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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Erstes Vierteljahr.

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Die preußisch-italienische Allianz von ^366

Zum erstenmal hatte Bismarck wegen eines Bündnisses mit Italien im August
1865 angeklopft, und es scheint, daß Lamarmora damals wirklich mit beiden
Händen zugreifen wollte. In diesem Augenblick, wo der Bruch wegen der Elb-
herzogtümer unvermeidlich schien, schloß Preußen die Gasteiner Konvention, und
für die italienischen Staatsmänner war dies eine Enttäuschung, die sie aufs
äußerste verstimmte und von da an vorsichtig, zurückhaltend, mißtrauisch machte.
Wer konnte glauben, daß man in Berlin ernstlich den Krieg wollte? Mußte
man nicht besorgt sein, daß Preußen, wenn es sich jetzt wieder an Italien wandte,
seinerseits das Bündnis bloß dazu benutzen würde, eine" Druck auf Öster¬
reich auszuüben, der ihm den Besitz der Herzogtümer ohne Krieg verschaffte?
Wer bürgte dafür, daß es dann den Verbündeten nicht preisgab und allein
der Rache seines Feindes überließ? Es gab nur eine Bürgschaft für seinen
ernstlichen und ehrlichen Willen, wenn es sich nämlich verbindlich machte, sofort
loszuschlagen. Mit solchen zwiespältigen Gedanken ließ sich Lamarmora in die
Verhandlungen mit Preußen ein, und solche zwiespältige Gedanken gab er anch
seinem Abgesandten mit auf den Weg nach Berlin.

Govone traf am 14. März in der preußischen Hauptstadt ein, und das
erste, was er erfuhr, war, daß durch eine Indiskretion seine Ankunft, die ein
Geheimnis sein sollte, schon im voraus in die Öffentlichkeit gebracht worden
war. Schon hierin sah er eine Bestätigung seines Argwohns. Wenn die
Ankunft eines italienischen Unterhändlers sofort an die große Glocke gehängt
wurde, konnte das einen andern Zweck haben, als Österreich einzuschüchtern
und mürbe zu machen? Die Unterredung, die er noch an demselben Tage
mit Bisimrrck hatte, warf ihm vollends sein Konzept über den Haufen. Er
kam in der Absicht, Verabredungen über einen sofort zu eröffnenden Feldzug
zu treffen, und er mußte nun erfahren, daß die Dinge in Berlin noch lange
nicht bis zu diesem Punkte gediehen waren. Bismarck sagte ihm, die Persönlichkeit
des Königs bürge dafür, daß Preußen nicht wie im Jahre 1850 zurückweichen
werde, aber nun sei er, Bismarck, daran, eine politische Verwicklung in Deutsch¬
land wie die damalige herbeizuführen, um das vor sechzehn Jahren Versäumte
dieses null zu erreichen. Wegen des Besitzes der Herzogtümer könne er keinen
Krieg sichren. Das sei ihm ein zu geringes Ziel. Um der öffentlichen
Meinung in und außerhalb Deutschlands willen bedürfe er ein größeres und
unangreifbares Ziel, lind das sei die Neugestaltung Deutschlands. Die Be¬
rufung eines deutschen Parlaments werde den Knoten unlösbar verwickeln.
Um diese Situation vorzubereiten, brauche er aber Zeit, drei bis vier Mouate,
und um den König auf dem Wege zu diesem Ziel festzuhalten, wünsche er, daß
sich Italien schon jetzt verpflichte, Preußen bei diesem Unternehmen beizustehn,
während sich Preußen seinerseits für eine gleichzeitige Lösung der venetianischen
Frage verbürge.

