Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Zweites Vierteljahr.Maßgebliches und Zluniaßgel'liebes ein Ende macht. Nein, das wäre nicht geschehn. Der jüdische Optimismus hat Der Rabbi, dessen Schrift Stern herausgibt, ist Leon da Modena, so genannt, Illusionen moderner Kinder. Der Prozeß gegen das Blumemuedium Maßgebliches und Zluniaßgel'liebes ein Ende macht. Nein, das wäre nicht geschehn. Der jüdische Optimismus hat Der Rabbi, dessen Schrift Stern herausgibt, ist Leon da Modena, so genannt, Illusionen moderner Kinder. Der Prozeß gegen das Blumemuedium <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0119" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/240501"/> <fw type="header" place="top"> Maßgebliches und Zluniaßgel'liebes</fw><lb/> <p xml:id="ID_660" prev="#ID_659"> ein Ende macht. Nein, das wäre nicht geschehn. Der jüdische Optimismus hat<lb/> die Daseinsbedingungen des Erdenlebens nicht tief genug erkannt, und darum war<lb/> das Christentum nötig, das dieses glückselige Reich ins Jenseits verlegt. Dann<lb/> wirft er die zionistische Frage auf. Die beengenden Fesseln des Gesetzes sollen ein¬<lb/> mal fallen; die Religion soll dem Geiste Schwingen verleihn, sich über alle Kläglich¬<lb/> keiten des Daseins zu erheben. Vom Wege zu diesem Ziel sei das Judentum durch<lb/> die Entstehung des Christentums abgelenkt, sei gezwungen worden, sich hinter dem<lb/> Stachelzaun der Gesetzlichkeit zu verschanzen. (Kann man den Gang der Welt¬<lb/> geschichte ärger mißverstehn? Aber man sieht aus dieser Auffassung, daß die Juden<lb/> nußer ihrem Reichtum noch einen idealen Grund haben, sich über die andern Völker<lb/> erhaben zu dünken.) Und nun fragt er: „Ist das große Ziel leichter zu erreiche«,<lb/> wenn die Juden zerstreut uuter den Völkern oder auf eignem Boden in ihrem<lb/> eignen Staate leben? Man kann annehmen, daß es dem neuen jüdischen Staate<lb/> dielleicht so ginge wie dem frühern in Palästina. (Ganz gewiß würde es ihm so<lb/> gehn, auch wenn nicht, was Stern für wahrscheinlich hält, stärkere Völker über ihn<lb/> herfallen, weil der talmndisch geschulte jüdische Geist ein kritisch zersetzender, kein<lb/> erbauender und schaffender ist.) Man muß aber wieder zugeben, daß die Kraft<lb/> eines Volkes wächst, und daß es seiner Aufgabe besser gerecht werden kann, wenn<lb/> es einen eignen Staat bildet, als wenn es nur geduldet, vorurteilsvoll behandelt<lb/> wird, alle seine Bestrebungen falsch ausgelegt sieht, sich auf Schritt und Tritt gegen<lb/> giftige Verleumdungen verteidigen muß, sehr wenig Freunde und zahllose Feinde<lb/> hat und in allen Berufsarten als überflüssiger Konkurrent betrachtet wird. Ärger<lb/> könnte es nicht werden, wenn der jetzige Versuch, einen jüdischen Staat zu gründen,<lb/> mißlänge."</p><lb/> <p xml:id="ID_661"> Der Rabbi, dessen Schrift Stern herausgibt, ist Leon da Modena, so genannt,<lb/> weil seine Familie lauge in Modena gelebt hat. Er wurde 1571 in Venedig ge¬<lb/> boren, verdiente als angesehener Lehrer, Schriftsteller, Dichter, Korrektor, Notar,<lb/> Buchhändler ein schönes Geld, starb jedoch 1648 arm, weil er der Leidenschaft des<lb/> Spiels ergeben war, die er beklagte, für die er aber seine Planetenkonstellation<lb/> verantwortlich machte. Im Glauben an das mosaische Gesetz und die Propheten<lb/> hatte er niemals gewnukt, aber von der talmudischen Überlieferung und der Kasuistik<lb/> war er überzeugt, daß sie dem Geiste der Heilige» Schrift widersprächen. Seine<lb/> Glaubensgenossen zu diesem zurückzuführen, war seine Absicht, als er die Schrift:<lb/> Stimme des Toren (Koi sakhal) verfaßte. Er erwähnt die Reformation nicht, aber<lb/> Stern wird Recht haben mit der Vermutung, daß er durch