Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite

von einer großen Flut auch im Kreise der Vorfcchreu Abrahams bewahrt
worden ist, und daß aus gemeinsamer alter Erinnerung die Zusammenklange
stammen, die bei der Vergleichung der hebräischen und der babylonischen Flut¬
darstellung in unser Ohr fallen.

Wo nun ferner liegt die reinere Ausprägung des Metalls der gemein¬
samen Erinnerungen der Urmenschheit vor? In dem bekannten Berliner Vor¬
trag ist ja gesagt worden, daß die reinere Gestalt der Fluterzählung aus den
"Schatzhügeln" Babyloniens hervorgeholt worden sei. Aber auch das ist eine
höchst prekäre Behauptung. Denn ich will nicht davon sprechen, daß jeder
Leser der oben in ihren Grundzügen wiederholten Flutdarstellung der Baby-
lonier nnr mit innerm Widerstreben die Sätze lesen wird, in denen die Götter
mit Hunden und Fliegen verglichen werden usw. -- das natürliche religiöse
Gefühl des Menschenherzens fühlt sich dadurch verletzt. Aber folgendes muß
betont werden: die Behauptung setzt auch voraus, daß die Gottesvorstellung,
die sich in der Vielzahl, in den Sonderbestrebungen und gegenseitigen Vor¬
würfen der babylonischen Götter und Göttinnen ausprägt, die reinere und ur¬
sprünglichere sei. Dies aber müßte erst noch bewiesen werden und läßt sich
nach mehreren Anzeichen nicht als die wahrscheinlichere Anschauung über die
religiöse Entwicklung der Menschheit erweisen.

Eine erhabnere Gottesidee leuchtet ja auch aus audern Partien der alt-
hebräischen Literatur heraus. Hütte man doch in dem vorjährigen Vortrag
über Babel und Bibel nur wenigstens die ersten Sätze des babylonischen
Schöpfungsepos "Als droben der Himmel noch nicht genannt war usw., als
von den Göttern noch keiner da war usw., da wurden die Götter ge¬
bildet usw." zur Vergleichung mit den Eingangsworten der Bibel: "Am
Anfang schuf Gott Himmel und Erde" vorgelegt! Hätte man eine Parallel!-
fierung dieser beiden Texte doch wenigstens in den neuesten Drucken des Vor¬
trage dargeboten! Dann wäre der illustern Zuhörerschaft und den jetzigen
Lesern des Vortrags die Möglichkeit gegeben worden, sich selbst ein Urteil
über die geistesgeschichtliche Stufe der beiden Darstellungen zu bilden. Wie
aber würde dieses Urteil gelautet haben? Nun zweifellos so: Die Babylonier
verehrten also nicht nur viele Götter, sondern sie ließen die Götter auch erst
im Weltprozeß entsteh". Aber nach der hebräischen Religion war der Geist
das Erste, er entwarf mit gigantischem Intellekt den wunderreichen Welten¬
plan und brachte ihn mit urmächtigen Impulsen zur Verwirklichung.

Übrigens auch der neuerdings so viel genannte altbabylvnische Herrscher
Hmnmnrabi (etwa 2250 v. Chr.) war kein Monotheist. In den ersten drei Zeilen
der vor kurzem veröffentlichten "Gesetze Hammurabis" sind ja vier Götter ge¬
nannt: Ann, Bel, Mardnk und Ea. In der achten Auflage meines Buches
"Bibel und Babel" S. 53 f. habe ich auch gezeigt, daß es keineswegs dem Text
entspricht, wenn Delitzsch nach seinen neuesten Äußerungen dem ersten Kapitel
der Bibel mythologische und polytheistische Elemente zuschreibt.

Betrachtet man, wie die babylonischen Darstellungen von Bemerkungen
über die Götter und Göttinnen förmlich durchzogen sind, und wendet man
dann den Blick zu der althebräischen Literatur zurück, so kaun man wohl nicht


von einer großen Flut auch im Kreise der Vorfcchreu Abrahams bewahrt
worden ist, und daß aus gemeinsamer alter Erinnerung die Zusammenklange
stammen, die bei der Vergleichung der hebräischen und der babylonischen Flut¬
darstellung in unser Ohr fallen.

