht, die so alt ist wie das Papsttum,
trägt schon in ihrem Dasein das Recht des Daseins in sich. Wir müssen uns
ebensogut abgewöhnen, in unsern katholischen Mitbürgern nnr deshalb schlechtere
Deutsche zu sehen, weil sie ihr kirchliches Zentrum, von dem sie sich nun einmal
nicht trennen wollen, außerhalb Deutschlands haben. Gerade die Zerfahrenheit der
protestantischen kirchlichen Verhältnisse, wie sie jetzt wieder bei den Erörterungen
über einen deutsch-evangelischen Kirchenbund höchst unerbanlich hervortritt, muß
ihnen den Wert ihrer einheitlichen Kirchenverfassung recht nachdrücklich vor Angen
führen. Die Hunderte deutscher Pilger, die dem Kaiser in Rom nicht nur an der
Peterskirche, sondern auch bei der Rückkehr von Monte Cassino am 5. Mai und
wieder bei der Abfahrt von Rom am 6. Mai unter dem nationalen Banner ge¬
huldigt haben, waren doch wohl keine schlechten Deutschen. Dergleichen wäre freilich
in den Jahren des Kulturkampfs und noch lange nachher gewiß nicht möglich gewesen,
und es ist doch wohl ein großer, der nationalen Einheit förderlicher Fortschritt,
daß das möglich geworden ist. Dazu aber gehört auch ein gutes Einvernehmen
zwischen Kaiser und Papst.

Einen ganz andern Charakter als der Besuch des Kaisers im Vatikan trug
seine Anwesenheit in der ehrwürdigen Benediktinerabtei Monte Cassino am 5. Mai.
Daß ihn die großartig liebliche Landschaft, die sich da nnter der goldnen Sonne eines
herrlichen Frühlingstages immer weiter vor ihm auftat, je höher der Wageuzug
auf der prächtigen Straße den stolzen Kegelberg, der die mächtige weiße Kloster¬
burg trägt, hinaufstieg, in lebhaftes Entzücken versetzte, ist selbstverständlich, aber
Nebensache. Die Hauptsache war doch, daß nach Jahrhunderten wieder ein deutscher
Kaiser die uralte Abtei betrat, die so lange in so engen Beziehungen zu den Trä¬
gern der mittelalterlichen Kaiserkrone gestanden hatte, die auch heute wieder einen
Deutschen, den Hessen Bonifntius Krug ans Füldn, zum Abte hat und wertvollen
künstlerischen Schmuck aus den Händen deutscher Benediktiner von Beuron empfangen
hat, daß er aber uicht als ihr Oberherr, sondern als Bundesgenosse des Landes¬
herrn, des Königs von Italien, und an dessen Seite erschien. Denn damit wurde
dargetan, daß die römische Kirche als solche keineswegs die Beziehungen zu dem
Hause Scwoyen abgebrochen, daß sie sich dem großen „Kirchenraube" von 1866
stillschweigend gefügt hat — außer in Rom, wo sie noch protestiert. Deshalb
trat bei dem Besuch des Kaisers im Vatikan der prinzipielle Gegensatz zwischen dein
Papsttum und dem Quirinal wieder hervor, in Monte Cassino war er verschwunden.
Der Abt Krug hat ja auch in der Ansprache an die Majestäten besonders betonen
dürfen, daß die Benediktiner von Monte Cassino ihre Schüler (im Priesterseminar
und im Gymnasium) zur Frömmigkeit und zur Vaterlandsliebe erziehn. Und doch
ist Monte Cassino durch die Einziehung des größten Teils seiner reichen Güter
sehr hart getroffen worden. Die Italiener sind eben zu kluge Leute, als daß sie


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0492" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/240874"/>
            <fw type="header" place="top"> Maßgebliches und Unmaßgebliches</fw><lb/>
            <p xml:id="ID_2445"> Der mniländische &#x201E;Cvrriere della Sem" fügt noch eine merkwürdige Betrachtung<lb/>
hinzu: &#x201E;Der Besuch Wilhelms des Zweiten im Vatikan fand in einem psychologischen<lb/>
Augenblick statt, in einem Augenblick, wo Frankreich dabei ist, den Bruch mit dem<lb/>
Papsttum zu vollenden. Jetzt träumt der deutsche Kaiser davon, in Enropa und<lb/>
in Rom die von Frankreich aufgegebne Stelle einzunehmen und es in seinem reli¬<lb/>
giösen Einfluß auf die Welt abzulösen." Ob er davon &#x201E;träumt"? Liegt nicht<lb/>
dieser Gedanke sehr nahe, liegt er nicht gewissermaßen in der Richtung der ganzen<lb/>
heutigen Entwicklung? Oder soll Deutschland eine sich ihm ungesucht vielleicht bietende<lb/>
Gelegenheit, seinen Einfluß auszudehnen, unbenutzt lassen, nur weil die Sache so<lb/>
manchem Protestanten verdächtig und bedenklich vorkommt? Wir protestantischen<lb/>
