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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Zweites Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaszgeblichos

Rußland übermächtig sei, müsse Europa schweigend zusehen, wie das Volkstum der
baltischen Deutschen und der Finnen abgeschlachtet wird, und wie zwei wahrhaft
kultivierte und wahrhaft christliche Völkchen, die das Mark zu einer politischen Neu¬
bildung im barbarischen Osten abgeben konnten, in den ekeln Brei russischer Un¬
kultur eingestampft werden -- so ist das freilich eine Tatsache, die sich nicht ändern
läßt, aber eine der Unabänderlichkeiten, die einem das Herz abfressen. Und dabei bleibt
der Zweifel bestehn, ob eine solche Lage an sich unabänderlich sei, oder ob es nur an
einem leitenden Geiste fehlt, der, wenn er vorhanden wäre, die wahrhaft kultivierten
Völker Europas über ihre Interessen aufkläre" und ihren Willen zur Abwehr von
Barbareien einigen würde, die uuter dem Schirm der Souveränität verübt werden.

Einige Hefte der bei Duncker und Humblot erscheinenden Finnländischen
Rundschau, die uns zugegangen sind, haben uns zu dieser Betrachtung veranlaßt.
Die Zeitschrift enthält Aufsähe von allgemeinem Interesse und solche, die über finn-
ländisches Volkstum und über die Schicksale des Volks belehren. Selbstverständlich
nehmen die traurigen Schicksale der letzten Jahre einen breiten Raum ein. Unsre
Zeitungen haben keineswegs so ausführlich darüber berichtet, wie es die große
Vvlkstragödie verdient hätte. Wir empfehlen besonders den Bericht über die Reise
der ans 500 Finnländern bestehenden Deputation uach Se. Petersburg im März 1899
("Aus den Februar- und Märztagen des Schwarzen Jahres" von Z. Konrad im
4. Heft des Jahrgangs 1901). Beim Schlußakte des vergeblichen Versuchs wurde
eine Rede gehalten, die alle großer" deutschen Zeitungen hätten wörtlich abdrucken
sollen. Der finnlnndische Miuisterstaatssekretär Procvpe empfing die Abgesandten,
um ihnen den Bescheid des Kaisers mitzuteilen, daß er ihnen die nachgesuchte
Audienz nicht bewillige. Da trat, wie von den darauf Vorbereiteten verabredet
worden war, der Konsul Engen Wolfs vor und hielt eine erschütternde Ansprache,
aus der wir nur folgende Stelle mitteilen. "Der Frost hat unzähligemal unsre
kargen Felder verheert, aber wir haben demütig diese Prüfungen ertragen, uns
gegenseitig unterstützend und der Zukunft vertrauend; dem, immer ist irgend einer
von uns von diesen Verheerungen verschont geblieben. Eine solche Frostnacht wie
den 15. Februar San dem der Zar das "Staatsstreichmanifest" unterzeichnetes hat
Finnlands Volk nie zuvor erlebt. Mit einem Federstrich ist damals das Kostbarste
vernichtet worden, was wir besessen haben, und das wir gehofft hatten, unsern
Kindern unvermindert, wenn nicht vermehrt, zu hinterlassen. Hier steht keiner un¬
berührt. Hoch und Niedrig, Arm und Reich, alle werden wir in gleichem Maße
getroffen von dieser Heimsuchung. Wir können ihre Folgen gnr nicht absehen: der
Gedanke bebt zurück vor der Aussicht, die sie eröffnet. Unsre Kinder, denen wir
ein sittliches Ideal, höher, besser als das unsrige, als Erbe zu hinterlassen wünschten,
werden vielleicht, wenn sie die Grundpfeiler unsers politischen Daseins wanken sehen,
eine Schar von Heuchlern werden, mit Falschheit im Herzen. Der Ruf des finnlän¬
dischen Volks wegen seiner Treue und Redlichkeit wird vielleicht zu einer ver-
klungnen Sage." Gewiß wird es so kommen! Der Despotismus, von dem un¬
berührt zu leben die Finnländer bis dahin das Glück genossen hatten, erzieht ver¬
logne Sklaven und tückische Verschwörer, Die Finnen sind keine Germanen, aber
sie haben alle germanischen Tugenden erworben -- mit Hilfe des evangelischen
Christentums und einer ans diesem hervorgegnugucu Volkserziehung, deren Geschichte
im ersten vorjährigen Hefte der Zeitschrift erzählt wird. Der Volksunterricht steht
auf der Höhe des skandinavischen; merkwürdig, wie er gerade in den Ländern am
tiefsten gegangen ist, wo er die größten geographischen Hindernisse zu überwinden
hatte! Die äußerlichen Veranstaltungen sind infolge dieser Hindernisse in Finnland
auch hinte noch sehr unvollkommen; das beste muß das Hans, müssen die Eltern
tun. Also die Finnen sind dank ihrem evangelischen Christentum Deutsche geworden
in Gesinnung, Bildung und Sitte. Damit ist es nun vorbei, wenn nicht Ereignisse
eintreten, die dem Walten des zarischen Despotismus Einhalt tun.


