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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Zweites Vierteljahr.

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Im Lazarett

Wir schießen sollten. Und nun ging das Schießen los, von Zielen war keine Rede,
wir sahen keinen Feind, schössen eben in den Rauch, der sich immer mehr ver¬
dichtete. Es war wie mit den Hunden in einem Dorf, wenn einer bellt, bellen
alle, so rollten die Flintenschüsse in unsern Reihen hin und her, wenn einer los¬
brannte, folgten die andern, und dann begann es wieder am andern Ende und
rollte so fort. Eine wahre Wolke von Kugeln muß uns umhüllt haben, wir schössen,
bis die Gewehre so heiß waren, daß man sie einen Augenblick ans die Erde legen
mußte. Da die Gewehre der Deutschen uicht so weit trugen wie die unsern, hatten
wir fast keine Verluste. Unsre ganze Sektion blieb unverwundet. Dann und wann
pfiff eine Kugel durch uns hin, wahrscheinlich aus einem französischen Gewehr,
das einer erbeutet hatte. Wem, wir vorgerückt wären, hatten wir etwas mehr
von deutschen Kngeln zu schmecke" bekommen, aber unser Major rief immer nur:
Kinder, festbleiben! Einzelne meinten, man müsse nun doch endlich vorwärtskommen,
doch damit hatte es niemand eilig.

Während noch Kolonnen vorrückten, besonders Artillerie, die überall am beste"
zusammenhielt, sickerte" schou Flüchtlinge in solchen Massen durch, daß man zweifeln
mußte, ob die Hauptbewegung vorwärts oder zurückgehe. Einen Augenblick sah
man erstaunt zu, wie sich das zurückwälzte, dann horte man aus uusern Reihen
Rufe: Wir haben keine Patronen mehr! Unser Train ist stecken geblieben, ab¬
gefangen! Die Artillerie machte Halt. Platz da, um Kehrt zu machen, rief einer,
da drängten wir zur Seite und zurück, und es war kein Halten mehr, wir waren
mitten in dem Strom der Zurückflutenden und schwammen mit. Plötzlich rasselte
hinter uns und rede" uns die Artillerie zurück, und nun sah man Leute alles
Gepäck wegwerfen, sogar Geldbörsen, die allerdings seit Tagen keinen Sou gesehen
haben mochte". Es war, wie wenn die Gewehre den vor Kälte steifen Händen
von selbst entfielen. Jetzt sah ich auch zum erstenmal Leute in unsern Knäueln
tot hinstürzen, denn die Granaten der feindlichen Geschütze, deren Donner schrecklich
nahe kam, schlugen mitten nnter uns ein. Es rührte mich aber nicht, jetzt war
alle Furcht verflogen; ich hielt in einer Gruppe stand, die ein beherzter alter
Sergeant noch hinter einer langen Reihe von Backsteinen neben der Ziegelei auf
dem letzten Höhenrande befehligte. Woher kam mir der Mut, standzuhalten? Ich
glaube, es war, was man den Mut der Verzweiflung ne""t. Ich hatte so viel
gelitten und gedarbt in diesen letzten Wochen, daß ein Groll in mir aufgestiegen
war gegen deu Feind, gegen meine unfähigen Vorgesetzten, gegen meine feigen
Kameraden, gegen den Krieg im allgemeinen, und dieses neue Gefühl drängte uun
alles andre zurück und gab mir den Mut, mich gegen die allgemeine Flucht und
gegen den vordringenden Feind zu stellen. Es half freilich nichts. Wir mußten
uns mit den letzten Bataillonen, Seite an Seite mit päpstlichen Zuaven, Linien-
und Marinesvldaten, zurückziehn, die früher voll Verachtung auf uus heruuter-
gesehen hatten. Einige Offiziere lobten uns, daß wir nicht so rasch wie die andern
Mobilen gelaufen waren. Dieses Lob schien mir jedoch schlecht angewandt zu sein,
soweit es mich betraf; ich wußte doch am besten, daß dieses Standhalten nur eine
kurze Episode von einer Stunde nach Wochen war, in denen fast niemand von uns
allen so recht seine Pflicht getan hatte.

Die Nacht sank ans das Feld, und mit dem Dunkel und der Kälte legte sich
auf uns, die Besiegten, die ganze Last der Enttäuschung und der Verzweiflung.
Wir wußten nicht, ob wir vor Frost oder vor Furcht vor dem ungewissen mor-
genden Tage zitterten. Zwischen deu Geschützen, die uoch zur rechten Zeit alls¬
gerissen waren, in den Ackerfurchen liegend, verloren wir das bißchen Mut, das
wir mitgebracht hatten. Er erstarrte wie alles. Ich dachte mir: So hart wie
diese Schollen, die unter der Sohle klingen, ist dein Herz geworden. Gibt es ein
Unglück, das noch einen Eindruck ans dieses Herz machen könnte? Es ist nur
noch Gleichgiltigkeit darin. Ich mochte nicht einmal mehr an die Heimat denken.

