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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Erstes Vierteljahr.

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Die Deutschem in Rom

del Popolo am gleichnamigen Tore gewohnt, und oft genug wird Luther vor
dem schönen, noch erhaltnen, nur jetzt in die Sakristei versetzten Hochaltar der
Kirche, einer Schöpfung Andrea Bregnos, Messe gelesen haben. Rom war
für ihn wie für jeden Pilger vor allem die heilige Stadt mit zahllosen Gnaden¬
örtern, die er an der Hand eines der zahlreichen Wegweiser alle eifrig besuchte;
auch die Stufen der Scala senta am Lateran ist er andächtig hinaufgerutscht,
er hat in der deutschen Nationalkirche der Anima deutsch predigen hören und
ist bis zur Abtei Tre Fontane hinausgepilgert. Vom Se. Peter sah er nur
noch den vordem Teil aufrecht stehn; der Hintere war schon seit 1506 ab¬
gebrochen worden, um dem Neubau Bramantes und Michelangelos Platz zu
machen, demselben Neubau, der dann den verhängnisvollen Ablaßhandel des
Plumpen Dominikaners Tetzel veranlaßte. Auch "die Leichen der alten Bauten,"
das Kolosseum, die Thermen Diokletians, das Pantheon hat er staunend be¬
trachtet, aber sich dabei doch höchstens darüber gewundert, "wie das römische
Reich hat so hoch steigen können und zunehmen ohne Erkenntnis Gottes." Was
^ Ungünstiges von den Päpsten und der römischen Geistlichkeit hörte und sah,
das hat ihn damals in seiner strengen mittelalterlichen Kirchlichkeit noch nicht
erschüttert; erst später ist es wirksam geworden, als er sich innerlich schon von
der römischen Kirche getrennt hatte.

Mit dem Abfall von Rom löste der größte Teil der Deutschen auch seine
achthundertjähriger kirchlichen Beziehungen zu der "ewigen Stadt." Das
Große, das die Reformation gebracht hat, die Freiheit des Glaubens und des
Gewissens und die freie Wissenschaft, also die Grundlagen der modernen Kultur,
kann nicht leicht überschützt werden; aber vergessen wird darüber gewöhnlich,
mit welchen ungeheuern Opfern das deutsche Volk dies alles für die Welt
erknnft hat, ganz abgesehen noch von den Leiden der spätern innern Kriege.
Es verlor mit einem Schlage den sehr großen Anteil an der Leitung der
Weltkirche, den es bis dahin gehabt hatte, es ließ dort den unduldsamen,
fanatischen spanischen Geist zur Herrschaft kommen und zog sich daheim in die
abgeschlossenen Kreise der kleinen Landeskirchen zurück, die den Gesichtskreis
verengerten und zwar der damaligen kleinstnatlichen Zerfahrenheit Deutschlands
entsprachen, der sie entsprungen waren, aber im Widerspruch mit seiner heutigen
Einheit und Weltstellung stehn. Die Parallele mit der gleichzeitigen Ver¬
drängung der Deutschen ans dein Welthandel läßt sich gar nicht abweisen.
Politisch, kirchlich und wirtschaftlich auf immer engere Kreise beschränkt ver¬
wandelte sich das gebietende Herrenvolk des Mittelalters in ein mißachtetes
'">d getretues Volk von Kleinstaatlern.

(Schluß folgt)




Die Deutschem in Rom

del Popolo am gleichnamigen Tore gewohnt, und oft genug wird Luther vor
dem schönen, noch erhaltnen, nur jetzt in die Sakristei versetzten Hochaltar der
Kirche, einer Schöpfung Andrea Bregnos, Messe gelesen haben. Rom war
für ihn wie für jeden Pilger vor allem die heilige Stadt mit zahllosen Gnaden¬
örtern, die er an der Hand eines der zahlreichen Wegweiser alle eifrig besuchte;
auch die Stufen der Scala senta am Lateran ist er andächtig hinaufgerutscht,
er hat in der deutschen Nationalkirche der Anima deutsch predigen hören und
ist bis zur Abtei Tre Fontane hinausgepilgert. Vom Se. Peter sah er nur
noch den vordem Teil aufrecht stehn; der Hintere war schon seit 1506 ab¬
gebrochen worden, um dem Neubau Bramantes und Michelangelos Platz zu
machen, demselben Neubau, der dann den verhängnisvollen Ablaßhandel des
Plumpen Dominikaners Tetzel veranlaßte. Auch „die Leichen der alten Bauten,"
das Kolosseum, die Thermen Diokletians, das Pantheon hat er staunend be¬
trachtet, aber sich dabei doch höchstens darüber gewundert, „wie das römische
Reich hat so hoch steigen können und zunehmen ohne Erkenntnis Gottes." Was
^ Ungünstiges von den Päpsten und der römischen Geistlichkeit hörte und sah,
das hat ihn damals in seiner strengen mittelalterlichen Kirchlichkeit noch nicht
erschüttert; erst später ist es wirksam geworden, als er sich innerlich schon von
der römischen Kirche getrennt hatte.

