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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Zweites Vierteljahr.

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es zum Glücke ihres Mannes gehöre, diesen Rock nusznziehn, mit Freuden das
Opfer bringen müsse. Aber sie brachte das Opfer nicht mit Freuden, sondern
schmollte und fragte, warum ihr Otto nicht umgekehrt ihr das Opfer bringe" wolle,
den Rock anzubehalteu? Worauf sie vou Mamachen ein dummes Kind genannt
wurde. Das Ende war, daß Crottorf sich doch entschloß, seinen Abschied zu nehmen,
und daß er darüber mit Kamerad Stemmern redete.

Tun Sie das nicht, sagte Kamerad Stemmern. Es wäre schade um Sie.
Ach, Sie wollen ein großer Künstler werden? Sind Sie aber gewiß, daß Sie auch
Karriere machen werden? Na ja, Sie können sich ja mit dem Schwiegervater, den
Sie haben, den Scherz gestatten, zu baronisieren. Sind Sie aber gewiß, daß es
Sie auf die Dauer befriedigen wird? Crottorf, hören Sie mal zu. Sie können,
wenn die Sache am richtigen Ende angefaßt wird, einen Urlaub von zwei Jahren
haben. Nehmen Sie Urlaub.

Das leuchtete Crottorf ein. Der Herr Schwiegervater verstand es, die Sache
am richtigen Ende anzufassen, und Crottorf erhielt seinen Urlaub.

War er nun zufrieden? Er setzte sich schou am frühen Morgen ans Klavier
und übte und komponierte nach Herzenslust. Er sprach früh, mittags und abends
von weiter nichts mehr als von Musik, bis seine kleine Frau sagte: Otto, nun höre
aber endlich einmal mit deiner langweiligen Fnchsimpelei auf. -- Seine Frau nannte
langweilig, was feine ganze Seele erfüllte, und was der Inhalt seines Lebens war.
Er schwieg fortan, trieb aber seine Sache schweigend mit desto glühenderen Eifer.
Er machte große Fortschritte. Schon war er soweit, daß er sich an eine Beethovensche
Sonate wagen konnte. Schon kannte er alle Tonarten und Übergänge, schon hatte
er den ersten schüchternen Versuch gemacht, einen Kontrapunkt zu schreiben. Aber
da zeigte sich eine merkwürdige Erscheinung. Je mehr er lernte und wußte, desto
spärlicher floß der Quell der Phantasie. Als er gar nichts wußte, hatte er mit
mutiger Naivität drauflos geschrieben. Jetzt fragte er sich bei jedem Takte: Ist das
so auch richtig? und soll ich nicht lieber von I^tur nach (?mo11 oder von ^. nach
1?is gehn? Er glich einem Menschen, der mit zögernden Schritten übers Eis geht
und uicht von der Stelle kommt. Es gab Wochen, wo er die Notenfcder nicht
anrührte. Und je länger das dauerte, desto unschlüssiger wurde er.

Mamachen konnte das nicht begreifen. Mamachen fing an, ungeduldig zu
werden, daß der Ruhm des von ihr entdeckten gottbegnadeter Künstlers noch immer
nicht aufstrahlen wollte. Mamachen brach in das Mnsenheim ihres Schwiegersohns
ein und entführte einige Kompositionen, die sie Pflaumel vorlegte. Adolf Pflaumel
erlebte eine bedrängte halbe Stunde. Er mußte schließlich wieder nachgeben, er
mußte es übernehmen, die Kompositionen zurechtzurücken und zu korrigieren, aber
er konnte es, trotz aller Anläufe der Frau Geheimrat, nicht über sich bringen, etwas
rühmliches von der Arbeit zu sagen. Ob nicht die Kompositionen einen enormen
Fortschritt aufwiesen, fragte sie. Adolf Pflaumel verlor die Geduld -- wozu es
selten kam -- und erwiderte kurz, die erste Komposition habe ihm besser gefallen.

Aber lieber Pflaumel, entgegnete die Frau Geheimrat, ich verstehe Sie nicht.
Wenn jemand mit solchem Eifer studiert, so muß er doch immer Besseres leisten,
und Sie sagen, die erste Arbeit habe Ihnen besser gefallen?

Die Frau Geheimrat war ernstlich ungehalten und wandte sich mit dem
korrigierten Manuskript an Angelo Bambus. Angelo Bambus war Feuer und
Flamme, da er der Frau Geheimrätin für den Druck Preise berechnen konnte, die
ein ausgezeichnetes Geschäft bedeuteten. Natürlich müssen die Sachen gedruckt werden,
sagte er. Es seien Werke, die zu den schönsten Hoffnungen berechtigten, es sei ein
Unrecht, dem Publikum solche Werke vorzuenthalten, und die Herren Sachverständigen
seien Neidhämmel, die nichts gelten lassen wollten, als was sie selbst geschrieben
hätten. Er versprach eine glänzende Veröffentlichung und glänzenden Erfolg. Die
Frau Geheimrätin strahlte.

