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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Zweites Vierteljahr.

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Gibraltar und Marokko

Partei, die unsrer Staatsverfassung feindlich gegenüberstehn, Nieder eilf Deutsche
noch als Christen fühlen und trotzdem einen von Jahr zu Jahr steigenden
Terrorismus im Reichstage selbst ausübein




Gibraltar und Marokko
Otto Schulz, Hauptmann und Uompagniechef im r. b. ^. Ins.-Rgt, von

le marokkanischen Wirren haben unsern Blick auf ein Laud ge¬
lenkt, wo, obwohl es eines der gesundesten und fruchtbarsten
der Erde ist, eine jahrhundertelange Mißregicrnng einen nennens¬
werten Kulturfortschritt und Aufschwung verhindert hat. Wenn
nun auch die "marokkanische Frage" langsam und unaufhaltsam
ihrer Losung entgegentreibt, so ist sie doch bisher ungelöst geblieben wegen
der Eifersucht der an ihr am meisten interessierten Staaten untereinander.

Das am nächsten liegende Spanien, das nach und nach immer größern
Einfluß in Nordafrika und im Mittelmeer gewinnende Frankreich und vor
allem das schon das eine Ufer der Meerenge von Gibraltar und damit die
ganze so wichtige Handelsstraße beherrschende England lauern ans den Augen¬
blick, wo ihnen ein glücklicher Zufall erlaubt, die reifende Frucht zu pflücken,
das heißt das xrotsotor^t- ein N^roo zu erwerben. Aber auch ferner liegende
Staaten haben hier wichtige Interessen zu vertreten. Italien nimmt von Jahr
Zu Jahr größern Anteil an allen Vorgängen, die das Mittelmeer und die
afrikanische Küste betreffen und dort eine Änderung im Besitzstände hervorrufen
kannten. Und nicht zum mindesten hat Deutschland, das mit Marokko in sehr
^'haften Handelsbeziehungen steht und hierin nnr noch von England über-
loffen wird, ein großes Interesse an dem Schicksale dieses Landes.

Man möchte nun vielleicht glauben, daß England als Besitzer des nn-
wmehmbar genannten Gibraltars ohne Gefahr auf weitere Stützpunkte oder
Leitern Landbesitz an der Meerenge von Gibraltar verzichten könnte. Das ist
uun aber doch nicht der Fall; denn zunächst hat Gibraltar selbst nicht mehr
die offensive und defensive Stärke wie früher, sodann vermag Gibraltar nur
Klänge England die Herrschaft über die Meerenge zu sichern, als nicht am
ahnt'arischen Ufer eine Position von gleicher Bedeutung in der Hand einer
andern Großmacht ist. Das haben mich die Engländer erkannt. Deshalb
haben sie sich schon seit langer Zeit mit der Frage beschäftigt, wie Englands
Position an der Meerenge verstärkt werden könnte.

Die strategische Bedeutung Gibraltars besteht zunächst darin, daß es der
Hauptstützpunkt für das englische Mittelmeergeschwader ist. Zu diesem Zweck
O sein Hafen zu einem vorzüglich eingerichteten Kriegshafen allsgebaut und
schlich mit Arsenälen, Docks, Kohlenvvrräten und andern: Material sowohl
Aur Erhöhung wie zur Wiederherstellung der Gefechtskraft der Kriegsschiffe
ausgestattet worden. Infolge seiner Lage an der Grenze des Atlantischen
Ozeans und des Mittelländischen Meeres kann es auch von Schiffen, die sich


Gibraltar und Marokko

Partei, die unsrer Staatsverfassung feindlich gegenüberstehn, Nieder eilf Deutsche
noch als Christen fühlen und trotzdem einen von Jahr zu Jahr steigenden
Terrorismus im Reichstage selbst ausübein




Gibraltar und Marokko
Otto Schulz, Hauptmann und Uompagniechef im r. b. ^. Ins.-Rgt, von

le marokkanischen Wirren haben unsern Blick auf ein Laud ge¬
lenkt, wo, obwohl es eines der gesundesten und fruchtbarsten
der Erde ist, eine jahrhundertelange Mißregicrnng einen nennens¬
werten Kulturfortschritt und Aufschwung verhindert hat. Wenn
nun auch die „marokkanische Frage" langsam und unaufhaltsam
ihrer Losung entgegentreibt, so ist sie doch bisher ungelöst geblieben wegen
der Eifersucht der an ihr am meisten interessierten Staaten untereinander.

Das am nächsten liegende Spanien, das nach und nach immer größern
Einfluß in Nordafrika und im Mittelmeer gewinnende Frankreich und vor
allem das schon das eine Ufer der Meerenge von Gibraltar und damit die
ganze so wichtige Handelsstraße beherrschende England lauern ans den Augen¬
blick, wo ihnen ein glücklicher Zufall erlaubt, die reifende Frucht zu pflücken,
das heißt das xrotsotor^t- ein N^roo zu erwerben. Aber auch ferner liegende
Staaten haben hier wichtige Interessen zu vertreten. Italien nimmt von Jahr
Zu Jahr größern Anteil an allen Vorgängen, die das Mittelmeer und die
afrikanische Küste betreffen und dort eine Änderung im Besitzstände hervorrufen
kannten. Und nicht zum mindesten hat Deutschland, das mit Marokko in sehr
^'haften Handelsbeziehungen steht und hierin nnr noch von England über-
loffen wird, ein großes Interesse an dem Schicksale dieses Landes.