Deutschen müssen uns eben abgewöhnen, in dem Papsttum eigentlich etwas Unbe¬<lb/>
rechtigtes zu sehen. Was geht es uns noch an, daß Luther in eiuer Zeit des heftigste«<lb/>
Kampfes deu Papst gelegentlich für den leibhaftigen Antichrist gehalten hat und<lb/>
dabei einer phantastischen mittelalterlichen Vorstellung gefolgt ist, die noch etwas<lb/>
weniger tatsächlichen Grund hatte, als die ebenfalls mittelalterliche Vorstellung vom<lb/>
Priesterkönig Johannes? Eine historische Macht, die so alt ist wie das Papsttum,<lb/>
trägt schon in ihrem Dasein das Recht des Daseins in sich. Wir müssen uns<lb/>
ebensogut abgewöhnen, in unsern katholischen Mitbürgern nnr deshalb schlechtere<lb/>
Deutsche zu sehen, weil sie ihr kirchliches Zentrum, von dem sie sich nun einmal<lb/>
nicht trennen wollen, außerhalb Deutschlands haben. Gerade die Zerfahrenheit der<lb/>
protestantischen kirchlichen Verhältnisse, wie sie jetzt wieder bei den Erörterungen<lb/>
über einen deutsch-evangelischen Kirchenbund höchst unerbanlich hervortritt, muß<lb/>
ihnen den Wert ihrer einheitlichen Kirchenverfassung recht nachdrücklich vor Angen<lb/>
führen. Die Hunderte deutscher Pilger, die dem Kaiser in Rom nicht nur an der<lb/>
Peterskirche, sondern auch bei der Rückkehr von Monte Cassino am 5. Mai und<lb/>
wieder bei der Abfahrt von Rom am 6. Mai unter dem nationalen Banner ge¬<lb/>
huldigt haben, waren doch wohl keine schlechten Deutschen. Dergleichen wäre freilich<lb/>
in den Jahren des Kulturkampfs und noch lange nachher gewiß nicht möglich gewesen,<lb/>
und es ist doch wohl ein großer, der nationalen Einheit förderlicher Fortschritt,<lb/>
daß das möglich geworden ist. Dazu aber gehört auch ein gutes Einvernehmen<lb/>
zwischen Kaiser und Papst.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_2446" next="#ID_2447"> Einen ganz andern Charakter als der Besuch des Kaisers im Vatikan trug<lb/>
seine Anwesenheit in der ehrwürdigen Benediktinerabtei Monte Cassino am 5. Mai.<lb/>
Daß ihn die großartig liebliche Landschaft, die sich da nnter der goldnen Sonne eines<lb/>
herrlichen Frühlingstages immer weiter vor ihm auftat, je höher der Wageuzug<lb/>
auf der prächtigen Straße den stolzen Kegelberg, der die mächtige weiße Kloster¬<lb/>
burg trägt, hinaufstieg, in lebhaftes Entzücken versetzte, ist selbstverständlich, aber<lb/>
Nebensache. Die Hauptsache war doch, daß nach Jahrhunderten wieder ein deutscher<lb/>
Kaiser die uralte Abtei betrat, die so lange in so engen Beziehungen zu den Trä¬<lb/>
gern der mittelalterlichen Kaiserkrone gestanden hatte, die auch heute wieder einen<lb/>
Deutschen, den Hessen Bonifntius Krug ans Füldn, zum Abte hat und wertvollen<lb/>
künstlerischen Schmuck aus den Händen deutscher Benediktiner von Beuron empfangen<lb/>
hat, daß er aber uicht als ihr Oberherr, sondern als Bundesgenosse des Landes¬<lb/>
herrn, des Königs von Italien, und an dessen Seite erschien. Denn damit wurde<lb/>
dargetan, daß die römische Kirche als solche keineswegs die Beziehungen zu dem<lb/>
Hause Scwoyen abgebrochen, daß sie sich dem großen &#x201E;Kirchenraube" von 1866<lb/>
stillschweigend gefügt hat &#x2014; außer in Rom, wo sie noch protestiert. Deshalb<lb/>
trat bei dem Besuch des Kaisers im Vatikan der prinzipielle Gegensatz zwischen dein<lb/>
Papsttum und dem Quirinal wieder hervor, in Monte Cassino war er verschwunden.<lb/>
Der Abt Krug hat ja auch in der Ansprache an die Majestäten besonders betonen<lb/>
dürfen, daß die Benediktiner von Monte Cassino ihre Schüler (im Priesterseminar<lb/>
und im Gymnasium) zur Frömmigkeit und zur Vaterlandsliebe erziehn. Und doch<lb/>
ist Monte Cassino durch die Einziehung des größten Teils seiner reichen Güter<lb/>
