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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Erstes Vierteljahr.

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Vie Grenzen des amerikanischen Aufschwungs

bau eingeschoben, rationelle Frnchtfolge angenommen werden müssen. Diese
Maßregeln aber setzen vermehrte menschliche Arbeitskräfte voraus.

Hieran jedoch fehlt es. Schon heute können die höchsten Löhne, die zum
Bestellen des Landes und zum Bergen der Ernte nötigen, keine Arbeiter mehr
heranlocken. Die Farmerssöhne, bisher der beste Ersatz des fehlenden Tage¬
löhnerstandes, werden ihren Eltern weggelockt durch Industrie, Handel und
nicht am wenigsten auch durch die gelehrten Berufe, die Collegebildung voraus¬
setzen. In den großen Städten, die einerseits ja die besten Konsumenten
ländlicher Produkte sind, ist genau wie bei uns dem Landbau eine arge
Gefahr erwachsen; sie ziehn den Lcindmann nu wie das Licht die Motten,
Proletarisieren ihn und machen ihn für die eigentliche Landwirtschaft unfähig.
In der Großstadt bleibt aber neuerdings auch ein guter Teil von den Ein¬
wandrern Hunger, die sich früher dem platten Lande zuwandten.

Die Agrarfrage in Nordamerika ist tatsächlich eine Menschenfrage. Höhere
Löhne, als sie jetzt schon zahlt, kann die Landwirtschaft drüben nicht ertragen,
besonders da die Bodeupreise längst nicht mehr so niedrig wie ehemals sind,
und da der natürliche Bvdenreichtnm an vielen Stellen von der durch den
Raubbau hervorgebrachten Müdigkeit abgelöst wird. Auf den Farmer aber,
die in Händen von Geldleuten oder Gesellschaften sind, die nicht selbst wirt¬
schaften, drücken der übertrieben hohe Pachtschilling und die kurzen Pach-
tnngstermine den Pächter und machen ihn zu einem Werkzeuge des mobilen
Kapitals.

Das bedeutsamste "Halt!" wird der amerikanischen Landwirtschaft durch
die Natur selbst zugerufen. Ein großer Teil des westlichen Nordamerikas
nämlich ist dein Ackerbau und auch der Viehzucht verschlossen durch die Felsig¬
keit und die steile Lage im Hochgebirge, durch Dürre, Wassermangel und das
Borkommen von Salzen im -uiä >V"zst, die vereinigt das Wachstum aller
edler" Pflanzen verhindern. Zu der Wildheit des Gebirgscharnkters und der
Kahlheit der Wüste tritt in diesen Strichen die Unberechenbarkeit des Steppen¬
klimas kulturerschwerend hinzu. Glühende Sommer ohne Niederschläge, eisige
Winter, Frühjahrsfröste und orkanartige Stürme bedrohen Ernten wie Vieh¬
bestände.

In dieser regenarmen Zone hängt für den Feldbau fast alles von der
Möglichkeit künstlicher Bewässerung ab. Die Natur hat auch hier dem Menschen
bedeutsame Winke gegeben; mitten im wüstenartigen Lande liegen Oasen überall
da, wo ein Quell zutage tritt, ein Bach, ein Fluß seine erfrischenden Wellen
hinträgt. Schon die Indianer hatten angefangen, Bewässerungsanlagen zu
bauen, und die Spanier waren ihnen darin nachgefolgt. Jetzt sind die Uankees
drauf und dran, überall, wo im Westen gutes Wasser in günstiger Lage auf¬
tritt, es für die tiefer gelegnen wasserarmen Distrikte nutzbar zu machen. Der
Erfolg ist in der Tat überraschend. Man glaubt zu träume", wenn man
^gelang durch kahle graue Steppe gereist ist, die nichts hervorbringt als dürres
Gras, Kakteen und den bittern Snge-Brnsh, wo die bleichenden Gerippe und
Schädel von Pferd und Rind von Seuche, Wafferarmut und Futternot er¬
zählen, und man kommt mit einemmal in eines der durch Bewässerung ans


Grenzboten I 190" N
Vie Grenzen des amerikanischen Aufschwungs

bau eingeschoben, rationelle Frnchtfolge angenommen werden müssen. Diese
Maßregeln aber setzen vermehrte menschliche Arbeitskräfte voraus.

