Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite

das Werk einige recht ansprechend und stimmungsvoll geschriebn? Abschnitte, die
ungleich besser zur Geltung kamen, wenn Miß Cvrelli das Ganze um ein Drittel
gekürzt hätte.

Tendenziös im krassesten Sinne des Worts ist Dorothea Gerards Roman
mit dem bezeichnenden Titel: I'do LIoocl-1's.x (Tauchuitz Edition). Die Ver¬
fasserin, Madame Longard de Longgarde, hat durch ihre frühern Arbeiten, in denen
sie sich mit Vorliebe ernstern, der Allgemeinheit fernliegenden Problemen zuwandte,
die Aufmerksamkeit der gebildeten Kreise auf sich gelenkt. In diesem Buch erörtert
sie nun die vielumstrittue Frage, ob für England die Einführung der allgemeinen
Wehrpflicht ratsam sei oder nicht. Da sie für diese "Studie des Militarismus"
Deutschland als Schauplatz gewählt hat und ihre Schlußfolgerungen angeblich aus
ihrer Kenntnis deutscher Einrichtungen zieht, wird eine kurze Übersicht über das
Buch von Interesse sein.

James Millar begibt sich nach Deutschland, um in einer großen Zweirad¬
fabrik einen Betrieb nach englischem Muster einzurichten und daneben die mili¬
tärischen Einrichtungen zu studieren, die ihm bisher die größte Hochachtung ein¬
geflößt haben. Trotz des ihm aufgezwungnen industriellen Berufs fühlt er sich
im Herzen als Soldat; er beschließt, sich später einen Sitz im Parlament zu er¬
ringen und von dort aus für die allgemeine Wehrpflicht in seinem Vnterlande zu
wirken. Durch Einführung in die Osfizierkreise seines neuen Wohnorts gelingt es
Millar, den gewünschten Einblick zu erlangen.

Nacheinander läßt die Verfasserin die verschiednen, alljährlich wiederkehrenden
Phasen der Ausbildung unsrer Soldaten an dem Auge ihrer Landsleute vorüber-
ziehn. Es muß anerkannt werden, daß Madame de Lvnggarde den spröden Stoff,
der für eine Dame ja durchaus ungewöhnlich ist, mit großer Sorgfalt durchzu¬
arbeiten bestrebt gewesen ist. Es ist ihr aber uur zum geringsten Teile gelungen.
Vielleicht kann man das darauf zurückführen, daß Madame de Louggarde allem
Anschein nach ihr Material sozinldemokratischen und anarchistischen Quellen ent¬
nommen hat. Nur so konnte sie zu der Ansicht gelangen, daß die allgemeine
Wehrpflicht für jeden Staat ein schweres nationales Unglück und ein Hemmnis
der normalen Entwicklung des Volks sei. Um dieses Urteil zu begründen und die
Warnung vor dem Militarismus, die das Fazit des Romans ist, recht eindringlich
zu machen, übertreibt die Verfasserin und erzählt Dinge, für die man tatsächliche
Belege schwerlich finden wird.

Schon ihre Schilderung der Rekrutenaushebung, die sie mit einem orientalischen
Sklavenmarkt (!) vergleicht, entspricht in den Einzelheiten durchaus nicht der Wirk¬
lichkeit. Abgesehen davon, daß sie in der ärztlichen Untersuchung der Leute nur
eine das Zartgefühl verletzende Abschätzung ihrer körperlichen Beschaffenheit sieht,
sind auch die nach Madame de Longgarde sich ständig wiederholenden Meinungs¬
verschiedenheiten zwischen dem Militärarzt und dem Kreisphysikus -- sie nennt ihn
civilia" clootor -- über die Tauglichkeit von schwächlichen Leuten höchst unwahr¬
scheinlich. Denn welcher Sanitätsossizier hat Wohl ein Interesse daran, kränkliche
Leute einzustellen, wo ein Überfluß an gesunden und tüchtigen vorhanden ist! Auch
die Behauptung, daß die zukünftigen Soldaten ein solches Grauen vor ihrem Berufe
hätten, daß sie sich zur Aushebung erst in Alkohol Mut trinken müßten, ist voll¬
ständig aus der Luft gegriffen. Bekanntlich freuen sich bei uns die Jungen auf
ihre Militärzeit, und die Äußerung: "Wer nicht Soldat gewesen ist, ist kein ganzer
Mann!" hört man gerade unter den einfachen Leuten besonders häufig. Das Bild
des großen Manövers, das Madame de Louggarde entwirft, ist gleichfalls eine
Karikatur der Wirklichkeit. Oder hat man in Deutschland je davon gehört, daß
Reservisten unter dem Banne anarchistischer Theorien auf die ihnen entgegengestellte
Truppe mit Kugeln schössen, und zwar aus Wut darüber, daß ihre Frauen und
Kinder während der Übuugszeit darben müßten?

