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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Zweites Vierteljahr.

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Der Malmöer Pfaudvertrng von ^302

seinen Antrag mit folgenden Worten: "Ohne Zweifel ist es Tatsache, daß,
auch wenn Schweden den Betrag von etwa 96 Millionen Kronen, der nötig
sein würde, das Pfand einzulösen, zur Verfügung haben sollte, und eine solche
Einlösung nicht aus andern Gründen unmöglich gemacht wäre, sich hier im
Lande gegen ein solches Vorgehen einer Bevölkerung von fremder Nationalität
gegenüber ein allgemeiner Widerstand erheben würde. Bedenkt man ferner,
daß seit der Zeit der Verpfändung die eignen Landsleute dieser Bevölkerung
gerade infolge der für die Verpfändung gewählten Form die alten Wismarer
in gewissem Sinne als Ausländer augesehen haben, und daß die unklaren
staatsrechtlichen Verhältnisse Wismars der Grund gewesen sind, daß die Ent-
wicklung dieses Landesteils in manchem zurückgeblieben ist, so kaun kein Zweifel
darüber herrschen, was von Schweden zu geschehen hat, daß noch vor Ablauf
der hundertjährigen Vertragszeit diesem Zustande ein Ende gemacht wird.
Dies kann nur in der Weise geschehen, daß Schweden durch eiuen förmlichen
Staatsakt bekundet, daß es auf seine Berechtigung, das dereinstige Reichslehn
wieder einzulösen, Verzicht leistet," Obgleich von radikaler Seite darauf er¬
klärt worden ist, Schweden möge seiue völlige Verzichtleistung von Zollvergün¬
stigungen abhängig machen, glauben wir doch nicht dnrau, daß die Mehrheit
des Reichstags auch mir diesen Gedanken ernsthaft erwägen wird. Die Ver¬
zichtleistung wird und muß bedingungslos sein.

Nun noch etwas von dem Interesse, das Dentschland an dem Verbleiben
Wismars unter mecklenburgischer Herrschaft hat. Wenn Schwede" Wismar
wieder besitzen und befestigen würde, so läge auch die Befürchtung nahe, daß
das schwache Schweden diese Festung bei irgend einem Konflikt mit einer
^gewaltigen Großmacht an diese verlieren würde. Ja, mich bei einem Kon¬
flikt Deutschlands mit einer solchen Macht könnte das passieren, und Wismar
würde dünn ein sehr gefährlicher Nachbar werden; denn seine günstige Lage
als Festung hat es schon in mehr als einem Kriege bewiesen.

Auch wenn also Schweden wider alles Erwarten die Rückgabe Wismars
verlangt hätte, so hätte Deutschland um seiner Sicherheit willen nicht darauf
eingehn können. In diesem Falle hätte das verbriefte Recht vor der eisernen
Notwendigkeit zurücktreten müssen. Niemand anders als der eiserne Kanzler
hatte diesen Gedanken mehr als einmal ausgesprochen. --

Es ist nicht unwahrscheinlich, daß schon in den nächsten Jahren in den
Wismarer Hafenverhältnissen eine große Änderung eintreten wird. Schon in
der Einleitung haben wir den prächtigen Hafen erwähnt, der sich mit ge¬
ringen Kosten zu einem Kriegshafen erster Klasse ausbauen ließe. Daß das
bisher noch nicht geschehn ist, lag gewiß uicht an der Mariueverwaltung,
sondern wohl allein an dein Artikel XV des Malmöer Vertrags. Die Insel
Poet, die etwa anderthalb Meilen vor der Stadt liegt, beherrscht den Hafen¬
eingang vollkommen. Es ist also wie geschaffen zur Anlegung von Forts.
Eine mit Wismar als Stützpunkt operierende Flotte würde die ganze westliche
Ostsee beherrschen können.




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Der Malmöer Pfaudvertrng von ^302

seinen Antrag mit folgenden Worten: „Ohne Zweifel ist es Tatsache, daß,
auch wenn Schweden den Betrag von etwa 96 Millionen Kronen, der nötig
sein würde, das Pfand einzulösen, zur Verfügung haben sollte, und eine solche
Einlösung nicht aus andern Gründen unmöglich gemacht wäre, sich hier im
Lande gegen ein solches Vorgehen einer Bevölkerung von fremder Nationalität
gegenüber ein allgemeiner Widerstand erheben würde. Bedenkt man ferner,
daß seit der Zeit der Verpfändung die eignen Landsleute dieser Bevölkerung
gerade infolge der für die Verpfändung gewählten Form die alten Wismarer
in gewissem Sinne als Ausländer augesehen haben, und daß die unklaren
staatsrechtlichen Verhältnisse Wismars der Grund gewesen sind, daß die Ent-
wicklung dieses Landesteils in manchem zurückgeblieben ist, so kaun kein Zweifel
darüber herrschen, was von Schweden zu geschehen hat, daß noch vor Ablauf
der hundertjährigen Vertragszeit diesem Zustande ein Ende gemacht wird.
Dies kann nur in der Weise geschehen, daß Schweden durch eiuen förmlichen
Staatsakt bekundet, daß es auf seine Berechtigung, das dereinstige Reichslehn
wieder einzulösen, Verzicht leistet," Obgleich von radikaler Seite darauf er¬
klärt worden ist, Schweden möge seiue völlige Verzichtleistung von Zollvergün¬
stigungen abhängig machen, glauben wir doch nicht dnrau, daß die Mehrheit
des Reichstags auch mir diesen Gedanken ernsthaft erwägen wird. Die Ver¬
zichtleistung wird und muß bedingungslos sein.

