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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Zweites Vierteljahr.

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Im Lazarett

mehr als die Soldaten, wenn sie die Uniform einziehn, alle übrigen Unterschiede ab,
sie verlieren Vorzüge und Vorteile und steigen doch nicht herunter. In ihrem ge-
haltnen Wesen liegt ein Bewußtsein ihrer Grenzen. Ihr Gang ist gelassen und
leise, und doch schnell; eine geht wie die andre, sie sind darauf geübt, wie wir auf
das Marschtempo. Beobachte, wenn eine gerufen wird, sie wendet nicht deu Kopf,
sondern wendet sich mit dem ganzen Körper um, es sieht dienstbereiter aus. Neben
dem Arzt steht sie unbeweglich wie auf das Kommando Achtung! und was sie auch
sehe, es zuckt keine Wimper. Sie haben alle dieselbe Art, wenn sie den Kranken
zu trinken geben, sie halten ihnen den Kopf mit der einen Hand von rückwärts und
neigen mit der andern leicht den Trinkbecher; wie sanft lassen sie dann den Kranken
wieder auf sein Kissen zurücksinken, und ehe sie weitergehn, streichen sie seiue Decke
zurecht, sorgen, daß sie ihn gut einhülle. Eine macht es wie die andre, aber
bloß angelernt ist das nicht. Da muß jemand seine ganze Menschlichkeit, oder wie
sage ich doch? sein Unsterbliches hineinlegen, damit das tausendmal Getane die
Frische der Blüte draußen in der Gottesnatur behält. Die Schwestern lernen durch
Übung empfinden, was der Kranke braucht. Wenn ihn das Leiden sprachlos gemacht
hat, oder wenn die leiseste Frage ihn aufregen würde, erraten sie seine Wünsche,
als wenn sie selbst gerade in seiner Lage wären.

Die lothringische Schwester mit dem faltigen Gesicht sagte: Das hängt mit
dem zusammen, was man in der Welt draußen als Enge und Einseitigkeit belächelt.
Eng ist dieses Reich Wohl, wenn Sie in ihm nach den Seiten hingehn, aber es ist
unermeßlich groß nach der Hohe und unes der Tiefe hin, es ist ein Reich der tiefem
Tiefe und der höchsten Höhe; oder vielmehr, verbessert sie sich, es müßte so sein; alles
ist nicht genau so hoch nud so tief, wie es sein sollte. Nur nach der Welt zu
stoßen wir allerseits an Mauern, und das ist gut; nichts hemmt dagegen den Auf¬
schwung und das Sichversenken. Die beständige Übung des sich in die Lage unsrer
Kranken Versehens öffnet die Sinne für so manches, was uns sonst unverständlich
bliebe. Es gibt abstoßende Menschen, in die man sich nicht ganz hinein versetzen
kann, die man aber doch versteh" muß, wenn man sie recht Pflegen will; auch sie
haben Menschen, denen sie teuer sind, diese werden gerade das finden, was ich nicht
finden konnte, und indem ich sie gleichsam durch die Seele ihrer Lieben betrachte, finde
ich oft ein Verständnis, Wo ich es gar nicht erwartet hätte. Und ein andermal: Im
Dienst der Kranken und der Elenden springen Quellen innern Glücks, von denen
niemand weiß, der solchen Dienst niemals geleistet hat. Die stille Heiterkeit kommt
davon, die wie der Widerschein eines verborgnen Lichts auf den Gesichtern der
Schwestern liegt. Die äußere Heiterkeit, die ihr bewundert, fließt aus derselben Tiefe.
Eure Weltweisen nennen den Humor das Lächeln des Herzens, das verwundet ist.
Aber die Verwundung ist gar nicht nötig. Welchem Soldaten müßte man erst sagen,
daß auf Kampf und Sieg die Freude einer gehobnen Stimmung folgt? Wenn das
Verzagen niedergerungen ist, wallt der Lebensmut hoch auf. Wir kämpfeu gegen
uns selbst, reißen uns von unserm eignen Ich los, das uns niederzieht, und dieses
Loskommen von sich selbst stärkt zu Werken der Demut, die beseligen. Was im
gewöhnlichen Leben die Stimmung trübt: Empfindlichkeit, Ärger, Eitelkeit, Ekel, gibt
es da nicht. Die Aufgaben, die wir uns setzen, hören nie auf, sie ziehn das Schifflein
unsers Lebens dnrch die Flut der Zeit, die Wellen rauschen so frisch und hell da¬
neben auf, kein Augenblick ist bei solchem Wnudel zu verlieren, jeder hat seinen Zweck,
seine Aufgabe. Das Aufsichbesinnen führt zu nichts. So muß unser Leben beschaffen
sein, daß eine Forderung des Augenblicks sich um die andre reiht, und in dieser
Kette keine Lücke bleibt, durch die du einen Blick in das Rätsel deines Daseins
gewönnest. Besinne dich auf dein Tagwerk, das reicht aus.