sie angeregt worden<lb/> ist; er will dem Judentum denselben Dienst leisten, den die Reformatoren der<lb/> christlichen Kirche geleistet haben. Über die kasuistische Behandlung geschlechtlicher<lb/> Dinge im Talmud urteilt er genau so wie die heutigen Protestanten über die An¬<lb/> weisungen, die Liguori gibt. Die Leser erinnern sich wohl, daß vor einiger Zeit<lb/> el« Jurist in den Grenzboten die sogenannte Jesuitenmoral auf den Talmud zurück¬<lb/> geführt hat. — Druckfehler sind verzeihlich, aber so dick wie in dem folgenden<lb/> Vüchertitel (S. 2, Anm. 2) darf man sie sich nicht häufen lassen: Examen trg,-<lb/> ^itionis ffehlt das Kvmmaj suo inäoclita. ^iuociit^ ot xosruz jp^vns^ inooguita I^sorus<lb/> ^lutiuMsis opuscul» ooiriplotons sooMxIoLtoirsj.</p><lb/> </div> <div n="2"> <head> Illusionen moderner Kinder.</head> <p xml:id="ID_662" next="#ID_663"> Der Prozeß gegen das Blumemuedium<lb/> hat dem Vorwärts und einigen bürgerlichen Blättern, die auf derselben wissen¬<lb/> schaftlichen Höhe stehn, erwünschten Anlaß gegeben, wieder einmal zu predigen,<lb/> der Aberglaube könne uicht wirksam bekämpft werden, solange in der Schule statt<lb/> der Naturkausalität der kirchliche Wunderglaube, und statt der natürlichen die<lb/> "Mythische mosaische Schöpfungsgeschichte gelehrt werde. Schon vorher hatten einige<lb/> uberale Kinder, die deshalb von den altklugen sozialdemokratischen verspottet wurden,<lb/> d^e Hoffnung ausgesprochen, jetzt endlich, da der Kaiser zu Herrn Delitzsch in die<lb/> Schule gehe, werde der Tag anbrechen und die heißersehnte große Schulreform<lb/> bringen. Diese Kinder haben weder von der Natnrkausalität und den Naturwissen¬<lb/> schaften, «och von den Aufgaben der Schule, noch von der christlichen Religion</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0119]
Maßgebliches und Zluniaßgel'liebes
ein Ende macht. Nein, das wäre nicht geschehn. Der jüdische Optimismus hat
die Daseinsbedingungen des Erdenlebens nicht tief genug erkannt, und darum war
das Christentum nötig, das dieses glückselige Reich ins Jenseits verlegt. Dann
wirft er die zionistische Frage auf. Die beengenden Fesseln des Gesetzes sollen ein¬
mal fallen; die Religion soll dem Geiste Schwingen verleihn, sich über alle Kläglich¬
keiten des Daseins zu erheben. Vom Wege zu diesem Ziel sei das Judentum durch
die Entstehung des Christentums abgelenkt, sei gezwungen worden, sich hinter dem
Stachelzaun der Gesetzlichkeit zu verschanzen. (Kann man den Gang der Welt¬
geschichte ärger mißverstehn? Aber man sieht aus dieser Auffassung, daß die Juden
nußer ihrem Reichtum noch einen idealen Grund haben, sich über die andern Völker
erhaben zu dünken.) Und nun fragt er: „Ist das große Ziel leichter zu erreiche«,
wenn die Juden zerstreut uuter den Völkern oder auf eignem Boden in ihrem
eignen Staate leben? Man kann annehmen, daß es dem neuen jüdischen Staate
dielleicht so ginge wie dem frühern in Palästina. (Ganz gewiß würde es ihm so
gehn, auch wenn nicht, was Stern für wahrscheinlich hält, stärkere Völker über ihn
herfallen, weil der talmndisch geschulte jüdische Geist ein kritisch zersetzender, kein
erbauender und schaffender ist.) Man muß aber wieder zugeben, daß die Kraft
eines Volkes wächst, und daß es seiner Aufgabe besser gerecht werden kann, wenn
es einen eignen Staat bildet, als wenn es nur geduldet, vorurteilsvoll behandelt
wird, alle seine Bestrebungen falsch ausgelegt sieht, sich auf Schritt und Tritt gegen
giftige Verleumdungen verteidigen muß, sehr wenig Freunde und zahllose Feinde
hat und in allen Berufsarten als überflüssiger Konkurrent betrachtet wird. Ärger
könnte es nicht werden, wenn der jetzige Versuch, einen jüdischen Staat zu gründen,
mißlänge."
