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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Erstes Vierteljahr.

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Auf Befehl des Zaren

Auf Befehl des Zaren siedelten sich die Einwohner des zerstörten Nhenschanz
in der neuen Stadt an, trafen Kaufleute aus Moshaisk und Kaluga ein, die
genan nach der ihnen erteilten Vorschrift Läden errichteten oder Großhandels¬
verbindungen mit dem Auslande anknüpften. Bei dem Tode des Gründers
in, Jahre 1725 hatte die Stadt schon etwa 75000 Einwohner; sie hat ihre
Bewohnerzahl seitdem verzwanzigfacht.

Der Handel von Archangel, wo die Vorgänger Peters die sie vom Aus¬
lande trennenden Schranken durchbrochen und sich ein Luftloch uach dem be¬
freienden Ozean geschaffen hatten, verlor seine Vergünstigungen und mußte sich
für den der neuen Zarenstadt opfern. Die Einzugsstraße, die Peter der euro¬
päischen Kultur öffnete, war mit vernichteten Existenzen und zerstörten Glück
gepflastert.

Das Merkwürdigste an der jungen Hauptstadt der neuen Großmacht war,
daß sie auf schwedischen Boden emporwuchs -- der allerdings vor Zeiten zu
Rußland gehört hatte und im Jahre 1240 der Schauplatz des glorreichen
Sieges des Großfürsten Alexander von Nowgorod über ein Schwedenhecr unter
Jarl Virger gewesen war. Noch waren nicht drei Jahre seit der schweren
Niederlage der Nüssen bei Narwa verflossen, noch stand Karl XII. mit einem
mächtigen Heere furchtbarer als je im Felde und erfocht über die Verbündeten
Peters einen Sieg nach dem andern. Der Zar muß eine außerordentliche
Menschenkenntnis, einen unbeirrbaren staatsmännischen Weitblick gehabt haben,
wenn er schon damals darauf rechnen konnte, diese Nächtigen Küstengebiete
gegen einen Gegner wie den Schwedenkönig zu behaupten. Die Große des
Unternehmens wurde nur von seiner Kühnheit übertroffen. Peter handelte
mit dem verzweifelten Wagemut des altrömischen Feldherrn, der den Adler
mitten in den dichtesten Schwarm der Feinde warf und seine Legionare dadurch
zwang, sich ihr Eigentum als Siegesbeute zu erkämpfen. Air dieser durch
Gustav Adolfs Feuergeist für Schweden gewonnenen Meeresküste gab er das
Sammelsignal für alle Söhne Rußlands, und er wußte, daß er auf sie zählen
konnte. Das in den Feind geschleuderte Feldzeichen ist nicht wieder verlassen
worden.

Ebenso schwierig wie die Behauptung der neuen Stadtgründnng nach
außen war ihr innerer Ausbau. Der Zar war allgegenwärtig. Er entwarf
in seinem schlichten zweizimmrigen Holzhänschen neben der Peter-Pauls-
Festung eigenhändig die Pläne zu allen öffentlichen Gebäuden. Er fuhr den
ersten Handelsschiffen entgegen, lotste sie in den Hafen, beschenkte die Kapitäne
mit kaiserlicher Freigebigkeit und -- betrank sich in ihrer Gesellschaft mit echt
sarmatischer Unmäßigkeit. Er überwachte die Anlage der Werften, den Bau
von Landstraßen nach schwedischein Muster, das Einrammen der Pfähle in
den Moorboden und schlug die Arbeiter, wen" sie ihm lässig schienen, mit
der Faust oder dem Stock blutig. Die Mittel zur Fortführung der begonnenen
Arbeiten schöpfte er zum Teil aus höchst zweifelhaften Finanzoperationen.
Die Zölle mußten in deutschen Spcziestalern erlegt werden. Diese nahm
Peter nur zu 50 Kopeken an, obwohl sie etwa 90 Kopeken Metallwert hatten.
In der Münze wurden uns jedem Spezicstaler mit Einschluß der Legierung


