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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Zweites Vierteljahr.

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Zollvereine

land zu den Staaten der europäischen Zollunion, wie sie hier gedacht ist, und
seine Getreideeinfuhr genießt den Zollnachlaß. Das wurde wie eine Prämie
auf die russische Getreideerzeugimg wirken. Die zweite wichtige Folge des
Antrags wäre die allgemeine Einführung der Ursprungszeugnisse nicht nur für
Herkunft von überseeischen Ländern, sondern auch für den Verkehr der euro¬
päischen Vertragsstaaten, und nicht nur für einzelne, sondern für alle Waren.
Damit tritt sowohl eine große Belästigung des Handels ein, als auch eine
unter Umständen nicht geringe Verteuerung der Waren. Um die Wirkung
der vorgeschlagnen Maßregel einigermaßen übersehen zu können, müßte mau
die Höhe des Zollnachlasses kennen, den europäische Waren genießen sollen.
Erst dann könnte man ermessen, ob nicht dieser Zvllabschlag von der mit
Recht hervorgehobnen immer mehr fortschreitenden Verbilligung der Verkehrs¬
mittel bald überholt werden würde. Zu beachten ist auch ferner in jedem
einzelnen Falle die absolute Höhe des Zolles für eine Ware. Ist der Zoll an
sich nicht sehr hoch, so wird der überseeische Wettbewerb auch durch einen starken
Zollnachlaß nicht viel beschwert werden, und es könnte als Folge des An¬
trags und zur Vermeidung solcher Erfahrungen eine allgemeine Zollerhöhuug
in den europäischen Ländern eintreten. Das wird auch ganz offen gefordert
für alle die Waren, die noch gar keinen Zoll tragen oder noch keinen, dessen
Höhe die beabsichtigte Zollermüßigung erreicht. Schließlich kann man sich nicht
verhehlen, daß die ganze hier vorgeschlagne Einrichtung sehr roh ist. Der ein¬
heitliche Satz der Zollermäßigung für europäische Waren wirkt natürlich sehr
verschieden bei den einzelnen Waren. Das sind einige der Bedenken, die uns
bei der ersten Prüfung des Antrags kommen. Seine eingehende Kritik muß
auf spätere Zeit verschoben werden.

Wir haben vorhin die Befürchtungen kurz dargestellt, die man an das
Entsteh" dreier großer Weltreiche knüpft, die sich auf bedeutende Ländermassen
stützen. Soweit sie sich auf Rußland beziehn, ist zu bemerken, daß man
mindestens die handelspolitische Aktionsfähigkeit dieses Staates ganz bedeutend
überschätzt. Wir können jedoch an dieser Stelle nicht näher darauf eingehn,
müssen vielmehr auf die Artikel verweisen, die in diesen Blättern über die
wirtschaftspolitische und finanzielle Entwicklung Rußlands erschienen sind. Wie
steht es nnn mit vrsatör Lriww und Panamerika?

Großbritannien ist allerdings ein Reich von ungeheurer Ausdehnung durch
alle Zonen und Erdteile. Aber die einzelnen Kolonien hängen doch nur lose
mit dem Mutterlande zusammen, ja einzelne drohen seit geraumer Zeit, sich
selbständig zu machen, oder es liegt die Gefahr vor, daß sie sich andern großen
Staateil nuschließen, z. B. Kanada an die Vereinigten Staaten von Nord¬
amerika. Das wird zwar von den Engländern geleugnet, es ist aber doch
richtig. Da lag es denn nahe, zu fragen, ob es nicht notwendig sei, diese
Kolonien enger an das Mutterland anzuschließen, auch staatsrechtlich ein
britisches Weltreich auf einheitlicher Grundlage aufzubauen. Dieser Reichs¬
gedanke hat aber auch noch einen andern Ausgangspunkt genommen. Es
bestand in England eine Partei, die gegen den Freihandel Stellung nahm
und erklärte, daß eine Zollschranke um das englische Mutterland und alle