sehr hart getroffen worden.  Die Italiener sind eben zu kluge Leute, als daß sie</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0492] Maßgebliches und Unmaßgebliches Der mniländische „Cvrriere della Sem" fügt noch eine merkwürdige Betrachtung hinzu: „Der Besuch Wilhelms des Zweiten im Vatikan fand in einem psychologischen Augenblick statt, in einem Augenblick, wo Frankreich dabei ist, den Bruch mit dem Papsttum zu vollenden. Jetzt träumt der deutsche Kaiser davon, in Enropa und in Rom die von Frankreich aufgegebne Stelle einzunehmen und es in seinem reli¬ giösen Einfluß auf die Welt abzulösen." Ob er davon „träumt"? Liegt nicht dieser Gedanke sehr nahe, liegt er nicht gewissermaßen in der Richtung der ganzen heutigen Entwicklung? Oder soll Deutschland eine sich ihm ungesucht vielleicht bietende Gelegenheit, seinen Einfluß auszudehnen, unbenutzt lassen, nur weil die Sache so manchem Protestanten verdächtig und bedenklich vorkommt? Wir protestantischen Deutschen müssen uns eben abgewöhnen, in dem Papsttum eigentlich etwas Unbe¬ rechtigtes zu sehen. Was geht es uns noch an, daß Luther in eiuer Zeit des heftigste« Kampfes deu Papst gelegentlich für den leibhaftigen Antichrist gehalten hat und dabei einer phantastischen mittelalterlichen Vorstellung gefolgt ist, die noch etwas weniger tatsächlichen Grund hatte, als die ebenfalls mittelalterliche Vorstellung vom Priesterkönig Johannes? Eine historische Macht, die so alt ist wie das Papsttum, trägt schon in ihrem Dasein das Recht des Daseins in sich. Wir müssen uns ebensogut abgewöhnen, in unsern katholischen Mitbürgern nnr deshalb schlechtere Deutsche zu sehen, weil sie ihr kirchliches Zentrum, von dem sie sich nun einmal nicht trennen wollen, außerhalb Deutschlands haben. Gerade die Zerfahrenheit der protestantischen kirchlichen Verhältnisse, wie sie jetzt wieder bei den Erörterungen über einen deutsch-evangelischen Kirchenbund höchst unerbanlich hervortritt, muß ihnen den Wert ihrer einheitlichen Kirchenverfassung recht nachdrücklich vor Angen führen. Die Hunderte deutscher Pilger, die dem Kaiser in Rom nicht nur an der Peterskirche, sondern auch bei der Rückkehr von Monte Cassino am 5. Mai und wieder bei der Abfahrt von Rom am 6. Mai unter dem nationalen Banner ge¬ huldigt haben, waren doch wohl keine schlechten Deutschen. Dergleichen wäre freilich in den Jahren des Kulturkampfs und noch lange nachher gewiß nicht möglich gewesen, und es ist doch wohl ein großer, der nationalen Einheit förderlicher Fortschritt, daß das möglich geworden ist. Dazu aber gehört auch ein gutes Einvernehmen zwischen Kaiser und Papst. Einen ganz andern Charakter als der Besuch des Kaisers im Vatikan trug seine Anwesenheit in der ehrwürdigen Benediktinerabtei Monte Cassino am 5. Mai. Daß ihn die großartig liebliche Landschaft, die sich da nnter der goldnen Sonne eines herrlichen Frühlingstages immer weiter vor ihm auftat, je höher der Wageuzug auf der prächtigen Straße den stolzen Kegelberg, der die mächtige weiße Kloster¬ burg trägt, hinaufstieg, in lebhaftes Entzücken versetzte, ist selbstverständlich, aber Nebensache. Die Hauptsache war doch, daß nach Jahrhunderten wieder ein deutscher Kaiser die uralte Abtei betrat, die so lange in so engen Beziehungen zu den Trä¬ gern der mittelalterlichen Kaiserkrone gestanden hatte, die auch heute wieder einen Deutschen, den Hessen Bonifntius Krug ans Füldn, zum Abte hat und wertvollen künstlerischen Schmuck aus den Händen deutscher Benediktiner von Beuron empfangen hat, daß er aber uicht als ihr Oberherr, sondern als Bundesgenosse des Landes¬ herrn, des Königs von Italien, und an dessen Seite erschien. Denn damit wurde dargetan, daß die römische Kirche als solche keineswegs die Beziehungen zu dem Hause Scwoyen abgebrochen, daß sie sich dem großen „Kirchenraube" von 1866 stillschweigend gefügt hat — außer in Rom, wo sie noch protestiert. Deshalb trat bei dem Besuch des Kaisers im Vatikan der prinzipielle Gegensatz zwischen dein Papsttum und dem Quirinal wieder hervor, in Monte Cassino war er verschwunden. Der Abt Krug hat ja auch in der Ansprache an die Majestäten besonders betonen dürfen, daß die Benediktiner von Monte Cassino ihre Schüler (im Priesterseminar und im Gymnasium) zur Frömmigkeit und zur Vaterlandsliebe erziehn. Und doch ist Monte Cassino durch die Einziehung des größten Teils seiner reichen Güter sehr hart getroffen worden. Die Italiener sind eben zu kluge Leute, als daß sie

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_240381
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_240381/492
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_240381/492>, abgerufen am 22.07.2024.