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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Erstes Vierteljahr.

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sollte. Preußen selbst hatte sich nach dem entscheidenden Ministerrat vom
28. Februar die Sendung eines Unterhändlers erbeten. Bisher hatte man
in Florenz ziemlich ungläubig den preußischen Gesandten Grafen Usedom an¬
gehört, der nicht müde wurde, zu versichern, daß die Dinge in Deutschland
unabwendbar dem Kriege zutrieben. Kam es aber wirklich zum Kriege, so
durfte Italien die Gelegenheit anzutun nicht versäume", denn wenn Österreich
nicht gutwillig auf Venetien verzichtete, so mußte sein Besitz mit den Waffen
erstritten werden, und Krieg konnte Italien nur führen im Bunde mit einer andern
Macht. Österreichs Gegner war Italiens natürlicher Bundesgenosse. Ander¬
seits hatte Preußen das größte Interesse daran, für den Fall eines kriegerischen
Ausgangs der Verwicklungen in Deutschland Italien zum Bundesgenossen
zu gewinnen. Einmal ans militärischen Gründen, denn Moltke wollte den
Krieg mit Österreich und seinen Verbündeten nicht wagen, ohne daß Öster¬
reich zu einer Teilung seiner Streitkräfte gezwungen wäre. Noch wichtiger
war für Bismarck der politische Gewinn ans dieser Verbindung. Hatte man
Italien zum Bundesgenossen, so hatte man in gewissem Sinn auch den Kaiser
Napoleon als stillen Teilhaber, er stand als Beschützer hinter Italien, und
man war zum mindesten seiner Neutralität sicher. Auch hoffte Bismarck.
wenn einmal Preußen feste Verabredungen mit Italien getroffen Hütte, den
König leichter auf der einmal betretenen Bahn festhalten, leichter zu einer
kriegerischen Politik fortreißen zu können. Es war die Absicht, Moltke selbst
dazu nach Florenz zu senden, daß er dort die Bündnisverhandlnng führen
sollte, und es waren schon die Instruktionen für ihn aufgesetzt, deren Inhalt
Sybel (4, 290) mitgeteilt hat, aber die Sendung unterblieb, eben weil sie
durch die Ankunft Govvnes unnötig wurde.

Die Instruktionen, die Govone von Lamcirmora erhielt, sind nicht bekannt.
In seiner berüchtigten Verteidigungs- und Anklageschrift: I7n xo' xiü al tuos
behauptet Lamarmvra, fie seien verloren gegangen. Der Verfasser unsers
Buches sagt, sie seien überhaupt nur mündlich gewesen. Man kann ihren
Inhalt erschließen aus den Berichten, die Govone über seine ersten Unter¬
redungen mit Bismarck nach Hause sandte. Er war in der Voraussetzung
gekommen, daß Preußen ungesäumt den Krieg erklären werde, und war er¬
mächtigt, nach Feststellung eines gemeinsamen politischen Programms eine
Militürkonvention abzuschließen. Aber zugleich hatte ihn Lamarmora mit dem
tiefen Mißtrauen gegen Preußen erfüllt, das ihn selber beherrschte, und er
hatte ihm auch von andern Kombinationen gesprochen, die nebeuyerliefen, und
für die die eingeleiteten Verhandlungen mit Preußen, wenn sie nicht rasch
zum Ziele führten, mir ein Hindernis sein konnten. Lmnarmoras Ruf lassen
seine Landsleute nicht antasten; er hat auch ohne Zweifel in den Jahren der
politischen Vorbereitung dem piemontesischen Staat und seinem Heere wichtige
Dienste geleistet, aber für die Zeiten der Erfüllung, für die Aufgaben, vor
die sich jetzt Italien gestellt sah, reichten seine Kräfte nicht ans. In einem
engherzigen Ideenkreise befangen und wie seine ganze Umgebung zu der
piemontesischen Militürkonsorterie gehörend, für die die Freundschaft mit dem
Kaiser Napoleon, dem großmütiger Helfer von 1859, die unverrückbare Richt-