Zwei Rabbiner über den Talmud,

Für einen, dem weder philosemitische
noch antisemitische Leidenschaft den Blick trübt, bleibt das Judentum eine in sihlo-


Maßgebliches und Unmaszgeblichos

Rußland übermächtig sei, müsse Europa schweigend zusehen, wie das Volkstum der
baltischen Deutschen und der Finnen abgeschlachtet wird, und wie zwei wahrhaft
kultivierte und wahrhaft christliche Völkchen, die das Mark zu einer politischen Neu¬
bildung im barbarischen Osten abgeben konnten, in den ekeln Brei russischer Un¬
kultur eingestampft werden — so ist das freilich eine Tatsache, die sich nicht ändern
läßt, aber eine der Unabänderlichkeiten, die einem das Herz abfressen. Und dabei bleibt
der Zweifel bestehn, ob eine solche Lage an sich unabänderlich sei, oder ob es nur an
einem leitenden Geiste fehlt, der, wenn er vorhanden wäre, die wahrhaft kultivierten
Völker Europas über ihre Interessen aufkläre» und ihren Willen zur Abwehr von
Barbareien einigen würde, die uuter dem Schirm der Souveränität verübt werden.

Einige Hefte der bei Duncker und Humblot erscheinenden Finnländischen
Rundschau, die uns zugegangen sind, haben uns zu dieser Betrachtung veranlaßt.
Die Zeitschrift enthält Aufsähe von allgemeinem Interesse und solche, die über finn-
ländisches Volkstum und über die Schicksale des Volks belehren. Selbstverständlich
nehmen die traurigen Schicksale der letzten Jahre einen breiten Raum ein. Unsre
Zeitungen haben keineswegs so ausführlich darüber berichtet, wie es die große
Vvlkstragödie verdient hätte. Wir empfehlen besonders den Bericht über die Reise
der ans 500 Finnländern bestehenden Deputation uach Se. Petersburg im März 1899
(„Aus den Februar- und Märztagen des Schwarzen Jahres" von Z. Konrad im
4. Heft des Jahrgangs 1901). Beim Schlußakte des vergeblichen Versuchs wurde
eine Rede gehalten, die alle großer» deutschen Zeitungen hätten wörtlich abdrucken
sollen. Der finnlnndische Miuisterstaatssekretär Procvpe empfing die Abgesandten,
um ihnen den Bescheid des Kaisers mitzuteilen, daß er ihnen die nachgesuchte
Audienz nicht bewillige. Da trat, wie von den darauf Vorbereiteten verabredet
worden war, der Konsul Engen Wolfs vor und hielt eine erschütternde Ansprache,
aus der wir nur folgende Stelle mitteilen. „Der Frost hat unzähligemal unsre
