Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Im Laznrott

Krieg ist für alle, die nicht siegen, besonders für die ein großes Unglück, die die
Krankheit aufs Lager streckt; mit den Monaten empfinden sogar die von Sieg zu
Sieg eilenden, daß er nicht ihr natürlicher Zustand ist. Muß darin nicht die
Forderung sein, alle Quellen des Glücks zu offnen, die überhaupt möglich sind?
Glück muß zum Streit wider das Unglück aufgerufen werden. Wer das einsieht,
kann nimmer rasten, in dem spricht es: Nimm dich selbst in Zucht, wie diese
Frauen es tun, steigere die Disziplin ius Sittliche. Laß vor allem deine Seele
nicht bis zur Stagnation ruhn, schaffe dir die innere Quelle der Erfrischung, die
keine Abstumpfung, keine völlige Ansehnung aufkommen läßt. Sobald sich der grüne
Überzug der Schleimalgen und Wasserlinsen über die Klarheit einer Quelle zieht,
bist du uicht sicher, welches Gewürm darunter auskriecht. Darin liegt der Segen
der äußern Tätigkeit. Solange der Körper gesund ist, sollte er immer hart am
Rande der Ermüdung gehalten werden. Der Mensch sei wie eine Flamme: die
bewegt sich, solange sie Nahrung hat, wenn sie ruht, stirbt sie; aber solange sie
lebt, strebt sie aufwärts.

Als in den ersten Dezembertagen bei Paris und an der Loire zugleich blutige
Schlachte" geschlagen worden waren, leerte man in aller Eile die Feldlazarette hinter
der Front und schickte rückwärts, was transportabel war. Es war fast für alle,
die des Lebens im Lazarett müde geworden waren, eine Erlösung, für manche mag
auch die Entfernung vom Kriegsschauplatz willkommen gewesen sein, auf dem sich
damals die von manchen für furchtbar gehaltenen neuen französischen Armeen vor¬
wälzten. Es war ein glückliches Los, das mich hierher verschlug. Ich war nicht
kriegsmüde, aber müde des Bluts; dessen, und der Trümmer, des Schmutzes hatte
ich genug. Als ich in dieses Haus eintrat, sah ich seit Monaten zum erstenmal
wieder ein friedlich-heiteres Antlitz. Vielleicht fesselte mich am meisten die breit-
flüglige Haube, die das frische, rötliche Gesicht der Schwester einfaßte, sie war so
weiß, so weiß; seit wann hatte ich nichts so weißes gesehen? Jetzt mochte draußen
im Felde der Schnee liegen, der konnte ähnlich sein, aber nnr der allein, und
auch auf diesem standen manchmal Blutlachen mit sonderbaren blaß bräunlichrotcu
Rändern. Bei uns sah man nur fahle, bräunliche, gelbliche Töne; sogar das
Weiße im Auge war trüb vom Blute, das in den müden Gefäßen stockte. Ich
dachte an das Weißeste, was ich jemals gesehen hatte, an Firnfelder im Hoch¬
gebirge, an blendende Sommerwolkeu, die im tiefen Mittagsblau schwimmen, an den
weißen Frühlingskrokus, dessen Blüten noch klarer als Lilien sind. Ich habe dann
freilich noch viel helleres, leuchtenderes gesehen. Denn wie ein Stern, der aus
Sturmwolken hervortritt, mutete mich die Menschenliebe und Frömmigkeit an, die
ich hier erfahren habe. In der Krankheit und in jeder Art von Not steht eine Wolke
vor dem Himmel, sagte die alte Schwester Enlalia, die Lothringerin; wir Pflegerinnen
kämpfen, daß sie sich zerstreue und Gottes Angesicht uns wieder hell ansehe.