sollte. Preußen selbst hatte sich nach dem entscheidenden Ministerrat vom
28. Februar die Sendung eines Unterhändlers erbeten. Bisher hatte man
in Florenz ziemlich ungläubig den preußischen Gesandten Grafen Usedom an¬
gehört, der nicht müde wurde, zu versichern, daß die Dinge in Deutschland
unabwendbar dem Kriege zutrieben. Kam es aber wirklich zum Kriege, so
durfte Italien die Gelegenheit anzutun nicht versäume», denn wenn Österreich
nicht gutwillig auf Venetien verzichtete, so mußte sein Besitz mit den Waffen
erstritten werden, und Krieg konnte Italien nur führen im Bunde mit einer andern
Macht. Österreichs Gegner war Italiens natürlicher Bundesgenosse. Ander¬
seits hatte Preußen das größte Interesse daran, für den Fall eines kriegerischen
Ausgangs der Verwicklungen in Deutschland Italien zum Bundesgenossen
zu gewinnen. Einmal ans militärischen Gründen, denn Moltke wollte den
Krieg mit Österreich und seinen Verbündeten nicht wagen, ohne daß Öster¬
reich zu einer Teilung seiner Streitkräfte gezwungen wäre. Noch wichtiger
war für Bismarck der politische Gewinn ans dieser Verbindung. Hatte man
Italien zum Bundesgenossen, so hatte man in gewissem Sinn auch den Kaiser
Napoleon als stillen Teilhaber, er stand als Beschützer hinter Italien, und
man war zum mindesten seiner Neutralität sicher. Auch hoffte Bismarck.
wenn einmal Preußen feste Verabredungen mit Italien getroffen Hütte, den
König leichter auf der einmal betretenen Bahn festhalten, leichter zu einer
kriegerischen Politik fortreißen zu können. Es war die Absicht, Moltke selbst
dazu nach Florenz zu senden, daß er dort die Bündnisverhandlnng führen
sollte, und es waren schon die Instruktionen für ihn aufgesetzt, deren Inhalt
Sybel (4, 290) mitgeteilt hat, aber die Sendung unterblieb, eben weil sie
durch die Ankunft Govvnes unnötig wurde.

Die Instruktionen, die Govone von Lamcirmora erhielt, sind nicht bekannt.
In seiner berüchtigten Verteidigungs- und Anklageschrift: I7n xo' xiü al tuos
behauptet Lamarmvra, fie seien verloren gegangen. Der Verfasser unsers
Buches sagt, sie seien überhaupt nur mündlich gewesen. Man kann ihren
Inhalt erschließen aus den Berichten, die Govone über seine ersten Unter¬
redungen mit Bismarck nach Hause sandte. Er war in der Voraussetzung
gekommen, daß Preußen ungesäumt den Krieg erklären werde, und war er¬
mächtigt, nach Feststellung eines gemeinsamen politischen Programms eine
Militürkonvention abzuschließen. Aber zugleich hatte ihn Lamarmora mit dem
tiefen Mißtrauen gegen Preußen erfüllt, das ihn selber beherrschte, und er
hatte ihm auch von andern Kombinationen gesprochen, die nebeuyerliefen, und
für die die eingeleiteten Verhandlungen mit Preußen, wenn sie nicht rasch
zum Ziele führten, mir ein Hindernis sein konnten. Lmnarmoras Ruf lassen
seine Landsleute nicht antasten; er hat auch ohne Zweifel in den Jahren der
politischen Vorbereitung dem piemontesischen Staat und seinem Heere wichtige
Dienste geleistet, aber für die Zeiten der Erfüllung, für die Aufgaben, vor
die sich jetzt Italien gestellt sah, reichten seine Kräfte nicht ans. In einem
engherzigen Ideenkreise befangen und wie seine ganze Umgebung zu der
piemontesischen Militürkonsorterie gehörend, für die die Freundschaft mit dem
Kaiser Napoleon, dem großmütiger Helfer von 1859, die unverrückbare Richt-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_239555/80>, abgerufen am 24.11.2024.