Zu dem Theologen im Waffenrock sagte eine Schwester über ihren Dienst:
Der Töchter natürliche Dienststätte ist das Elternhaus, sie können nur einen viel
schwerern Dienst antreten, wenn sie diese verlassen, denn in der rechten Dienstbarkeit
gibt es nur ein Avancement zu den größer" Lasten. Das ist freilich auch immer
ein Fortschritt zu größerer Zufriedenheit und mehr innerer Klarheit. Wenn sich


Im Lazarett

mehr als die Soldaten, wenn sie die Uniform einziehn, alle übrigen Unterschiede ab,
sie verlieren Vorzüge und Vorteile und steigen doch nicht herunter. In ihrem ge-
haltnen Wesen liegt ein Bewußtsein ihrer Grenzen. Ihr Gang ist gelassen und
leise, und doch schnell; eine geht wie die andre, sie sind darauf geübt, wie wir auf
das Marschtempo. Beobachte, wenn eine gerufen wird, sie wendet nicht deu Kopf,
sondern wendet sich mit dem ganzen Körper um, es sieht dienstbereiter aus. Neben
dem Arzt steht sie unbeweglich wie auf das Kommando Achtung! und was sie auch
sehe, es zuckt keine Wimper. Sie haben alle dieselbe Art, wenn sie den Kranken
zu trinken geben, sie halten ihnen den Kopf mit der einen Hand von rückwärts und
neigen mit der andern leicht den Trinkbecher; wie sanft lassen sie dann den Kranken
wieder auf sein Kissen zurücksinken, und ehe sie weitergehn, streichen sie seiue Decke
zurecht, sorgen, daß sie ihn gut einhülle. Eine macht es wie die andre, aber
bloß angelernt ist das nicht. Da muß jemand seine ganze Menschlichkeit, oder wie
sage ich doch? sein Unsterbliches hineinlegen, damit das tausendmal Getane die
Frische der Blüte draußen in der Gottesnatur behält. Die Schwestern lernen durch
Übung empfinden, was der Kranke braucht. Wenn ihn das Leiden sprachlos gemacht
hat, oder wenn die leiseste Frage ihn aufregen würde, erraten sie seine Wünsche,
als wenn sie selbst gerade in seiner Lage wären.