Man möchte nun vielleicht glauben, daß England als Besitzer des nn-
wmehmbar genannten Gibraltars ohne Gefahr auf weitere Stützpunkte oder
Leitern Landbesitz an der Meerenge von Gibraltar verzichten könnte. Das ist
uun aber doch nicht der Fall; denn zunächst hat Gibraltar selbst nicht mehr
die offensive und defensive Stärke wie früher, sodann vermag Gibraltar nur
Klänge England die Herrschaft über die Meerenge zu sichern, als nicht am
ahnt'arischen Ufer eine Position von gleicher Bedeutung in der Hand einer
andern Großmacht ist. Das haben mich die Engländer erkannt. Deshalb
haben sie sich schon seit langer Zeit mit der Frage beschäftigt, wie Englands
Position an der Meerenge verstärkt werden könnte.

Die strategische Bedeutung Gibraltars besteht zunächst darin, daß es der
Hauptstützpunkt für das englische Mittelmeergeschwader ist. Zu diesem Zweck
O sein Hafen zu einem vorzüglich eingerichteten Kriegshafen allsgebaut und
schlich mit Arsenälen, Docks, Kohlenvvrräten und andern: Material sowohl
Aur Erhöhung wie zur Wiederherstellung der Gefechtskraft der Kriegsschiffe
ausgestattet worden. Infolge seiner Lage an der Grenze des Atlantischen
Ozeans und des Mittelländischen Meeres kann es auch von Schiffen, die sich


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[0451] Gibraltar und Marokko Partei, die unsrer Staatsverfassung feindlich gegenüberstehn, Nieder eilf Deutsche noch als Christen fühlen und trotzdem einen von Jahr zu Jahr steigenden Terrorismus im Reichstage selbst ausübein Gibraltar und Marokko Otto Schulz, Hauptmann und Uompagniechef im r. b. ^. Ins.-Rgt, von le marokkanischen Wirren haben unsern Blick auf ein Laud ge¬ lenkt, wo, obwohl es eines der gesundesten und fruchtbarsten der Erde ist, eine jahrhundertelange Mißregicrnng einen nennens¬ werten Kulturfortschritt und Aufschwung verhindert hat. Wenn nun auch die „marokkanische Frage" langsam und unaufhaltsam ihrer Losung entgegentreibt, so ist sie doch bisher ungelöst geblieben wegen der Eifersucht der an ihr am meisten interessierten Staaten untereinander. Das am nächsten liegende Spanien, das nach und nach immer größern Einfluß in Nordafrika und im Mittelmeer gewinnende Frankreich und vor allem das schon das eine Ufer der Meerenge von Gibraltar und damit die ganze so wichtige Handelsstraße beherrschende England lauern ans den Augen¬ blick, wo ihnen ein glücklicher Zufall erlaubt, die reifende Frucht zu pflücken, das heißt das xrotsotor^t- ein N^roo zu erwerben. Aber auch ferner liegende Staaten haben hier wichtige Interessen zu vertreten. Italien nimmt von Jahr Zu Jahr größern Anteil an allen Vorgängen, die das Mittelmeer und die afrikanische Küste betreffen und dort eine Änderung im Besitzstände hervorrufen kannten. Und nicht zum mindesten hat Deutschland, das mit Marokko in sehr ^'haften Handelsbeziehungen steht und hierin nnr noch von England über- loffen wird, ein großes Interesse an dem Schicksale dieses Landes. Man möchte nun vielleicht glauben, daß England als Besitzer des nn- wmehmbar genannten Gibraltars ohne Gefahr auf weitere Stützpunkte oder Leitern Landbesitz an der Meerenge von Gibraltar verzichten könnte. Das ist uun aber doch nicht der Fall; denn zunächst hat Gibraltar selbst nicht mehr die offensive und defensive Stärke wie früher, sodann vermag Gibraltar nur Klänge England die Herrschaft über die Meerenge zu sichern, als nicht am ahnt'arischen Ufer eine Position von gleicher Bedeutung in der Hand einer andern Großmacht ist. Das haben mich die Engländer erkannt. Deshalb haben sie sich schon seit langer Zeit mit der Frage beschäftigt, wie Englands Position an der Meerenge verstärkt werden könnte. Die strategische Bedeutung Gibraltars besteht zunächst darin, daß es der Hauptstützpunkt für das englische Mittelmeergeschwader ist. Zu diesem Zweck O sein Hafen zu einem vorzüglich eingerichteten Kriegshafen allsgebaut und schlich mit Arsenälen, Docks, Kohlenvvrräten und andern: Material sowohl Aur Erhöhung wie zur Wiederherstellung der Gefechtskraft der Kriegsschiffe ausgestattet worden. Infolge seiner Lage an der Grenze des Atlantischen Ozeans und des Mittelländischen Meeres kann es auch von Schiffen, die sich

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_240381/451>, abgerufen am 23.07.2024.