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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Zweites Vierteljahr.

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neral des achten Armeekorps, von Hirschfcldt, u>ar gestorben, und es handelte
sich darum, ob Bonin dieses 5i!v>nmandv erhalten solle. Am 27. November
wurde Roon wieder nach Berlin berufen und empfing dort den Antrag, das
Kriegsministerium zu übernehmen, das höchste Vertrauenszeugnis, das unter
den obwaltenden Umständen möglich war. Roon prüfte sich eingehend; die
liberale LTollegeuschaft im Ministerium! war ihm schwerlich sympathisch, aber
das Reformwerk sah er mit Recht als eine Existenzfrage für Preußen um, es
mußte als solches vollbracht werden. Wollte er seiner Behaglichkeit leben, so
wäre Düsseldorf sehr viel angenehmer gewesen, aber sein Herz würde das nicht
zugelassen haben. Der Prinz schrieb ihm, daß das Ministerium mit seiner
Ernennung einverstanden sei, sich aber vorher das Projekt zum solidarischen
Eigentum machen wolle, damit nicht nachher behauptet werden könne, Bonin
sei ein Märtyrer seiner liberalen Ansichten geworden, und Roon habe etwas
ganz andres oktroyiert. Durch Kabinettsvrdcr vom 3. Dezember wurde der
Entwurf dem Staatsministerium ausdrücklich überwiesen.

Am 5. Dezember, dem Tage von Leuthen, erging endlich die ErnennnngS-
order mit dem Ausdruck des Vertrauens: "daß Sie in diesem neuen Amte
Mir und dem Vaterlande mit derselben Treue und Umsicht dienen werden,
welche Sie in Ihren frühern amtlichen Verhältnissen jederzeit bewährt haben."
Am Tage darauf folgte die Einführung in das Staatsministerium lind die
Vereidigung auf die Verfassung.

In der Audienz am 4. Dezember hatte Roon den Regenten noch einmal
gebeten, von ihm abzusehen, wenn er el"en brauchbarem Vertrauensmann
von richtigeren konstitutionellem "Parfüm" wisse. Ergriffen faßte der Regent
Roons Hand und dankte ihm feuchten Auges für die Bereitwilligkeit: "Seien Sie
meines vollen Vertrauens gewiß." Roon schreibt seiner Frau: "Dies ereignete
sich in seinem Arbeitskabinett ans derselben Stelle am Kamin, wo ich ihm im
Dezember vorigen Jahres fo nachdrücklich über die Notwendigkeit der Reor¬
ganisation gesprochen hatte, und er mir schließlich erwiderte: Ja, ich sehe dies
alles ein, es muß geschehn, aber dann müssen Sie heran!"")

Roon war 56 Jahre alt, als die schwere Aufgabe der Durchführung der
Armeercform in seine Hände gelegt wurde, ein Mann noch in ungebrochner
Kraft, in allen Dieustzweigcu des Heeres bewandert und erfahren. Wissen¬
schaftlich hoch gebildet, mit hervorragenden Gelehrten eng befreundet, hatte er
sich in allen Stellungen nicht nur als ein Offizier von der größten Pflicht¬
treue und höchsten Fähigkeit erwiesen, auch die Geradheit, Schlichtheit und
Offenheit feines Charakters hatten ihm überall die höchste Achtung erworben.
Die Gründe, mit denen er die Berufung zum Gouverneur des Prinzen Friedrich
Wilhelm ablehnte, sind bezeichnend für seine Persönlichkeit. Er hatte die volle
Energie des Handelns, Zaudern und Schwanken wurden von ihm immer mi߬
fällig beurteilt. Von der eigentlichen Tagespolitik hatte er sich zurückgehalten.
Mit seiner Auffassung vom Staat und den öffentlichen Dingen stand er ans
konservativer Grundlage, aber ohne das Bedürfnis, sich in dieser Richtung zu