Nun noch etwas von dem Interesse, das Dentschland an dem Verbleiben
Wismars unter mecklenburgischer Herrschaft hat. Wenn Schwede» Wismar
wieder besitzen und befestigen würde, so läge auch die Befürchtung nahe, daß
das schwache Schweden diese Festung bei irgend einem Konflikt mit einer
^gewaltigen Großmacht an diese verlieren würde. Ja, mich bei einem Kon¬
flikt Deutschlands mit einer solchen Macht könnte das passieren, und Wismar
würde dünn ein sehr gefährlicher Nachbar werden; denn seine günstige Lage
als Festung hat es schon in mehr als einem Kriege bewiesen.

Auch wenn also Schweden wider alles Erwarten die Rückgabe Wismars
verlangt hätte, so hätte Deutschland um seiner Sicherheit willen nicht darauf
eingehn können. In diesem Falle hätte das verbriefte Recht vor der eisernen
Notwendigkeit zurücktreten müssen. Niemand anders als der eiserne Kanzler
hatte diesen Gedanken mehr als einmal ausgesprochen. —

Es ist nicht unwahrscheinlich, daß schon in den nächsten Jahren in den
Wismarer Hafenverhältnissen eine große Änderung eintreten wird. Schon in
der Einleitung haben wir den prächtigen Hafen erwähnt, der sich mit ge¬
ringen Kosten zu einem Kriegshafen erster Klasse ausbauen ließe. Daß das
bisher noch nicht geschehn ist, lag gewiß uicht an der Mariueverwaltung,
sondern wohl allein an dein Artikel XV des Malmöer Vertrags. Die Insel
Poet, die etwa anderthalb Meilen vor der Stadt liegt, beherrscht den Hafen¬
eingang vollkommen. Es ist also wie geschaffen zur Anlegung von Forts.
Eine mit Wismar als Stützpunkt operierende Flotte würde die ganze westliche
Ostsee beherrschen können.




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[0339] Der Malmöer Pfaudvertrng von ^302 seinen Antrag mit folgenden Worten: „Ohne Zweifel ist es Tatsache, daß, auch wenn Schweden den Betrag von etwa 96 Millionen Kronen, der nötig sein würde, das Pfand einzulösen, zur Verfügung haben sollte, und eine solche Einlösung nicht aus andern Gründen unmöglich gemacht wäre, sich hier im Lande gegen ein solches Vorgehen einer Bevölkerung von fremder Nationalität gegenüber ein allgemeiner Widerstand erheben würde. Bedenkt man ferner, daß seit der Zeit der Verpfändung die eignen Landsleute dieser Bevölkerung gerade infolge der für die Verpfändung gewählten Form die alten Wismarer in gewissem Sinne als Ausländer augesehen haben, und daß die unklaren staatsrechtlichen Verhältnisse Wismars der Grund gewesen sind, daß die Ent- wicklung dieses Landesteils in manchem zurückgeblieben ist, so kaun kein Zweifel darüber herrschen, was von Schweden zu geschehen hat, daß noch vor Ablauf der hundertjährigen Vertragszeit diesem Zustande ein Ende gemacht wird. Dies kann nur in der Weise geschehen, daß Schweden durch eiuen förmlichen Staatsakt bekundet, daß es auf seine Berechtigung, das dereinstige Reichslehn wieder einzulösen, Verzicht leistet," Obgleich von radikaler Seite darauf er¬ klärt worden ist, Schweden möge seiue völlige Verzichtleistung von Zollvergün¬ stigungen abhängig machen, glauben wir doch nicht dnrau, daß die Mehrheit des Reichstags auch mir diesen Gedanken ernsthaft erwägen wird. Die Ver¬ zichtleistung wird und muß bedingungslos sein. Nun noch etwas von dem Interesse, das Dentschland an dem Verbleiben Wismars unter mecklenburgischer Herrschaft hat. Wenn Schwede» Wismar wieder besitzen und befestigen würde, so läge auch die Befürchtung nahe, daß das schwache Schweden diese Festung bei irgend einem Konflikt mit einer ^gewaltigen Großmacht an diese verlieren würde. Ja, mich bei einem Kon¬ flikt Deutschlands mit einer solchen Macht könnte das passieren, und Wismar würde dünn ein sehr gefährlicher Nachbar werden; denn seine günstige Lage als Festung hat es schon in mehr als einem Kriege bewiesen. Auch wenn also Schweden wider alles Erwarten die Rückgabe Wismars verlangt hätte, so hätte Deutschland um seiner Sicherheit willen nicht darauf eingehn können. In diesem Falle hätte das verbriefte Recht vor der eisernen Notwendigkeit zurücktreten müssen. Niemand anders als der eiserne Kanzler hatte diesen Gedanken mehr als einmal ausgesprochen. — Es ist nicht unwahrscheinlich, daß schon in den nächsten Jahren in den Wismarer Hafenverhältnissen eine große Änderung eintreten wird. Schon in der Einleitung haben wir den prächtigen Hafen erwähnt, der sich mit ge¬ ringen Kosten zu einem Kriegshafen erster Klasse ausbauen ließe. Daß das bisher noch nicht geschehn ist, lag gewiß uicht an der Mariueverwaltung, sondern wohl allein an dein Artikel XV des Malmöer Vertrags. Die Insel Poet, die etwa anderthalb Meilen vor der Stadt liegt, beherrscht den Hafen¬ eingang vollkommen. Es ist also wie geschaffen zur Anlegung von Forts. Eine mit Wismar als Stützpunkt operierende Flotte würde die ganze westliche Ostsee beherrschen können. 44

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_240381/339>, abgerufen am 29.09.2024.