Wenn von den Gründen gesprochen wurde, warum wir uns in der Pflege
der Schwestern so wohl fühlten, wurde jedesmal ihre verständige, ruhige Behand¬
lung der Kranken gerühmt; einige behaupteten, sie hatten mitten im Fieber aus ihren
Fingerspitzen, die sich an den Puls legten, etwas beruhigendes herüberflicßen fühlen.
Es stellte sich dabei aber auch eine innere Verwandtschaft heraus. Jeder von uns
Soldaten, der in ihre Nähe kam, fühlte etwas Verwandtes in ihrem Wesen. Nicht
bloß in der Uniform liegt das, die sie tragen, und auf die sie so stolz sind, wie wir
auf die unsre. Wir und sie dienen, und zwar dienen wir beide einen harten Dienst,
zur Not geht es uns Leben. Wir und sie kämpfen nieder, was wir wollen,
und tun, was Wir sollen. Auch darin sind sie den Soldaten ähnlich, daß sie ge¬
rade und mutig ihrer Pflicht nachgehn; das gewöhnliche Weltleben mit seinen Um¬
wegen, die gar oft zwecklos in sich zurücklaufende Schlangenwege sind, mit seinem
Biegen und Ducker erzielt nur schillernde Charaktere. Der Soldat antwortet auf
jede Früge eines Vorgesetzten kurz und bestimmt, indem er ihm fest ins Auge
Schmid. Dasselbe ist die Art der Rede der Schwestern. Diese legen vielleicht noch


Im Laznrott

Krieg ist für alle, die nicht siegen, besonders für die ein großes Unglück, die die
Krankheit aufs Lager streckt; mit den Monaten empfinden sogar die von Sieg zu
Sieg eilenden, daß er nicht ihr natürlicher Zustand ist. Muß darin nicht die
Forderung sein, alle Quellen des Glücks zu offnen, die überhaupt möglich sind?
Glück muß zum Streit wider das Unglück aufgerufen werden. Wer das einsieht,
kann nimmer rasten, in dem spricht es: Nimm dich selbst in Zucht, wie diese
Frauen es tun, steigere die Disziplin ius Sittliche. Laß vor allem deine Seele
nicht bis zur Stagnation ruhn, schaffe dir die innere Quelle der Erfrischung, die
keine Abstumpfung, keine völlige Ansehnung aufkommen läßt. Sobald sich der grüne
Überzug der Schleimalgen und Wasserlinsen über die Klarheit einer Quelle zieht,
bist du uicht sicher, welches Gewürm darunter auskriecht. Darin liegt der Segen
der äußern Tätigkeit. Solange der Körper gesund ist, sollte er immer hart am
Rande der Ermüdung gehalten werden. Der Mensch sei wie eine Flamme: die
bewegt sich, solange sie Nahrung hat, wenn sie ruht, stirbt sie; aber solange sie
lebt, strebt sie aufwärts.

Als in den ersten Dezembertagen bei Paris und an der Loire zugleich blutige
Schlachte» geschlagen worden waren, leerte man in aller Eile die Feldlazarette hinter
der Front und schickte rückwärts, was transportabel war. Es war fast für alle,
die des Lebens im Lazarett müde geworden waren, eine Erlösung, für manche mag
auch die Entfernung vom Kriegsschauplatz willkommen gewesen sein, auf dem sich
damals die von manchen für furchtbar gehaltenen neuen französischen Armeen vor¬
wälzten. Es war ein glückliches Los, das mich hierher verschlug. Ich war nicht
kriegsmüde, aber müde des Bluts; dessen, und der Trümmer, des Schmutzes hatte
ich genug. Als ich in dieses Haus eintrat, sah ich seit Monaten zum erstenmal
wieder ein friedlich-heiteres Antlitz. Vielleicht fesselte mich am meisten die breit-
flüglige Haube, die das frische, rötliche Gesicht der Schwester einfaßte, sie war so
weiß, so weiß; seit wann hatte ich nichts so weißes gesehen? Jetzt mochte draußen
im Felde der Schnee liegen, der konnte ähnlich sein, aber nnr der allein, und
auch auf diesem standen manchmal Blutlachen mit sonderbaren blaß bräunlichrotcu
Rändern. Bei uns sah man nur fahle, bräunliche, gelbliche Töne; sogar das
Weiße im Auge war trüb vom Blute, das in den müden Gefäßen stockte. Ich
dachte an das Weißeste, was ich jemals gesehen hatte, an Firnfelder im Hoch¬
gebirge, an blendende Sommerwolkeu, die im tiefen Mittagsblau schwimmen, an den
weißen Frühlingskrokus, dessen Blüten noch klarer als Lilien sind. Ich habe dann
freilich noch viel helleres, leuchtenderes gesehen. Denn wie ein Stern, der aus
Sturmwolken hervortritt, mutete mich die Menschenliebe und Frömmigkeit an, die
ich hier erfahren habe. In der Krankheit und in jeder Art von Not steht eine Wolke
vor dem Himmel, sagte die alte Schwester Enlalia, die Lothringerin; wir Pflegerinnen
kämpfen, daß sie sich zerstreue und Gottes Angesicht uns wieder hell ansehe.

