Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Erstes Vierteljahr.Tripolis, eine politische Wetterwarte einen sehr lebhaften Verkehr hervorrufen will. Weit mehr aber noch lockt Man könnte sich wundern, warum unter diesen Umständen nicht schon Verdenken kann man es England ja nicht, daß es die ausschließliche Herr¬ Tripolis, eine politische Wetterwarte einen sehr lebhaften Verkehr hervorrufen will. Weit mehr aber noch lockt Man könnte sich wundern, warum unter diesen Umständen nicht schon Verdenken kann man es England ja nicht, daß es die ausschließliche Herr¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0073" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/239629"/> <fw type="header" place="top"> Tripolis, eine politische Wetterwarte</fw><lb/> <p xml:id="ID_367" prev="#ID_366"> einen sehr lebhaften Verkehr hervorrufen will. Weit mehr aber noch lockt<lb/> zweitens die Möglichkeit, italienische Landbauern in den fruchtbaren Atlas¬<lb/> tälern anzusiedeln. Je mehr der überwiegende Großgrundbesitz in Italien das<lb/> Aufsteigen des landbauenden Arbeiters zu eignem Landbesitz erschwert, um so<lb/> wünschenswerter ist es, ein Neuland zu beschaffen, in das der starke Strom<lb/> arbeitseifriger, genügsamer Auswandrer abgeleitet werden konnte, der jetzt für<lb/> das Vaterland nutzlos in Nordamerika verschwindet und in Südamerika doch<lb/> nur die allgemeine neue lateinische Nasse stärken hilft, die dort in der Bildung<lb/> begriffen ist. Ganz anders würde das Verhältnis in Tripolis sein. Der<lb/> fleißige italienische Kleinbauer würde jederzeit im Verkehr und unter dein<lb/> Schutze der Heimat bleiben und vermöchte leicht immer neuem Nachschub von<lb/> dort die Wege zu ebnem Der Araber ist überall eigentlich mehr Viehzüchter<lb/> als Ackerbauer und bestellt nur soviel Feld, als er für sich braucht; der<lb/> Italiener würde der richtige Ackerbauer werdeu, der das Wort: Afrika die<lb/> Kornkammer Roms, an seinem Teile bald wieder wahr machen würde. Daß<lb/> aber auf die Dauer der Ackerbauer deu Hälbnomaden immer verdrängt, ist<lb/> eine bisher überall beobachtete Tatsache. So würde sicher auch in Tripolis<lb/> allmählich ein neues Italien erwachsen, das sich bei passender Gelegenheit von<lb/> selbst dem alten anch politisch angliedern würde. Die Pforte würde zwar<lb/> einem friedlichen Einströmen der Italiener nicht gerade erfreut zusehen, aber<lb/> man hat doch im Mdis Kiosk zu viel dringendere Sorgen und lebt doch zu<lb/> sehr von der Hand in den Mund, als daß man sich von einem lnngsamcu<lb/> Anwachsen italienischen Wesens in Tripolis sonderlich beunruhigen ließe.</p><lb/> <p xml:id="ID_368"> Man könnte sich wundern, warum unter diesen Umständen nicht schon<lb/> mehr geschehn ist, als die Einrichtung eines italienischen Postamts in Tripolis<lb/> und der wöchentlich einmal von Genua und zweimal von Neapel dorthin<lb/> abgehenden Dampfer sowie die Gründung einiger italienischer Schulen.<lb/> Aber von Unternehmungen größern Stils, täglicher Dampfervcrbindnng zu<lb/> ganz billigen Preisen von Syrakus, Zollermäßignugen bei der Einfuhr und<lb/> Ausfuhrprämien, großen Landankäufen und Vorschüssen an Ansiedler, Gründung<lb/> vielfacher Schulen und dergleichen Vorkehrungen mehr hielt bisher die Be¬<lb/> sorgnis vor dem heimlichen Widerstreben Englands und dem Wettbewerb Frank¬<lb/> reichs ab. Denn wenn auch die Pforte aus sich selbst heraus nichts Ernst¬<lb/> liches gegen solche Maßnahmen einwenden würde, so würde sie sich doch unter<lb/> dem Drucke Frankreichs und seines Verbündeten Rußland und dem stillen Ein¬<lb/> verständnis Englands zu tatkräftiger Gegenwirkung ermannen.</p><lb/> <p xml:id="ID_369" next="#ID_370"> Verdenken kann man es England ja nicht, daß es die ausschließliche Herr¬<lb/> schaft in Tripolis der Türkei lassen möchte. Jedes Festsetzen einer europäischen<lb/> Macht in Tripolis und jede Verbesserung der dortigen Wegeverhältnisse können<lb/> zur Bedrohung der englischen Stellung in Ägypten führen, der sonst schwer<lb/> beizukommen ist, solange die englische Flotte das Mittelmeer beherrscht. Es<lb/> hat aber anderseits mich alle Ursache, sich Italien wohlgeneigt zu erhalten,<lb/> damit es im Mittelmeer wie in Afrika nicht gemeinsame Sache mit Frankreich<lb/> '"ache. Die Kolonialbegehrlichkeit Italiens wurde deshalb nach Erythreci ge¬<lb/> unkt, wenn auch damit Steine statt Brot geboten wurden, und in Tripolis<lb/> tourbe tatsächlich nichts getan, was der Ausbreitung der Italiener entgegen-</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0073]