Auf Befehl des Zaren

Auf Befehl des Zaren siedelten sich die Einwohner des zerstörten Nhenschanz
in der neuen Stadt an, trafen Kaufleute aus Moshaisk und Kaluga ein, die
genan nach der ihnen erteilten Vorschrift Läden errichteten oder Großhandels¬
verbindungen mit dem Auslande anknüpften. Bei dem Tode des Gründers
in, Jahre 1725 hatte die Stadt schon etwa 75000 Einwohner; sie hat ihre
Bewohnerzahl seitdem verzwanzigfacht.

Der Handel von Archangel, wo die Vorgänger Peters die sie vom Aus¬
lande trennenden Schranken durchbrochen und sich ein Luftloch uach dem be¬
freienden Ozean geschaffen hatten, verlor seine Vergünstigungen und mußte sich
für den der neuen Zarenstadt opfern. Die Einzugsstraße, die Peter der euro¬
päischen Kultur öffnete, war mit vernichteten Existenzen und zerstörten Glück
gepflastert.

Das Merkwürdigste an der jungen Hauptstadt der neuen Großmacht war,
daß sie auf schwedischen Boden emporwuchs — der allerdings vor Zeiten zu
Rußland gehört hatte und im Jahre 1240 der Schauplatz des glorreichen
Sieges des Großfürsten Alexander von Nowgorod über ein Schwedenhecr unter
Jarl Virger gewesen war. Noch waren nicht drei Jahre seit der schweren
Niederlage der Nüssen bei Narwa verflossen, noch stand Karl XII. mit einem
mächtigen Heere furchtbarer als je im Felde und erfocht über die Verbündeten
Peters einen Sieg nach dem andern. Der Zar muß eine außerordentliche
Menschenkenntnis, einen unbeirrbaren staatsmännischen Weitblick gehabt haben,
wenn er schon damals darauf rechnen konnte, diese Nächtigen Küstengebiete
gegen einen Gegner wie den Schwedenkönig zu behaupten. Die Große des
Unternehmens wurde nur von seiner Kühnheit übertroffen. Peter handelte
mit dem verzweifelten Wagemut des altrömischen Feldherrn, der den Adler
mitten in den dichtesten Schwarm der Feinde warf und seine Legionare dadurch
zwang, sich ihr Eigentum als Siegesbeute zu erkämpfen. Air dieser durch
Gustav Adolfs Feuergeist für Schweden gewonnenen Meeresküste gab er das
Sammelsignal für alle Söhne Rußlands, und er wußte, daß er auf sie zählen
konnte. Das in den Feind geschleuderte Feldzeichen ist nicht wieder verlassen
worden.

Ebenso schwierig wie die Behauptung der neuen Stadtgründnng nach
außen war ihr innerer Ausbau. Der Zar war allgegenwärtig. Er entwarf
in seinem schlichten zweizimmrigen Holzhänschen neben der Peter-Pauls-
Festung eigenhändig die Pläne zu allen öffentlichen Gebäuden. Er fuhr den
ersten Handelsschiffen entgegen, lotste sie in den Hafen, beschenkte die Kapitäne
mit kaiserlicher Freigebigkeit und — betrank sich in ihrer Gesellschaft mit echt
sarmatischer Unmäßigkeit. Er überwachte die Anlage der Werften, den Bau
von Landstraßen nach schwedischein Muster, das Einrammen der Pfähle in
den Moorboden und schlug die Arbeiter, wen» sie ihm lässig schienen, mit
der Faust oder dem Stock blutig. Die Mittel zur Fortführung der begonnenen
Arbeiten schöpfte er zum Teil aus höchst zweifelhaften Finanzoperationen.
Die Zölle mußten in deutschen Spcziestalern erlegt werden. Diese nahm
Peter nur zu 50 Kopeken an, obwohl sie etwa 90 Kopeken Metallwert hatten.
In der Münze wurden uns jedem Spezicstaler mit Einschluß der Legierung


