Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Zweites Vierteljahr.Das wundertätige Schlangenkraut in Mythen, Sagen und Märchen Kriege zusammen im Felde gestanden hatten, tauschten zuerst an den Erinnerungs- So ist es denn neben den Eindrücken der schönen Natur eines der an¬ Das wundertätige Schlangenkraut in Mythen, 5>ager und Märchen lie Lebensbedingungen aller Menschen sind im wesentlichen gleich. Die Phantasie der Völker hat sich kaum mit einem andern Tiere so lebhaft Das wundertätige Schlangenkraut in Mythen, Sagen und Märchen Kriege zusammen im Felde gestanden hatten, tauschten zuerst an den Erinnerungs- So ist es denn neben den Eindrücken der schönen Natur eines der an¬ Das wundertätige Schlangenkraut in Mythen, 5>ager und Märchen lie Lebensbedingungen aller Menschen sind im wesentlichen gleich. Die Phantasie der Völker hat sich kaum mit einem andern Tiere so lebhaft <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0103" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/240485"/> <fw type="header" place="top"> Das wundertätige Schlangenkraut in Mythen, Sagen und Märchen</fw><lb/> <p xml:id="ID_521" prev="#ID_520"> Kriege zusammen im Felde gestanden hatten, tauschten zuerst an den Erinnerungs-<lb/> tageu gegenseitig Besuche aus, und daraus hat sich in verhältnismäßig kurzer<lb/> Zeit das jetzt bestehende gute freundnachbarliche Verhältnis entwickelt. Das<lb/> zeigt sich z, V. auch darin, daß, während früher die Burg Hohenzollern von<lb/> Württemberg aus eher gemieden wurde, sie nunmehr gerade von dort sehr<lb/> zahlreich besucht wird.</p><lb/> <p xml:id="ID_522"> So ist es denn neben den Eindrücken der schönen Natur eines der an¬<lb/> genehmsten Ergebnisse, die man von solchen schwäbischen Wanderungen mit¬<lb/> bringt, daß man dabei beobachten kann, wie sogar in kleinen abgelegnen Orten<lb/> der nationale Gedanke, das Gefühl und das Verständnis für die Gemeinsamkeit<lb/> der Interessen kräftig Wurzel geschlagen haben, und wir so trotz der politischen<lb/> Fehler vieler Jahrhunderte doch auf dem Wege sind, dnrch das neue Reich<lb/> eine wirkliche Nation, ein großes, einiges Volk zu werden.</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> </div> <div n="1"> <head> Das wundertätige Schlangenkraut in Mythen, 5>ager<lb/> und Märchen</head><lb/> <p xml:id="ID_523"> lie Lebensbedingungen aller Menschen sind im wesentlichen gleich.<lb/> Jahrtausende, Abstammung und klimatische Einflüsse könne» Wohl<lb/> Sitten und Anschauungen, aber niemals die Grundbedingungen<lb/> ändern, unter denen sich das Leben abspielt. Die Triebe, die in<lb/> den Menschen gelegt sind, bleiben dieselben ebenso wie die Tätigkeit<lb/> iber Phantasie. Liebe und Haß und alle Regungen der Seele sind<lb/> noch heute das treibende Element im Leben der Menschen wie vor Tausenden von<lb/> Jahren und zeugen laut von der Einheit des Menschengeschlechts. Alle diese Re¬<lb/> gungen finden ihr treues Abbild in Mythen, Sagen, Märchen und in jeder Rich¬<lb/> tung der Poesie. Die Phantasie der Völker ist die frische Quelle, der dieser Schatz<lb/> entströmt, darum finden wir trotz der Verschiedenheit des Himmelsstrichs und der<lb/> Zeiten bei verschiedne» Völkern merkwürdig ähnliche Gebilde, und doch sind sie,<lb/> obwohl durch Ort und Zeit getrennt, aus eigner Kraft emporgewachsen; die Phan¬<lb/> tasie war ihre Mutter, unter derselben Sonne gediehn sie, verlockend schön oder<lb/> einfach, düster und wild oder heiter und lieblich. An der Wahrheit dieses Satzes<lb/> wird nichts geändert, wenn man auch zugeben muß, daß einzelne Züge in den<lb/> Mythen, Sagen und Märchen als gemeinsames Erbgut mit den Völkern aus ihren<lb/> Stammsitzen in alle Welt hinaus wanderten, dann verschwanden und zuweilen erst<lb/> wich Jahrhunderten wieder auftauchten, gefärbt nach dem Boden, ans dem sie<lb/> Wurzel schlugen.