Hieran jedoch fehlt es. Schon heute können die höchsten Löhne, die zum
Bestellen des Landes und zum Bergen der Ernte nötigen, keine Arbeiter mehr
heranlocken. Die Farmerssöhne, bisher der beste Ersatz des fehlenden Tage¬
löhnerstandes, werden ihren Eltern weggelockt durch Industrie, Handel und
nicht am wenigsten auch durch die gelehrten Berufe, die Collegebildung voraus¬
setzen. In den großen Städten, die einerseits ja die besten Konsumenten
ländlicher Produkte sind, ist genau wie bei uns dem Landbau eine arge
Gefahr erwachsen; sie ziehn den Lcindmann nu wie das Licht die Motten,
Proletarisieren ihn und machen ihn für die eigentliche Landwirtschaft unfähig.
In der Großstadt bleibt aber neuerdings auch ein guter Teil von den Ein¬
wandrern Hunger, die sich früher dem platten Lande zuwandten.

Die Agrarfrage in Nordamerika ist tatsächlich eine Menschenfrage. Höhere
Löhne, als sie jetzt schon zahlt, kann die Landwirtschaft drüben nicht ertragen,
besonders da die Bodeupreise längst nicht mehr so niedrig wie ehemals sind,
und da der natürliche Bvdenreichtnm an vielen Stellen von der durch den
Raubbau hervorgebrachten Müdigkeit abgelöst wird. Auf den Farmer aber,
die in Händen von Geldleuten oder Gesellschaften sind, die nicht selbst wirt¬
schaften, drücken der übertrieben hohe Pachtschilling und die kurzen Pach-
tnngstermine den Pächter und machen ihn zu einem Werkzeuge des mobilen
Kapitals.

Das bedeutsamste „Halt!" wird der amerikanischen Landwirtschaft durch
die Natur selbst zugerufen. Ein großer Teil des westlichen Nordamerikas
nämlich ist dein Ackerbau und auch der Viehzucht verschlossen durch die Felsig¬
keit und die steile Lage im Hochgebirge, durch Dürre, Wassermangel und das
Borkommen von Salzen im -uiä >V«zst, die vereinigt das Wachstum aller
edler» Pflanzen verhindern. Zu der Wildheit des Gebirgscharnkters und der
Kahlheit der Wüste tritt in diesen Strichen die Unberechenbarkeit des Steppen¬
klimas kulturerschwerend hinzu. Glühende Sommer ohne Niederschläge, eisige
Winter, Frühjahrsfröste und orkanartige Stürme bedrohen Ernten wie Vieh¬
bestände.

In dieser regenarmen Zone hängt für den Feldbau fast alles von der
Möglichkeit künstlicher Bewässerung ab. Die Natur hat auch hier dem Menschen
bedeutsame Winke gegeben; mitten im wüstenartigen Lande liegen Oasen überall
da, wo ein Quell zutage tritt, ein Bach, ein Fluß seine erfrischenden Wellen
hinträgt. Schon die Indianer hatten angefangen, Bewässerungsanlagen zu
bauen, und die Spanier waren ihnen darin nachgefolgt. Jetzt sind die Uankees
drauf und dran, überall, wo im Westen gutes Wasser in günstiger Lage auf¬
tritt, es für die tiefer gelegnen wasserarmen Distrikte nutzbar zu machen. Der
Erfolg ist in der Tat überraschend. Man glaubt zu träume», wenn man
^gelang durch kahle graue Steppe gereist ist, die nichts hervorbringt als dürres
Gras, Kakteen und den bittern Snge-Brnsh, wo die bleichenden Gerippe und
Schädel von Pferd und Rind von Seuche, Wafferarmut und Futternot er¬
zählen, und man kommt mit einemmal in eines der durch Bewässerung ans