Wo nun ferner liegt die reinere Ausprägung des Metalls der gemein¬
samen Erinnerungen der Urmenschheit vor? In dem bekannten Berliner Vor¬
trag ist ja gesagt worden, daß die reinere Gestalt der Fluterzählung aus den
„Schatzhügeln" Babyloniens hervorgeholt worden sei. Aber auch das ist eine
höchst prekäre Behauptung. Denn ich will nicht davon sprechen, daß jeder
Leser der oben in ihren Grundzügen wiederholten Flutdarstellung der Baby-
lonier nnr mit innerm Widerstreben die Sätze lesen wird, in denen die Götter
mit Hunden und Fliegen verglichen werden usw. — das natürliche religiöse
Gefühl des Menschenherzens fühlt sich dadurch verletzt. Aber folgendes muß
betont werden: die Behauptung setzt auch voraus, daß die Gottesvorstellung,
die sich in der Vielzahl, in den Sonderbestrebungen und gegenseitigen Vor¬
würfen der babylonischen Götter und Göttinnen ausprägt, die reinere und ur¬
sprünglichere sei. Dies aber müßte erst noch bewiesen werden und läßt sich
nach mehreren Anzeichen nicht als die wahrscheinlichere Anschauung über die
religiöse Entwicklung der Menschheit erweisen.

Eine erhabnere Gottesidee leuchtet ja auch aus audern Partien der alt-
hebräischen Literatur heraus. Hütte man doch in dem vorjährigen Vortrag
über Babel und Bibel nur wenigstens die ersten Sätze des babylonischen
Schöpfungsepos „Als droben der Himmel noch nicht genannt war usw., als
von den Göttern noch keiner da war usw., da wurden die Götter ge¬
bildet usw." zur Vergleichung mit den Eingangsworten der Bibel: „Am
Anfang schuf Gott Himmel und Erde" vorgelegt! Hätte man eine Parallel!-
fierung dieser beiden Texte doch wenigstens in den neuesten Drucken des Vor¬
trage dargeboten! Dann wäre der illustern Zuhörerschaft und den jetzigen
Lesern des Vortrags die Möglichkeit gegeben worden, sich selbst ein Urteil
über die geistesgeschichtliche Stufe der beiden Darstellungen zu bilden. Wie
aber würde dieses Urteil gelautet haben? Nun zweifellos so: Die Babylonier
verehrten also nicht nur viele Götter, sondern sie ließen die Götter auch erst
im Weltprozeß entsteh». Aber nach der hebräischen Religion war der Geist
das Erste, er entwarf mit gigantischem Intellekt den wunderreichen Welten¬
plan und brachte ihn mit urmächtigen Impulsen zur Verwirklichung.

Übrigens auch der neuerdings so viel genannte altbabylvnische Herrscher
Hmnmnrabi (etwa 2250 v. Chr.) war kein Monotheist. In den ersten drei Zeilen
der vor kurzem veröffentlichten „Gesetze Hammurabis" sind ja vier Götter ge¬
nannt: Ann, Bel, Mardnk und Ea. In der achten Auflage meines Buches
„Bibel und Babel" S. 53 f. habe ich auch gezeigt, daß es keineswegs dem Text
entspricht, wenn Delitzsch nach seinen neuesten Äußerungen dem ersten Kapitel
der Bibel mythologische und polytheistische Elemente zuschreibt.