Die lothringische Schwester mit dem faltigen Gesicht sagte: Das hängt mit
dem zusammen, was man in der Welt draußen als Enge und Einseitigkeit belächelt.
Eng ist dieses Reich Wohl, wenn Sie in ihm nach den Seiten hingehn, aber es ist
unermeßlich groß nach der Hohe und unes der Tiefe hin, es ist ein Reich der tiefem
Tiefe und der höchsten Höhe; oder vielmehr, verbessert sie sich, es müßte so sein; alles
ist nicht genau so hoch nud so tief, wie es sein sollte. Nur nach der Welt zu
stoßen wir allerseits an Mauern, und das ist gut; nichts hemmt dagegen den Auf¬
schwung und das Sichversenken. Die beständige Übung des sich in die Lage unsrer
Kranken Versehens öffnet die Sinne für so manches, was uns sonst unverständlich
bliebe. Es gibt abstoßende Menschen, in die man sich nicht ganz hinein versetzen
kann, die man aber doch versteh» muß, wenn man sie recht Pflegen will; auch sie
haben Menschen, denen sie teuer sind, diese werden gerade das finden, was ich nicht
finden konnte, und indem ich sie gleichsam durch die Seele ihrer Lieben betrachte, finde
ich oft ein Verständnis, Wo ich es gar nicht erwartet hätte. Und ein andermal: Im
Dienst der Kranken und der Elenden springen Quellen innern Glücks, von denen
niemand weiß, der solchen Dienst niemals geleistet hat. Die stille Heiterkeit kommt
davon, die wie der Widerschein eines verborgnen Lichts auf den Gesichtern der
Schwestern liegt. Die äußere Heiterkeit, die ihr bewundert, fließt aus derselben Tiefe.
Eure Weltweisen nennen den Humor das Lächeln des Herzens, das verwundet ist.
Aber die Verwundung ist gar nicht nötig. Welchem Soldaten müßte man erst sagen,
daß auf Kampf und Sieg die Freude einer gehobnen Stimmung folgt? Wenn das
Verzagen niedergerungen ist, wallt der Lebensmut hoch auf. Wir kämpfeu gegen
uns selbst, reißen uns von unserm eignen Ich los, das uns niederzieht, und dieses
Loskommen von sich selbst stärkt zu Werken der Demut, die beseligen. Was im
gewöhnlichen Leben die Stimmung trübt: Empfindlichkeit, Ärger, Eitelkeit, Ekel, gibt
es da nicht. Die Aufgaben, die wir uns setzen, hören nie auf, sie ziehn das Schifflein
unsers Lebens dnrch die Flut der Zeit, die Wellen rauschen so frisch und hell da¬
neben auf, kein Augenblick ist bei solchem Wnudel zu verlieren, jeder hat seinen Zweck,
seine Aufgabe. Das Aufsichbesinnen führt zu nichts. So muß unser Leben beschaffen
sein, daß eine Forderung des Augenblicks sich um die andre reiht, und in dieser
Kette keine Lücke bleibt, durch die du einen Blick in das Rätsel deines Daseins
gewönnest. Besinne dich auf dein Tagwerk, das reicht aus.

Zu dem Theologen im Waffenrock sagte eine Schwester über ihren Dienst:
Der Töchter natürliche Dienststätte ist das Elternhaus, sie können nur einen viel
schwerern Dienst antreten, wenn sie diese verlassen, denn in der rechten Dienstbarkeit
gibt es nur ein Avancement zu den größer» Lasten. Das ist freilich auch immer
ein Fortschritt zu größerer Zufriedenheit und mehr innerer Klarheit. Wenn sich