In der Morgenfrühe, als der Januarfrost den Höhepunkt erreicht hatte,


Im Lazarett

Wir schießen sollten. Und nun ging das Schießen los, von Zielen war keine Rede,
wir sahen keinen Feind, schössen eben in den Rauch, der sich immer mehr ver¬
dichtete. Es war wie mit den Hunden in einem Dorf, wenn einer bellt, bellen
alle, so rollten die Flintenschüsse in unsern Reihen hin und her, wenn einer los¬
brannte, folgten die andern, und dann begann es wieder am andern Ende und
rollte so fort. Eine wahre Wolke von Kugeln muß uns umhüllt haben, wir schössen,
bis die Gewehre so heiß waren, daß man sie einen Augenblick ans die Erde legen
mußte. Da die Gewehre der Deutschen uicht so weit trugen wie die unsern, hatten
wir fast keine Verluste. Unsre ganze Sektion blieb unverwundet. Dann und wann
pfiff eine Kugel durch uns hin, wahrscheinlich aus einem französischen Gewehr,
das einer erbeutet hatte. Wem, wir vorgerückt wären, hatten wir etwas mehr
von deutschen Kngeln zu schmecke» bekommen, aber unser Major rief immer nur:
Kinder, festbleiben! Einzelne meinten, man müsse nun doch endlich vorwärtskommen,
doch damit hatte es niemand eilig.

Während noch Kolonnen vorrückten, besonders Artillerie, die überall am beste»
zusammenhielt, sickerte» schou Flüchtlinge in solchen Massen durch, daß man zweifeln
mußte, ob die Hauptbewegung vorwärts oder zurückgehe. Einen Augenblick sah
man erstaunt zu, wie sich das zurückwälzte, dann horte man aus uusern Reihen
Rufe: Wir haben keine Patronen mehr! Unser Train ist stecken geblieben, ab¬
gefangen! Die Artillerie machte Halt. Platz da, um Kehrt zu machen, rief einer,
da drängten wir zur Seite und zurück, und es war kein Halten mehr, wir waren
mitten in dem Strom der Zurückflutenden und schwammen mit. Plötzlich rasselte
hinter uns und rede» uns die Artillerie zurück, und nun sah man Leute alles
Gepäck wegwerfen, sogar Geldbörsen, die allerdings seit Tagen keinen Sou gesehen
haben mochte«. Es war, wie wenn die Gewehre den vor Kälte steifen Händen
von selbst entfielen. Jetzt sah ich auch zum erstenmal Leute in unsern Knäueln
tot hinstürzen, denn die Granaten der feindlichen Geschütze, deren Donner schrecklich
nahe kam, schlugen mitten nnter uns ein. Es rührte mich aber nicht, jetzt war
alle Furcht verflogen; ich hielt in einer Gruppe stand, die ein beherzter alter
Sergeant noch hinter einer langen Reihe von Backsteinen neben der Ziegelei auf
dem letzten Höhenrande befehligte. Woher kam mir der Mut, standzuhalten? Ich
glaube, es war, was man den Mut der Verzweiflung ne»»t. Ich hatte so viel
gelitten und gedarbt in diesen letzten Wochen, daß ein Groll in mir aufgestiegen
war gegen deu Feind, gegen meine unfähigen Vorgesetzten, gegen meine feigen
Kameraden, gegen den Krieg im allgemeinen, und dieses neue Gefühl drängte uun
alles andre zurück und gab mir den Mut, mich gegen die allgemeine Flucht und
gegen den vordringenden Feind zu stellen. Es half freilich nichts. Wir mußten
uns mit den letzten Bataillonen, Seite an Seite mit päpstlichen Zuaven, Linien-
und Marinesvldaten, zurückziehn, die früher voll Verachtung auf uus heruuter-
gesehen hatten. Einige Offiziere lobten uns, daß wir nicht so rasch wie die andern
Mobilen gelaufen waren. Dieses Lob schien mir jedoch schlecht angewandt zu sein,
soweit es mich betraf; ich wußte doch am besten, daß dieses Standhalten nur eine
kurze Episode von einer Stunde nach Wochen war, in denen fast niemand von uns
allen so recht seine Pflicht getan hatte.

Die Nacht sank ans das Feld, und mit dem Dunkel und der Kälte legte sich
auf uns, die Besiegten, die ganze Last der Enttäuschung und der Verzweiflung.
Wir wußten nicht, ob wir vor Frost oder vor Furcht vor dem ungewissen mor-
genden Tage zitterten. Zwischen deu Geschützen, die uoch zur rechten Zeit alls¬
gerissen waren, in den Ackerfurchen liegend, verloren wir das bißchen Mut, das
wir mitgebracht hatten. Er erstarrte wie alles. Ich dachte mir: So hart wie
diese Schollen, die unter der Sohle klingen, ist dein Herz geworden. Gibt es ein
Unglück, das noch einen Eindruck ans dieses Herz machen könnte? Es ist nur
noch Gleichgiltigkeit darin. Ich mochte nicht einmal mehr an die Heimat denken.