Grenzboten I 190» N
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[0721] Vie Grenzen des amerikanischen Aufschwungs bau eingeschoben, rationelle Frnchtfolge angenommen werden müssen. Diese Maßregeln aber setzen vermehrte menschliche Arbeitskräfte voraus. Hieran jedoch fehlt es. Schon heute können die höchsten Löhne, die zum Bestellen des Landes und zum Bergen der Ernte nötigen, keine Arbeiter mehr heranlocken. Die Farmerssöhne, bisher der beste Ersatz des fehlenden Tage¬ löhnerstandes, werden ihren Eltern weggelockt durch Industrie, Handel und nicht am wenigsten auch durch die gelehrten Berufe, die Collegebildung voraus¬ setzen. In den großen Städten, die einerseits ja die besten Konsumenten ländlicher Produkte sind, ist genau wie bei uns dem Landbau eine arge Gefahr erwachsen; sie ziehn den Lcindmann nu wie das Licht die Motten, Proletarisieren ihn und machen ihn für die eigentliche Landwirtschaft unfähig. In der Großstadt bleibt aber neuerdings auch ein guter Teil von den Ein¬ wandrern Hunger, die sich früher dem platten Lande zuwandten. Die Agrarfrage in Nordamerika ist tatsächlich eine Menschenfrage. Höhere Löhne, als sie jetzt schon zahlt, kann die Landwirtschaft drüben nicht ertragen, besonders da die Bodeupreise längst nicht mehr so niedrig wie ehemals sind, und da der natürliche Bvdenreichtnm an vielen Stellen von der durch den Raubbau hervorgebrachten Müdigkeit abgelöst wird. Auf den Farmer aber, die in Händen von Geldleuten oder Gesellschaften sind, die nicht selbst wirt¬ schaften, drücken der übertrieben hohe Pachtschilling und die kurzen Pach- tnngstermine den Pächter und machen ihn zu einem Werkzeuge des mobilen Kapitals. Das bedeutsamste „Halt!" wird der amerikanischen Landwirtschaft durch die Natur selbst zugerufen. Ein großer Teil des westlichen Nordamerikas nämlich ist dein Ackerbau und auch der Viehzucht verschlossen durch die Felsig¬ keit und die steile Lage im Hochgebirge, durch Dürre, Wassermangel und das Borkommen von Salzen im -uiä >V«zst, die vereinigt das Wachstum aller edler» Pflanzen verhindern. Zu der Wildheit des Gebirgscharnkters und der Kahlheit der Wüste tritt in diesen Strichen die Unberechenbarkeit des Steppen¬ klimas kulturerschwerend hinzu. Glühende Sommer ohne Niederschläge, eisige Winter, Frühjahrsfröste und orkanartige Stürme bedrohen Ernten wie Vieh¬ bestände. In dieser regenarmen Zone hängt für den Feldbau fast alles von der Möglichkeit künstlicher Bewässerung ab. Die Natur hat auch hier dem Menschen bedeutsame Winke gegeben; mitten im wüstenartigen Lande liegen Oasen überall da, wo ein Quell zutage tritt, ein Bach, ein Fluß seine erfrischenden Wellen hinträgt. Schon die Indianer hatten angefangen, Bewässerungsanlagen zu bauen, und die Spanier waren ihnen darin nachgefolgt. Jetzt sind die Uankees drauf und dran, überall, wo im Westen gutes Wasser in günstiger Lage auf¬ tritt, es für die tiefer gelegnen wasserarmen Distrikte nutzbar zu machen. Der Erfolg ist in der Tat überraschend. Man glaubt zu träume», wenn man ^gelang durch kahle graue Steppe gereist ist, die nichts hervorbringt als dürres Gras, Kakteen und den bittern Snge-Brnsh, wo die bleichenden Gerippe und Schädel von Pferd und Rind von Seuche, Wafferarmut und Futternot er¬ zählen, und man kommt mit einemmal in eines der durch Bewässerung ans Grenzboten I 190» N

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_239555/721>, abgerufen am 24.11.2024.