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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Erstes Vierteljahr.

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der allgemeinen Rechtsprechung abzusplittern. Man sieht in diesem Bestreben eine
ernste Gefahr für die allgemeine Rechtsprechung und die Auslegung des Privat¬
rechts." Daß sich die Ansichten der maßgebenden Stellen inzwischen geändert
haben sollten, darf man kaum annehmen; aus einer Äußerung des preußischen
Justizministers im Abgeordnetenhause muß mau vielmehr das Gegenteil schließen.
Die Begründung des Entwurfs sagt nur, daß sich die Bedenken gegen die An-
gliederung an die Amtsgerichte als zu groß erwiesen hätten, insbesondre weil dadurch
die Frage einer Umgestaltung des ganzen amtsgerichtlichen Verfahrens aufgerollt
werden würde. Bei dieser Sachlage wird schon darauf hingewiesen, daß der wahre
Grund für die Schwenkung der Regierung die Kostenfrage sei. Welche Rolle bei
dem luuÄii.we,neuen rsguoruin die Kosten spielen, ist ja noch aus den Beratungen über
die Einführung der Berufung in aller Erinnerung. Doch das bleibe dahingestellt,
es sei mir aber erlaubt, die Frage des Anschlusses an die Gewerbe- oder die Amts¬
gerichte vom Standpunkt des ordentlichen Richters aus zu beleuchten.

Ich beginne mit einem Eingeständnis, das zwar hart ist, dessen Richtigkeit
man aber nicht leugnen wird. Das Ansehen des Juristeustandes nimmt ab. Darüber
kann das dankenswerte, aber etwas kritiklose und herkvmmenmäßige Eintreten ge¬
wisser Parteien unsrer Parlamente nicht hinwegtäuschen. Das Kritisieren richterlicher
Urteile, das früher gegen den guten Ton verstieß, nimmt immer mehr zu, es ist
nicht mehr das Vorrecht der Parteien und der Presse der äußersten Linken, auch
weiter rechts stehende Parteien und Blätter machen davon einen ausgiebigen Ge¬
brauch. Wohin wir gekommen sind, das zeigt sich gerade bei unsrer Frage. Als
es kürzlich hieß, eine Verzögerung in der Vorlegung des Entwurfs sei dadurch ent¬
standen, daß eine starke Strömung zu Gunsten der Angliederung der neuen Ge¬
richte an die Amtsgerichte vorhanden sei, da schrieb ein so maßvolles Blatt wie
die "Tägliche Rundschau": "Lieber ein vorläufiger Verzicht auf die Reform, als
eine solche Lösung."

Man muß diesen Dingen in die Augen sehen, mau muß sich vorhalten, daß
alle die Äußerungen in der Presse und in den Parlamenten nur wie die Blasen
auf der Oberfläche des Teiches sind, daß in den tiefen Schichten der Bevölkerung
die Abneigung gegen die Gerichte noch viel stärker ist. Es genügt auch nicht, be¬
weglich darüber zu klagen, daß die Ausschließung der Amtsrichter ihr Ansehen und
damit das der Rechtspflege beeinträchtige, daß die Reichsgesetzgebung, statt ihre
Stellung zu stärken, sie mir einflußloser machen. Man muß vielmehr nach den
Ursachen forschen. Im Abgeordnetenhaus" sind kürzlich Redner verschiedner Parteien
für die ordentlichen Gerichte eingetreten, aber niemand ist den Gründen der weit¬
verbreiteten Abneigung nachgegangen. Vor einiger Zeit hat auch ein angesehener
Richter die Frage in einem Aufsatz "Die Unpopularität des Juristenstandes in
Deutschland" erörtert, ohne aber meines Erachtens das Entscheidende zu treffen.
Gewiß wird den Juristen manches in die Schuhe geschoben, was nicht ihre Schuld,
sondern die des Gesetzes ist, gewiß wird vielfach von den Zeitungen eine Kritik
geübt, die sich auf eine durchaus unzutreffende Wiedergabe des Tatbestandes stützt,
gewiß endlich ist die Gewissenhaftigkeit der Richter bei der Auslegung der Gesetze
nicht tadelnswert, sondern nur ihre Karikatur, die zu Entscheidungen kommt, die
nicht nur den Geboten des gesunden Menschenverstandes, sondern auch denen einer
vernünftigen juristischen Auslegung widersprechen. Das Wesentliche aber ist etwas
andres: es ist der Maugel an sozialem Empfinde" und sozialem Verständnis, der
bei einem Teil unsers Richterstandes vorhanden ist. Er ist es, der neben der Kost¬
spieligkeit und Langwierigkeit der Prozesse Richter und Gerichte in den breiten Volks¬
schichten unbeliebt macht, der Richter und Volk einander entfremdet.

