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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Zweites Vierteljahr.

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Hur Reform des philosophischen Doktorats

oder ein Theater besuchen rönnen, wenn sie diese Genüsse nicht entbehren zu
können glauben; überdies kann man die Ferien schliininsteiifalls dazu benutzen,
sich wieder einmal in der Außenwelt umzusehen. Aber in den meisten Fällen
-- und das ist ebenfalls vor nicht langer Zeit in den Grenzboten zur Sprache
gebracht worden -- sind die Juristen gegen höhere wissenschaftliche und
künstlerische Bestrebungen viel gleichgültiger als die andern akademisch ge¬
bildeten Stunde, sie halten sich am meisten von solchen Sachen fern, die nicht
in ihren Beruf fallen, und haben schon mit der Abiturientenprüfung für die
schöne" Wissenschaften, die Geschichte und die andern geistigen Gebiete abgeschlossen.
Daher kommt es denn so oft, daß sie mit ihrer freien Zeit nichts anzufangen
wissen, daß sie sich in den kleinen Städten langweilen und sich in den Trubel
der Großstadt sehnen, wo es wenigstens noch einige materielle Genüsse für
sie gibt, durch die sie sich für die sonstige geistige Gleichgiltigkeit entschädigen.
Da sind dann der Stammtisch und der Skat nur zu oft beliebte Auskunfts¬
mittel, durch die man mitten in der Großstadt erst recht "verbauern" kann.
Die Landflucht der Beamten ist kein gutes Zeichen für unsre Staatsverhältnisse,
und es ist gut, wenn darauf hingewirkt werden soll, daß die Richter wenigsteus
ein Jahrzehnt draußen im Lande oder wenigstens in mittlern Städten bleiben,
wo ja selbstverständlich die Verhältnisse wieder anders liegen, die hier nicht
erörtert werden sollen.




Zur Reform des philosophischen Doktorats
Magnus Freiherrn von Veiel von

er Doktor der Philosophie ist nicht ehrwürdig durch sein Alter.
Solange die vierte Fakultät als Vorstufe der drei obern galt,
hatte sie bekanntlich nur das Recht, Bacealaurceu und Magister
zu kreieren. An der Universität Leipzig wird zum erstenmal im
Jahre 1793, nachdem Jena und Halle eben vorangegangen waren,
zum "Doktor der Philosophie und Magister der freien Künste" promoviert,
aber ein Recht zum Gebrauche des Doktortitels war mit dieser Promotion
nicht verbunden. Die Statuten der Berliner Philosophischen Fakultät von 1810
unterscheiden zwischen dein Magisterium, das dein erteilt wird, "der ein taug¬
liches Glied in der Kette der wissenschaftlichen Überlieferung zu werden ver¬
spricht," und dem mit der Habilitation unmittelbar verknüpften Doktorat. Ein
entsprechendes Gesuch der Leipziger Fakultät, wenigstens den habilitierten
Magistern die Benennung als Dr. xlül. zu gestatten, wird vom sächsischen
Kirchenrat 1811 abgelehnt, lind noch im Jahre 1830 erklärt sich die Regierung
mit dem Leipziger akademischen Senat darin einverstanden, daß sich die Magister
der philosophischen Fakultät zwar "in der Konvenienz des gemeinen Lebens"
Doktoren nennen dürfen, aber offiziell weder bei Staats- noch Universitäts-
behörden diese" Titel zu beanspruchen habe", was nebenbei deu tröstende"


Grenzboten II 1903 S4
Hur Reform des philosophischen Doktorats

oder ein Theater besuchen rönnen, wenn sie diese Genüsse nicht entbehren zu
können glauben; überdies kann man die Ferien schliininsteiifalls dazu benutzen,
sich wieder einmal in der Außenwelt umzusehen. Aber in den meisten Fällen
— und das ist ebenfalls vor nicht langer Zeit in den Grenzboten zur Sprache
gebracht worden — sind die Juristen gegen höhere wissenschaftliche und
künstlerische Bestrebungen viel gleichgültiger als die andern akademisch ge¬
bildeten Stunde, sie halten sich am meisten von solchen Sachen fern, die nicht
in ihren Beruf fallen, und haben schon mit der Abiturientenprüfung für die
schöne» Wissenschaften, die Geschichte und die andern geistigen Gebiete abgeschlossen.
Daher kommt es denn so oft, daß sie mit ihrer freien Zeit nichts anzufangen
wissen, daß sie sich in den kleinen Städten langweilen und sich in den Trubel
der Großstadt sehnen, wo es wenigstens noch einige materielle Genüsse für
sie gibt, durch die sie sich für die sonstige geistige Gleichgiltigkeit entschädigen.
Da sind dann der Stammtisch und der Skat nur zu oft beliebte Auskunfts¬
mittel, durch die man mitten in der Großstadt erst recht „verbauern" kann.
Die Landflucht der Beamten ist kein gutes Zeichen für unsre Staatsverhältnisse,
und es ist gut, wenn darauf hingewirkt werden soll, daß die Richter wenigsteus
ein Jahrzehnt draußen im Lande oder wenigstens in mittlern Städten bleiben,
wo ja selbstverständlich die Verhältnisse wieder anders liegen, die hier nicht
erörtert werden sollen.