Wenn von den Gründen gesprochen wurde, warum wir uns in der Pflege
der Schwestern so wohl fühlten, wurde jedesmal ihre verständige, ruhige Behand¬
lung der Kranken gerühmt; einige behaupteten, sie hatten mitten im Fieber aus ihren
Fingerspitzen, die sich an den Puls legten, etwas beruhigendes herüberflicßen fühlen.
Es stellte sich dabei aber auch eine innere Verwandtschaft heraus. Jeder von uns
Soldaten, der in ihre Nähe kam, fühlte etwas Verwandtes in ihrem Wesen. Nicht
bloß in der Uniform liegt das, die sie tragen, und auf die sie so stolz sind, wie wir
auf die unsre. Wir und sie dienen, und zwar dienen wir beide einen harten Dienst,
zur Not geht es uns Leben. Wir und sie kämpfen nieder, was wir wollen,
und tun, was Wir sollen. Auch darin sind sie den Soldaten ähnlich, daß sie ge¬
rade und mutig ihrer Pflicht nachgehn; das gewöhnliche Weltleben mit seinen Um¬
wegen, die gar oft zwecklos in sich zurücklaufende Schlangenwege sind, mit seinem
Biegen und Ducker erzielt nur schillernde Charaktere. Der Soldat antwortet auf
jede Früge eines Vorgesetzten kurz und bestimmt, indem er ihm fest ins Auge
Schmid. Dasselbe ist die Art der Rede der Schwestern. Diese legen vielleicht noch