In der Morgenfrühe, als der Januarfrost den Höhepunkt erreicht hatte,


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[0291] Im Lazarett Wir schießen sollten. Und nun ging das Schießen los, von Zielen war keine Rede, wir sahen keinen Feind, schössen eben in den Rauch, der sich immer mehr ver¬ dichtete. Es war wie mit den Hunden in einem Dorf, wenn einer bellt, bellen alle, so rollten die Flintenschüsse in unsern Reihen hin und her, wenn einer los¬ brannte, folgten die andern, und dann begann es wieder am andern Ende und rollte so fort. Eine wahre Wolke von Kugeln muß uns umhüllt haben, wir schössen, bis die Gewehre so heiß waren, daß man sie einen Augenblick ans die Erde legen mußte. Da die Gewehre der Deutschen uicht so weit trugen wie die unsern, hatten wir fast keine Verluste. Unsre ganze Sektion blieb unverwundet. Dann und wann pfiff eine Kugel durch uns hin, wahrscheinlich aus einem französischen Gewehr, das einer erbeutet hatte. Wem, wir vorgerückt wären, hatten wir etwas mehr von deutschen Kngeln zu schmecke» bekommen, aber unser Major rief immer nur: Kinder, festbleiben! Einzelne meinten, man müsse nun doch endlich vorwärtskommen, doch damit hatte es niemand eilig. Während noch Kolonnen vorrückten, besonders Artillerie, die überall am beste» zusammenhielt, sickerte» schou Flüchtlinge in solchen Massen durch, daß man zweifeln mußte, ob die Hauptbewegung vorwärts oder zurückgehe. Einen Augenblick sah man erstaunt zu, wie sich das zurückwälzte, dann horte man aus uusern Reihen Rufe: Wir haben keine Patronen mehr! Unser Train ist stecken geblieben, ab¬ gefangen! Die Artillerie machte Halt. Platz da, um Kehrt zu machen, rief einer, da drängten wir zur Seite und zurück, und es war kein Halten mehr, wir waren mitten in dem Strom der Zurückflutenden und schwammen mit. Plötzlich rasselte hinter uns und rede» uns die Artillerie zurück, und nun sah man Leute alles Gepäck wegwerfen, sogar Geldbörsen, die allerdings seit Tagen keinen Sou gesehen haben mochte«. Es war, wie wenn die Gewehre den vor Kälte steifen Händen von selbst entfielen. Jetzt sah ich auch zum erstenmal Leute in unsern Knäueln tot hinstürzen, denn die Granaten der feindlichen Geschütze, deren Donner schrecklich nahe kam, schlugen mitten nnter uns ein. Es rührte mich aber nicht, jetzt war alle Furcht verflogen; ich hielt in einer Gruppe stand, die ein beherzter alter Sergeant noch hinter einer langen Reihe von Backsteinen neben der Ziegelei auf dem letzten Höhenrande befehligte. Woher kam mir der Mut, standzuhalten? Ich glaube, es war, was man den Mut der Verzweiflung ne»»t. Ich hatte so viel gelitten und gedarbt in diesen letzten Wochen, daß ein Groll in mir aufgestiegen war gegen deu Feind, gegen meine unfähigen Vorgesetzten, gegen meine feigen Kameraden, gegen den Krieg im allgemeinen, und dieses neue Gefühl drängte uun alles andre zurück und gab mir den Mut, mich gegen die allgemeine Flucht und gegen den vordringenden Feind zu stellen. Es half freilich nichts. Wir mußten uns mit den letzten Bataillonen, Seite an Seite mit päpstlichen Zuaven, Linien- und Marinesvldaten, zurückziehn, die früher voll Verachtung auf uus heruuter- gesehen hatten. Einige Offiziere lobten uns, daß wir nicht so rasch wie die andern Mobilen gelaufen waren. Dieses Lob schien mir jedoch schlecht angewandt zu sein, soweit es mich betraf; ich wußte doch am besten, daß dieses Standhalten nur eine kurze Episode von einer Stunde nach Wochen war, in denen fast niemand von uns allen so recht seine Pflicht getan hatte. Die Nacht sank ans das Feld, und mit dem Dunkel und der Kälte legte sich auf uns, die Besiegten, die ganze Last der Enttäuschung und der Verzweiflung. Wir wußten nicht, ob wir vor Frost oder vor Furcht vor dem ungewissen mor- genden Tage zitterten. Zwischen deu Geschützen, die uoch zur rechten Zeit alls¬ gerissen waren, in den Ackerfurchen liegend, verloren wir das bißchen Mut, das wir mitgebracht hatten. Er erstarrte wie alles. Ich dachte mir: So hart wie diese Schollen, die unter der Sohle klingen, ist dein Herz geworden. Gibt es ein Unglück, das noch einen Eindruck ans dieses Herz machen könnte? Es ist nur noch Gleichgiltigkeit darin. Ich mochte nicht einmal mehr an die Heimat denken. In der Morgenfrühe, als der Januarfrost den Höhepunkt erreicht hatte,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_240381/291>, abgerufen am 28.08.2024.