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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Erstes Vierteljahr.

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ihm selbst stammt. Der Arbeiter braucht, ebenso wie er nur bestimmte Muskeln
tagein tagaus anstrengt, auch nur gewisse Geisteskräfte anzuwenden zu seiner
ihm von der Maschine diktierten Arbeit.

Ein Beispiel für diese Mechanisierung des Menschen wird nur ewig er¬
innerlich bleiben als besonders charakteristisch. Im ^rmour Nonss
von Chieaao mit seinen elftausend Angestellten, wo täglich neben vielen tausend
Rindern und Schafen auch fünftausend Schweine geschlachtet und verarbeitet
werden, steht vor dem großen Rade, woran die Schweine zu dein Zwecke lebend
befestigt werden, sie emporzuheben, ein einzelner Mann mit einem Fleischerdolche
bewaffnet, mit dem er die Schweine, während sie zappelnd und qmckeno vom
Rade an ihm vorbeigeführt werden, mit blitzschnellem Stoße absticht. Dieser
Mann steht jetzt schon siebenundzwanzig Jahre an derselben Stelle, und der
einzige Handgriff, den er zu tun hat. ist eben der. mit dem er den Schweinen
die Kehle öffnet. Für die Stockjards ist dieser Virtuos natürlich unbezahlbar.
Er soll sich ein großes Vermögen erworben haben und kann, wenn er stirbt,
jedenfalls auf den größten im Schweineabstechen bisher erreichten Rekord
zurückschauen.

Ich denke keineswegs an das Ekelhafte des blutigen Handwerks, wenn
us die Frage auswerfe: Führt dieser Schlächter ein menschenwürdiges Dasei"/
Ist hier der Mensch bei aller Eleganz der Arbeitsleistung nicht zum Maschinen¬
teile hinabgesunken? Kann er seine Seele in eine solche Arbeit legen? Kann
er irgend etwas der Künstlerfreude des selbständig Schaffenden ähnliches
empfinden, von der jeder einfachste Handwerker immer noch einen Hauch zu
spüren vermag?

Solche Existenzen, nicht ganz so kraß natürlich wie die geschilderte, er¬
zeugt eben der zum Niesenwuchs entartete, in der Spezialisierung der Einzel-
leistung ans die Spitze getriebne Großbetrieb. Je größer das Unternehmen,
desto tiefer muß die Selbständigkeit des Einzelnen gedrückt werden. Je besser
^'geschliffen und auseinander eingeschlagen die Teile sind, desto glatter arbeitet
das Ganze. Ein Mensch ein Handgriff! Schließlich bekommen wir Naturen,
die wie Uferkiesel einander gleich sind. Wahrhaftig, wenn das das Knltur-
ergebnis des verflossenen Jahrhunderts wäre, dann hätten Männer wie Goethe,
Emerson, Ruskiu umsonst gelebt!

Es soll nicht in Abrede gestellt werden, daß auch dem Arbeiter Vorteile
aus dieser Arbeitsweise entspringen. Die Leistungsfähigkeit amerikanischer In¬
dustrien erlaubt ihnen bessere Bezahlung ihrer Leute, und der höhere Lohn
macht wieder die Leute leistungsfähiger. Und was mehr bedeutet als Geld: bei
erhöhten Leistungen kann die Arbeitszeit verkürzt werden. Freie Zeit bedeutet
die Möglichkeit, sich körperlich zu vervollkommnen und geistig weiterzubilden,
für den, der den Trieb zur Entwicklung in sich hat.

Ein Gegenmittel gegen die abstumpfende, geisttötende Wirkung der Maschine
Uegt in der fortschreitenden Verbesserung der Technik. Je vollkommner die
Maschine wird, desto mehr nimmt sie dem Menschen die gröbste Arbeit ub.
Der Arbeiter wird zu einer Art von Aufsichtsbeamten, der nur noch nach¬
helfend und korrigierend einzugreifen braucht. Je mehr sich die Maschine ver


ihm selbst stammt. Der Arbeiter braucht, ebenso wie er nur bestimmte Muskeln
tagein tagaus anstrengt, auch nur gewisse Geisteskräfte anzuwenden zu seiner
ihm von der Maschine diktierten Arbeit.