Madame de Louggarde ist über die neuern Einrichtungen unsers Heeres


das Werk einige recht ansprechend und stimmungsvoll geschriebn? Abschnitte, die
ungleich besser zur Geltung kamen, wenn Miß Cvrelli das Ganze um ein Drittel
gekürzt hätte.

Tendenziös im krassesten Sinne des Worts ist Dorothea Gerards Roman
mit dem bezeichnenden Titel: I'do LIoocl-1's.x (Tauchuitz Edition). Die Ver¬
fasserin, Madame Longard de Longgarde, hat durch ihre frühern Arbeiten, in denen
sie sich mit Vorliebe ernstern, der Allgemeinheit fernliegenden Problemen zuwandte,
die Aufmerksamkeit der gebildeten Kreise auf sich gelenkt. In diesem Buch erörtert
sie nun die vielumstrittue Frage, ob für England die Einführung der allgemeinen
Wehrpflicht ratsam sei oder nicht. Da sie für diese „Studie des Militarismus"
Deutschland als Schauplatz gewählt hat und ihre Schlußfolgerungen angeblich aus
ihrer Kenntnis deutscher Einrichtungen zieht, wird eine kurze Übersicht über das
Buch von Interesse sein.

James Millar begibt sich nach Deutschland, um in einer großen Zweirad¬
fabrik einen Betrieb nach englischem Muster einzurichten und daneben die mili¬
tärischen Einrichtungen zu studieren, die ihm bisher die größte Hochachtung ein¬
geflößt haben. Trotz des ihm aufgezwungnen industriellen Berufs fühlt er sich
im Herzen als Soldat; er beschließt, sich später einen Sitz im Parlament zu er¬
ringen und von dort aus für die allgemeine Wehrpflicht in seinem Vnterlande zu
wirken. Durch Einführung in die Osfizierkreise seines neuen Wohnorts gelingt es
Millar, den gewünschten Einblick zu erlangen.

Nacheinander läßt die Verfasserin die verschiednen, alljährlich wiederkehrenden
Phasen der Ausbildung unsrer Soldaten an dem Auge ihrer Landsleute vorüber-
ziehn. Es muß anerkannt werden, daß Madame de Lvnggarde den spröden Stoff,
der für eine Dame ja durchaus ungewöhnlich ist, mit großer Sorgfalt durchzu¬
arbeiten bestrebt gewesen ist. Es ist ihr aber uur zum geringsten Teile gelungen.
Vielleicht kann man das darauf zurückführen, daß Madame de Louggarde allem
Anschein nach ihr Material sozinldemokratischen und anarchistischen Quellen ent¬
nommen hat. Nur so konnte sie zu der Ansicht gelangen, daß die allgemeine
Wehrpflicht für jeden Staat ein schweres nationales Unglück und ein Hemmnis
der normalen Entwicklung des Volks sei. Um dieses Urteil zu begründen und die
Warnung vor dem Militarismus, die das Fazit des Romans ist, recht eindringlich
zu machen, übertreibt die Verfasserin und erzählt Dinge, für die man tatsächliche
Belege schwerlich finden wird.

