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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Zweites Vierteljahr.

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Vor Marquis von Mcirigny

Am meisten zitterten jedoch die zahlreichen Mitglieder des alten und des jungen
Adels, die Hofämter bekleideten oder der persönlichen Gunst des Königs Aus¬
zeichnungen und Ehrenstellen verdankten. Die Auswanderung derer, die sich ge¬
fährdet glaubten, wuchs, und viele von ihnen wandten sich nach Koblenz, das als
Residenz eines geistlichen Fürsten den Flüchtlingen hinreichende Sicherheit zu bieten
schien und sich seiner günstigen Lage wegen wie keine andre Stadt des Auslandes
zum Aufenthalte für Franzosen eignete, die den Gang der Ereignisse in ihrer
Heimat genau verfolgen und deu Umschlag der Dinge, der nach aller Meinung
ja über kurz oder lang eintreten mußte, in Ruhe abwarten wollten. Daß dieser
Umschlag zu Gunsten der monarchischen Sache geschehn, und zwar bald geschehn
würde, davon war niemand fester überzeugt als der wackre Marquis von Marigny,
Kammerherr Sr. Allerchristlichsten Majestät, Eigentümer des Schlosses und der
Herrschaft Aigremont und Besitzer all der seltsamen Dinge, die wir zu einem so
bunten Chaos in dem Mansnrdeugemach des "Englischen Grußes" aufgehäuft ge¬
sehen haben.

Wie der Marquis jetzt behäbig, wohlfrisiert und gepudert mitten unter feinen
Siebensachen stand, aus einer silbernen Tasse seine Nachmittagsschokolade löffelte
und schmunzelnd zu einem zierlichen jungen Mädchen hiimberblickte, das über einen
Stickrahmen gebeugt am Fenster saß, glich er mehr einem Vergnügungsreisenden,
der in irgend ein primitives Quartier verschlage" den Reiz des Ungewohnten mit
Humor durchkostet, als einem Flüchtling. Und um die Wahrheit zu gestehn, er
kam sich auch schon längst nicht mehr als ein solcher vor. Die allgemeine Auf¬
regung hatte auch ihn erfaßt gehabt, seine Nachbarn hatten ihn mit ihrer Furcht
angesteckt, er hatte sich eingeredet, er sei es seiner Tochter schuldig, sie und sich in
Sicherheit zu bringen, und so waren denn auf Aigremont die Vorbereitungen zur
Abreise getroffen worden, ehe der Schlofzhcrr eigentlich selbst wußte, weshalb er
diesen Schritt unternehme.

Für seine Person hätte er kaum etwas zu befürchten gehabt. Polnischer Ehr¬
geiz war ihn: immer fremd gewesen, er hatte nicht den geringsten Einfluß auf die
royalistischen Kreise und war selbst dem Hofe seit Jahren ferngeblieben, teils ans
Bequemlichkeit, teils ans einer leichten Verstimmung darüber, daß mau einen jungen
Verwandten von ihm, der in das Pagenkorps einzutreten wünschte, trotz seiner
Fürsprache unter irgend einem nichtigen Vorwand abgelehnt hatte. Überdies war
der Marquis nur mäßig begütert, und sein Grundbesitz, auf dem er als ein milder
Herr gewaltet hatte, galt keineswegs als völlig schuldenfrei. Es konnte also keinem
Zweifel unterliegen, daß sich der Neid der Besitzlosen eher um Leben und Eigentum
seiner reichen Nachbarn vergriffen haben würde als an dem seinigen.

Alles das war Marignh schon auf der Reise nach Koblenz zum Bewußtsein
gekommen, nicht plötzlich und mit elementarer Gewalt, sondern nach und uach, wie
es sich für einen Mann mit mäßigen Geistesgaben auch schickt. In Se. Germain
hatte er sich noch ängstlich hinter den Gardinen seiner Reisekalesche versteckt, in
Argenteuil schon einen Blick aus dem Fenster gewagt, in Se. Denis während des
Pferdewechsels sogar ein Gespräch mit den: PostHalter angeknüpft und ihm vor¬
gelogen, daß er zur Weinlese nach Rainch fahre, in Brou war er eine Strecke
neben der Kutsche einherspaziert und hatte bei dieser Gelegenheit den dortigen
Gutspächter zu sich beschieden, um ihn zu fragen, ob es nicht möglich sei, die
Kastanien, die massenhaft in: Straßengraben lagen und noch bei jedem leichten Wind¬
stöße von den alten Bäumen herabprasselten, zusammenlesen und als Futter für die
Hirsche uach Aigremvut schaffen zu lassen.