Ein Beispiel für diese Mechanisierung des Menschen wird nur ewig er¬
innerlich bleiben als besonders charakteristisch. Im ^rmour Nonss
von Chieaao mit seinen elftausend Angestellten, wo täglich neben vielen tausend
Rindern und Schafen auch fünftausend Schweine geschlachtet und verarbeitet
werden, steht vor dem großen Rade, woran die Schweine zu dein Zwecke lebend
befestigt werden, sie emporzuheben, ein einzelner Mann mit einem Fleischerdolche
bewaffnet, mit dem er die Schweine, während sie zappelnd und qmckeno vom
Rade an ihm vorbeigeführt werden, mit blitzschnellem Stoße absticht. Dieser
Mann steht jetzt schon siebenundzwanzig Jahre an derselben Stelle, und der
einzige Handgriff, den er zu tun hat. ist eben der. mit dem er den Schweinen
die Kehle öffnet. Für die Stockjards ist dieser Virtuos natürlich unbezahlbar.
Er soll sich ein großes Vermögen erworben haben und kann, wenn er stirbt,
jedenfalls auf den größten im Schweineabstechen bisher erreichten Rekord
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Ich denke keineswegs an das Ekelhafte des blutigen Handwerks, wenn
us die Frage auswerfe: Führt dieser Schlächter ein menschenwürdiges Dasei«/
Ist hier der Mensch bei aller Eleganz der Arbeitsleistung nicht zum Maschinen¬
teile hinabgesunken? Kann er seine Seele in eine solche Arbeit legen? Kann
er irgend etwas der Künstlerfreude des selbständig Schaffenden ähnliches
empfinden, von der jeder einfachste Handwerker immer noch einen Hauch zu
spüren vermag?

Solche Existenzen, nicht ganz so kraß natürlich wie die geschilderte, er¬
zeugt eben der zum Niesenwuchs entartete, in der Spezialisierung der Einzel-
leistung ans die Spitze getriebne Großbetrieb. Je größer das Unternehmen,
desto tiefer muß die Selbständigkeit des Einzelnen gedrückt werden. Je besser
^'geschliffen und auseinander eingeschlagen die Teile sind, desto glatter arbeitet
das Ganze. Ein Mensch ein Handgriff! Schließlich bekommen wir Naturen,
die wie Uferkiesel einander gleich sind. Wahrhaftig, wenn das das Knltur-
ergebnis des verflossenen Jahrhunderts wäre, dann hätten Männer wie Goethe,
Emerson, Ruskiu umsonst gelebt!

Es soll nicht in Abrede gestellt werden, daß auch dem Arbeiter Vorteile
aus dieser Arbeitsweise entspringen. Die Leistungsfähigkeit amerikanischer In¬
dustrien erlaubt ihnen bessere Bezahlung ihrer Leute, und der höhere Lohn
macht wieder die Leute leistungsfähiger. Und was mehr bedeutet als Geld: bei
erhöhten Leistungen kann die Arbeitszeit verkürzt werden. Freie Zeit bedeutet
die Möglichkeit, sich körperlich zu vervollkommnen und geistig weiterzubilden,
für den, der den Trieb zur Entwicklung in sich hat.

Ein Gegenmittel gegen die abstumpfende, geisttötende Wirkung der Maschine
Uegt in der fortschreitenden Verbesserung der Technik. Je vollkommner die
Maschine wird, desto mehr nimmt sie dem Menschen die gröbste Arbeit ub.
Der Arbeiter wird zu einer Art von Aufsichtsbeamten, der nur noch nach¬
helfend und korrigierend einzugreifen braucht. Je mehr sich die Maschine ver


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_239555/765>, abgerufen am 28.07.2024.