kargen Felder verheert, aber wir haben demütig diese Prüfungen ertragen, uns
gegenseitig unterstützend und der Zukunft vertrauend; dem, immer ist irgend einer
von uns von diesen Verheerungen verschont geblieben. Eine solche Frostnacht wie
den 15. Februar San dem der Zar das »Staatsstreichmanifest« unterzeichnetes hat
Finnlands Volk nie zuvor erlebt. Mit einem Federstrich ist damals das Kostbarste
vernichtet worden, was wir besessen haben, und das wir gehofft hatten, unsern
Kindern unvermindert, wenn nicht vermehrt, zu hinterlassen. Hier steht keiner un¬
berührt. Hoch und Niedrig, Arm und Reich, alle werden wir in gleichem Maße
getroffen von dieser Heimsuchung. Wir können ihre Folgen gnr nicht absehen: der
Gedanke bebt zurück vor der Aussicht, die sie eröffnet. Unsre Kinder, denen wir
ein sittliches Ideal, höher, besser als das unsrige, als Erbe zu hinterlassen wünschten,
werden vielleicht, wenn sie die Grundpfeiler unsers politischen Daseins wanken sehen,
eine Schar von Heuchlern werden, mit Falschheit im Herzen. Der Ruf des finnlän¬
dischen Volks wegen seiner Treue und Redlichkeit wird vielleicht zu einer ver-
klungnen Sage." Gewiß wird es so kommen! Der Despotismus, von dem un¬
berührt zu leben die Finnländer bis dahin das Glück genossen hatten, erzieht ver¬
logne Sklaven und tückische Verschwörer, Die Finnen sind keine Germanen, aber
sie haben alle germanischen Tugenden erworben — mit Hilfe des evangelischen
Christentums und einer ans diesem hervorgegnugucu Volkserziehung, deren Geschichte
im ersten vorjährigen Hefte der Zeitschrift erzählt wird. Der Volksunterricht steht
auf der Höhe des skandinavischen; merkwürdig, wie er gerade in den Ländern am
tiefsten gegangen ist, wo er die größten geographischen Hindernisse zu überwinden
hatte! Die äußerlichen Veranstaltungen sind infolge dieser Hindernisse in Finnland
auch hinte noch sehr unvollkommen; das beste muß das Hans, müssen die Eltern
tun. Also die Finnen sind dank ihrem evangelischen Christentum Deutsche geworden
in Gesinnung, Bildung und Sitte. Damit ist es nun vorbei, wenn nicht Ereignisse
eintreten, die dem Walten des zarischen Despotismus Einhalt tun.


Zwei Rabbiner über den Talmud,

Für einen, dem weder philosemitische
noch antisemitische Leidenschaft den Blick trübt, bleibt das Judentum eine in sihlo-