*) Roonö Denkwürdigkeiten I,, :!7K. 7!l.

neral des achten Armeekorps, von Hirschfcldt, u>ar gestorben, und es handelte
sich darum, ob Bonin dieses 5i!v>nmandv erhalten solle. Am 27. November
wurde Roon wieder nach Berlin berufen und empfing dort den Antrag, das
Kriegsministerium zu übernehmen, das höchste Vertrauenszeugnis, das unter
den obwaltenden Umständen möglich war. Roon prüfte sich eingehend; die
liberale LTollegeuschaft im Ministerium! war ihm schwerlich sympathisch, aber
das Reformwerk sah er mit Recht als eine Existenzfrage für Preußen um, es
mußte als solches vollbracht werden. Wollte er seiner Behaglichkeit leben, so
wäre Düsseldorf sehr viel angenehmer gewesen, aber sein Herz würde das nicht
zugelassen haben. Der Prinz schrieb ihm, daß das Ministerium mit seiner
Ernennung einverstanden sei, sich aber vorher das Projekt zum solidarischen
Eigentum machen wolle, damit nicht nachher behauptet werden könne, Bonin
sei ein Märtyrer seiner liberalen Ansichten geworden, und Roon habe etwas
ganz andres oktroyiert. Durch Kabinettsvrdcr vom 3. Dezember wurde der
Entwurf dem Staatsministerium ausdrücklich überwiesen.

Am 5. Dezember, dem Tage von Leuthen, erging endlich die ErnennnngS-
order mit dem Ausdruck des Vertrauens: „daß Sie in diesem neuen Amte
Mir und dem Vaterlande mit derselben Treue und Umsicht dienen werden,
welche Sie in Ihren frühern amtlichen Verhältnissen jederzeit bewährt haben."
Am Tage darauf folgte die Einführung in das Staatsministerium lind die
Vereidigung auf die Verfassung.

In der Audienz am 4. Dezember hatte Roon den Regenten noch einmal
gebeten, von ihm abzusehen, wenn er el»en brauchbarem Vertrauensmann
von richtigeren konstitutionellem „Parfüm" wisse. Ergriffen faßte der Regent
Roons Hand und dankte ihm feuchten Auges für die Bereitwilligkeit: „Seien Sie
meines vollen Vertrauens gewiß." Roon schreibt seiner Frau: „Dies ereignete
sich in seinem Arbeitskabinett ans derselben Stelle am Kamin, wo ich ihm im
Dezember vorigen Jahres fo nachdrücklich über die Notwendigkeit der Reor¬
ganisation gesprochen hatte, und er mir schließlich erwiderte: Ja, ich sehe dies
alles ein, es muß geschehn, aber dann müssen Sie heran!"")

Roon war 56 Jahre alt, als die schwere Aufgabe der Durchführung der
Armeercform in seine Hände gelegt wurde, ein Mann noch in ungebrochner
Kraft, in allen Dieustzweigcu des Heeres bewandert und erfahren. Wissen¬
schaftlich hoch gebildet, mit hervorragenden Gelehrten eng befreundet, hatte er
sich in allen Stellungen nicht nur als ein Offizier von der größten Pflicht¬
treue und höchsten Fähigkeit erwiesen, auch die Geradheit, Schlichtheit und
Offenheit feines Charakters hatten ihm überall die höchste Achtung erworben.
Die Gründe, mit denen er die Berufung zum Gouverneur des Prinzen Friedrich
Wilhelm ablehnte, sind bezeichnend für seine Persönlichkeit. Er hatte die volle
Energie des Handelns, Zaudern und Schwanken wurden von ihm immer mi߬
fällig beurteilt. Von der eigentlichen Tagespolitik hatte er sich zurückgehalten.
Mit seiner Auffassung vom Staat und den öffentlichen Dingen stand er ans
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*) Roonö Denkwürdigkeiten I,, :!7K. 7!l.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_240381/392>, abgerufen am 26.08.2024.