Betrachtet man, wie die babylonischen Darstellungen von Bemerkungen
über die Götter und Göttinnen förmlich durchzogen sind, und wendet man
dann den Blick zu der althebräischen Literatur zurück, so kaun man wohl nicht


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0800" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/240356"/>
          <fw type="header" place="top"/><lb/>
          <p xml:id="ID_4218" prev="#ID_4217"> von einer großen Flut auch im Kreise der Vorfcchreu Abrahams bewahrt<lb/>
worden ist, und daß aus gemeinsamer alter Erinnerung die Zusammenklange<lb/>
stammen, die bei der Vergleichung der hebräischen und der babylonischen Flut¬<lb/>
darstellung in unser Ohr fallen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_4219"> Wo nun ferner liegt die reinere Ausprägung des Metalls der gemein¬<lb/>
samen Erinnerungen der Urmenschheit vor? In dem bekannten Berliner Vor¬<lb/>
trag ist ja gesagt worden, daß die reinere Gestalt der Fluterzählung aus den<lb/>
&#x201E;Schatzhügeln" Babyloniens hervorgeholt worden sei. Aber auch das ist eine<lb/>
höchst prekäre Behauptung. Denn ich will nicht davon sprechen, daß jeder<lb/>
Leser der oben in ihren Grundzügen wiederholten Flutdarstellung der Baby-<lb/>
lonier nnr mit innerm Widerstreben die Sätze lesen wird, in denen die Götter<lb/>
mit Hunden und Fliegen verglichen werden usw. &#x2014; das natürliche religiöse<lb/>
Gefühl des Menschenherzens fühlt sich dadurch verletzt. Aber folgendes muß<lb/>
betont werden: die Behauptung setzt auch voraus, daß die Gottesvorstellung,<lb/>
die sich in der Vielzahl, in den Sonderbestrebungen und gegenseitigen Vor¬<lb/>
würfen der babylonischen Götter und Göttinnen ausprägt, die reinere und ur¬<lb/>
sprünglichere sei. Dies aber müßte erst noch bewiesen werden und läßt sich<lb/>
nach mehreren Anzeichen nicht als die wahrscheinlichere Anschauung über die<lb/>
religiöse Entwicklung der Menschheit erweisen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_4220"> Eine erhabnere Gottesidee leuchtet ja auch aus audern Partien der alt-<lb/>
hebräischen Literatur heraus. Hütte man doch in dem vorjährigen Vortrag<lb/>
über Babel und Bibel nur wenigstens die ersten Sätze des babylonischen<lb/>
Schöpfungsepos &#x201E;Als droben der Himmel noch nicht genannt war usw., als<lb/>
von den Göttern noch keiner da war usw., da wurden die Götter ge¬<lb/>
bildet usw." zur Vergleichung mit den Eingangsworten der Bibel: &#x201E;Am<lb/>
Anfang schuf Gott Himmel und Erde" vorgelegt! Hätte man eine Parallel!-<lb/>
fierung dieser beiden Texte doch wenigstens in den neuesten Drucken des Vor¬<lb/>
trage dargeboten! Dann wäre der illustern Zuhörerschaft und den jetzigen<lb/>
Lesern des Vortrags die Möglichkeit gegeben worden, sich selbst ein Urteil<lb/>
über die geistesgeschichtliche Stufe der beiden Darstellungen zu bilden. Wie<lb/>
aber würde dieses Urteil gelautet haben? Nun zweifellos so: Die Babylonier<lb/>
verehrten also nicht nur viele Götter, sondern sie ließen die Götter auch erst<lb/>
im Weltprozeß entsteh». Aber nach der hebräischen Religion war der Geist<lb/>
das Erste, er entwarf mit gigantischem Intellekt den wunderreichen Welten¬<lb/>
plan und brachte ihn mit urmächtigen Impulsen zur Verwirklichung.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_4221"> Übrigens auch der neuerdings so viel genannte altbabylvnische Herrscher<lb/>
Hmnmnrabi (etwa 2250 v. Chr.) war kein Monotheist. In den ersten drei Zeilen<lb/>
der vor kurzem veröffentlichten &#x201E;Gesetze Hammurabis" sind ja vier Götter ge¬<lb/>
nannt: Ann, Bel, Mardnk und Ea. In der achten Auflage meines Buches<lb/>
&#x201E;Bibel und Babel" S. 53 f. habe ich auch gezeigt, daß es keineswegs dem Text<lb/>
entspricht, wenn Delitzsch nach seinen neuesten Äußerungen dem ersten Kapitel<lb/>