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[0096] Auf Befehl des Zaren Auf Befehl des Zaren siedelten sich die Einwohner des zerstörten Nhenschanz in der neuen Stadt an, trafen Kaufleute aus Moshaisk und Kaluga ein, die genan nach der ihnen erteilten Vorschrift Läden errichteten oder Großhandels¬ verbindungen mit dem Auslande anknüpften. Bei dem Tode des Gründers in, Jahre 1725 hatte die Stadt schon etwa 75000 Einwohner; sie hat ihre Bewohnerzahl seitdem verzwanzigfacht. Der Handel von Archangel, wo die Vorgänger Peters die sie vom Aus¬ lande trennenden Schranken durchbrochen und sich ein Luftloch uach dem be¬ freienden Ozean geschaffen hatten, verlor seine Vergünstigungen und mußte sich für den der neuen Zarenstadt opfern. Die Einzugsstraße, die Peter der euro¬ päischen Kultur öffnete, war mit vernichteten Existenzen und zerstörten Glück gepflastert. Das Merkwürdigste an der jungen Hauptstadt der neuen Großmacht war, daß sie auf schwedischen Boden emporwuchs — der allerdings vor Zeiten zu Rußland gehört hatte und im Jahre 1240 der Schauplatz des glorreichen Sieges des Großfürsten Alexander von Nowgorod über ein Schwedenhecr unter Jarl Virger gewesen war. Noch waren nicht drei Jahre seit der schweren Niederlage der Nüssen bei Narwa verflossen, noch stand Karl XII. mit einem mächtigen Heere furchtbarer als je im Felde und erfocht über die Verbündeten Peters einen Sieg nach dem andern. Der Zar muß eine außerordentliche Menschenkenntnis, einen unbeirrbaren staatsmännischen Weitblick gehabt haben, wenn er schon damals darauf rechnen konnte, diese Nächtigen Küstengebiete gegen einen Gegner wie den Schwedenkönig zu behaupten. Die Große des Unternehmens wurde nur von seiner Kühnheit übertroffen. Peter handelte mit dem verzweifelten Wagemut des altrömischen Feldherrn, der den Adler mitten in den dichtesten Schwarm der Feinde warf und seine Legionare dadurch zwang, sich ihr Eigentum als Siegesbeute zu erkämpfen. Air dieser durch Gustav Adolfs Feuergeist für Schweden gewonnenen Meeresküste gab er das Sammelsignal für alle Söhne Rußlands, und er wußte, daß er auf sie zählen konnte. Das in den Feind geschleuderte Feldzeichen ist nicht wieder verlassen worden. Ebenso schwierig wie die Behauptung der neuen Stadtgründnng nach außen war ihr innerer Ausbau. Der Zar war allgegenwärtig. Er entwarf in seinem schlichten zweizimmrigen Holzhänschen neben der Peter-Pauls- Festung eigenhändig die Pläne zu allen öffentlichen Gebäuden. Er fuhr den ersten Handelsschiffen entgegen, lotste sie in den Hafen, beschenkte die Kapitäne mit kaiserlicher Freigebigkeit und — betrank sich in ihrer Gesellschaft mit echt sarmatischer Unmäßigkeit. Er überwachte die Anlage der Werften, den Bau von Landstraßen nach schwedischein Muster, das Einrammen der Pfähle in den Moorboden und schlug die Arbeiter, wen» sie ihm lässig schienen, mit der Faust oder dem Stock blutig. Die Mittel zur Fortführung der begonnenen Arbeiten schöpfte er zum Teil aus höchst zweifelhaften Finanzoperationen. Die Zölle mußten in deutschen Spcziestalern erlegt werden. Diese nahm Peter nur zu 50 Kopeken an, obwohl sie etwa 90 Kopeken Metallwert hatten. In der Münze wurden uns jedem Spezicstaler mit Einschluß der Legierung

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_239555/96>, abgerufen am 24.11.2024.