Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Zweites Vierteljahr.Maßgebliches und Unmaßgebliches von Hammerstein als geborner Hannoveraner weiß das am besten. Nun ist es Noranarrheit. Gegen den unter dieser Überschrift im 7. Heft veröffent¬ Maßgebliches und Unmaßgebliches von Hammerstein als geborner Hannoveraner weiß das am besten. Nun ist es Noranarrheit. Gegen den unter dieser Überschrift im 7. Heft veröffent¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0372" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/240754"/> <fw type="header" place="top"> Maßgebliches und Unmaßgebliches</fw><lb/> <p xml:id="ID_1924" prev="#ID_1923"> von Hammerstein als geborner Hannoveraner weiß das am besten. Nun ist es<lb/> aber mit der bürgerlichen Qualität eines höhern Regierungsbeamten, sagen wir<lb/> einmal eines Landrath auf einem wichtigen und gefährdeten Posten, allein nicht<lb/> getan, sie ist zunächst nur eine negative Größe, die sogar ihre Kehrseite haben<lb/> kann. Der Minister sagt: „Es ist vielfach vorgekommen, daß Referendare und<lb/> Beamte aus wohlhabenden (bürgerlichen) Familien sich weigerten, in abgelegne,<lb/> fremde Gegenden zu gehn und lieber ihren Abschied nahmen; das ist bei den aus<lb/> alten Familien hervorgegcmgnen niemals der Fall gewesen; sie sind eben treue<lb/> Diener ihres Königs und ihres Vaterlandes (Lärm links)." Wir stehn hier wieder<lb/> ganz auf der Seite des Ministers und möchten den Lärmmnchern einiges zu be¬<lb/> denken geben. Die Tradition einer guten, echten adlichen Familie mit ihrem Er-<lb/> ziehungswerk für ihre einzelnen Mitglieder ist etwas Schönes, und ein Landrat<lb/> aus einer solchen Familie, der seinen Kreis in echter Vornehmheit „führt," wie der<lb/> altprenßische Ausdruck bezeichnend lautet, der zu rechter Zeit auf die Hinterbeine<lb/> tritt und anmaßendes Protzentum von oben herab ansieht, im übrigen aber gerecht,<lb/> wohlwollend und freundlich mit seinen Eingesessenen verfährt und verkehrt, ist ganz<lb/> gewiß der richtige Mann an seinem Platze. Dagegen kann es nichts unzweck¬<lb/> mäßigeres geben, als wenn ein bürgerlicher Regierungsassessor mit ererbten oder<lb/> angeheiratetem Reichtum in ein erledigtes Landratsamt geschickt wird, dem die un¬<lb/> gewohnte Würde so zu Kopf steigt, daß er sich als der Herrgott vorkommt, der<lb/> eigentlich nur noch mit sich selbst Verkehren zu können meint, weil er doch die<lb/> Vvtoknden, die er hier regieren soll, unmöglich für seinesgleichen ansehen kann.<lb/> Geldstolz ist noch dümmer als Adelshochmut, und ein Knallprvtz, der als Regierungs¬<lb/> rat in der Stadt unter den Augen seines Präsidenten völlig unschädlich sein könnte,<lb/> wird in der selbständigen Stellung eines Landrath draußen in einem ländlichen<lb/> Kreise viel verderbe», weil ihm das Steuerruder einer guten Familientradition fehlt.<lb/> Die Auswahl der Personen ist also bei diesem wichtigen Amt von solcher Bedeutung,<lb/> daß dagegen die Frage nach dem Prozentsatz der adlichen Landräte gar nicht auf¬<lb/> kommt. An dem Willen des Ministers, das bürgerliche Element zur Geltung zu<lb/> bringen, ist nicht zu zweifeln. Hoffentlich wird seine Energie es auch an den<lb/> nötigen Direktiven in das Amt hinein nicht fehlen lassen.</p><lb/> </div> <div n="2"> <head> Noranarrheit.