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0349" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/240731"/>
          <fw type="header" place="top"> Im Laznrott</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1730" prev="#ID_1729"> Krieg ist für alle, die nicht siegen, besonders für die ein großes Unglück, die die<lb/>
Krankheit aufs Lager streckt; mit den Monaten empfinden sogar die von Sieg zu<lb/>
Sieg eilenden, daß er nicht ihr natürlicher Zustand ist. Muß darin nicht die<lb/>
Forderung sein, alle Quellen des Glücks zu offnen, die überhaupt möglich sind?<lb/>
Glück muß zum Streit wider das Unglück aufgerufen werden. Wer das einsieht,<lb/>
kann nimmer rasten, in dem spricht es: Nimm dich selbst in Zucht, wie diese<lb/>
Frauen es tun, steigere die Disziplin ius Sittliche. Laß vor allem deine Seele<lb/>
nicht bis zur Stagnation ruhn, schaffe dir die innere Quelle der Erfrischung, die<lb/>
keine Abstumpfung, keine völlige Ansehnung aufkommen läßt. Sobald sich der grüne<lb/>
Überzug der Schleimalgen und Wasserlinsen über die Klarheit einer Quelle zieht,<lb/>
bist du uicht sicher, welches Gewürm darunter auskriecht. Darin liegt der Segen<lb/>
der äußern Tätigkeit. Solange der Körper gesund ist, sollte er immer hart am<lb/>
Rande der Ermüdung gehalten werden. Der Mensch sei wie eine Flamme: die<lb/>
bewegt sich, solange sie Nahrung hat, wenn sie ruht, stirbt sie; aber solange sie<lb/>
lebt, strebt sie aufwärts.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1731"> Als in den ersten Dezembertagen bei Paris und an der Loire zugleich blutige<lb/>
Schlachte» geschlagen worden waren, leerte man in aller Eile die Feldlazarette hinter<lb/>
der Front und schickte rückwärts, was transportabel war. Es war fast für alle,<lb/>
die des Lebens im Lazarett müde geworden waren, eine Erlösung, für manche mag<lb/>
auch die Entfernung vom Kriegsschauplatz willkommen gewesen sein, auf dem sich<lb/>
damals die von manchen für furchtbar gehaltenen neuen französischen Armeen vor¬<lb/>
wälzten. Es war ein glückliches Los, das mich hierher verschlug. Ich war nicht<lb/>
kriegsmüde, aber müde des Bluts; dessen, und der Trümmer, des Schmutzes hatte<lb/>
ich genug. Als ich in dieses Haus eintrat, sah ich seit Monaten zum erstenmal<lb/>
wieder ein friedlich-heiteres Antlitz. Vielleicht fesselte mich am meisten die breit-<lb/>
flüglige Haube, die das frische, rötliche Gesicht der Schwester einfaßte, sie war so<lb/>
weiß, so weiß; seit wann hatte ich nichts so weißes gesehen? Jetzt mochte draußen<lb/>
im Felde der Schnee liegen, der konnte ähnlich sein, aber nnr der allein, und<lb/>
auch auf diesem standen manchmal Blutlachen mit sonderbaren blaß bräunlichrotcu<lb/>
Rändern. Bei uns sah man nur fahle, bräunliche, gelbliche Töne; sogar das<lb/>
Weiße im Auge war trüb vom Blute, das in den müden Gefäßen stockte. Ich<lb/>
dachte an das Weißeste, was ich jemals gesehen hatte, an Firnfelder im Hoch¬<lb/>
gebirge, an blendende Sommerwolkeu, die im tiefen Mittagsblau schwimmen, an den<lb/>
weißen Frühlingskrokus, dessen Blüten noch klarer als Lilien sind. Ich habe dann<lb/>
freilich noch viel helleres, leuchtenderes gesehen. Denn wie ein Stern, der aus<lb/>
Sturmwolken hervortritt, mutete mich die Menschenliebe und Frömmigkeit an, die<lb/>
ich hier erfahren habe. In der Krankheit und in jeder Art von Not steht eine Wolke<lb/>
vor dem Himmel, sagte die alte Schwester Enlalia, die Lothringerin; wir Pflegerinnen<lb/>
kämpfen, daß sie sich zerstreue und Gottes Angesicht uns wieder hell ansehe.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1732" next="#ID_1733"> Wenn von den Gründen gesprochen wurde, warum wir uns in der Pflege<lb/>
der Schwestern so wohl fühlten, wurde jedesmal ihre verständige, ruhige Behand¬<lb/>
lung der Kranken gerühmt; einige behaupteten, sie hatten mitten im Fieber aus ihren<lb/>
Fingerspitzen, die sich an den Puls legten, etwas beruhigendes herüberflicßen fühlen.<lb/>
Es stellte sich dabei aber auch eine innere Verwandtschaft heraus. Jeder von uns<lb/>
Soldaten, der in ihre Nähe kam, fühlte etwas Verwandtes in ihrem Wesen. Nicht<lb/>
bloß in der Uniform liegt das, die sie tragen, und auf die sie so stolz sind, wie wir<lb/>
auf die unsre. Wir und sie dienen, und zwar dienen wir beide einen harten Dienst,<lb/>
zur Not geht es uns Leben. Wir und sie kämpfen nieder, was wir wollen,<lb/>
und tun, was Wir sollen. Auch darin sind sie den Soldaten ähnlich, daß sie ge¬<lb/>
rade und mutig ihrer Pflicht nachgehn; das gewöhnliche Weltleben mit seinen Um¬<lb/>
wegen, die gar oft zwecklos in sich zurücklaufende Schlangenwege sind, mit seinem<lb/>
Biegen und Ducker erzielt nur schillernde Charaktere. Der Soldat antwortet auf<lb/>
