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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Erstes Vierteljahr.

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Feuer!

Lage versehen, daß er im Augenblick gar nichts denkt und den Gegenstand, der
die Überraschung hervorgebracht hat, nur anstarrt. So ging es mir mit dem Schlosse
an der Tür des Hinterhauses im Hofe des Fräuleins Wera Schtschepin. Ich sah
deutlich, daß es ein Schloß war, ein tüchtiges, vielleicht ans Bestellung gefertigtes
Vorhängeschloß, und die Abwesenheit der beiden Damen Ssawinski war mir auch
klar, aber -- ich glaube, ich stand mehrere Minuten, ehe ich fähig war zu be¬
greifen, daß ich umkehren, weggehn und ein andres mal wiederkommen müsse.
Daß es den: Hasse gegen die Vorhängeschlösser nicht gelang, sich endgiltig in meinem
Gemüt festzusehen, daran war das Fräulein Wera Schtschepin schuld, denn kaum
hatte ich langsam und mechanisch wieder den Vorplatz erreicht, als ich die zungen¬
fertige Dame dicht vor mir sah.

Ich bitte, Herr Gehilfe, auf zwei Worte, sagte sie würdevoll und machte eine
höflich einladende und zugleich entschied"" Handbewegung gegen ihre geöffnete Tür.
Ich bitte sehr, gehn Sie voran.

Ohne etwas zu deuten, gehorchte ich. Das Denken hätte mir übrigens auch
nicht viel geholfen, denn sie hatte sich so gestellt, daß sie "ur einen Schritt rück¬
wärts zu tun brauchte, um mir die Außentür zu versperren. Kaum war ich im
Vorhause, so huschte sie auch schon nach und verschloß die Tür. Der Ton des
schnappenden Schlosses brachte mich einigermaßen zur Besinnung und zu dem Be¬
wußtsein, daß ich in der Falle sitze. Sie drehte den Schlüssel zweimal um. Gott
sei Dank! sie zog ihn nicht ab, sondern ließ ihn stecken. Die Zimmertür wurde
von innen geöffnet, und das Dienstmädchen ließ uns eintreten. Die arme Person
hatte die Hand noch auf dem Drücker, als die Zunge des Friinleins schon in vollem
Zuge war, die Magd zu schelten, daß sie mir den Mantel nicht abnehme, und
mich zum Zeugen anzurufen, wie schwer eine alleinstehende, feingebildete Dame es
mit solchen rohen, eigensinnigen, keine Lehre annehmen wollenden . . .

Erlauben Sie, sagte ich sehr laut, um ihren Redestrom zu unterbrechen, ich
werde nicht ablegen. Ich habe nnr wenig Minuten . . .

Sie hatte schon selbst eine Seite des Mantels gepackt, während das Mädchen
die andre faßte, und das Kleidungsstück war nicht mehr in meiner Macht. Auf
mich einredend und mir immer dichter ans den Leib rückend, drängte sie mich durch
das Vorzimmer in den Salon und zum Sofa. Der Gefahr, auf dem Sofa neben
ihr sitzen zu müssen und von ihr möglicherweise am Arme oder Ärmel festgehalten
zu werden, entging ich durch eine rasche Bewegung, die mich auf den Sessel dem
Sofa gegenüber und den Sofntisch zwischen uns beide brachte. Nun ging es los.
Sie sprang von der Magd ohne jede vermittelnde Phrase ans die Ssawinskis über
und ließ ihren: Zorne in Sticheleien und Schmähungen freien Lauf. Ich machte
unterdessen die Entdeckung, daß ich von meinem Stuhle aus durch das Fenster
sehen konnte, das ans den Vorplatz führte. Ich saß deshalb unbeweglich und ließ
das Fenster nicht aus den Augen, um die Rückkehr der Bewohnerinnen des Hinter¬
hauses nicht zu verpasse". Als das Fräulein immer nngeniertere und ehrenrührigere
Ausdrücke brauchte, konnte ich nicht unterlassen, für die abwesenden Damen gegen
die vorgebrachten Beschuldigungen Protest zu erhebeni ich merkte jedoch sogleich,
daß das nur Öl ins Feuer gießen hieß. Ich beschloß also, hartnäckig zu schweigen,
mich durch nichts zu einer Entgegnung verleiten zu lassen nud ruhig zu harren,
bis die Zunge der Redenden ermüde, oder -- bis die Ssawinskis nach Hause
kämen. In diesen, Falle -- das war eine beschlossene Sache -- wollte ich mich
plötzlich erheben, zu meinem Mantel springen, ihn über den Arm werfen, die Tür
mit der Linken öffnen und die Wirtin, falls sie versuchen würde, mich zu hindern,
mit der Rechten zurückschieben.

So ergab ich mich denn einstweilen in mein Schicksal, schaute durch das
Fenster, bemühte mich, nichts zu hören, und versuchte mir auszumalen, wie Mahada
bei ihrer Rückkehr gewandt über den Vorplatz eilen und dabei scheu und schlau mit
ihren grauen Augen in das Zimmer blicken werde, um zu sehen, ob die gefürchtete


Feuer!