Braucht man das denen, die sich mit sozialen Dingen befassen, noch zu be¬
legen? Mau hat bei der Beratung des Bürgerlichen Gesetzbuchs öfters darauf
hingewiesen, daß es auch sozial sei, daß es, soweit es auf der Grundlage der
jetzigen Gesellschaftsordnung durch Mittel des bürgerlichen Rechts möglich sei, den


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der allgemeinen Rechtsprechung abzusplittern. Man sieht in diesem Bestreben eine
ernste Gefahr für die allgemeine Rechtsprechung und die Auslegung des Privat¬
rechts." Daß sich die Ansichten der maßgebenden Stellen inzwischen geändert
haben sollten, darf man kaum annehmen; aus einer Äußerung des preußischen
Justizministers im Abgeordnetenhause muß mau vielmehr das Gegenteil schließen.
Die Begründung des Entwurfs sagt nur, daß sich die Bedenken gegen die An-
gliederung an die Amtsgerichte als zu groß erwiesen hätten, insbesondre weil dadurch
die Frage einer Umgestaltung des ganzen amtsgerichtlichen Verfahrens aufgerollt
werden würde. Bei dieser Sachlage wird schon darauf hingewiesen, daß der wahre
Grund für die Schwenkung der Regierung die Kostenfrage sei. Welche Rolle bei
dem luuÄii.we,neuen rsguoruin die Kosten spielen, ist ja noch aus den Beratungen über
die Einführung der Berufung in aller Erinnerung. Doch das bleibe dahingestellt,
es sei mir aber erlaubt, die Frage des Anschlusses an die Gewerbe- oder die Amts¬
gerichte vom Standpunkt des ordentlichen Richters aus zu beleuchten.

Ich beginne mit einem Eingeständnis, das zwar hart ist, dessen Richtigkeit
man aber nicht leugnen wird. Das Ansehen des Juristeustandes nimmt ab. Darüber
kann das dankenswerte, aber etwas kritiklose und herkvmmenmäßige Eintreten ge¬
wisser Parteien unsrer Parlamente nicht hinwegtäuschen. Das Kritisieren richterlicher
Urteile, das früher gegen den guten Ton verstieß, nimmt immer mehr zu, es ist
nicht mehr das Vorrecht der Parteien und der Presse der äußersten Linken, auch
weiter rechts stehende Parteien und Blätter machen davon einen ausgiebigen Ge¬
brauch. Wohin wir gekommen sind, das zeigt sich gerade bei unsrer Frage. Als
es kürzlich hieß, eine Verzögerung in der Vorlegung des Entwurfs sei dadurch ent¬
standen, daß eine starke Strömung zu Gunsten der Angliederung der neuen Ge¬
richte an die Amtsgerichte vorhanden sei, da schrieb ein so maßvolles Blatt wie
die „Tägliche Rundschau": „Lieber ein vorläufiger Verzicht auf die Reform, als
eine solche Lösung."

Man muß diesen Dingen in die Augen sehen, mau muß sich vorhalten, daß
alle die Äußerungen in der Presse und in den Parlamenten nur wie die Blasen
auf der Oberfläche des Teiches sind, daß in den tiefen Schichten der Bevölkerung
die Abneigung gegen die Gerichte noch viel stärker ist. Es genügt auch nicht, be¬
weglich darüber zu klagen, daß die Ausschließung der Amtsrichter ihr Ansehen und
damit das der Rechtspflege beeinträchtige, daß die Reichsgesetzgebung, statt ihre
Stellung zu stärken, sie mir einflußloser machen. Man muß vielmehr nach den
Ursachen forschen. Im Abgeordnetenhaus« sind kürzlich Redner verschiedner Parteien
für die ordentlichen Gerichte eingetreten, aber niemand ist den Gründen der weit¬
verbreiteten Abneigung nachgegangen. Vor einiger Zeit hat auch ein angesehener
Richter die Frage in einem Aufsatz „Die Unpopularität des Juristenstandes in
Deutschland" erörtert, ohne aber meines Erachtens das Entscheidende zu treffen.
Gewiß wird den Juristen manches in die Schuhe geschoben, was nicht ihre Schuld,
sondern die des Gesetzes ist, gewiß wird vielfach von den Zeitungen eine Kritik
geübt, die sich auf eine durchaus unzutreffende Wiedergabe des Tatbestandes stützt,
gewiß endlich ist die Gewissenhaftigkeit der Richter bei der Auslegung der Gesetze
nicht tadelnswert, sondern nur ihre Karikatur, die zu Entscheidungen kommt, die
nicht nur den Geboten des gesunden Menschenverstandes, sondern auch denen einer
vernünftigen juristischen Auslegung widersprechen. Das Wesentliche aber ist etwas
andres: es ist der Maugel an sozialem Empfinde« und sozialem Verständnis, der
bei einem Teil unsers Richterstandes vorhanden ist. Er ist es, der neben der Kost¬
spieligkeit und Langwierigkeit der Prozesse Richter und Gerichte in den breiten Volks¬
schichten unbeliebt macht, der Richter und Volk einander entfremdet.