Zollvereine

land zu den Staaten der europäischen Zollunion, wie sie hier gedacht ist, und
seine Getreideeinfuhr genießt den Zollnachlaß. Das wurde wie eine Prämie
auf die russische Getreideerzeugimg wirken. Die zweite wichtige Folge des
Antrags wäre die allgemeine Einführung der Ursprungszeugnisse nicht nur für
Herkunft von überseeischen Ländern, sondern auch für den Verkehr der euro¬
päischen Vertragsstaaten, und nicht nur für einzelne, sondern für alle Waren.
Damit tritt sowohl eine große Belästigung des Handels ein, als auch eine
unter Umständen nicht geringe Verteuerung der Waren. Um die Wirkung
der vorgeschlagnen Maßregel einigermaßen übersehen zu können, müßte mau
die Höhe des Zollnachlasses kennen, den europäische Waren genießen sollen.
Erst dann könnte man ermessen, ob nicht dieser Zvllabschlag von der mit
Recht hervorgehobnen immer mehr fortschreitenden Verbilligung der Verkehrs¬
mittel bald überholt werden würde. Zu beachten ist auch ferner in jedem
einzelnen Falle die absolute Höhe des Zolles für eine Ware. Ist der Zoll an
sich nicht sehr hoch, so wird der überseeische Wettbewerb auch durch einen starken
Zollnachlaß nicht viel beschwert werden, und es könnte als Folge des An¬
trags und zur Vermeidung solcher Erfahrungen eine allgemeine Zollerhöhuug
in den europäischen Ländern eintreten. Das wird auch ganz offen gefordert
für alle die Waren, die noch gar keinen Zoll tragen oder noch keinen, dessen
Höhe die beabsichtigte Zollermüßigung erreicht. Schließlich kann man sich nicht
verhehlen, daß die ganze hier vorgeschlagne Einrichtung sehr roh ist. Der ein¬
heitliche Satz der Zollermäßigung für europäische Waren wirkt natürlich sehr
verschieden bei den einzelnen Waren. Das sind einige der Bedenken, die uns
bei der ersten Prüfung des Antrags kommen. Seine eingehende Kritik muß
auf spätere Zeit verschoben werden.

Wir haben vorhin die Befürchtungen kurz dargestellt, die man an das
Entsteh» dreier großer Weltreiche knüpft, die sich auf bedeutende Ländermassen
stützen. Soweit sie sich auf Rußland beziehn, ist zu bemerken, daß man
mindestens die handelspolitische Aktionsfähigkeit dieses Staates ganz bedeutend
überschätzt. Wir können jedoch an dieser Stelle nicht näher darauf eingehn,
müssen vielmehr auf die Artikel verweisen, die in diesen Blättern über die
wirtschaftspolitische und finanzielle Entwicklung Rußlands erschienen sind. Wie
steht es nnn mit vrsatör Lriww und Panamerika?

Großbritannien ist allerdings ein Reich von ungeheurer Ausdehnung durch
alle Zonen und Erdteile. Aber die einzelnen Kolonien hängen doch nur lose
mit dem Mutterlande zusammen, ja einzelne drohen seit geraumer Zeit, sich
selbständig zu machen, oder es liegt die Gefahr vor, daß sie sich andern großen
Staateil nuschließen, z. B. Kanada an die Vereinigten Staaten von Nord¬
amerika. Das wird zwar von den Engländern geleugnet, es ist aber doch
richtig. Da lag es denn nahe, zu fragen, ob es nicht notwendig sei, diese
Kolonien enger an das Mutterland anzuschließen, auch staatsrechtlich ein
britisches Weltreich auf einheitlicher Grundlage aufzubauen. Dieser Reichs¬
gedanke hat aber auch noch einen andern Ausgangspunkt genommen. Es
bestand in England eine Partei, die gegen den Freihandel Stellung nahm
und erklärte, daß eine Zollschranke um das englische Mutterland und alle