Je weiter sich die Reisenden von der Hauptstadt entfernt hatten, desto größer
war bei dem alten Herrn das Gefühl der Sicherheit und des Behagens geworden,
und seiner Tochter, die klüger und weniger zuversichtlich war als er selbst, wurde
es durchaus nicht leicht, ihn davon zu überzeugen, daß man die notwendigsten
Vorsichtsmaßregeln um so weniger vernachlässigen dürfe, je mehr man sich der


Vor Marquis von Mcirigny

Am meisten zitterten jedoch die zahlreichen Mitglieder des alten und des jungen
Adels, die Hofämter bekleideten oder der persönlichen Gunst des Königs Aus¬
zeichnungen und Ehrenstellen verdankten. Die Auswanderung derer, die sich ge¬
fährdet glaubten, wuchs, und viele von ihnen wandten sich nach Koblenz, das als
Residenz eines geistlichen Fürsten den Flüchtlingen hinreichende Sicherheit zu bieten
schien und sich seiner günstigen Lage wegen wie keine andre Stadt des Auslandes
zum Aufenthalte für Franzosen eignete, die den Gang der Ereignisse in ihrer
Heimat genau verfolgen und deu Umschlag der Dinge, der nach aller Meinung
ja über kurz oder lang eintreten mußte, in Ruhe abwarten wollten. Daß dieser
Umschlag zu Gunsten der monarchischen Sache geschehn, und zwar bald geschehn
würde, davon war niemand fester überzeugt als der wackre Marquis von Marigny,
Kammerherr Sr. Allerchristlichsten Majestät, Eigentümer des Schlosses und der
Herrschaft Aigremont und Besitzer all der seltsamen Dinge, die wir zu einem so
bunten Chaos in dem Mansnrdeugemach des „Englischen Grußes" aufgehäuft ge¬
sehen haben.

Wie der Marquis jetzt behäbig, wohlfrisiert und gepudert mitten unter feinen
Siebensachen stand, aus einer silbernen Tasse seine Nachmittagsschokolade löffelte
und schmunzelnd zu einem zierlichen jungen Mädchen hiimberblickte, das über einen
Stickrahmen gebeugt am Fenster saß, glich er mehr einem Vergnügungsreisenden,
der in irgend ein primitives Quartier verschlage» den Reiz des Ungewohnten mit
Humor durchkostet, als einem Flüchtling. Und um die Wahrheit zu gestehn, er
kam sich auch schon längst nicht mehr als ein solcher vor. Die allgemeine Auf¬
regung hatte auch ihn erfaßt gehabt, seine Nachbarn hatten ihn mit ihrer Furcht
angesteckt, er hatte sich eingeredet, er sei es seiner Tochter schuldig, sie und sich in
Sicherheit zu bringen, und so waren denn auf Aigremont die Vorbereitungen zur
Abreise getroffen worden, ehe der Schlofzhcrr eigentlich selbst wußte, weshalb er
diesen Schritt unternehme.

Für seine Person hätte er kaum etwas zu befürchten gehabt. Polnischer Ehr¬
geiz war ihn: immer fremd gewesen, er hatte nicht den geringsten Einfluß auf die
royalistischen Kreise und war selbst dem Hofe seit Jahren ferngeblieben, teils ans
Bequemlichkeit, teils ans einer leichten Verstimmung darüber, daß mau einen jungen
Verwandten von ihm, der in das Pagenkorps einzutreten wünschte, trotz seiner
Fürsprache unter irgend einem nichtigen Vorwand abgelehnt hatte. Überdies war
der Marquis nur mäßig begütert, und sein Grundbesitz, auf dem er als ein milder
Herr gewaltet hatte, galt keineswegs als völlig schuldenfrei. Es konnte also keinem
Zweifel unterliegen, daß sich der Neid der Besitzlosen eher um Leben und Eigentum
seiner reichen Nachbarn vergriffen haben würde als an dem seinigen.

Alles das war Marignh schon auf der Reise nach Koblenz zum Bewußtsein
gekommen, nicht plötzlich und mit elementarer Gewalt, sondern nach und uach, wie
es sich für einen Mann mit mäßigen Geistesgaben auch schickt. In Se. Germain
hatte er sich noch ängstlich hinter den Gardinen seiner Reisekalesche versteckt, in
Argenteuil schon einen Blick aus dem Fenster gewagt, in Se. Denis während des
Pferdewechsels sogar ein Gespräch mit den: PostHalter angeknüpft und ihm vor¬
gelogen, daß er zur Weinlese nach Rainch fahre, in Brou war er eine Strecke
neben der Kutsche einherspaziert und hatte bei dieser Gelegenheit den dortigen
Gutspächter zu sich beschieden, um ihn zu fragen, ob es nicht möglich sei, die
Kastanien, die massenhaft in: Straßengraben lagen und noch bei jedem leichten Wind¬
stöße von den alten Bäumen herabprasselten, zusammenlesen und als Futter für die
Hirsche uach Aigremvut schaffen zu lassen.

