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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Zweites Vierteljahr.

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Die Wörtliche Übersetzung in Prosa würde etwa lauten:

Prosaisches Auge, das zum Fenster hinnusschaut, ist stolz, die Poren der Haut zu zählen,
was nützt dir das Gesicht, das trügende Feuer, das nur die Formen der Dinge entdeckt? Wenn
du Großes sehen willst, es hilft dir zu nichts, dann eher des Nachts mit geschlossenen Augen,
wenn dein Genius es will, wirst du mehr als den Mantel des Gottes sehen, der durch die
Welt und die Zeit und die Menschheit den ewigen Weg geht.

Der Romantiker hat Gesichte, der Naturalist sieht. Das prosaische Auge,
das mit Stolz jede Pore der Haut zählt, und das Wergelaud so verächtlich
erwähnt, das gerade ist es, was die naturalistischen Schriftsteller zu haben
wünschen. Wie Detektive gehn sie im Leben umher und schnüffeln, merken sich
indes Wort und jedes Mienenspiel, jeden Windhauch und jede Farbenuücince:
das Ideal ist 1^ Austin bei Goncourt, die mit Genauigkeit die Gcsichtsver-
Errungen ihres sterbenden Liebhabers beobachtet und vor dem Spiegel die
Grimassen nachahmt, die durch das Zucken des risorius und ^g'0irae,loci8 ent¬
steh", denn sie will später in einer Sterbeszene auf der Bühne ihre Wahr-
nehmungen verwerten. Es gab eine Zeit, wo man nnr wenig Freude davon
h°ete, mit Schriftstellern zu Verkehre", weil man immer das Gefühl hatte, daß
'"an Modell saß und in ihre verwünschten Notizbücher hinein sollte. Das
gehörte nämlich auch zur Methode der Naturalisten, daß sie Notizen machten;
ste gingen mit ihren Heftchen umher, in die sie zur Stütze ihres Gedächtnisses
alles, was ihre gierigen Augen nur verschlingen konnten, niederschrieben. Und
Wie die Forscher begnügten sie sich nicht mit diesen "Quellenstudien," sondern
ste durchstöberten anch mit großem Fleiß "die Literatur." Alles Geschriebne
und Gedruckte, was ihr Thema in irgend einer Weise beleuchten konnte, wurde
5U Rate gezogen. Als Flaubert an arbeitete, begnügte er sich nicht damit,
''ach Karthago zu reisen, dort selbst die Landschaft zu studieren, sondern er
durchforschte auch die ganze archäologische Literatur, um seine Rekonstruktion der
alten Handelsstadt auf einer solchen wissenschaftlichen Grundlage aufbauen zu
tonnen. Zur Vorbereitung von I.s, Imitation 6s 8t. ^uomo durchstöberte er
^ große Bibliothek seines gelehrten Freundes Maxime dn Camp, und vor der
Ausarbeitung von Nouvarcl et xeouvlror liegt das Studium von 1500 Bünden.
Und wie mit Flanbert, so war es auch mit den andern der Fall, mit Goncourt,
"via, Nosuy usw., die ihr Geschäft mehr oder weniger gründlich betrieben.

Wenn die Naturalisten dann genug gesehen und gelesen haben, wenn sie
^ Fächer mit Notizen nach der Wirklichkeit und Exzerpten aus den Büchern
Mttllt haben, fangen sie an zu ordnen, gruppieren, was zusammengehört, in
Wappen, legen Inhaltsverzeichnisse an und entwerfen den Plan des Werkes.
^ ist ganz wie mit einer wissenschaftlichen Arbeit: die Vorstudien find unendlich
'el weitläufiger als das Schreiben; hundert Seiten Notizen geben oft nur eine
^eile Text. Ein Romantiker, der einen Roman oder ein Drama schreiben wollte,


Die Wörtliche Übersetzung in Prosa würde etwa lauten:

Prosaisches Auge, das zum Fenster hinnusschaut, ist stolz, die Poren der Haut zu zählen,
was nützt dir das Gesicht, das trügende Feuer, das nur die Formen der Dinge entdeckt? Wenn
du Großes sehen willst, es hilft dir zu nichts, dann eher des Nachts mit geschlossenen Augen,
wenn dein Genius es will, wirst du mehr als den Mantel des Gottes sehen, der durch die
Welt und die Zeit und die Menschheit den ewigen Weg geht.

Der Romantiker hat Gesichte, der Naturalist sieht. Das prosaische Auge,
das mit Stolz jede Pore der Haut zählt, und das Wergelaud so verächtlich
erwähnt, das gerade ist es, was die naturalistischen Schriftsteller zu haben
wünschen. Wie Detektive gehn sie im Leben umher und schnüffeln, merken sich
indes Wort und jedes Mienenspiel, jeden Windhauch und jede Farbenuücince:
das Ideal ist 1^ Austin bei Goncourt, die mit Genauigkeit die Gcsichtsver-
Errungen ihres sterbenden Liebhabers beobachtet und vor dem Spiegel die
Grimassen nachahmt, die durch das Zucken des risorius und ^g'0irae,loci8 ent¬
steh«, denn sie will später in einer Sterbeszene auf der Bühne ihre Wahr-
nehmungen verwerten. Es gab eine Zeit, wo man nnr wenig Freude davon
h°ete, mit Schriftstellern zu Verkehre», weil man immer das Gefühl hatte, daß
'"an Modell saß und in ihre verwünschten Notizbücher hinein sollte. Das
gehörte nämlich auch zur Methode der Naturalisten, daß sie Notizen machten;
ste gingen mit ihren Heftchen umher, in die sie zur Stütze ihres Gedächtnisses
alles, was ihre gierigen Augen nur verschlingen konnten, niederschrieben. Und
Wie die Forscher begnügten sie sich nicht mit diesen „Quellenstudien," sondern
ste durchstöberten anch mit großem Fleiß „die Literatur." Alles Geschriebne
und Gedruckte, was ihr Thema in irgend einer Weise beleuchten konnte, wurde
5U Rate gezogen. Als Flaubert an arbeitete, begnügte er sich nicht damit,
''ach Karthago zu reisen, dort selbst die Landschaft zu studieren, sondern er
durchforschte auch die ganze archäologische Literatur, um seine Rekonstruktion der
alten Handelsstadt auf einer solchen wissenschaftlichen Grundlage aufbauen zu
tonnen. Zur Vorbereitung von I.s, Imitation 6s 8t. ^uomo durchstöberte er
^ große Bibliothek seines gelehrten Freundes Maxime dn Camp, und vor der
Ausarbeitung von Nouvarcl et xeouvlror liegt das Studium von 1500 Bünden.
Und wie mit Flanbert, so war es auch mit den andern der Fall, mit Goncourt,
«via, Nosuy usw., die ihr Geschäft mehr oder weniger gründlich betrieben.