jede Früge eines Vorgesetzten kurz und bestimmt, indem er ihm fest ins Auge<lb/>
Schmid. Dasselbe ist die Art der Rede der Schwestern. Diese legen vielleicht noch</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0349] Im Laznrott Krieg ist für alle, die nicht siegen, besonders für die ein großes Unglück, die die Krankheit aufs Lager streckt; mit den Monaten empfinden sogar die von Sieg zu Sieg eilenden, daß er nicht ihr natürlicher Zustand ist. Muß darin nicht die Forderung sein, alle Quellen des Glücks zu offnen, die überhaupt möglich sind? Glück muß zum Streit wider das Unglück aufgerufen werden. Wer das einsieht, kann nimmer rasten, in dem spricht es: Nimm dich selbst in Zucht, wie diese Frauen es tun, steigere die Disziplin ius Sittliche. Laß vor allem deine Seele nicht bis zur Stagnation ruhn, schaffe dir die innere Quelle der Erfrischung, die keine Abstumpfung, keine völlige Ansehnung aufkommen läßt. Sobald sich der grüne Überzug der Schleimalgen und Wasserlinsen über die Klarheit einer Quelle zieht, bist du uicht sicher, welches Gewürm darunter auskriecht. Darin liegt der Segen der äußern Tätigkeit. Solange der Körper gesund ist, sollte er immer hart am Rande der Ermüdung gehalten werden. Der Mensch sei wie eine Flamme: die bewegt sich, solange sie Nahrung hat, wenn sie ruht, stirbt sie; aber solange sie lebt, strebt sie aufwärts. Als in den ersten Dezembertagen bei Paris und an der Loire zugleich blutige Schlachte» geschlagen worden waren, leerte man in aller Eile die Feldlazarette hinter der Front und schickte rückwärts, was transportabel war. Es war fast für alle, die des Lebens im Lazarett müde geworden waren, eine Erlösung, für manche mag auch die Entfernung vom Kriegsschauplatz willkommen gewesen sein, auf dem sich damals die von manchen für furchtbar gehaltenen neuen französischen Armeen vor¬ wälzten. Es war ein glückliches Los, das mich hierher verschlug. Ich war nicht kriegsmüde, aber müde des Bluts; dessen, und der Trümmer, des Schmutzes hatte ich genug. Als ich in dieses Haus eintrat, sah ich seit Monaten zum erstenmal wieder ein friedlich-heiteres Antlitz. Vielleicht fesselte mich am meisten die breit- flüglige Haube, die das frische, rötliche Gesicht der Schwester einfaßte, sie war so weiß, so weiß; seit wann hatte ich nichts so weißes gesehen? Jetzt mochte draußen im Felde der Schnee liegen, der konnte ähnlich sein, aber nnr der allein, und auch auf diesem standen manchmal Blutlachen mit sonderbaren blaß bräunlichrotcu Rändern. Bei uns sah man nur fahle, bräunliche, gelbliche Töne; sogar das Weiße im Auge war trüb vom Blute, das in den müden Gefäßen stockte. Ich dachte an das Weißeste, was ich jemals gesehen hatte, an Firnfelder im Hoch¬ gebirge, an blendende Sommerwolkeu, die im tiefen Mittagsblau schwimmen, an den weißen Frühlingskrokus, dessen Blüten noch klarer als Lilien sind. Ich habe dann freilich noch viel helleres, leuchtenderes gesehen. Denn wie ein Stern, der aus Sturmwolken hervortritt, mutete mich die Menschenliebe und Frömmigkeit an, die ich hier erfahren habe. In der Krankheit und in jeder Art von Not steht eine Wolke vor dem Himmel, sagte die alte Schwester Enlalia, die Lothringerin; wir Pflegerinnen kämpfen, daß sie sich zerstreue und Gottes Angesicht uns wieder hell ansehe. Wenn von den Gründen gesprochen wurde, warum wir uns in der Pflege der Schwestern so wohl fühlten, wurde jedesmal ihre verständige, ruhige Behand¬ lung der Kranken gerühmt; einige behaupteten, sie hatten mitten im Fieber aus ihren Fingerspitzen, die sich an den Puls legten, etwas beruhigendes herüberflicßen fühlen. Es stellte sich dabei aber auch eine innere Verwandtschaft heraus. Jeder von uns Soldaten, der in ihre Nähe kam, fühlte etwas Verwandtes in ihrem Wesen. Nicht bloß in der Uniform liegt das, die sie tragen, und auf die sie so stolz sind, wie wir auf die unsre. Wir und sie dienen, und zwar dienen wir beide einen harten Dienst, zur Not geht es uns Leben. Wir und sie kämpfen nieder, was wir wollen, und tun, was Wir sollen. Auch darin sind sie den Soldaten ähnlich, daß sie ge¬ rade und mutig ihrer Pflicht nachgehn; das gewöhnliche Weltleben mit seinen Um¬ wegen, die gar oft zwecklos in sich zurücklaufende Schlangenwege sind, mit seinem Biegen und Ducker erzielt nur schillernde Charaktere. Der Soldat antwortet auf jede Früge eines Vorgesetzten kurz und bestimmt, indem er ihm fest ins Auge Schmid. Dasselbe ist die Art der Rede der Schwestern. Diese legen vielleicht noch

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_240381
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_240381/349
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_240381/349>, abgerufen am 25.07.2024.