</p><lb/> <p xml:id="ID_524" next="#ID_525"> Die Phantasie der Völker hat sich kaum mit einem andern Tiere so lebhaft<lb/> beschäftigt wie mit der Schlange. Fast alle Völker sahen in ihr das Bild eines<lb/> rätselhaften und geheimnisvollen Geschöpfes, die Verkörperung eines dämonischen<lb/> und unheimlichen Wesens. Deshalb war der Volksglaube von jeher bemüht, die<lb/> Schrecken und die Wunder ihrer Erscheinung ins ungemessene auszuschmücken. Bei<lb/> den alten Griechen stellten die Schlangen ursprünglich unterirdische Gottheiten dar.<lb/> Später sah man in ihnen die Seelen der abgeschicdnen Heroen und glaubte, daß<lb/> die Toten durch ihre Verwandlung in Schlangengestalt zu den Seligen entrückt<lb/> würden. So wurden Kadmos und Harmonia, nachdem sie in Jllyrien Herrscher<lb/> geworden waren, zuletzt von Zeus in Schlangen verwandelt und uach dem Elysion</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0103]
Das wundertätige Schlangenkraut in Mythen, Sagen und Märchen
Kriege zusammen im Felde gestanden hatten, tauschten zuerst an den Erinnerungs-
tageu gegenseitig Besuche aus, und daraus hat sich in verhältnismäßig kurzer
Zeit das jetzt bestehende gute freundnachbarliche Verhältnis entwickelt. Das
zeigt sich z, V. auch darin, daß, während früher die Burg Hohenzollern von
Württemberg aus eher gemieden wurde, sie nunmehr gerade von dort sehr
zahlreich besucht wird.
So ist es denn neben den Eindrücken der schönen Natur eines der an¬
genehmsten Ergebnisse, die man von solchen schwäbischen Wanderungen mit¬
bringt, daß man dabei beobachten kann, wie sogar in kleinen abgelegnen Orten
der nationale Gedanke, das Gefühl und das Verständnis für die Gemeinsamkeit
der Interessen kräftig Wurzel geschlagen haben, und wir so trotz der politischen
Fehler vieler Jahrhunderte doch auf dem Wege sind, dnrch das neue Reich
eine wirkliche Nation, ein großes, einiges Volk zu werden.
Das wundertätige Schlangenkraut in Mythen, 5>ager
und Märchen
lie Lebensbedingungen aller Menschen sind im wesentlichen gleich.
Jahrtausende, Abstammung und klimatische Einflüsse könne» Wohl
Sitten und Anschauungen, aber niemals die Grundbedingungen
ändern, unter denen sich das Leben abspielt. Die Triebe, die in
den Menschen gelegt sind, bleiben dieselben ebenso wie die Tätigkeit
iber Phantasie. Liebe und Haß und alle Regungen der Seele sind
noch heute das treibende Element im Leben der Menschen wie vor Tausenden von
Jahren und zeugen laut von der Einheit des Menschengeschlechts. Alle diese Re¬
gungen finden ihr treues Abbild in Mythen, Sagen, Märchen und in jeder Rich¬
tung der Poesie. Die Phantasie der Völker ist die frische Quelle, der dieser Schatz
entströmt, darum finden wir trotz der Verschiedenheit des Himmelsstrichs und der
Zeiten bei verschiedne» Völkern merkwürdig ähnliche Gebilde, und doch sind sie,
obwohl durch Ort und Zeit getrennt, aus eigner Kraft emporgewachsen; die Phan¬
tasie war ihre Mutter, unter derselben Sonne gediehn sie, verlockend schön oder
einfach, düster und wild oder heiter und lieblich. An der Wahrheit dieses Satzes
wird nichts geändert, wenn man auch zugeben muß, daß einzelne Züge in den
Mythen, Sagen und Märchen als gemeinsames Erbgut mit den Völkern aus ihren
Stammsitzen in alle Welt hinaus wanderten, dann verschwanden und zuweilen erst
wich Jahrhunderten wieder auftauchten, gefärbt nach dem Boden, ans dem sie
Wurzel schlugen.
Die Phantasie der Völker hat sich kaum mit einem andern Tiere so lebhaft
beschäftigt wie mit der Schlange. Fast alle Völker sahen in ihr das Bild eines
rätselhaften und geheimnisvollen Geschöpfes, die Verkörperung eines dämonischen
und unheimlichen Wesens. Deshalb war der Volksglaube von jeher bemüht, die
Schrecken und die Wunder ihrer Erscheinung ins ungemessene auszuschmücken. Bei
den alten Griechen stellten die Schlangen ursprünglich unterirdische Gottheiten dar.
Später sah man in ihnen die Seelen der abgeschicdnen Heroen und glaubte, daß
die Toten durch ihre Verwandlung in Schlangengestalt zu den Seligen entrückt
würden. So wurden Kadmos und Harmonia, nachdem sie in Jllyrien Herrscher
geworden waren, zuletzt von Zeus in Schlangen verwandelt und uach dem Elysion
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