</head> <p xml:id="ID_1925" next="#ID_1926"> Gegen den unter dieser Überschrift im 7. Heft veröffent¬<lb/> lichten kleinen Artikel protestieren zwei unsrer Leser. Den Wunsch, wir möchten<lb/> ihre Einsendungen abdrucken, bedauern wir, nicht erfüllen zu können, weil sie nach¬<lb/> zuweisen versuchen, daß Ibsens Nora edel und pflichtgemäß handle, wir aber den<lb/> Nachweis des Gegenteils in den Betrachtungen über Ibsen im Jahrgang 1900<lb/> der Grenzboten für unwiderleglich halten; nähmen wir also die beiden Zuschriften<lb/> auf, so müßten wir, um unsre Leser nicht irre zu führen, aus jenen Betrachtungen<lb/> den ganzen Abschnitt über Nora noch einmal mit abdrucken. Die eine der beiden<lb/> Zuschriften enthält jedoch eine Bemerkung, die wir den Lesern nicht vorenthalten<lb/> dürfen. Der Einsender stößt sich daran, daß der Verfasser des Artikels, während<lb/> er Nora Gift nennt^ Goethes römische Elegien in Schutz nimmt, die doch offenbar<lb/> unsittlich seien. Ohne uns in die Streitfrage wegen der Sittlichkeit oder Unsitt-<lb/> lichkeit Goethes und seiner Elegien zu vertiefen, geben wir ohne weiteres zu, daß<lb/> auch diese Gift genaunt werden können. Aber zwischen ihnen und den modernen<lb/> Prvblemdrmnen der bekannten Art walten zwei Unterschiede ob, die uns das ältere<lb/> Gift als das weniger gefährliche erscheinen lassen. Erotische Gedichte geben sich<lb/> als das, was sie sind, verschleiern ihren Charakter nicht; eben ihre Offenheit ist<lb/> es ja, was ihnen vorgeworfen wird. Jedermann weiß bei ihnen, wie beim Alkohol,<lb/> wie sie wirken; sie sind Gift in richtig etikettierten Flaschen, und wer sie als<lb/> Medizin oder zur Berauschung gebraucht, der weiß, was er tut. Gewisse Prvblem-<lb/> drmnen dagegen schleichen sich unter der falschen Etikette von Verbreitern einer<lb/> neuen, höhern und feinen Sittlichkeit ein, um die alte und unveränderliche Sitt¬<lb/> lichkeit zu zerstören. Und während es sich bei der Erotik nur um Fragen des</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0372]
Maßgebliches und Unmaßgebliches
von Hammerstein als geborner Hannoveraner weiß das am besten. Nun ist es
aber mit der bürgerlichen Qualität eines höhern Regierungsbeamten, sagen wir
einmal eines Landrath auf einem wichtigen und gefährdeten Posten, allein nicht
getan, sie ist zunächst nur eine negative Größe, die sogar ihre Kehrseite haben
kann. Der Minister sagt: „Es ist vielfach vorgekommen, daß Referendare und
Beamte aus wohlhabenden (bürgerlichen) Familien sich weigerten, in abgelegne,
fremde Gegenden zu gehn und lieber ihren Abschied nahmen; das ist bei den aus
alten Familien hervorgegcmgnen niemals der Fall gewesen; sie sind eben treue
Diener ihres Königs und ihres Vaterlandes (Lärm links)." Wir stehn hier wieder
ganz auf der Seite des Ministers und möchten den Lärmmnchern einiges zu be¬
denken geben. Die Tradition einer guten, echten adlichen Familie mit ihrem Er-
ziehungswerk für ihre einzelnen Mitglieder ist etwas Schönes, und ein Landrat
aus einer solchen Familie, der seinen Kreis in echter Vornehmheit „führt," wie der
altprenßische Ausdruck bezeichnend lautet, der zu rechter Zeit auf die Hinterbeine
tritt und anmaßendes Protzentum von oben herab ansieht, im übrigen aber gerecht,
wohlwollend und freundlich mit seinen Eingesessenen verfährt und verkehrt, ist ganz
gewiß der richtige Mann an seinem Platze. Dagegen kann es nichts unzweck¬
mäßigeres geben, als wenn ein bürgerlicher Regierungsassessor mit ererbten oder
angeheiratetem Reichtum in ein erledigtes Landratsamt geschickt wird, dem die un¬
gewohnte Würde so zu Kopf steigt, daß er sich als der Herrgott vorkommt, der
eigentlich nur noch mit sich selbst Verkehren zu können meint, weil er doch die
Vvtoknden, die er hier regieren soll, unmöglich für seinesgleichen ansehen kann.