Mit dem Abfall von Rom löste der größte Teil der Deutschen auch seine
achthundertjähriger kirchlichen Beziehungen zu der „ewigen Stadt." Das
Große, das die Reformation gebracht hat, die Freiheit des Glaubens und des
Gewissens und die freie Wissenschaft, also die Grundlagen der modernen Kultur,
kann nicht leicht überschützt werden; aber vergessen wird darüber gewöhnlich,
mit welchen ungeheuern Opfern das deutsche Volk dies alles für die Welt
erknnft hat, ganz abgesehen noch von den Leiden der spätern innern Kriege.
Es verlor mit einem Schlage den sehr großen Anteil an der Leitung der
Weltkirche, den es bis dahin gehabt hatte, es ließ dort den unduldsamen,
fanatischen spanischen Geist zur Herrschaft kommen und zog sich daheim in die
abgeschlossenen Kreise der kleinen Landeskirchen zurück, die den Gesichtskreis
verengerten und zwar der damaligen kleinstnatlichen Zerfahrenheit Deutschlands
entsprachen, der sie entsprungen waren, aber im Widerspruch mit seiner heutigen
Einheit und Weltstellung stehn. Die Parallele mit der gleichzeitigen Ver¬
drängung der Deutschen ans dein Welthandel läßt sich gar nicht abweisen.
Politisch, kirchlich und wirtschaftlich auf immer engere Kreise beschränkt ver¬
wandelte sich das gebietende Herrenvolk des Mittelalters in ein mißachtetes
'">d getretues Volk von Kleinstaatlern.

(Schluß folgt)




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[0707] Die Deutschem in Rom del Popolo am gleichnamigen Tore gewohnt, und oft genug wird Luther vor dem schönen, noch erhaltnen, nur jetzt in die Sakristei versetzten Hochaltar der Kirche, einer Schöpfung Andrea Bregnos, Messe gelesen haben. Rom war für ihn wie für jeden Pilger vor allem die heilige Stadt mit zahllosen Gnaden¬ örtern, die er an der Hand eines der zahlreichen Wegweiser alle eifrig besuchte; auch die Stufen der Scala senta am Lateran ist er andächtig hinaufgerutscht, er hat in der deutschen Nationalkirche der Anima deutsch predigen hören und ist bis zur Abtei Tre Fontane hinausgepilgert. Vom Se. Peter sah er nur noch den vordem Teil aufrecht stehn; der Hintere war schon seit 1506 ab¬ gebrochen worden, um dem Neubau Bramantes und Michelangelos Platz zu machen, demselben Neubau, der dann den verhängnisvollen Ablaßhandel des Plumpen Dominikaners Tetzel veranlaßte. Auch „die Leichen der alten Bauten," das Kolosseum, die Thermen Diokletians, das Pantheon hat er staunend be¬ trachtet, aber sich dabei doch höchstens darüber gewundert, „wie das römische Reich hat so hoch steigen können und zunehmen ohne Erkenntnis Gottes." Was ^ Ungünstiges von den Päpsten und der römischen Geistlichkeit hörte und sah, das hat ihn damals in seiner strengen mittelalterlichen Kirchlichkeit noch nicht erschüttert; erst später ist es wirksam geworden, als er sich innerlich schon von der römischen Kirche getrennt hatte. Mit dem Abfall von Rom löste der größte Teil der Deutschen auch seine achthundertjähriger kirchlichen Beziehungen zu der „ewigen Stadt." Das Große, das die Reformation gebracht hat, die Freiheit des Glaubens und des Gewissens und die freie Wissenschaft, also die Grundlagen der modernen Kultur, kann nicht leicht überschützt werden; aber vergessen wird darüber gewöhnlich, mit welchen ungeheuern Opfern das deutsche Volk dies alles für die Welt erknnft hat, ganz abgesehen noch von den Leiden der spätern innern Kriege. Es verlor mit einem Schlage den sehr großen Anteil an der Leitung der Weltkirche, den es bis dahin gehabt hatte, es ließ dort den unduldsamen, fanatischen spanischen Geist zur Herrschaft kommen und zog sich daheim in die abgeschlossenen Kreise der kleinen Landeskirchen zurück, die den Gesichtskreis verengerten und zwar der damaligen kleinstnatlichen Zerfahrenheit Deutschlands entsprachen, der sie entsprungen waren, aber im Widerspruch mit seiner heutigen Einheit und Weltstellung stehn. Die Parallele mit der gleichzeitigen Ver¬ drängung der Deutschen ans dein Welthandel läßt sich gar nicht abweisen. Politisch, kirchlich und wirtschaftlich auf immer engere Kreise beschränkt ver¬ wandelte sich das gebietende Herrenvolk des Mittelalters in ein mißachtetes '">d getretues Volk von Kleinstaatlern. (Schluß folgt)

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_239555/707>, abgerufen am 01.09.2024.