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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Erstes Vierteljahr.

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Gin Sommerilrlaub in Pommern

graziös über die Schulter, und als ich, mit ihm im Hotel angekommen, den Wunsch,
ein Zimmer zu haben, aussprach, hatte ich die Wahl: in der ersten, in der zweiten
Etage, nach vorn, nach hinten, klein oder groß, ich konnte sogar den Salon "der
Fürstin" oder deren Schlafzimmer haben. Ich glaube, ich war eben im Begriff,
mich für das Schlafzimmer der Fürstin zu entscheiden, halb aus Sentimentalität,
halb um meine Freunde, die jungen Bootsleute, damit neidisch zu machen, als
Friedrich Wilhelm einen Zettel produzierte, auf dem der Oheim den Wunsch aus¬
drückte, man möge mir ein gutes Bett mit einer Roßhaarmatratze und ein freund¬
liches Zimmer mit einem Ofen geben. Ob das Schlafzimmer der Fürstin diesen
Erfordernissen nicht entsprach, oder ob irgend ein kabbalistisches Zeichen auf dem
Zettel stand , aus dem man ersehen hatte, daß Narreteien nicht am Platz waren,
kann ich nicht sagen: ich wurde sofort, als wenn von dem Schlafzimmer der Fürstin
nie die Rede gewesen wäre, in ein andres außerordentlich behagliches Zimmer ge¬
führt und nicht wie ein Badegast, sondern fast wie ein volles Menschenrecht ge¬
nießender Eingeborner behandelt. Der Abschied von Friedrich Wilhelm war herz¬
lich, aber nicht wortreich: er war von Natur nicht beredt, und vor dem Kellner,
der damals bei der Abfahrt wie ein Satyr gegrinst hatte, versiegte mein Platt wie
ein ausgetrockneter Born.

Die Städter, die zur Erholung an die See oder in die Berge gehn, zer¬
fallen in vier Kategorien: solche, denen die See, solche, denen der Aufenthalt in
den Bergen besser bekommt! solche, denen beides, und solche, denen keins von beiden
zuträglich ist. Die Berge bekommen mir gut, und Spaß hat man eigentlich mehr
in den Bergen, aber was die Gesundheit, die Erholung anlangt, so schlägt nichts
so herrlich bei mir an wie die See. Ich mußte diese höchst persönliche Vemerknng
vorausschicken, weil die Schilderung der letzten Wochen meines Urlaubs ganz ver¬
geblich wäre, wenn es mir nicht gelänge, dem Leser einigermaßen ein Bild des
unvergleichlichen körperlichen und geistigen Behagens zu geben, worin ich während
dieser glücklichen Zeit wie ein echter Lvtophage von früh bis abends dahin lebte.
Daß zu so wonnevollen Stunden auch und in erster Reihe Gesundheit und guter
Appetit gehören,' ist freilich eine für unsern Stolz als ideale Geschöpfe schmerzliche,
aber unumstößliche Wahrheit. Oder wäre Heringsdorf wirklich in jenen Herbst¬
wochen, was Gegend, Luft und Beleuchtung anlangte, soviel schöner gewesen als
alles, was ich bisher kennen gelernt hatte, wäre die Unterhaltungsgabe des Oheims,
der regelmäßig die Vormittagsstunden von elf bis ein Uhr mit mir in der Veranda
verbrachte und mir dabei ein in der Hauptsache aus geräucherter Flunder und
seinem schon erwähnten, himmlisch schönen Bordeaux bestehendes zweites Frühstück
vorsetzte, soviel anregender und vielseitiger gewesen als die meiner bisherigen
Freunde und Bekannten? Unbeantwortete Fragen macheu sich eigentlich gut,
und sie haben obendrein den Vorzug, deu Leser, wenn er nicht gar zu eilig ist,
zu einer kleinen Überlegungspause anzuregen: Denk e bissel nach! Aber Tatsache
war es doch, daß mir der Zusammenhang von Ursache und Wirkung eigentlich nicht
fraglich sein konnte: die Seebäder, das Bootfahren, das behagliche sich Dämpfen
in der hellen, warmen Herbstsonne, die geräucherte Flunder und der gebenedeite
Bordeaux machten sogar ans den" etwas schwnpvigen Referendar einen Holzbock,
und das Gefühl, wohler, fauler und für den Sporn des Ehrgeizes und des
Wettbewerbs unempfindlicher zu sein, als man sonst von sich gewohnt war, ver¬
goldete alles.