Tripolis, eine politische Wetterwarte
einen sehr lebhaften Verkehr hervorrufen will. Weit mehr aber noch lockt
zweitens die Möglichkeit, italienische Landbauern in den fruchtbaren Atlas¬
tälern anzusiedeln. Je mehr der überwiegende Großgrundbesitz in Italien das
Aufsteigen des landbauenden Arbeiters zu eignem Landbesitz erschwert, um so
wünschenswerter ist es, ein Neuland zu beschaffen, in das der starke Strom
arbeitseifriger, genügsamer Auswandrer abgeleitet werden konnte, der jetzt für
das Vaterland nutzlos in Nordamerika verschwindet und in Südamerika doch
nur die allgemeine neue lateinische Nasse stärken hilft, die dort in der Bildung
begriffen ist. Ganz anders würde das Verhältnis in Tripolis sein. Der
fleißige italienische Kleinbauer würde jederzeit im Verkehr und unter dein
Schutze der Heimat bleiben und vermöchte leicht immer neuem Nachschub von
dort die Wege zu ebnem Der Araber ist überall eigentlich mehr Viehzüchter
als Ackerbauer und bestellt nur soviel Feld, als er für sich braucht; der
Italiener würde der richtige Ackerbauer werdeu, der das Wort: Afrika die
Kornkammer Roms, an seinem Teile bald wieder wahr machen würde. Daß
aber auf die Dauer der Ackerbauer deu Hälbnomaden immer verdrängt, ist
eine bisher überall beobachtete Tatsache. So würde sicher auch in Tripolis
allmählich ein neues Italien erwachsen, das sich bei passender Gelegenheit von
selbst dem alten anch politisch angliedern würde. Die Pforte würde zwar
einem friedlichen Einströmen der Italiener nicht gerade erfreut zusehen, aber
man hat doch im Mdis Kiosk zu viel dringendere Sorgen und lebt doch zu
sehr von der Hand in den Mund, als daß man sich von einem lnngsamcu
Anwachsen italienischen Wesens in Tripolis sonderlich beunruhigen ließe.
Man könnte sich wundern, warum unter diesen Umständen nicht schon
mehr geschehn ist, als die Einrichtung eines italienischen Postamts in Tripolis
und der wöchentlich einmal von Genua und zweimal von Neapel dorthin
abgehenden Dampfer sowie die Gründung einiger italienischer Schulen.
Aber von Unternehmungen größern Stils, täglicher Dampfervcrbindnng zu
ganz billigen Preisen von Syrakus, Zollermäßignugen bei der Einfuhr und
Ausfuhrprämien, großen Landankäufen und Vorschüssen an Ansiedler, Gründung
vielfacher Schulen und dergleichen Vorkehrungen mehr hielt bisher die Be¬
sorgnis vor dem heimlichen Widerstreben Englands und dem Wettbewerb Frank¬
reichs ab. Denn wenn auch die Pforte aus sich selbst heraus nichts Ernst¬
liches gegen solche Maßnahmen einwenden würde, so würde sie sich doch unter
dem Drucke Frankreichs und seines Verbündeten Rußland und dem stillen Ein¬
verständnis Englands zu tatkräftiger Gegenwirkung ermannen.
Verdenken kann man es England ja nicht, daß es die ausschließliche Herr¬
schaft in Tripolis der Türkei lassen möchte. Jedes Festsetzen einer europäischen
Macht in Tripolis und jede Verbesserung der dortigen Wegeverhältnisse können
zur Bedrohung der englischen Stellung in Ägypten führen, der sonst schwer
beizukommen ist, solange die englische Flotte das Mittelmeer beherrscht. Es
hat aber anderseits mich alle Ursache, sich Italien wohlgeneigt zu erhalten,
damit es im Mittelmeer wie in Afrika nicht gemeinsame Sache mit Frankreich
'"ache. Die Kolonialbegehrlichkeit Italiens wurde deshalb nach Erythreci ge¬
unkt, wenn auch damit Steine statt Brot geboten wurden, und in Tripolis
tourbe tatsächlich nichts getan, was der Ausbreitung der Italiener entgegen-
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