Nach einiger Zeit standen Opus 1 bis 8 mit prunkenden Titelblättern in
Angelo Bambus Schaufenster, und die Finn Geheimrätin überreichte mit Rührung


es zum Glücke ihres Mannes gehöre, diesen Rock nusznziehn, mit Freuden das
Opfer bringen müsse. Aber sie brachte das Opfer nicht mit Freuden, sondern
schmollte und fragte, warum ihr Otto nicht umgekehrt ihr das Opfer bringe» wolle,
den Rock anzubehalteu? Worauf sie vou Mamachen ein dummes Kind genannt
wurde. Das Ende war, daß Crottorf sich doch entschloß, seinen Abschied zu nehmen,
und daß er darüber mit Kamerad Stemmern redete.

Tun Sie das nicht, sagte Kamerad Stemmern. Es wäre schade um Sie.
Ach, Sie wollen ein großer Künstler werden? Sind Sie aber gewiß, daß Sie auch
Karriere machen werden? Na ja, Sie können sich ja mit dem Schwiegervater, den
Sie haben, den Scherz gestatten, zu baronisieren. Sind Sie aber gewiß, daß es
Sie auf die Dauer befriedigen wird? Crottorf, hören Sie mal zu. Sie können,
wenn die Sache am richtigen Ende angefaßt wird, einen Urlaub von zwei Jahren
haben. Nehmen Sie Urlaub.

Das leuchtete Crottorf ein. Der Herr Schwiegervater verstand es, die Sache
am richtigen Ende anzufassen, und Crottorf erhielt seinen Urlaub.

War er nun zufrieden? Er setzte sich schou am frühen Morgen ans Klavier
und übte und komponierte nach Herzenslust. Er sprach früh, mittags und abends
von weiter nichts mehr als von Musik, bis seine kleine Frau sagte: Otto, nun höre
aber endlich einmal mit deiner langweiligen Fnchsimpelei auf. — Seine Frau nannte
langweilig, was feine ganze Seele erfüllte, und was der Inhalt seines Lebens war.
Er schwieg fortan, trieb aber seine Sache schweigend mit desto glühenderen Eifer.
Er machte große Fortschritte. Schon war er soweit, daß er sich an eine Beethovensche
Sonate wagen konnte. Schon kannte er alle Tonarten und Übergänge, schon hatte
er den ersten schüchternen Versuch gemacht, einen Kontrapunkt zu schreiben. Aber
da zeigte sich eine merkwürdige Erscheinung. Je mehr er lernte und wußte, desto
spärlicher floß der Quell der Phantasie. Als er gar nichts wußte, hatte er mit
mutiger Naivität drauflos geschrieben. Jetzt fragte er sich bei jedem Takte: Ist das
so auch richtig? und soll ich nicht lieber von I^tur nach (?mo11 oder von ^. nach
1?is gehn? Er glich einem Menschen, der mit zögernden Schritten übers Eis geht
und uicht von der Stelle kommt. Es gab Wochen, wo er die Notenfcder nicht
anrührte. Und je länger das dauerte, desto unschlüssiger wurde er.

Mamachen konnte das nicht begreifen. Mamachen fing an, ungeduldig zu
werden, daß der Ruhm des von ihr entdeckten gottbegnadeter Künstlers noch immer
nicht aufstrahlen wollte. Mamachen brach in das Mnsenheim ihres Schwiegersohns
ein und entführte einige Kompositionen, die sie Pflaumel vorlegte. Adolf Pflaumel
erlebte eine bedrängte halbe Stunde. Er mußte schließlich wieder nachgeben, er
mußte es übernehmen, die Kompositionen zurechtzurücken und zu korrigieren, aber
er konnte es, trotz aller Anläufe der Frau Geheimrat, nicht über sich bringen, etwas
rühmliches von der Arbeit zu sagen. Ob nicht die Kompositionen einen enormen
Fortschritt aufwiesen, fragte sie. Adolf Pflaumel verlor die Geduld — wozu es
selten kam — und erwiderte kurz, die erste Komposition habe ihm besser gefallen.

Aber lieber Pflaumel, entgegnete die Frau Geheimrat, ich verstehe Sie nicht.
Wenn jemand mit solchem Eifer studiert, so muß er doch immer Besseres leisten,
und Sie sagen, die erste Arbeit habe Ihnen besser gefallen?

Die Frau Geheimrat war ernstlich ungehalten und wandte sich mit dem
korrigierten Manuskript an Angelo Bambus. Angelo Bambus war Feuer und
Flamme, da er der Frau Geheimrätin für den Druck Preise berechnen konnte, die
ein ausgezeichnetes Geschäft bedeuteten. Natürlich müssen die Sachen gedruckt werden,
sagte er. Es seien Werke, die zu den schönsten Hoffnungen berechtigten, es sei ein
Unrecht, dem Publikum solche Werke vorzuenthalten, und die Herren Sachverständigen
seien Neidhämmel, die nichts gelten lassen wollten, als was sie selbst geschrieben
hätten. Er versprach eine glänzende Veröffentlichung und glänzenden Erfolg. Die
Frau Geheimrätin strahlte.

Nach einiger Zeit standen Opus 1 bis 8 mit prunkenden Titelblättern in
Angelo Bambus Schaufenster, und die Finn Geheimrätin überreichte mit Rührung


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_240381/430>, abgerufen am 24.07.2024.