der Bibel mythologische und polytheistische Elemente zuschreibt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_4222" next="#ID_4223"> Betrachtet man, wie die babylonischen Darstellungen von Bemerkungen<lb/>
über die Götter und Göttinnen förmlich durchzogen sind, und wendet man<lb/>
dann den Blick zu der althebräischen Literatur zurück, so kaun man wohl nicht</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0800] von einer großen Flut auch im Kreise der Vorfcchreu Abrahams bewahrt worden ist, und daß aus gemeinsamer alter Erinnerung die Zusammenklange stammen, die bei der Vergleichung der hebräischen und der babylonischen Flut¬ darstellung in unser Ohr fallen. Wo nun ferner liegt die reinere Ausprägung des Metalls der gemein¬ samen Erinnerungen der Urmenschheit vor? In dem bekannten Berliner Vor¬ trag ist ja gesagt worden, daß die reinere Gestalt der Fluterzählung aus den „Schatzhügeln" Babyloniens hervorgeholt worden sei. Aber auch das ist eine höchst prekäre Behauptung. Denn ich will nicht davon sprechen, daß jeder Leser der oben in ihren Grundzügen wiederholten Flutdarstellung der Baby- lonier nnr mit innerm Widerstreben die Sätze lesen wird, in denen die Götter mit Hunden und Fliegen verglichen werden usw. — das natürliche religiöse Gefühl des Menschenherzens fühlt sich dadurch verletzt. Aber folgendes muß betont werden: die Behauptung setzt auch voraus, daß die Gottesvorstellung, die sich in der Vielzahl, in den Sonderbestrebungen und gegenseitigen Vor¬ würfen der babylonischen Götter und Göttinnen ausprägt, die reinere und ur¬ sprünglichere sei. Dies aber müßte erst noch bewiesen werden und läßt sich nach mehreren Anzeichen nicht als die wahrscheinlichere Anschauung über die religiöse Entwicklung der Menschheit erweisen. Eine erhabnere Gottesidee leuchtet ja auch aus audern Partien der alt- hebräischen Literatur heraus. Hütte man doch in dem vorjährigen Vortrag über Babel und Bibel nur wenigstens die ersten Sätze des babylonischen Schöpfungsepos „Als droben der Himmel noch nicht genannt war usw., als von den Göttern noch keiner da war usw., da wurden die Götter ge¬ bildet usw." zur Vergleichung mit den Eingangsworten der Bibel: „Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde" vorgelegt! Hätte man eine Parallel!- fierung dieser beiden Texte doch wenigstens in den neuesten Drucken des Vor¬ trage dargeboten! Dann wäre der illustern Zuhörerschaft und den jetzigen Lesern des Vortrags die Möglichkeit gegeben worden, sich selbst ein Urteil über die geistesgeschichtliche Stufe der beiden Darstellungen zu bilden. Wie aber würde dieses Urteil gelautet haben? Nun zweifellos so: Die Babylonier verehrten also nicht nur viele Götter, sondern sie ließen die Götter auch erst im Weltprozeß entsteh». Aber nach der hebräischen Religion war der Geist das Erste, er entwarf mit gigantischem Intellekt den wunderreichen Welten¬ plan und brachte ihn mit urmächtigen Impulsen zur Verwirklichung. Übrigens auch der neuerdings so viel genannte altbabylvnische Herrscher Hmnmnrabi (etwa 2250 v. Chr.) war kein Monotheist. In den ersten drei Zeilen der vor kurzem veröffentlichten „Gesetze Hammurabis" sind ja vier Götter ge¬ nannt: Ann, Bel, Mardnk und Ea. In der achten Auflage meines Buches „Bibel und Babel" S. 53 f. habe ich auch gezeigt, daß es keineswegs dem Text entspricht, wenn Delitzsch nach seinen neuesten Äußerungen dem ersten Kapitel der Bibel mythologische und polytheistische Elemente zuschreibt. Betrachtet man, wie die babylonischen Darstellungen von Bemerkungen über die Götter und Göttinnen förmlich durchzogen sind, und wendet man dann den Blick zu der althebräischen Literatur zurück, so kaun man wohl nicht

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_239555
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_239555/800
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_239555/800>, abgerufen am 21.11.2024.