Je weiter sich die Reisenden von der Hauptstadt entfernt hatten, desto größer
war bei dem alten Herrn das Gefühl der Sicherheit und des Behagens geworden,
und seiner Tochter, die klüger und weniger zuversichtlich war als er selbst, wurde
es durchaus nicht leicht, ihn davon zu überzeugen, daß man die notwendigsten
Vorsichtsmaßregeln um so weniger vernachlässigen dürfe, je mehr man sich der


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[0486] Vor Marquis von Mcirigny Am meisten zitterten jedoch die zahlreichen Mitglieder des alten und des jungen Adels, die Hofämter bekleideten oder der persönlichen Gunst des Königs Aus¬ zeichnungen und Ehrenstellen verdankten. Die Auswanderung derer, die sich ge¬ fährdet glaubten, wuchs, und viele von ihnen wandten sich nach Koblenz, das als Residenz eines geistlichen Fürsten den Flüchtlingen hinreichende Sicherheit zu bieten schien und sich seiner günstigen Lage wegen wie keine andre Stadt des Auslandes zum Aufenthalte für Franzosen eignete, die den Gang der Ereignisse in ihrer Heimat genau verfolgen und deu Umschlag der Dinge, der nach aller Meinung ja über kurz oder lang eintreten mußte, in Ruhe abwarten wollten. Daß dieser Umschlag zu Gunsten der monarchischen Sache geschehn, und zwar bald geschehn würde, davon war niemand fester überzeugt als der wackre Marquis von Marigny, Kammerherr Sr. Allerchristlichsten Majestät, Eigentümer des Schlosses und der Herrschaft Aigremont und Besitzer all der seltsamen Dinge, die wir zu einem so bunten Chaos in dem Mansnrdeugemach des „Englischen Grußes" aufgehäuft ge¬ sehen haben. Wie der Marquis jetzt behäbig, wohlfrisiert und gepudert mitten unter feinen Siebensachen stand, aus einer silbernen Tasse seine Nachmittagsschokolade löffelte und schmunzelnd zu einem zierlichen jungen Mädchen hiimberblickte, das über einen Stickrahmen gebeugt am Fenster saß, glich er mehr einem Vergnügungsreisenden, der in irgend ein primitives Quartier verschlage» den Reiz des Ungewohnten mit Humor durchkostet, als einem Flüchtling. Und um die Wahrheit zu gestehn, er kam sich auch schon längst nicht mehr als ein solcher vor. Die allgemeine Auf¬ regung hatte auch ihn erfaßt gehabt, seine Nachbarn hatten ihn mit ihrer Furcht angesteckt, er hatte sich eingeredet, er sei es seiner Tochter schuldig, sie und sich in Sicherheit zu bringen, und so waren denn auf Aigremont die Vorbereitungen zur Abreise getroffen worden, ehe der Schlofzhcrr eigentlich selbst wußte, weshalb er diesen Schritt unternehme. Für seine Person hätte er kaum etwas zu befürchten gehabt. Polnischer Ehr¬ geiz war ihn: immer fremd gewesen, er hatte nicht den geringsten Einfluß auf die royalistischen Kreise und war selbst dem Hofe seit Jahren ferngeblieben, teils ans Bequemlichkeit, teils ans einer leichten Verstimmung darüber, daß mau einen jungen Verwandten von ihm, der in das Pagenkorps einzutreten wünschte, trotz seiner Fürsprache unter irgend einem nichtigen Vorwand abgelehnt hatte. Überdies war der Marquis nur mäßig begütert, und sein Grundbesitz, auf dem er als ein milder Herr gewaltet hatte, galt keineswegs als völlig schuldenfrei. Es konnte also keinem Zweifel unterliegen, daß sich der Neid der Besitzlosen eher um Leben und Eigentum seiner reichen Nachbarn vergriffen haben würde als an dem seinigen. Alles das war Marignh schon auf der Reise nach Koblenz zum Bewußtsein gekommen, nicht plötzlich und mit elementarer Gewalt, sondern nach und uach, wie es sich für einen Mann mit mäßigen Geistesgaben auch schickt. In Se. Germain hatte er sich noch ängstlich hinter den Gardinen seiner Reisekalesche versteckt, in Argenteuil schon einen Blick aus dem Fenster gewagt, in Se. Denis während des Pferdewechsels sogar ein Gespräch mit den: PostHalter angeknüpft und ihm vor¬ gelogen, daß er zur Weinlese nach Rainch fahre, in Brou war er eine Strecke neben der Kutsche einherspaziert und hatte bei dieser Gelegenheit den dortigen Gutspächter zu sich beschieden, um ihn zu fragen, ob es nicht möglich sei, die Kastanien, die massenhaft in: Straßengraben lagen und noch bei jedem leichten Wind¬ stöße von den alten Bäumen herabprasselten, zusammenlesen und als Futter für die Hirsche uach Aigremvut schaffen zu lassen. Je weiter sich die Reisenden von der Hauptstadt entfernt hatten, desto größer war bei dem alten Herrn das Gefühl der Sicherheit und des Behagens geworden, und seiner Tochter, die klüger und weniger zuversichtlich war als er selbst, wurde es durchaus nicht leicht, ihn davon zu überzeugen, daß man die notwendigsten Vorsichtsmaßregeln um so weniger vernachlässigen dürfe, je mehr man sich der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_240381/486>, abgerufen am 23.07.2024.