Schon ihre Schilderung der Rekrutenaushebung, die sie mit einem orientalischen
Sklavenmarkt (!) vergleicht, entspricht in den Einzelheiten durchaus nicht der Wirk¬
lichkeit. Abgesehen davon, daß sie in der ärztlichen Untersuchung der Leute nur
eine das Zartgefühl verletzende Abschätzung ihrer körperlichen Beschaffenheit sieht,
sind auch die nach Madame de Longgarde sich ständig wiederholenden Meinungs¬
verschiedenheiten zwischen dem Militärarzt und dem Kreisphysikus — sie nennt ihn
civilia« clootor — über die Tauglichkeit von schwächlichen Leuten höchst unwahr¬
scheinlich. Denn welcher Sanitätsossizier hat Wohl ein Interesse daran, kränkliche
Leute einzustellen, wo ein Überfluß an gesunden und tüchtigen vorhanden ist! Auch
die Behauptung, daß die zukünftigen Soldaten ein solches Grauen vor ihrem Berufe
hätten, daß sie sich zur Aushebung erst in Alkohol Mut trinken müßten, ist voll¬
ständig aus der Luft gegriffen. Bekanntlich freuen sich bei uns die Jungen auf
ihre Militärzeit, und die Äußerung: „Wer nicht Soldat gewesen ist, ist kein ganzer
Mann!" hört man gerade unter den einfachen Leuten besonders häufig. Das Bild
des großen Manövers, das Madame de Louggarde entwirft, ist gleichfalls eine
Karikatur der Wirklichkeit. Oder hat man in Deutschland je davon gehört, daß
Reservisten unter dem Banne anarchistischer Theorien auf die ihnen entgegengestellte
Truppe mit Kugeln schössen, und zwar aus Wut darüber, daß ihre Frauen und
Kinder während der Übuugszeit darben müßten?

Madame de Louggarde ist über die neuern Einrichtungen unsers Heeres


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0816" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/240372"/>
            <fw type="header" place="top"/><lb/>
            <p xml:id="ID_4365" prev="#ID_4364"> das Werk einige recht ansprechend und stimmungsvoll geschriebn? Abschnitte, die<lb/>
ungleich besser zur Geltung kamen, wenn Miß Cvrelli das Ganze um ein Drittel<lb/>
gekürzt hätte.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_4366"> Tendenziös im krassesten Sinne des Worts ist Dorothea Gerards Roman<lb/>
mit dem bezeichnenden Titel: I'do LIoocl-1's.x (Tauchuitz Edition). Die Ver¬<lb/>
fasserin, Madame Longard de Longgarde, hat durch ihre frühern Arbeiten, in denen<lb/>
sie sich mit Vorliebe ernstern, der Allgemeinheit fernliegenden Problemen zuwandte,<lb/>
die Aufmerksamkeit der gebildeten Kreise auf sich gelenkt. In diesem Buch erörtert<lb/>
sie nun die vielumstrittue Frage, ob für England die Einführung der allgemeinen<lb/>
Wehrpflicht ratsam sei oder nicht. Da sie für diese &#x201E;Studie des Militarismus"<lb/>
Deutschland als Schauplatz gewählt hat und ihre Schlußfolgerungen angeblich aus<lb/>
ihrer Kenntnis deutscher Einrichtungen zieht, wird eine kurze Übersicht über das<lb/>
Buch von Interesse sein.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_4367"> James Millar begibt sich nach Deutschland, um in einer großen Zweirad¬<lb/>
fabrik einen Betrieb nach englischem Muster einzurichten und daneben die mili¬<lb/>
tärischen Einrichtungen zu studieren, die ihm bisher die größte Hochachtung ein¬<lb/>
geflößt haben. Trotz des ihm aufgezwungnen industriellen Berufs fühlt er sich<lb/>
im Herzen als Soldat; er beschließt, sich später einen Sitz im Parlament zu er¬<lb/>
ringen und von dort aus für die allgemeine Wehrpflicht in seinem Vnterlande zu<lb/>
wirken. Durch Einführung in die Osfizierkreise seines neuen Wohnorts gelingt es<lb/>
Millar, den gewünschten Einblick zu erlangen.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_4368"> Nacheinander läßt die Verfasserin die verschiednen, alljährlich wiederkehrenden<lb/>
Phasen der Ausbildung unsrer Soldaten an dem Auge ihrer Landsleute vorüber-<lb/>
ziehn. Es muß anerkannt werden, daß Madame de Lvnggarde den spröden Stoff,<lb/>
der für eine Dame ja durchaus ungewöhnlich ist, mit großer Sorgfalt durchzu¬<lb/>
arbeiten bestrebt gewesen ist. Es ist ihr aber uur zum geringsten Teile gelungen.<lb/>
Vielleicht kann man das darauf zurückführen, daß Madame de Louggarde allem<lb/>
Anschein nach ihr Material sozinldemokratischen und anarchistischen Quellen ent¬<lb/>
nommen hat. Nur so konnte sie zu der Ansicht gelangen, daß die allgemeine<lb/>
Wehrpflicht für jeden Staat ein schweres nationales Unglück und ein Hemmnis<lb/>
der normalen Entwicklung des Volks sei. Um dieses Urteil zu begründen und die<lb/>
Warnung vor dem Militarismus, die das Fazit des Romans ist, recht eindringlich<lb/>
zu machen, übertreibt die Verfasserin und erzählt Dinge, für die man tatsächliche<lb/>
Belege schwerlich finden wird.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_4369"> Schon ihre Schilderung der Rekrutenaushebung, die sie mit einem orientalischen<lb/>
Sklavenmarkt (!) vergleicht, entspricht in den Einzelheiten durchaus nicht der Wirk¬<lb/>
lichkeit. Abgesehen davon, daß sie in der ärztlichen Untersuchung der Leute nur<lb/>
eine das Zartgefühl verletzende Abschätzung ihrer körperlichen Beschaffenheit sieht,<lb/>
sind auch die nach Madame de Longgarde sich ständig wiederholenden Meinungs¬<lb/>
verschiedenheiten zwischen dem Militärarzt und dem Kreisphysikus &#x2014; sie nennt ihn<lb/>
civilia« clootor &#x2014; über die Tauglichkeit von schwächlichen Leuten höchst unwahr¬<lb/>
scheinlich. Denn welcher Sanitätsossizier hat Wohl ein Interesse daran, kränkliche<lb/>
Leute einzustellen, wo ein Überfluß an gesunden und tüchtigen vorhanden ist! Auch<lb/>
die Behauptung, daß die zukünftigen Soldaten ein solches Grauen vor ihrem Berufe<lb/>
hätten, daß sie sich zur Aushebung erst in Alkohol Mut trinken müßten, ist voll¬<lb/>
ständig aus der Luft gegriffen. Bekanntlich freuen sich bei uns die Jungen auf<lb/>
ihre Militärzeit, und die Äußerung: &#x201E;Wer nicht Soldat gewesen ist, ist kein ganzer<lb/>
Mann!" hört man gerade unter den einfachen Leuten besonders häufig. Das Bild<lb/>
des großen Manövers, das Madame de Louggarde entwirft, ist gleichfalls eine<lb/>
Karikatur der Wirklichkeit. Oder hat man in Deutschland je davon gehört, daß<lb/>
Reservisten unter dem Banne anarchistischer Theorien auf die ihnen entgegengestellte<lb/>
Truppe mit Kugeln schössen, und zwar aus Wut darüber, daß ihre Frauen und<lb/>
Kinder während der Übuugszeit darben müßten?</p><lb/>
            <p xml:id="ID_4370" next="#ID_4371"> Madame de Louggarde ist über die neuern Einrichtungen unsers Heeres</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0816] das Werk einige recht ansprechend und stimmungsvoll geschriebn? Abschnitte, die ungleich besser zur Geltung kamen, wenn Miß Cvrelli das Ganze um ein Drittel gekürzt hätte. Tendenziös im krassesten Sinne des Worts ist Dorothea Gerards Roman mit dem bezeichnenden Titel: I'do LIoocl-1's.x (Tauchuitz Edition). Die Ver¬ fasserin, Madame Longard de Longgarde, hat durch ihre frühern Arbeiten, in denen sie sich mit Vorliebe ernstern, der Allgemeinheit fernliegenden Problemen zuwandte, die Aufmerksamkeit der gebildeten Kreise auf sich gelenkt. In diesem Buch erörtert sie nun die vielumstrittue Frage, ob für England die Einführung der allgemeinen Wehrpflicht ratsam sei oder nicht. Da sie für diese „Studie des Militarismus" Deutschland als Schauplatz gewählt hat und ihre Schlußfolgerungen angeblich aus ihrer Kenntnis deutscher Einrichtungen zieht, wird eine kurze Übersicht über das Buch von Interesse sein. James Millar begibt sich nach Deutschland, um in einer großen Zweirad¬ fabrik einen Betrieb nach englischem Muster einzurichten und daneben die mili¬ tärischen Einrichtungen zu studieren, die ihm bisher die größte Hochachtung ein¬ geflößt haben. Trotz des ihm aufgezwungnen industriellen Berufs fühlt er sich im Herzen als Soldat; er beschließt, sich später einen Sitz im Parlament zu er¬ ringen und von dort aus für die allgemeine Wehrpflicht in seinem Vnterlande zu wirken. Durch Einführung in die Osfizierkreise seines neuen Wohnorts gelingt es Millar, den gewünschten Einblick zu erlangen. Nacheinander läßt die Verfasserin die verschiednen, alljährlich wiederkehrenden Phasen der Ausbildung unsrer Soldaten an dem Auge ihrer Landsleute vorüber- ziehn. Es muß anerkannt werden, daß Madame de Lvnggarde den spröden Stoff, der für eine Dame ja durchaus ungewöhnlich ist, mit großer Sorgfalt durchzu¬ arbeiten bestrebt gewesen ist. Es ist ihr aber uur zum geringsten Teile gelungen. Vielleicht kann man das darauf zurückführen, daß Madame de Louggarde allem Anschein nach ihr Material sozinldemokratischen und anarchistischen Quellen ent¬ nommen hat. Nur so konnte sie zu der Ansicht gelangen, daß die allgemeine Wehrpflicht für jeden Staat ein schweres nationales Unglück und ein Hemmnis der normalen Entwicklung des Volks sei. Um dieses Urteil zu begründen und die Warnung vor dem Militarismus, die das Fazit des Romans ist, recht eindringlich zu machen, übertreibt die Verfasserin und erzählt Dinge, für die man tatsächliche Belege schwerlich finden wird. Schon ihre Schilderung der Rekrutenaushebung, die sie mit einem orientalischen Sklavenmarkt (!) vergleicht, entspricht in den Einzelheiten durchaus nicht der Wirk¬ lichkeit. Abgesehen davon, daß sie in der ärztlichen Untersuchung der Leute nur eine das Zartgefühl verletzende Abschätzung ihrer körperlichen Beschaffenheit sieht, sind auch die nach Madame de Longgarde sich ständig wiederholenden Meinungs¬ verschiedenheiten zwischen dem Militärarzt und dem Kreisphysikus — sie nennt ihn civilia« clootor — über die Tauglichkeit von schwächlichen Leuten höchst unwahr¬ scheinlich. Denn welcher Sanitätsossizier hat Wohl ein Interesse daran, kränkliche Leute einzustellen, wo ein Überfluß an gesunden und tüchtigen vorhanden ist! Auch die Behauptung, daß die zukünftigen Soldaten ein solches Grauen vor ihrem Berufe hätten, daß sie sich zur Aushebung erst in Alkohol Mut trinken müßten, ist voll¬ ständig aus der Luft gegriffen. Bekanntlich freuen sich bei uns die Jungen auf ihre Militärzeit, und die Äußerung: „Wer nicht Soldat gewesen ist, ist kein ganzer Mann!" hört man gerade unter den einfachen Leuten besonders häufig. Das Bild des großen Manövers, das Madame de Louggarde entwirft, ist gleichfalls eine Karikatur der Wirklichkeit. Oder hat man in Deutschland je davon gehört, daß Reservisten unter dem Banne anarchistischer Theorien auf die ihnen entgegengestellte Truppe mit Kugeln schössen, und zwar aus Wut darüber, daß ihre Frauen und Kinder während der Übuugszeit darben müßten? Madame de Louggarde ist über die neuern Einrichtungen unsers Heeres

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_239555
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_239555/816
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_239555/816>, abgerufen am 01.09.2024.