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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Erstes Vierteljahr.

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Die Baugenossenschaften und die Wohnungsfrage

führung einer Zuwachssteuer zu erbitten, (über den Erfolg und die Wirkungen
der Petition haben wir bis jetzt nichts vernommen.) Das Muster einer durch¬
greifenden Bodenbesitzreform aber hat die Verwaltung von Kiautschou gegeben.
Die dort erlassene Landordnung schreibt vor: eine Umsatzsteuer von 2 Prozent,
eine Bauplatzsteuer von 6, und eine Znwachsstener von 33^/z Prozent der
Zuwachsrente. Um jede Umgehung der Steuer unmöglich zu machen, hat sich
das Gouvernement das Vorkaufsrecht zu dem in der Selbstschätzung angegebnen
Preise vorbehalten. In der Begründung wird gesagt: "Durch diese Maßregeln
behält sich das Gouvernement einen Anteil an der spätern Wertsteigerung vor,
ohne die Privattütigkeit lahm zu legen. Steigt der Wert von Grund und
Boden nicht, so partizipiert anch das Gouvernement nicht. Steigt dagegen
der Wert, und zwar durch Umstünde, die der Besitzer nicht herbeigeführt hat,
die vielmehr allein dem durch die Tätigkeit des Gouvernements oder der
ganzen Gemeinde verursachten Emporblühen des Platzes zuzuschreiben sind,
so muß das Gouvernement oder die Gesamtheit --- beider finanzielle Interessen
sind identisch -- seinen Anteil an der Wertsteigerung sich wahren. Es er¬
scheint als sehr müßig, daß sich das Gouvernement mit einem Drittel begnügt
und den Privaten zwei überläßt. Als Grundlage wird festgehalten, daß es
im Interesse und in der Absicht der Regierung liegt, ungesunde Landspeku¬
lationen, deren schlimme Folgen an andern ostasiatischen Plätzen auf das
empfindlichste wahrgenommen werden, im Pachtgebiet nicht aufkommen zu
lassen." Damaschke fragt mit Recht: Was in Ostasien Recht ist, sollte das
in unsrer Heimat nicht billig sein?

Wir wenden den Blick noch einmal auf die Baugesellschaften zurück.
Grüvell spricht ihnen nicht jedes Verdienst ab. Nachdem er sie 292 Seiten
lang hart gescholten hat, gesteht er auf Seite 293, daß fie doch auch genützt
haben, nicht gerade durch ihre Bauleistungen, aber durch Verbreitung des
Interesses und des Verständnisses für die Bautätigkeit im Volke, durch Be¬
lehrung über das, was zum heutigen Hüuserbau gehört, und was alles dabei
zu bedenken ist, durch die Bekämpfung des Schlendrians und durch den prak¬
tischen Beweis der Wichtigkeit billigen Realkredits. Wir dürfen also wohl
zum Schlüsse sagen: Das Wohnbedürfnis zu befriedigen, wird auch in Zukunft
der Hauptsache nach den Privatunternehmern überlassen bleiben müssen. Aber
da die Bauunternehmer gleich allen Unternehmern zunächst ihren eignen Vor¬
teil suchen, so wird an Orten und in Fällen, wo ihnen kein Vorteil winkt,
das Wohnbedürfnis durch sie entweder gar nicht oder ungenügend und schlecht
befriedigt. Deshalb müssen Staat, Gemeinden und gemeinnützige Gesellschaften
ergänzend eintreten und zugleich durch ihre Konkurrenz die Privatunternehmer
zu Fortschritten und Verbesserungen zwingen. Sache der Behörden ist es, die
Konkurrenz so zu lenken, daß sie die Privattätigkeit nicht lahmt und die
Privatunternehmer nicht unnötig schädigt.




Die Baugenossenschaften und die Wohnungsfrage

führung einer Zuwachssteuer zu erbitten, (über den Erfolg und die Wirkungen
der Petition haben wir bis jetzt nichts vernommen.) Das Muster einer durch¬
greifenden Bodenbesitzreform aber hat die Verwaltung von Kiautschou gegeben.
Die dort erlassene Landordnung schreibt vor: eine Umsatzsteuer von 2 Prozent,
eine Bauplatzsteuer von 6, und eine Znwachsstener von 33^/z Prozent der
Zuwachsrente. Um jede Umgehung der Steuer unmöglich zu machen, hat sich
das Gouvernement das Vorkaufsrecht zu dem in der Selbstschätzung angegebnen
Preise vorbehalten. In der Begründung wird gesagt: „Durch diese Maßregeln
behält sich das Gouvernement einen Anteil an der spätern Wertsteigerung vor,
ohne die Privattütigkeit lahm zu legen. Steigt der Wert von Grund und
Boden nicht, so partizipiert anch das Gouvernement nicht. Steigt dagegen
der Wert, und zwar durch Umstünde, die der Besitzer nicht herbeigeführt hat,
die vielmehr allein dem durch die Tätigkeit des Gouvernements oder der
ganzen Gemeinde verursachten Emporblühen des Platzes zuzuschreiben sind,
so muß das Gouvernement oder die Gesamtheit —- beider finanzielle Interessen
sind identisch — seinen Anteil an der Wertsteigerung sich wahren. Es er¬
scheint als sehr müßig, daß sich das Gouvernement mit einem Drittel begnügt
und den Privaten zwei überläßt. Als Grundlage wird festgehalten, daß es
im Interesse und in der Absicht der Regierung liegt, ungesunde Landspeku¬
lationen, deren schlimme Folgen an andern ostasiatischen Plätzen auf das
empfindlichste wahrgenommen werden, im Pachtgebiet nicht aufkommen zu
lassen." Damaschke fragt mit Recht: Was in Ostasien Recht ist, sollte das
in unsrer Heimat nicht billig sein?