Lage versehen, daß er im Augenblick gar nichts denkt und den Gegenstand, der
die Überraschung hervorgebracht hat, nur anstarrt. So ging es mir mit dem Schlosse
an der Tür des Hinterhauses im Hofe des Fräuleins Wera Schtschepin. Ich sah
deutlich, daß es ein Schloß war, ein tüchtiges, vielleicht ans Bestellung gefertigtes
Vorhängeschloß, und die Abwesenheit der beiden Damen Ssawinski war mir auch
klar, aber — ich glaube, ich stand mehrere Minuten, ehe ich fähig war zu be¬
greifen, daß ich umkehren, weggehn und ein andres mal wiederkommen müsse.
Daß es den: Hasse gegen die Vorhängeschlösser nicht gelang, sich endgiltig in meinem
Gemüt festzusehen, daran war das Fräulein Wera Schtschepin schuld, denn kaum
hatte ich langsam und mechanisch wieder den Vorplatz erreicht, als ich die zungen¬
fertige Dame dicht vor mir sah.

Ich bitte, Herr Gehilfe, auf zwei Worte, sagte sie würdevoll und machte eine
höflich einladende und zugleich entschied»« Handbewegung gegen ihre geöffnete Tür.
Ich bitte sehr, gehn Sie voran.

Ohne etwas zu deuten, gehorchte ich. Das Denken hätte mir übrigens auch
nicht viel geholfen, denn sie hatte sich so gestellt, daß sie »ur einen Schritt rück¬
wärts zu tun brauchte, um mir die Außentür zu versperren. Kaum war ich im
Vorhause, so huschte sie auch schon nach und verschloß die Tür. Der Ton des
schnappenden Schlosses brachte mich einigermaßen zur Besinnung und zu dem Be¬
wußtsein, daß ich in der Falle sitze. Sie drehte den Schlüssel zweimal um. Gott
sei Dank! sie zog ihn nicht ab, sondern ließ ihn stecken. Die Zimmertür wurde
von innen geöffnet, und das Dienstmädchen ließ uns eintreten. Die arme Person
hatte die Hand noch auf dem Drücker, als die Zunge des Friinleins schon in vollem
Zuge war, die Magd zu schelten, daß sie mir den Mantel nicht abnehme, und
mich zum Zeugen anzurufen, wie schwer eine alleinstehende, feingebildete Dame es
mit solchen rohen, eigensinnigen, keine Lehre annehmen wollenden . . .

Erlauben Sie, sagte ich sehr laut, um ihren Redestrom zu unterbrechen, ich
werde nicht ablegen. Ich habe nnr wenig Minuten . . .

Sie hatte schon selbst eine Seite des Mantels gepackt, während das Mädchen
die andre faßte, und das Kleidungsstück war nicht mehr in meiner Macht. Auf
mich einredend und mir immer dichter ans den Leib rückend, drängte sie mich durch
das Vorzimmer in den Salon und zum Sofa. Der Gefahr, auf dem Sofa neben
ihr sitzen zu müssen und von ihr möglicherweise am Arme oder Ärmel festgehalten
zu werden, entging ich durch eine rasche Bewegung, die mich auf den Sessel dem
Sofa gegenüber und den Sofntisch zwischen uns beide brachte. Nun ging es los.
Sie sprang von der Magd ohne jede vermittelnde Phrase ans die Ssawinskis über
und ließ ihren: Zorne in Sticheleien und Schmähungen freien Lauf. Ich machte
unterdessen die Entdeckung, daß ich von meinem Stuhle aus durch das Fenster
sehen konnte, das ans den Vorplatz führte. Ich saß deshalb unbeweglich und ließ
das Fenster nicht aus den Augen, um die Rückkehr der Bewohnerinnen des Hinter¬
hauses nicht zu verpasse». Als das Fräulein immer nngeniertere und ehrenrührigere
Ausdrücke brauchte, konnte ich nicht unterlassen, für die abwesenden Damen gegen
die vorgebrachten Beschuldigungen Protest zu erhebeni ich merkte jedoch sogleich,
daß das nur Öl ins Feuer gießen hieß. Ich beschloß also, hartnäckig zu schweigen,
mich durch nichts zu einer Entgegnung verleiten zu lassen nud ruhig zu harren,
bis die Zunge der Redenden ermüde, oder — bis die Ssawinskis nach Hause
kämen. In diesen, Falle — das war eine beschlossene Sache — wollte ich mich
plötzlich erheben, zu meinem Mantel springen, ihn über den Arm werfen, die Tür
mit der Linken öffnen und die Wirtin, falls sie versuchen würde, mich zu hindern,
mit der Rechten zurückschieben.

So ergab ich mich denn einstweilen in mein Schicksal, schaute durch das
Fenster, bemühte mich, nichts zu hören, und versuchte mir auszumalen, wie Mahada
bei ihrer Rückkehr gewandt über den Vorplatz eilen und dabei scheu und schlau mit
ihren grauen Augen in das Zimmer blicken werde, um zu sehen, ob die gefürchtete


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[0746] Feuer! Lage versehen, daß er im Augenblick gar nichts denkt und den Gegenstand, der die Überraschung hervorgebracht hat, nur anstarrt. So ging es mir mit dem Schlosse an der Tür des Hinterhauses im Hofe des Fräuleins Wera Schtschepin. Ich sah deutlich, daß es ein Schloß war, ein tüchtiges, vielleicht ans Bestellung gefertigtes Vorhängeschloß, und die Abwesenheit der beiden Damen Ssawinski war mir auch klar, aber — ich glaube, ich stand mehrere Minuten, ehe ich fähig war zu be¬ greifen, daß ich umkehren, weggehn und ein andres mal wiederkommen müsse. Daß es den: Hasse gegen die Vorhängeschlösser nicht gelang, sich endgiltig in meinem Gemüt festzusehen, daran war das Fräulein Wera Schtschepin schuld, denn kaum hatte ich langsam und mechanisch wieder den Vorplatz erreicht, als ich die zungen¬ fertige Dame dicht vor mir sah. Ich bitte, Herr Gehilfe, auf zwei Worte, sagte sie würdevoll und machte eine höflich einladende und zugleich entschied»« Handbewegung gegen ihre geöffnete Tür. Ich bitte sehr, gehn Sie voran. Ohne etwas zu deuten, gehorchte ich. Das Denken hätte mir übrigens auch nicht viel geholfen, denn sie hatte sich so gestellt, daß sie »ur einen Schritt rück¬ wärts zu tun brauchte, um mir die Außentür zu versperren. Kaum war ich im Vorhause, so huschte sie auch schon nach und verschloß die Tür. Der Ton des schnappenden Schlosses brachte mich einigermaßen zur Besinnung und zu dem Be¬ wußtsein, daß ich in der Falle sitze. Sie drehte den Schlüssel zweimal um. Gott sei Dank! sie zog ihn nicht ab, sondern ließ ihn stecken. Die Zimmertür wurde von innen geöffnet, und das Dienstmädchen ließ uns eintreten. Die arme Person hatte die Hand noch auf dem Drücker, als die Zunge des Friinleins schon in vollem Zuge war, die Magd zu schelten, daß sie mir den Mantel nicht abnehme, und mich zum Zeugen anzurufen, wie schwer eine alleinstehende, feingebildete Dame es mit solchen rohen, eigensinnigen, keine Lehre annehmen wollenden . . . Erlauben Sie, sagte ich sehr laut, um ihren Redestrom zu unterbrechen, ich werde nicht ablegen. Ich habe nnr wenig Minuten . . . Sie hatte schon selbst eine Seite des Mantels gepackt, während das Mädchen die andre faßte, und das Kleidungsstück war nicht mehr in meiner Macht. Auf mich einredend und mir immer dichter ans den Leib rückend, drängte sie mich durch das Vorzimmer in den Salon und zum Sofa. Der Gefahr, auf dem Sofa neben ihr sitzen zu müssen und von ihr möglicherweise am Arme oder Ärmel festgehalten zu werden, entging ich durch eine rasche Bewegung, die mich auf den Sessel dem Sofa gegenüber und den Sofntisch zwischen uns beide brachte. Nun ging es los. Sie sprang von der Magd ohne jede vermittelnde Phrase ans die Ssawinskis über und ließ ihren: Zorne in Sticheleien und Schmähungen freien Lauf. Ich machte unterdessen die Entdeckung, daß ich von meinem Stuhle aus durch das Fenster sehen konnte, das ans den Vorplatz führte. Ich saß deshalb unbeweglich und ließ das Fenster nicht aus den Augen, um die Rückkehr der Bewohnerinnen des Hinter¬ hauses nicht zu verpasse». Als das Fräulein immer nngeniertere und ehrenrührigere Ausdrücke brauchte, konnte ich nicht unterlassen, für die abwesenden Damen gegen die vorgebrachten Beschuldigungen Protest zu erhebeni ich merkte jedoch sogleich, daß das nur Öl ins Feuer gießen hieß. Ich beschloß also, hartnäckig zu schweigen, mich durch nichts zu einer Entgegnung verleiten zu lassen nud ruhig zu harren, bis die Zunge der Redenden ermüde, oder — bis die Ssawinskis nach Hause kämen. In diesen, Falle — das war eine beschlossene Sache — wollte ich mich plötzlich erheben, zu meinem Mantel springen, ihn über den Arm werfen, die Tür mit der Linken öffnen und die Wirtin, falls sie versuchen würde, mich zu hindern, mit der Rechten zurückschieben. So ergab ich mich denn einstweilen in mein Schicksal, schaute durch das Fenster, bemühte mich, nichts zu hören, und versuchte mir auszumalen, wie Mahada bei ihrer Rückkehr gewandt über den Vorplatz eilen und dabei scheu und schlau mit ihren grauen Augen in das Zimmer blicken werde, um zu sehen, ob die gefürchtete

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Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_239555/746>, abgerufen am 28.07.2024.