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[0401] Zollvereine land zu den Staaten der europäischen Zollunion, wie sie hier gedacht ist, und seine Getreideeinfuhr genießt den Zollnachlaß. Das wurde wie eine Prämie auf die russische Getreideerzeugimg wirken. Die zweite wichtige Folge des Antrags wäre die allgemeine Einführung der Ursprungszeugnisse nicht nur für Herkunft von überseeischen Ländern, sondern auch für den Verkehr der euro¬ päischen Vertragsstaaten, und nicht nur für einzelne, sondern für alle Waren. Damit tritt sowohl eine große Belästigung des Handels ein, als auch eine unter Umständen nicht geringe Verteuerung der Waren. Um die Wirkung der vorgeschlagnen Maßregel einigermaßen übersehen zu können, müßte mau die Höhe des Zollnachlasses kennen, den europäische Waren genießen sollen. Erst dann könnte man ermessen, ob nicht dieser Zvllabschlag von der mit Recht hervorgehobnen immer mehr fortschreitenden Verbilligung der Verkehrs¬ mittel bald überholt werden würde. Zu beachten ist auch ferner in jedem einzelnen Falle die absolute Höhe des Zolles für eine Ware. Ist der Zoll an sich nicht sehr hoch, so wird der überseeische Wettbewerb auch durch einen starken Zollnachlaß nicht viel beschwert werden, und es könnte als Folge des An¬ trags und zur Vermeidung solcher Erfahrungen eine allgemeine Zollerhöhuug in den europäischen Ländern eintreten. Das wird auch ganz offen gefordert für alle die Waren, die noch gar keinen Zoll tragen oder noch keinen, dessen Höhe die beabsichtigte Zollermüßigung erreicht. Schließlich kann man sich nicht verhehlen, daß die ganze hier vorgeschlagne Einrichtung sehr roh ist. Der ein¬ heitliche Satz der Zollermäßigung für europäische Waren wirkt natürlich sehr verschieden bei den einzelnen Waren. Das sind einige der Bedenken, die uns bei der ersten Prüfung des Antrags kommen. Seine eingehende Kritik muß auf spätere Zeit verschoben werden. Wir haben vorhin die Befürchtungen kurz dargestellt, die man an das Entsteh» dreier großer Weltreiche knüpft, die sich auf bedeutende Ländermassen stützen. Soweit sie sich auf Rußland beziehn, ist zu bemerken, daß man mindestens die handelspolitische Aktionsfähigkeit dieses Staates ganz bedeutend überschätzt. Wir können jedoch an dieser Stelle nicht näher darauf eingehn, müssen vielmehr auf die Artikel verweisen, die in diesen Blättern über die wirtschaftspolitische und finanzielle Entwicklung Rußlands erschienen sind. Wie steht es nnn mit vrsatör Lriww und Panamerika? Großbritannien ist allerdings ein Reich von ungeheurer Ausdehnung durch alle Zonen und Erdteile. Aber die einzelnen Kolonien hängen doch nur lose mit dem Mutterlande zusammen, ja einzelne drohen seit geraumer Zeit, sich selbständig zu machen, oder es liegt die Gefahr vor, daß sie sich andern großen Staateil nuschließen, z. B. Kanada an die Vereinigten Staaten von Nord¬ amerika. Das wird zwar von den Engländern geleugnet, es ist aber doch richtig. Da lag es denn nahe, zu fragen, ob es nicht notwendig sei, diese Kolonien enger an das Mutterland anzuschließen, auch staatsrechtlich ein britisches Weltreich auf einheitlicher Grundlage aufzubauen. Dieser Reichs¬ gedanke hat aber auch noch einen andern Ausgangspunkt genommen. Es bestand in England eine Partei, die gegen den Freihandel Stellung nahm und erklärte, daß eine Zollschranke um das englische Mutterland und alle

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_240381/401>, abgerufen am 30.09.2024.