Die unvergeßlichen Frühstücke wurden in der, wenn die Erinnerung mich nicht
täuscht, nach Südost offnen, vor dem unmittelbaren Aufprall der Sonnenstrahlen durch
eine Markise geschützten Veranda eingenommen, zu der während dieser geweihten
Stunden niemand anders recht freien Zutritt hatte, Tante Nadiegeda nicht, weil sie
doch mit einer auf Geselligkeit bezüglichen Frage die Kontemplationen, Meditationen
und Diskussionen der beiden weltentrückten Fakirs hätte unterbrechen können; die beiden
Töchter nicht, weil sie sich auf kein wahres Frühstücken verstanden; mein zweit-


Gin Sommerilrlaub in Pommern

graziös über die Schulter, und als ich, mit ihm im Hotel angekommen, den Wunsch,
ein Zimmer zu haben, aussprach, hatte ich die Wahl: in der ersten, in der zweiten
Etage, nach vorn, nach hinten, klein oder groß, ich konnte sogar den Salon „der
Fürstin" oder deren Schlafzimmer haben. Ich glaube, ich war eben im Begriff,
mich für das Schlafzimmer der Fürstin zu entscheiden, halb aus Sentimentalität,
halb um meine Freunde, die jungen Bootsleute, damit neidisch zu machen, als
Friedrich Wilhelm einen Zettel produzierte, auf dem der Oheim den Wunsch aus¬
drückte, man möge mir ein gutes Bett mit einer Roßhaarmatratze und ein freund¬
liches Zimmer mit einem Ofen geben. Ob das Schlafzimmer der Fürstin diesen
Erfordernissen nicht entsprach, oder ob irgend ein kabbalistisches Zeichen auf dem
Zettel stand , aus dem man ersehen hatte, daß Narreteien nicht am Platz waren,
kann ich nicht sagen: ich wurde sofort, als wenn von dem Schlafzimmer der Fürstin
nie die Rede gewesen wäre, in ein andres außerordentlich behagliches Zimmer ge¬
führt und nicht wie ein Badegast, sondern fast wie ein volles Menschenrecht ge¬
nießender Eingeborner behandelt. Der Abschied von Friedrich Wilhelm war herz¬
lich, aber nicht wortreich: er war von Natur nicht beredt, und vor dem Kellner,
der damals bei der Abfahrt wie ein Satyr gegrinst hatte, versiegte mein Platt wie
ein ausgetrockneter Born.

Die Städter, die zur Erholung an die See oder in die Berge gehn, zer¬
fallen in vier Kategorien: solche, denen die See, solche, denen der Aufenthalt in
den Bergen besser bekommt! solche, denen beides, und solche, denen keins von beiden
zuträglich ist. Die Berge bekommen mir gut, und Spaß hat man eigentlich mehr
in den Bergen, aber was die Gesundheit, die Erholung anlangt, so schlägt nichts
so herrlich bei mir an wie die See. Ich mußte diese höchst persönliche Vemerknng
vorausschicken, weil die Schilderung der letzten Wochen meines Urlaubs ganz ver¬
geblich wäre, wenn es mir nicht gelänge, dem Leser einigermaßen ein Bild des
unvergleichlichen körperlichen und geistigen Behagens zu geben, worin ich während
dieser glücklichen Zeit wie ein echter Lvtophage von früh bis abends dahin lebte.
Daß zu so wonnevollen Stunden auch und in erster Reihe Gesundheit und guter
Appetit gehören,' ist freilich eine für unsern Stolz als ideale Geschöpfe schmerzliche,
aber unumstößliche Wahrheit. Oder wäre Heringsdorf wirklich in jenen Herbst¬
wochen, was Gegend, Luft und Beleuchtung anlangte, soviel schöner gewesen als
alles, was ich bisher kennen gelernt hatte, wäre die Unterhaltungsgabe des Oheims,
der regelmäßig die Vormittagsstunden von elf bis ein Uhr mit mir in der Veranda
verbrachte und mir dabei ein in der Hauptsache aus geräucherter Flunder und
seinem schon erwähnten, himmlisch schönen Bordeaux bestehendes zweites Frühstück
vorsetzte, soviel anregender und vielseitiger gewesen als die meiner bisherigen
Freunde und Bekannten? Unbeantwortete Fragen macheu sich eigentlich gut,
und sie haben obendrein den Vorzug, deu Leser, wenn er nicht gar zu eilig ist,
zu einer kleinen Überlegungspause anzuregen: Denk e bissel nach! Aber Tatsache
war es doch, daß mir der Zusammenhang von Ursache und Wirkung eigentlich nicht
fraglich sein konnte: die Seebäder, das Bootfahren, das behagliche sich Dämpfen
in der hellen, warmen Herbstsonne, die geräucherte Flunder und der gebenedeite
Bordeaux machten sogar ans den« etwas schwnpvigen Referendar einen Holzbock,
und das Gefühl, wohler, fauler und für den Sporn des Ehrgeizes und des
Wettbewerbs unempfindlicher zu sein, als man sonst von sich gewohnt war, ver¬
goldete alles.