Geldstolz ist noch dümmer als Adelshochmut, und ein Knallprvtz, der als Regierungs¬
rat in der Stadt unter den Augen seines Präsidenten völlig unschädlich sein könnte,
wird in der selbständigen Stellung eines Landrath draußen in einem ländlichen
Kreise viel verderbe», weil ihm das Steuerruder einer guten Familientradition fehlt.
Die Auswahl der Personen ist also bei diesem wichtigen Amt von solcher Bedeutung,
daß dagegen die Frage nach dem Prozentsatz der adlichen Landräte gar nicht auf¬
kommt. An dem Willen des Ministers, das bürgerliche Element zur Geltung zu
bringen, ist nicht zu zweifeln. Hoffentlich wird seine Energie es auch an den
nötigen Direktiven in das Amt hinein nicht fehlen lassen.
Noranarrheit. Gegen den unter dieser Überschrift im 7. Heft veröffent¬
lichten kleinen Artikel protestieren zwei unsrer Leser. Den Wunsch, wir möchten
ihre Einsendungen abdrucken, bedauern wir, nicht erfüllen zu können, weil sie nach¬
zuweisen versuchen, daß Ibsens Nora edel und pflichtgemäß handle, wir aber den
Nachweis des Gegenteils in den Betrachtungen über Ibsen im Jahrgang 1900
der Grenzboten für unwiderleglich halten; nähmen wir also die beiden Zuschriften
auf, so müßten wir, um unsre Leser nicht irre zu führen, aus jenen Betrachtungen
den ganzen Abschnitt über Nora noch einmal mit abdrucken. Die eine der beiden
Zuschriften enthält jedoch eine Bemerkung, die wir den Lesern nicht vorenthalten
dürfen. Der Einsender stößt sich daran, daß der Verfasser des Artikels, während
er Nora Gift nennt^ Goethes römische Elegien in Schutz nimmt, die doch offenbar
unsittlich seien. Ohne uns in die Streitfrage wegen der Sittlichkeit oder Unsitt-
lichkeit Goethes und seiner Elegien zu vertiefen, geben wir ohne weiteres zu, daß
auch diese Gift genaunt werden können. Aber zwischen ihnen und den modernen
Prvblemdrmnen der bekannten Art walten zwei Unterschiede ob, die uns das ältere
Gift als das weniger gefährliche erscheinen lassen. Erotische Gedichte geben sich
als das, was sie sind, verschleiern ihren Charakter nicht; eben ihre Offenheit ist
es ja, was ihnen vorgeworfen wird. Jedermann weiß bei ihnen, wie beim Alkohol,
wie sie wirken; sie sind Gift in richtig etikettierten Flaschen, und wer sie als
Medizin oder zur Berauschung gebraucht, der weiß, was er tut. Gewisse Prvblem-
drmnen dagegen schleichen sich unter der falschen Etikette von Verbreitern einer
neuen, höhern und feinen Sittlichkeit ein, um die alte und unveränderliche Sitt¬
lichkeit zu zerstören. Und während es sich bei der Erotik nur um Fragen des
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |