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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Erstes Vierteljahr.

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Alexander Andrejewitsch, scigte er mit dumpfer, knurrender Stimme, Sie sind
ein unmoralischer Mensch. Ich habe Ihnen nie viel getraut, weil Sie nicht trinken.
Ich halte die jungen Leute, die nicht trinken, für Heuchler, die es im stillen be¬
sorgen, oder für unreife Kinder, bei denen es später nachkommen wird. Aber
jetzt...

Zu welcher Sorte rechnen Sie mich denn eigentlich, zu den Gleisnern oder
zu den Kindern? fragte ich lachend.

Er sah mich finster an.

Jetzt sehe ich, fuhr er fort, daß Sie geradezu unmoralisch sind. Mensch, be¬
greifen Sie denn nicht, was es heißt, wenn der Jüngling sich betrinkt, nachdem
er schon einen ganzen Monat Maß gehalten hat? Ich hatte meine Freude an
ihm. Ich war stolz auf ihn. Ich habe meine Augen an ihm geweidet wie eine
liebende Mutter um ihrem Kinde, das die ersten Zahne bekommt. Und nun ist
mit einem Schlage alles aus, alles hin. Ich muß von vorn anfangen. Ah!

Er stöhnte herzzerreißend und trank ein Glas.

Im Vorhause wurde es laut. Schwere Stiefel stmupfteu auf den Fliesen.
Stimmen ließen sich hören, die lachte". Es klang mich wie Gesang. Der Brand¬
meister trat in die Mitte des Zimmers dem Eingang gegenüber und kreuzte die
Arme auf der mächtigen Brust.

Die Tür wurde von außen betastet, es wurde daran gepoltert, und endlich
wurde sie geöffnet. Herein drängte sich Prvrwin brüderlich Arm in Arm mit dem
Feuerwehrmann und dein Schornsteinfeger. Die Mütze" saßen weit zurück auf den
Hinterköpfcn. Die Gesichter glühten. Die Zungen kaltem. Der Feuerwehrmann
lachte stupid. Der Schornsteinfeger sträubte sich, wurde aber von Prvrwin fest¬
gehalten, dessen Paletot ebenso rußgeschwärzt war wie die Jacke des Handwerks¬
manns neben ihm.

Da sind wir--r, Vater Br--rcmdmeistrr! schnarrte Prorwin.

Ich konnte mich des Lachens nicht enthalten. Die Gruppe war zu komisch
und unmöglich. Der Brandmeister aber fuhr wie ein gereizter Löwe vor. Mit
der linken Hand faßte er Prorwin an der Brust und riß ihn von den andern weg,
während er zugleich mit dein rechten Arm einen Schlag gegen diese führte, durch
den er sie beide zusammen in das Vorhaus zurückschleuderte, wo sie hinstürzten.

He, Leute! schrie er mit solcher Kraft der Lungen, daß es mir in den Ohren
gellte. Der Ruf mußte in allen Gebäuden und Räumen des Depots gehört
worden sein.

Du, Vater--r Br--rendu--ferr, haue nicht meine Fr--reuude, lallte Prorwin,
indem er sich bemühte, sich fest auf die Beine zu stellen.

Schweige, junger Hund! rief der Brandmeister und schüttelte ihn.

Mein Herr--r, protestierte Prorwin, untr--rstehn Sie sich --

Der Brandmeister schleppte ihn zur Wand und setzte ihn auf einen Stuhl.
Im Vorhause erschallten eilige Tritte. Mehrere Feuerwehrleute sprangen in das
Zimmer und stellten sich neben der Tür auf.

Mein Herr--r, begann Prorwin mehrmals und ballte die Fäuste, Sie
unter--rstehn sich . . .

Jüngling, sagte der Brandmeister, indem er wieder die Arme auf der Brust
kreuzte, Jüngling! Was habe ich gesündigt, daß du mir das antust? Wie willst
du es vor Gott verantworten, daß dn mir diesen Streich gespielt hast! Jüngling!
Warum hast du mir das getan?

Ich sah neugierig auf den Redenden. Das Gesicht war leider von mir ab¬
gewandt. Die Stimme klang eigentümlich ergreifend. Es war fast, als ob der
Mann Tränen niederkämpfte.

Prorwin starrte vor sich hin, und plötzlich schlug er beide Hände vor das
Gesicht und fing an bitterlich zu schluchze".

Kleidet ihn aus und legt ihn zu Bett, befahl der Brandmeister kurz, und


Alexander Andrejewitsch, scigte er mit dumpfer, knurrender Stimme, Sie sind
ein unmoralischer Mensch. Ich habe Ihnen nie viel getraut, weil Sie nicht trinken.
Ich halte die jungen Leute, die nicht trinken, für Heuchler, die es im stillen be¬
sorgen, oder für unreife Kinder, bei denen es später nachkommen wird. Aber
jetzt...

Zu welcher Sorte rechnen Sie mich denn eigentlich, zu den Gleisnern oder
zu den Kindern? fragte ich lachend.

Er sah mich finster an.

Jetzt sehe ich, fuhr er fort, daß Sie geradezu unmoralisch sind. Mensch, be¬
greifen Sie denn nicht, was es heißt, wenn der Jüngling sich betrinkt, nachdem
er schon einen ganzen Monat Maß gehalten hat? Ich hatte meine Freude an
ihm. Ich war stolz auf ihn. Ich habe meine Augen an ihm geweidet wie eine
liebende Mutter um ihrem Kinde, das die ersten Zahne bekommt. Und nun ist
mit einem Schlage alles aus, alles hin. Ich muß von vorn anfangen. Ah!

Er stöhnte herzzerreißend und trank ein Glas.

Im Vorhause wurde es laut. Schwere Stiefel stmupfteu auf den Fliesen.
Stimmen ließen sich hören, die lachte». Es klang mich wie Gesang. Der Brand¬
meister trat in die Mitte des Zimmers dem Eingang gegenüber und kreuzte die
Arme auf der mächtigen Brust.

Die Tür wurde von außen betastet, es wurde daran gepoltert, und endlich
wurde sie geöffnet. Herein drängte sich Prvrwin brüderlich Arm in Arm mit dem
Feuerwehrmann und dein Schornsteinfeger. Die Mütze» saßen weit zurück auf den
Hinterköpfcn. Die Gesichter glühten. Die Zungen kaltem. Der Feuerwehrmann
lachte stupid. Der Schornsteinfeger sträubte sich, wurde aber von Prvrwin fest¬
gehalten, dessen Paletot ebenso rußgeschwärzt war wie die Jacke des Handwerks¬
manns neben ihm.

Da sind wir—r, Vater Br—rcmdmeistrr! schnarrte Prorwin.

Ich konnte mich des Lachens nicht enthalten. Die Gruppe war zu komisch
und unmöglich. Der Brandmeister aber fuhr wie ein gereizter Löwe vor. Mit
der linken Hand faßte er Prorwin an der Brust und riß ihn von den andern weg,
während er zugleich mit dein rechten Arm einen Schlag gegen diese führte, durch
den er sie beide zusammen in das Vorhaus zurückschleuderte, wo sie hinstürzten.

He, Leute! schrie er mit solcher Kraft der Lungen, daß es mir in den Ohren
gellte. Der Ruf mußte in allen Gebäuden und Räumen des Depots gehört
worden sein.

Du, Vater—r Br—rendu—ferr, haue nicht meine Fr—reuude, lallte Prorwin,
indem er sich bemühte, sich fest auf die Beine zu stellen.

Schweige, junger Hund! rief der Brandmeister und schüttelte ihn.

Mein Herr—r, protestierte Prorwin, untr—rstehn Sie sich —

Der Brandmeister schleppte ihn zur Wand und setzte ihn auf einen Stuhl.
Im Vorhause erschallten eilige Tritte. Mehrere Feuerwehrleute sprangen in das
Zimmer und stellten sich neben der Tür auf.

Mein Herr—r, begann Prorwin mehrmals und ballte die Fäuste, Sie
unter—rstehn sich . . .

Jüngling, sagte der Brandmeister, indem er wieder die Arme auf der Brust
kreuzte, Jüngling! Was habe ich gesündigt, daß du mir das antust? Wie willst
du es vor Gott verantworten, daß dn mir diesen Streich gespielt hast! Jüngling!
Warum hast du mir das getan?

Ich sah neugierig auf den Redenden. Das Gesicht war leider von mir ab¬
gewandt. Die Stimme klang eigentümlich ergreifend. Es war fast, als ob der
Mann Tränen niederkämpfte.

Prorwin starrte vor sich hin, und plötzlich schlug er beide Hände vor das
Gesicht und fing an bitterlich zu schluchze».