Wenn die Naturalisten dann genug gesehen und gelesen haben, wenn sie
^ Fächer mit Notizen nach der Wirklichkeit und Exzerpten aus den Büchern
Mttllt haben, fangen sie an zu ordnen, gruppieren, was zusammengehört, in
Wappen, legen Inhaltsverzeichnisse an und entwerfen den Plan des Werkes.
^ ist ganz wie mit einer wissenschaftlichen Arbeit: die Vorstudien find unendlich
'el weitläufiger als das Schreiben; hundert Seiten Notizen geben oft nur eine
^eile Text. Ein Romantiker, der einen Roman oder ein Drama schreiben wollte,


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[0215] Die Wörtliche Übersetzung in Prosa würde etwa lauten: Prosaisches Auge, das zum Fenster hinnusschaut, ist stolz, die Poren der Haut zu zählen, was nützt dir das Gesicht, das trügende Feuer, das nur die Formen der Dinge entdeckt? Wenn du Großes sehen willst, es hilft dir zu nichts, dann eher des Nachts mit geschlossenen Augen, wenn dein Genius es will, wirst du mehr als den Mantel des Gottes sehen, der durch die Welt und die Zeit und die Menschheit den ewigen Weg geht. Der Romantiker hat Gesichte, der Naturalist sieht. Das prosaische Auge, das mit Stolz jede Pore der Haut zählt, und das Wergelaud so verächtlich erwähnt, das gerade ist es, was die naturalistischen Schriftsteller zu haben wünschen. Wie Detektive gehn sie im Leben umher und schnüffeln, merken sich indes Wort und jedes Mienenspiel, jeden Windhauch und jede Farbenuücince: das Ideal ist 1^ Austin bei Goncourt, die mit Genauigkeit die Gcsichtsver- Errungen ihres sterbenden Liebhabers beobachtet und vor dem Spiegel die Grimassen nachahmt, die durch das Zucken des risorius und ^g'0irae,loci8 ent¬ steh«, denn sie will später in einer Sterbeszene auf der Bühne ihre Wahr- nehmungen verwerten. Es gab eine Zeit, wo man nnr wenig Freude davon h°ete, mit Schriftstellern zu Verkehre», weil man immer das Gefühl hatte, daß '"an Modell saß und in ihre verwünschten Notizbücher hinein sollte. Das gehörte nämlich auch zur Methode der Naturalisten, daß sie Notizen machten; ste gingen mit ihren Heftchen umher, in die sie zur Stütze ihres Gedächtnisses alles, was ihre gierigen Augen nur verschlingen konnten, niederschrieben. Und Wie die Forscher begnügten sie sich nicht mit diesen „Quellenstudien," sondern ste durchstöberten anch mit großem Fleiß „die Literatur." Alles Geschriebne und Gedruckte, was ihr Thema in irgend einer Weise beleuchten konnte, wurde 5U Rate gezogen. Als Flaubert an arbeitete, begnügte er sich nicht damit, ''ach Karthago zu reisen, dort selbst die Landschaft zu studieren, sondern er durchforschte auch die ganze archäologische Literatur, um seine Rekonstruktion der alten Handelsstadt auf einer solchen wissenschaftlichen Grundlage aufbauen zu tonnen. Zur Vorbereitung von I.s, Imitation 6s 8t. ^uomo durchstöberte er ^ große Bibliothek seines gelehrten Freundes Maxime dn Camp, und vor der Ausarbeitung von Nouvarcl et xeouvlror liegt das Studium von 1500 Bünden. Und wie mit Flanbert, so war es auch mit den andern der Fall, mit Goncourt, «via, Nosuy usw., die ihr Geschäft mehr oder weniger gründlich betrieben. Wenn die Naturalisten dann genug gesehen und gelesen haben, wenn sie ^ Fächer mit Notizen nach der Wirklichkeit und Exzerpten aus den Büchern Mttllt haben, fangen sie an zu ordnen, gruppieren, was zusammengehört, in Wappen, legen Inhaltsverzeichnisse an und entwerfen den Plan des Werkes. ^ ist ganz wie mit einer wissenschaftlichen Arbeit: die Vorstudien find unendlich 'el weitläufiger als das Schreiben; hundert Seiten Notizen geben oft nur eine ^eile Text. Ein Romantiker, der einen Roman oder ein Drama schreiben wollte,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_240381/215>, abgerufen am 22.07.2024.