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[0117] Maßgebliches und Unmaszgeblichos Rußland übermächtig sei, müsse Europa schweigend zusehen, wie das Volkstum der baltischen Deutschen und der Finnen abgeschlachtet wird, und wie zwei wahrhaft kultivierte und wahrhaft christliche Völkchen, die das Mark zu einer politischen Neu¬ bildung im barbarischen Osten abgeben konnten, in den ekeln Brei russischer Un¬ kultur eingestampft werden — so ist das freilich eine Tatsache, die sich nicht ändern läßt, aber eine der Unabänderlichkeiten, die einem das Herz abfressen. Und dabei bleibt der Zweifel bestehn, ob eine solche Lage an sich unabänderlich sei, oder ob es nur an einem leitenden Geiste fehlt, der, wenn er vorhanden wäre, die wahrhaft kultivierten Völker Europas über ihre Interessen aufkläre» und ihren Willen zur Abwehr von Barbareien einigen würde, die uuter dem Schirm der Souveränität verübt werden. Einige Hefte der bei Duncker und Humblot erscheinenden Finnländischen Rundschau, die uns zugegangen sind, haben uns zu dieser Betrachtung veranlaßt. Die Zeitschrift enthält Aufsähe von allgemeinem Interesse und solche, die über finn- ländisches Volkstum und über die Schicksale des Volks belehren. Selbstverständlich nehmen die traurigen Schicksale der letzten Jahre einen breiten Raum ein. Unsre Zeitungen haben keineswegs so ausführlich darüber berichtet, wie es die große Vvlkstragödie verdient hätte. Wir empfehlen besonders den Bericht über die Reise der ans 500 Finnländern bestehenden Deputation uach Se. Petersburg im März 1899 („Aus den Februar- und Märztagen des Schwarzen Jahres" von Z. Konrad im 4. Heft des Jahrgangs 1901). Beim Schlußakte des vergeblichen Versuchs wurde eine Rede gehalten, die alle großer» deutschen Zeitungen hätten wörtlich abdrucken sollen. Der finnlnndische Miuisterstaatssekretär Procvpe empfing die Abgesandten, um ihnen den Bescheid des Kaisers mitzuteilen, daß er ihnen die nachgesuchte Audienz nicht bewillige. Da trat, wie von den darauf Vorbereiteten verabredet worden war, der Konsul Engen Wolfs vor und hielt eine erschütternde Ansprache, aus der wir nur folgende Stelle mitteilen. „Der Frost hat unzähligemal unsre kargen Felder verheert, aber wir haben demütig diese Prüfungen ertragen, uns gegenseitig unterstützend und der Zukunft vertrauend; dem, immer ist irgend einer von uns von diesen Verheerungen verschont geblieben. Eine solche Frostnacht wie den 15. Februar San dem der Zar das »Staatsstreichmanifest« unterzeichnetes hat Finnlands Volk nie zuvor erlebt. Mit einem Federstrich ist damals das Kostbarste vernichtet worden, was wir besessen haben, und das wir gehofft hatten, unsern Kindern unvermindert, wenn nicht vermehrt, zu hinterlassen. Hier steht keiner un¬ berührt. Hoch und Niedrig, Arm und Reich, alle werden wir in gleichem Maße getroffen von dieser Heimsuchung. Wir können ihre Folgen gnr nicht absehen: der Gedanke bebt zurück vor der Aussicht, die sie eröffnet. Unsre Kinder, denen wir ein sittliches Ideal, höher, besser als das unsrige, als Erbe zu hinterlassen wünschten, werden vielleicht, wenn sie die Grundpfeiler unsers politischen Daseins wanken sehen, eine Schar von Heuchlern werden, mit Falschheit im Herzen. Der Ruf des finnlän¬ dischen Volks wegen seiner Treue und Redlichkeit wird vielleicht zu einer ver- klungnen Sage." Gewiß wird es so kommen! Der Despotismus, von dem un¬ berührt zu leben die Finnländer bis dahin das Glück genossen hatten, erzieht ver¬ logne Sklaven und tückische Verschwörer, Die Finnen sind keine Germanen, aber sie haben alle germanischen Tugenden erworben — mit Hilfe des evangelischen Christentums und einer ans diesem hervorgegnugucu Volkserziehung, deren Geschichte im ersten vorjährigen Hefte der Zeitschrift erzählt wird. Der Volksunterricht steht auf der Höhe des skandinavischen; merkwürdig, wie er gerade in den Ländern am tiefsten gegangen ist, wo er die größten geographischen Hindernisse zu überwinden hatte! Die äußerlichen Veranstaltungen sind infolge dieser Hindernisse in Finnland auch hinte noch sehr unvollkommen; das beste muß das Hans, müssen die Eltern tun. Also die Finnen sind dank ihrem evangelischen Christentum Deutsche geworden in Gesinnung, Bildung und Sitte. Damit ist es nun vorbei, wenn nicht Ereignisse eintreten, die dem Walten des zarischen Despotismus Einhalt tun. Zwei Rabbiner über den Talmud, Für einen, dem weder philosemitische noch antisemitische Leidenschaft den Blick trübt, bleibt das Judentum eine in sihlo-

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Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_240381/117>, abgerufen am 02.10.2024.