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[0813] Alexander Andrejewitsch, scigte er mit dumpfer, knurrender Stimme, Sie sind ein unmoralischer Mensch. Ich habe Ihnen nie viel getraut, weil Sie nicht trinken. Ich halte die jungen Leute, die nicht trinken, für Heuchler, die es im stillen be¬ sorgen, oder für unreife Kinder, bei denen es später nachkommen wird. Aber jetzt... Zu welcher Sorte rechnen Sie mich denn eigentlich, zu den Gleisnern oder zu den Kindern? fragte ich lachend. Er sah mich finster an. Jetzt sehe ich, fuhr er fort, daß Sie geradezu unmoralisch sind. Mensch, be¬ greifen Sie denn nicht, was es heißt, wenn der Jüngling sich betrinkt, nachdem er schon einen ganzen Monat Maß gehalten hat? Ich hatte meine Freude an ihm. Ich war stolz auf ihn. Ich habe meine Augen an ihm geweidet wie eine liebende Mutter um ihrem Kinde, das die ersten Zahne bekommt. Und nun ist mit einem Schlage alles aus, alles hin. Ich muß von vorn anfangen. Ah! Er stöhnte herzzerreißend und trank ein Glas. Im Vorhause wurde es laut. Schwere Stiefel stmupfteu auf den Fliesen. Stimmen ließen sich hören, die lachte». Es klang mich wie Gesang. Der Brand¬ meister trat in die Mitte des Zimmers dem Eingang gegenüber und kreuzte die Arme auf der mächtigen Brust. Die Tür wurde von außen betastet, es wurde daran gepoltert, und endlich wurde sie geöffnet. Herein drängte sich Prvrwin brüderlich Arm in Arm mit dem Feuerwehrmann und dein Schornsteinfeger. Die Mütze» saßen weit zurück auf den Hinterköpfcn. Die Gesichter glühten. Die Zungen kaltem. Der Feuerwehrmann lachte stupid. Der Schornsteinfeger sträubte sich, wurde aber von Prvrwin fest¬ gehalten, dessen Paletot ebenso rußgeschwärzt war wie die Jacke des Handwerks¬ manns neben ihm. Da sind wir—r, Vater Br—rcmdmeistrr! schnarrte Prorwin. Ich konnte mich des Lachens nicht enthalten. Die Gruppe war zu komisch und unmöglich. Der Brandmeister aber fuhr wie ein gereizter Löwe vor. Mit der linken Hand faßte er Prorwin an der Brust und riß ihn von den andern weg, während er zugleich mit dein rechten Arm einen Schlag gegen diese führte, durch den er sie beide zusammen in das Vorhaus zurückschleuderte, wo sie hinstürzten. He, Leute! schrie er mit solcher Kraft der Lungen, daß es mir in den Ohren gellte. Der Ruf mußte in allen Gebäuden und Räumen des Depots gehört worden sein. Du, Vater—r Br—rendu—ferr, haue nicht meine Fr—reuude, lallte Prorwin, indem er sich bemühte, sich fest auf die Beine zu stellen. Schweige, junger Hund! rief der Brandmeister und schüttelte ihn. Mein Herr—r, protestierte Prorwin, untr—rstehn Sie sich — Der Brandmeister schleppte ihn zur Wand und setzte ihn auf einen Stuhl. Im Vorhause erschallten eilige Tritte. Mehrere Feuerwehrleute sprangen in das Zimmer und stellten sich neben der Tür auf. Mein Herr—r, begann Prorwin mehrmals und ballte die Fäuste, Sie unter—rstehn sich . . . Jüngling, sagte der Brandmeister, indem er wieder die Arme auf der Brust kreuzte, Jüngling! Was habe ich gesündigt, daß du mir das antust? Wie willst du es vor Gott verantworten, daß dn mir diesen Streich gespielt hast! Jüngling! Warum hast du mir das getan? Ich sah neugierig auf den Redenden. Das Gesicht war leider von mir ab¬ gewandt. Die Stimme klang eigentümlich ergreifend. Es war fast, als ob der Mann Tränen niederkämpfte. Prorwin starrte vor sich hin, und plötzlich schlug er beide Hände vor das Gesicht und fing an bitterlich zu schluchze». Kleidet ihn aus und legt ihn zu Bett, befahl der Brandmeister kurz, und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_239555/813>, abgerufen am 27.11.2024.