Der Rabbi, dessen Schrift Stern herausgibt, ist Leon da Modena, so genannt,
weil seine Familie lauge in Modena gelebt hat. Er wurde 1571 in Venedig ge¬
boren, verdiente als angesehener Lehrer, Schriftsteller, Dichter, Korrektor, Notar,
Buchhändler ein schönes Geld, starb jedoch 1648 arm, weil er der Leidenschaft des
Spiels ergeben war, die er beklagte, für die er aber seine Planetenkonstellation
verantwortlich machte. Im Glauben an das mosaische Gesetz und die Propheten
hatte er niemals gewnukt, aber von der talmudischen Überlieferung und der Kasuistik
war er überzeugt, daß sie dem Geiste der Heilige» Schrift widersprächen. Seine
Glaubensgenossen zu diesem zurückzuführen, war seine Absicht, als er die Schrift:
Stimme des Toren (Koi sakhal) verfaßte. Er erwähnt die Reformation nicht, aber
Stern wird Recht haben mit der Vermutung, daß er durch sie angeregt worden
ist; er will dem Judentum denselben Dienst leisten, den die Reformatoren der
christlichen Kirche geleistet haben. Über die kasuistische Behandlung geschlechtlicher
Dinge im Talmud urteilt er genau so wie die heutigen Protestanten über die An¬
weisungen, die Liguori gibt. Die Leser erinnern sich wohl, daß vor einiger Zeit
el« Jurist in den Grenzboten die sogenannte Jesuitenmoral auf den Talmud zurück¬
geführt hat. — Druckfehler sind verzeihlich, aber so dick wie in dem folgenden
Vüchertitel (S. 2, Anm. 2) darf man sie sich nicht häufen lassen: Examen trg,-
^itionis ffehlt das Kvmmaj suo inäoclita. ^iuociit^ ot xosruz jp^vns^ inooguita I^sorus
^lutiuMsis opuscul» ooiriplotons sooMxIoLtoirsj.
Illusionen moderner Kinder. Der Prozeß gegen das Blumemuedium
hat dem Vorwärts und einigen bürgerlichen Blättern, die auf derselben wissen¬
schaftlichen Höhe stehn, erwünschten Anlaß gegeben, wieder einmal zu predigen,
der Aberglaube könne uicht wirksam bekämpft werden, solange in der Schule statt
der Naturkausalität der kirchliche Wunderglaube, und statt der natürlichen die
"Mythische mosaische Schöpfungsgeschichte gelehrt werde. Schon vorher hatten einige
uberale Kinder, die deshalb von den altklugen sozialdemokratischen verspottet wurden,
d^e Hoffnung ausgesprochen, jetzt endlich, da der Kaiser zu Herrn Delitzsch in die
Schule gehe, werde der Tag anbrechen und die heißersehnte große Schulreform
bringen. Diese Kinder haben weder von der Natnrkausalität und den Naturwissen¬
schaften, «och von den Aufgaben der Schule, noch von der christlichen Religion
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