Das entsprach um ganz und gar nicht den Weisungen, die Govone von
Lamarmora erhalten hatte. Anstatt des sofortigen Krieges war dies eine Ver¬
pflichtung für entfernte Möglichkeiten, bei deren Eintritt es für Italien vielleicht
ganz andre Umstände gab. Es verschloß sich die Möglichkeit einer andern
Lösung, die Möglichkeit eines unmittelbaren Abkommens mit Österreich, während


Die preußisch-italienische Allianz von ^366

Zum erstenmal hatte Bismarck wegen eines Bündnisses mit Italien im August
1865 angeklopft, und es scheint, daß Lamarmora damals wirklich mit beiden
Händen zugreifen wollte. In diesem Augenblick, wo der Bruch wegen der Elb-
herzogtümer unvermeidlich schien, schloß Preußen die Gasteiner Konvention, und
für die italienischen Staatsmänner war dies eine Enttäuschung, die sie aufs
äußerste verstimmte und von da an vorsichtig, zurückhaltend, mißtrauisch machte.
Wer konnte glauben, daß man in Berlin ernstlich den Krieg wollte? Mußte
man nicht besorgt sein, daß Preußen, wenn es sich jetzt wieder an Italien wandte,
seinerseits das Bündnis bloß dazu benutzen würde, eine» Druck auf Öster¬
reich auszuüben, der ihm den Besitz der Herzogtümer ohne Krieg verschaffte?
Wer bürgte dafür, daß es dann den Verbündeten nicht preisgab und allein
der Rache seines Feindes überließ? Es gab nur eine Bürgschaft für seinen
ernstlichen und ehrlichen Willen, wenn es sich nämlich verbindlich machte, sofort
loszuschlagen. Mit solchen zwiespältigen Gedanken ließ sich Lamarmora in die
Verhandlungen mit Preußen ein, und solche zwiespältige Gedanken gab er anch
seinem Abgesandten mit auf den Weg nach Berlin.

Govone traf am 14. März in der preußischen Hauptstadt ein, und das
erste, was er erfuhr, war, daß durch eine Indiskretion seine Ankunft, die ein
Geheimnis sein sollte, schon im voraus in die Öffentlichkeit gebracht worden
war. Schon hierin sah er eine Bestätigung seines Argwohns. Wenn die
Ankunft eines italienischen Unterhändlers sofort an die große Glocke gehängt
wurde, konnte das einen andern Zweck haben, als Österreich einzuschüchtern
und mürbe zu machen? Die Unterredung, die er noch an demselben Tage
mit Bisimrrck hatte, warf ihm vollends sein Konzept über den Haufen. Er
kam in der Absicht, Verabredungen über einen sofort zu eröffnenden Feldzug
zu treffen, und er mußte nun erfahren, daß die Dinge in Berlin noch lange
nicht bis zu diesem Punkte gediehen waren. Bismarck sagte ihm, die Persönlichkeit
des Königs bürge dafür, daß Preußen nicht wie im Jahre 1850 zurückweichen
werde, aber nun sei er, Bismarck, daran, eine politische Verwicklung in Deutsch¬
land wie die damalige herbeizuführen, um das vor sechzehn Jahren Versäumte
dieses null zu erreichen. Wegen des Besitzes der Herzogtümer könne er keinen
Krieg sichren. Das sei ihm ein zu geringes Ziel. Um der öffentlichen
Meinung in und außerhalb Deutschlands willen bedürfe er ein größeres und
unangreifbares Ziel, lind das sei die Neugestaltung Deutschlands. Die Be¬
rufung eines deutschen Parlaments werde den Knoten unlösbar verwickeln.
Um diese Situation vorzubereiten, brauche er aber Zeit, drei bis vier Mouate,
und um den König auf dem Wege zu diesem Ziel festzuhalten, wünsche er, daß
sich Italien schon jetzt verpflichte, Preußen bei diesem Unternehmen beizustehn,
während sich Preußen seinerseits für eine gleichzeitige Lösung der venetianischen
Frage verbürge.

Das entsprach um ganz und gar nicht den Weisungen, die Govone von
Lamarmora erhalten hatte. Anstatt des sofortigen Krieges war dies eine Ver¬
pflichtung für entfernte Möglichkeiten, bei deren Eintritt es für Italien vielleicht
ganz andre Umstände gab. Es verschloß sich die Möglichkeit einer andern
Lösung, die Möglichkeit eines unmittelbaren Abkommens mit Österreich, während


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_239555/82>, abgerufen am 24.11.2024.