Die unvergeßlichen Frühstücke wurden in der, wenn die Erinnerung mich nicht
täuscht, nach Südost offnen, vor dem unmittelbaren Aufprall der Sonnenstrahlen durch
eine Markise geschützten Veranda eingenommen, zu der während dieser geweihten
Stunden niemand anders recht freien Zutritt hatte, Tante Nadiegeda nicht, weil sie
doch mit einer auf Geselligkeit bezüglichen Frage die Kontemplationen, Meditationen
und Diskussionen der beiden weltentrückten Fakirs hätte unterbrechen können; die beiden
Töchter nicht, weil sie sich auf kein wahres Frühstücken verstanden; mein zweit-


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[0738] Gin Sommerilrlaub in Pommern graziös über die Schulter, und als ich, mit ihm im Hotel angekommen, den Wunsch, ein Zimmer zu haben, aussprach, hatte ich die Wahl: in der ersten, in der zweiten Etage, nach vorn, nach hinten, klein oder groß, ich konnte sogar den Salon „der Fürstin" oder deren Schlafzimmer haben. Ich glaube, ich war eben im Begriff, mich für das Schlafzimmer der Fürstin zu entscheiden, halb aus Sentimentalität, halb um meine Freunde, die jungen Bootsleute, damit neidisch zu machen, als Friedrich Wilhelm einen Zettel produzierte, auf dem der Oheim den Wunsch aus¬ drückte, man möge mir ein gutes Bett mit einer Roßhaarmatratze und ein freund¬ liches Zimmer mit einem Ofen geben. Ob das Schlafzimmer der Fürstin diesen Erfordernissen nicht entsprach, oder ob irgend ein kabbalistisches Zeichen auf dem Zettel stand , aus dem man ersehen hatte, daß Narreteien nicht am Platz waren, kann ich nicht sagen: ich wurde sofort, als wenn von dem Schlafzimmer der Fürstin nie die Rede gewesen wäre, in ein andres außerordentlich behagliches Zimmer ge¬ führt und nicht wie ein Badegast, sondern fast wie ein volles Menschenrecht ge¬ nießender Eingeborner behandelt. Der Abschied von Friedrich Wilhelm war herz¬ lich, aber nicht wortreich: er war von Natur nicht beredt, und vor dem Kellner, der damals bei der Abfahrt wie ein Satyr gegrinst hatte, versiegte mein Platt wie ein ausgetrockneter Born. Die Städter, die zur Erholung an die See oder in die Berge gehn, zer¬ fallen in vier Kategorien: solche, denen die See, solche, denen der Aufenthalt in den Bergen besser bekommt! solche, denen beides, und solche, denen keins von beiden zuträglich ist. Die Berge bekommen mir gut, und Spaß hat man eigentlich mehr in den Bergen, aber was die Gesundheit, die Erholung anlangt, so schlägt nichts so herrlich bei mir an wie die See. Ich mußte diese höchst persönliche Vemerknng vorausschicken, weil die Schilderung der letzten Wochen meines Urlaubs ganz ver¬ geblich wäre, wenn es mir nicht gelänge, dem Leser einigermaßen ein Bild des unvergleichlichen körperlichen und geistigen Behagens zu geben, worin ich während dieser glücklichen Zeit wie ein echter Lvtophage von früh bis abends dahin lebte. Daß zu so wonnevollen Stunden auch und in erster Reihe Gesundheit und guter Appetit gehören,' ist freilich eine für unsern Stolz als ideale Geschöpfe schmerzliche, aber unumstößliche Wahrheit. Oder wäre Heringsdorf wirklich in jenen Herbst¬ wochen, was Gegend, Luft und Beleuchtung anlangte, soviel schöner gewesen als alles, was ich bisher kennen gelernt hatte, wäre die Unterhaltungsgabe des Oheims, der regelmäßig die Vormittagsstunden von elf bis ein Uhr mit mir in der Veranda verbrachte und mir dabei ein in der Hauptsache aus geräucherter Flunder und seinem schon erwähnten, himmlisch schönen Bordeaux bestehendes zweites Frühstück vorsetzte, soviel anregender und vielseitiger gewesen als die meiner bisherigen Freunde und Bekannten? Unbeantwortete Fragen macheu sich eigentlich gut, und sie haben obendrein den Vorzug, deu Leser, wenn er nicht gar zu eilig ist, zu einer kleinen Überlegungspause anzuregen: Denk e bissel nach! Aber Tatsache war es doch, daß mir der Zusammenhang von Ursache und Wirkung eigentlich nicht fraglich sein konnte: die Seebäder, das Bootfahren, das behagliche sich Dämpfen in der hellen, warmen Herbstsonne, die geräucherte Flunder und der gebenedeite Bordeaux machten sogar ans den« etwas schwnpvigen Referendar einen Holzbock, und das Gefühl, wohler, fauler und für den Sporn des Ehrgeizes und des Wettbewerbs unempfindlicher zu sein, als man sonst von sich gewohnt war, ver¬ goldete alles. Die unvergeßlichen Frühstücke wurden in der, wenn die Erinnerung mich nicht täuscht, nach Südost offnen, vor dem unmittelbaren Aufprall der Sonnenstrahlen durch eine Markise geschützten Veranda eingenommen, zu der während dieser geweihten Stunden niemand anders recht freien Zutritt hatte, Tante Nadiegeda nicht, weil sie doch mit einer auf Geselligkeit bezüglichen Frage die Kontemplationen, Meditationen und Diskussionen der beiden weltentrückten Fakirs hätte unterbrechen können; die beiden Töchter nicht, weil sie sich auf kein wahres Frühstücken verstanden; mein zweit-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_239555/738>, abgerufen am 28.07.2024.