Zur Reform des philosophischen Doktorats
Magnus Freiherrn von Veiel von

er Doktor der Philosophie ist nicht ehrwürdig durch sein Alter.
Solange die vierte Fakultät als Vorstufe der drei obern galt,
hatte sie bekanntlich nur das Recht, Bacealaurceu und Magister
zu kreieren. An der Universität Leipzig wird zum erstenmal im
Jahre 1793, nachdem Jena und Halle eben vorangegangen waren,
zum „Doktor der Philosophie und Magister der freien Künste" promoviert,
aber ein Recht zum Gebrauche des Doktortitels war mit dieser Promotion
nicht verbunden. Die Statuten der Berliner Philosophischen Fakultät von 1810
unterscheiden zwischen dein Magisterium, das dein erteilt wird, „der ein taug¬
liches Glied in der Kette der wissenschaftlichen Überlieferung zu werden ver¬
spricht," und dem mit der Habilitation unmittelbar verknüpften Doktorat. Ein
entsprechendes Gesuch der Leipziger Fakultät, wenigstens den habilitierten
Magistern die Benennung als Dr. xlül. zu gestatten, wird vom sächsischen
Kirchenrat 1811 abgelehnt, lind noch im Jahre 1830 erklärt sich die Regierung
mit dem Leipziger akademischen Senat darin einverstanden, daß sich die Magister
der philosophischen Fakultät zwar „in der Konvenienz des gemeinen Lebens"
Doktoren nennen dürfen, aber offiziell weder bei Staats- noch Universitäts-
behörden diese» Titel zu beanspruchen habe», was nebenbei deu tröstende»


Grenzboten II 1903 S4
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[0413] Hur Reform des philosophischen Doktorats oder ein Theater besuchen rönnen, wenn sie diese Genüsse nicht entbehren zu können glauben; überdies kann man die Ferien schliininsteiifalls dazu benutzen, sich wieder einmal in der Außenwelt umzusehen. Aber in den meisten Fällen — und das ist ebenfalls vor nicht langer Zeit in den Grenzboten zur Sprache gebracht worden — sind die Juristen gegen höhere wissenschaftliche und künstlerische Bestrebungen viel gleichgültiger als die andern akademisch ge¬ bildeten Stunde, sie halten sich am meisten von solchen Sachen fern, die nicht in ihren Beruf fallen, und haben schon mit der Abiturientenprüfung für die schöne» Wissenschaften, die Geschichte und die andern geistigen Gebiete abgeschlossen. Daher kommt es denn so oft, daß sie mit ihrer freien Zeit nichts anzufangen wissen, daß sie sich in den kleinen Städten langweilen und sich in den Trubel der Großstadt sehnen, wo es wenigstens noch einige materielle Genüsse für sie gibt, durch die sie sich für die sonstige geistige Gleichgiltigkeit entschädigen. Da sind dann der Stammtisch und der Skat nur zu oft beliebte Auskunfts¬ mittel, durch die man mitten in der Großstadt erst recht „verbauern" kann. Die Landflucht der Beamten ist kein gutes Zeichen für unsre Staatsverhältnisse, und es ist gut, wenn darauf hingewirkt werden soll, daß die Richter wenigsteus ein Jahrzehnt draußen im Lande oder wenigstens in mittlern Städten bleiben, wo ja selbstverständlich die Verhältnisse wieder anders liegen, die hier nicht erörtert werden sollen. Zur Reform des philosophischen Doktorats Magnus Freiherrn von Veiel von er Doktor der Philosophie ist nicht ehrwürdig durch sein Alter. Solange die vierte Fakultät als Vorstufe der drei obern galt, hatte sie bekanntlich nur das Recht, Bacealaurceu und Magister zu kreieren. An der Universität Leipzig wird zum erstenmal im Jahre 1793, nachdem Jena und Halle eben vorangegangen waren, zum „Doktor der Philosophie und Magister der freien Künste" promoviert, aber ein Recht zum Gebrauche des Doktortitels war mit dieser Promotion nicht verbunden. Die Statuten der Berliner Philosophischen Fakultät von 1810 unterscheiden zwischen dein Magisterium, das dein erteilt wird, „der ein taug¬ liches Glied in der Kette der wissenschaftlichen Überlieferung zu werden ver¬ spricht," und dem mit der Habilitation unmittelbar verknüpften Doktorat. Ein entsprechendes Gesuch der Leipziger Fakultät, wenigstens den habilitierten Magistern die Benennung als Dr. xlül. zu gestatten, wird vom sächsischen Kirchenrat 1811 abgelehnt, lind noch im Jahre 1830 erklärt sich die Regierung mit dem Leipziger akademischen Senat darin einverstanden, daß sich die Magister der philosophischen Fakultät zwar „in der Konvenienz des gemeinen Lebens" Doktoren nennen dürfen, aber offiziell weder bei Staats- noch Universitäts- behörden diese» Titel zu beanspruchen habe», was nebenbei deu tröstende» Grenzboten II 1903 S4

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_240381/413>, abgerufen am 29.09.2024.