Wir wenden den Blick noch einmal auf die Baugesellschaften zurück.
Grüvell spricht ihnen nicht jedes Verdienst ab. Nachdem er sie 292 Seiten
lang hart gescholten hat, gesteht er auf Seite 293, daß fie doch auch genützt
haben, nicht gerade durch ihre Bauleistungen, aber durch Verbreitung des
Interesses und des Verständnisses für die Bautätigkeit im Volke, durch Be¬
lehrung über das, was zum heutigen Hüuserbau gehört, und was alles dabei
zu bedenken ist, durch die Bekämpfung des Schlendrians und durch den prak¬
tischen Beweis der Wichtigkeit billigen Realkredits. Wir dürfen also wohl
zum Schlüsse sagen: Das Wohnbedürfnis zu befriedigen, wird auch in Zukunft
der Hauptsache nach den Privatunternehmern überlassen bleiben müssen. Aber
da die Bauunternehmer gleich allen Unternehmern zunächst ihren eignen Vor¬
teil suchen, so wird an Orten und in Fällen, wo ihnen kein Vorteil winkt,
das Wohnbedürfnis durch sie entweder gar nicht oder ungenügend und schlecht
befriedigt. Deshalb müssen Staat, Gemeinden und gemeinnützige Gesellschaften
ergänzend eintreten und zugleich durch ihre Konkurrenz die Privatunternehmer
zu Fortschritten und Verbesserungen zwingen. Sache der Behörden ist es, die
Konkurrenz so zu lenken, daß sie die Privattätigkeit nicht lahmt und die
Privatunternehmer nicht unnötig schädigt.




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[0716] Die Baugenossenschaften und die Wohnungsfrage führung einer Zuwachssteuer zu erbitten, (über den Erfolg und die Wirkungen der Petition haben wir bis jetzt nichts vernommen.) Das Muster einer durch¬ greifenden Bodenbesitzreform aber hat die Verwaltung von Kiautschou gegeben. Die dort erlassene Landordnung schreibt vor: eine Umsatzsteuer von 2 Prozent, eine Bauplatzsteuer von 6, und eine Znwachsstener von 33^/z Prozent der Zuwachsrente. Um jede Umgehung der Steuer unmöglich zu machen, hat sich das Gouvernement das Vorkaufsrecht zu dem in der Selbstschätzung angegebnen Preise vorbehalten. In der Begründung wird gesagt: „Durch diese Maßregeln behält sich das Gouvernement einen Anteil an der spätern Wertsteigerung vor, ohne die Privattütigkeit lahm zu legen. Steigt der Wert von Grund und Boden nicht, so partizipiert anch das Gouvernement nicht. Steigt dagegen der Wert, und zwar durch Umstünde, die der Besitzer nicht herbeigeführt hat, die vielmehr allein dem durch die Tätigkeit des Gouvernements oder der ganzen Gemeinde verursachten Emporblühen des Platzes zuzuschreiben sind, so muß das Gouvernement oder die Gesamtheit —- beider finanzielle Interessen sind identisch — seinen Anteil an der Wertsteigerung sich wahren. Es er¬ scheint als sehr müßig, daß sich das Gouvernement mit einem Drittel begnügt und den Privaten zwei überläßt. Als Grundlage wird festgehalten, daß es im Interesse und in der Absicht der Regierung liegt, ungesunde Landspeku¬ lationen, deren schlimme Folgen an andern ostasiatischen Plätzen auf das empfindlichste wahrgenommen werden, im Pachtgebiet nicht aufkommen zu lassen." Damaschke fragt mit Recht: Was in Ostasien Recht ist, sollte das in unsrer Heimat nicht billig sein? Wir wenden den Blick noch einmal auf die Baugesellschaften zurück. Grüvell spricht ihnen nicht jedes Verdienst ab. Nachdem er sie 292 Seiten lang hart gescholten hat, gesteht er auf Seite 293, daß fie doch auch genützt haben, nicht gerade durch ihre Bauleistungen, aber durch Verbreitung des Interesses und des Verständnisses für die Bautätigkeit im Volke, durch Be¬ lehrung über das, was zum heutigen Hüuserbau gehört, und was alles dabei zu bedenken ist, durch die Bekämpfung des Schlendrians und durch den prak¬ tischen Beweis der Wichtigkeit billigen Realkredits. Wir dürfen also wohl zum Schlüsse sagen: Das Wohnbedürfnis zu befriedigen, wird auch in Zukunft der Hauptsache nach den Privatunternehmern überlassen bleiben müssen. Aber da die Bauunternehmer gleich allen Unternehmern zunächst ihren eignen Vor¬ teil suchen, so wird an Orten und in Fällen, wo ihnen kein Vorteil winkt, das Wohnbedürfnis durch sie entweder gar nicht oder ungenügend und schlecht befriedigt. Deshalb müssen Staat, Gemeinden und gemeinnützige Gesellschaften ergänzend eintreten und zugleich durch ihre Konkurrenz die Privatunternehmer zu Fortschritten und Verbesserungen zwingen. Sache der Behörden ist es, die Konkurrenz so zu lenken, daß sie die Privattätigkeit nicht lahmt und die Privatunternehmer nicht unnötig schädigt.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_239555/716>, abgerufen am 01.09.2024.