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[0350] Im Lazarett mehr als die Soldaten, wenn sie die Uniform einziehn, alle übrigen Unterschiede ab, sie verlieren Vorzüge und Vorteile und steigen doch nicht herunter. In ihrem ge- haltnen Wesen liegt ein Bewußtsein ihrer Grenzen. Ihr Gang ist gelassen und leise, und doch schnell; eine geht wie die andre, sie sind darauf geübt, wie wir auf das Marschtempo. Beobachte, wenn eine gerufen wird, sie wendet nicht deu Kopf, sondern wendet sich mit dem ganzen Körper um, es sieht dienstbereiter aus. Neben dem Arzt steht sie unbeweglich wie auf das Kommando Achtung! und was sie auch sehe, es zuckt keine Wimper. Sie haben alle dieselbe Art, wenn sie den Kranken zu trinken geben, sie halten ihnen den Kopf mit der einen Hand von rückwärts und neigen mit der andern leicht den Trinkbecher; wie sanft lassen sie dann den Kranken wieder auf sein Kissen zurücksinken, und ehe sie weitergehn, streichen sie seiue Decke zurecht, sorgen, daß sie ihn gut einhülle. Eine macht es wie die andre, aber bloß angelernt ist das nicht. Da muß jemand seine ganze Menschlichkeit, oder wie sage ich doch? sein Unsterbliches hineinlegen, damit das tausendmal Getane die Frische der Blüte draußen in der Gottesnatur behält. Die Schwestern lernen durch Übung empfinden, was der Kranke braucht. Wenn ihn das Leiden sprachlos gemacht hat, oder wenn die leiseste Frage ihn aufregen würde, erraten sie seine Wünsche, als wenn sie selbst gerade in seiner Lage wären. Die lothringische Schwester mit dem faltigen Gesicht sagte: Das hängt mit dem zusammen, was man in der Welt draußen als Enge und Einseitigkeit belächelt. Eng ist dieses Reich Wohl, wenn Sie in ihm nach den Seiten hingehn, aber es ist unermeßlich groß nach der Hohe und unes der Tiefe hin, es ist ein Reich der tiefem Tiefe und der höchsten Höhe; oder vielmehr, verbessert sie sich, es müßte so sein; alles ist nicht genau so hoch nud so tief, wie es sein sollte. Nur nach der Welt zu stoßen wir allerseits an Mauern, und das ist gut; nichts hemmt dagegen den Auf¬ schwung und das Sichversenken. Die beständige Übung des sich in die Lage unsrer Kranken Versehens öffnet die Sinne für so manches, was uns sonst unverständlich bliebe. Es gibt abstoßende Menschen, in die man sich nicht ganz hinein versetzen kann, die man aber doch versteh» muß, wenn man sie recht Pflegen will; auch sie haben Menschen, denen sie teuer sind, diese werden gerade das finden, was ich nicht finden konnte, und indem ich sie gleichsam durch die Seele ihrer Lieben betrachte, finde ich oft ein Verständnis, Wo ich es gar nicht erwartet hätte. Und ein andermal: Im Dienst der Kranken und der Elenden springen Quellen innern Glücks, von denen niemand weiß, der solchen Dienst niemals geleistet hat. Die stille Heiterkeit kommt davon, die wie der Widerschein eines verborgnen Lichts auf den Gesichtern der Schwestern liegt. Die äußere Heiterkeit, die ihr bewundert, fließt aus derselben Tiefe. Eure Weltweisen nennen den Humor das Lächeln des Herzens, das verwundet ist. Aber die Verwundung ist gar nicht nötig. Welchem Soldaten müßte man erst sagen, daß auf Kampf und Sieg die Freude einer gehobnen Stimmung folgt? Wenn das Verzagen niedergerungen ist, wallt der Lebensmut hoch auf. Wir kämpfeu gegen uns selbst, reißen uns von unserm eignen Ich los, das uns niederzieht, und dieses Loskommen von sich selbst stärkt zu Werken der Demut, die beseligen. Was im gewöhnlichen Leben die Stimmung trübt: Empfindlichkeit, Ärger, Eitelkeit, Ekel, gibt es da nicht. Die Aufgaben, die wir uns setzen, hören nie auf, sie ziehn das Schifflein unsers Lebens dnrch die Flut der Zeit, die Wellen rauschen so frisch und hell da¬ neben auf, kein Augenblick ist bei solchem Wnudel zu verlieren, jeder hat seinen Zweck, seine Aufgabe. Das Aufsichbesinnen führt zu nichts. So muß unser Leben beschaffen sein, daß eine Forderung des Augenblicks sich um die andre reiht, und in dieser Kette keine Lücke bleibt, durch die du einen Blick in das Rätsel deines Daseins gewönnest. Besinne dich auf dein Tagwerk, das reicht aus. Zu dem Theologen im Waffenrock sagte eine Schwester über ihren Dienst: Der Töchter natürliche Dienststätte ist das Elternhaus, sie können nur einen viel schwerern Dienst antreten, wenn sie diese verlassen, denn in der rechten Dienstbarkeit gibt es nur ein Avancement zu den größer» Lasten. Das ist freilich auch immer ein Fortschritt zu größerer Zufriedenheit und mehr innerer Klarheit. Wenn sich

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_240381/350>, abgerufen am 25.07.2024.