Braucht man das denen, die sich mit sozialen Dingen befassen, noch zu be¬
legen? Mau hat bei der Beratung des Bürgerlichen Gesetzbuchs öfters darauf
hingewiesen, daß es auch sozial sei, daß es, soweit es auf der Grundlage der
jetzigen Gesellschaftsordnung durch Mittel des bürgerlichen Rechts möglich sei, den


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[0690] lRaßgeblicht'S und Unmaßgi-ducbus der allgemeinen Rechtsprechung abzusplittern. Man sieht in diesem Bestreben eine ernste Gefahr für die allgemeine Rechtsprechung und die Auslegung des Privat¬ rechts." Daß sich die Ansichten der maßgebenden Stellen inzwischen geändert haben sollten, darf man kaum annehmen; aus einer Äußerung des preußischen Justizministers im Abgeordnetenhause muß mau vielmehr das Gegenteil schließen. Die Begründung des Entwurfs sagt nur, daß sich die Bedenken gegen die An- gliederung an die Amtsgerichte als zu groß erwiesen hätten, insbesondre weil dadurch die Frage einer Umgestaltung des ganzen amtsgerichtlichen Verfahrens aufgerollt werden würde. Bei dieser Sachlage wird schon darauf hingewiesen, daß der wahre Grund für die Schwenkung der Regierung die Kostenfrage sei. Welche Rolle bei dem luuÄii.we,neuen rsguoruin die Kosten spielen, ist ja noch aus den Beratungen über die Einführung der Berufung in aller Erinnerung. Doch das bleibe dahingestellt, es sei mir aber erlaubt, die Frage des Anschlusses an die Gewerbe- oder die Amts¬ gerichte vom Standpunkt des ordentlichen Richters aus zu beleuchten. Ich beginne mit einem Eingeständnis, das zwar hart ist, dessen Richtigkeit man aber nicht leugnen wird. Das Ansehen des Juristeustandes nimmt ab. Darüber kann das dankenswerte, aber etwas kritiklose und herkvmmenmäßige Eintreten ge¬ wisser Parteien unsrer Parlamente nicht hinwegtäuschen. Das Kritisieren richterlicher Urteile, das früher gegen den guten Ton verstieß, nimmt immer mehr zu, es ist nicht mehr das Vorrecht der Parteien und der Presse der äußersten Linken, auch weiter rechts stehende Parteien und Blätter machen davon einen ausgiebigen Ge¬ brauch. Wohin wir gekommen sind, das zeigt sich gerade bei unsrer Frage. Als es kürzlich hieß, eine Verzögerung in der Vorlegung des Entwurfs sei dadurch ent¬ standen, daß eine starke Strömung zu Gunsten der Angliederung der neuen Ge¬ richte an die Amtsgerichte vorhanden sei, da schrieb ein so maßvolles Blatt wie die „Tägliche Rundschau": „Lieber ein vorläufiger Verzicht auf die Reform, als eine solche Lösung." Man muß diesen Dingen in die Augen sehen, mau muß sich vorhalten, daß alle die Äußerungen in der Presse und in den Parlamenten nur wie die Blasen auf der Oberfläche des Teiches sind, daß in den tiefen Schichten der Bevölkerung die Abneigung gegen die Gerichte noch viel stärker ist. Es genügt auch nicht, be¬ weglich darüber zu klagen, daß die Ausschließung der Amtsrichter ihr Ansehen und damit das der Rechtspflege beeinträchtige, daß die Reichsgesetzgebung, statt ihre Stellung zu stärken, sie mir einflußloser machen. Man muß vielmehr nach den Ursachen forschen. Im Abgeordnetenhaus« sind kürzlich Redner verschiedner Parteien für die ordentlichen Gerichte eingetreten, aber niemand ist den Gründen der weit¬ verbreiteten Abneigung nachgegangen. Vor einiger Zeit hat auch ein angesehener Richter die Frage in einem Aufsatz „Die Unpopularität des Juristenstandes in Deutschland" erörtert, ohne aber meines Erachtens das Entscheidende zu treffen. Gewiß wird den Juristen manches in die Schuhe geschoben, was nicht ihre Schuld, sondern die des Gesetzes ist, gewiß wird vielfach von den Zeitungen eine Kritik geübt, die sich auf eine durchaus unzutreffende Wiedergabe des Tatbestandes stützt, gewiß endlich ist die Gewissenhaftigkeit der Richter bei der Auslegung der Gesetze nicht tadelnswert, sondern nur ihre Karikatur, die zu Entscheidungen kommt, die nicht nur den Geboten des gesunden Menschenverstandes, sondern auch denen einer vernünftigen juristischen Auslegung widersprechen. Das Wesentliche aber ist etwas andres: es ist der Maugel an sozialem Empfinde« und sozialem Verständnis, der bei einem Teil unsers Richterstandes vorhanden ist. Er ist es, der neben der Kost¬ spieligkeit und Langwierigkeit der Prozesse Richter und Gerichte in den breiten Volks¬ schichten unbeliebt macht, der Richter und Volk einander entfremdet. Braucht man das denen, die sich mit sozialen Dingen befassen, noch zu be¬ legen? Mau hat bei der Beratung des Bürgerlichen Gesetzbuchs öfters darauf hingewiesen, daß es auch sozial sei, daß es, soweit es auf der Grundlage der jetzigen Gesellschaftsordnung durch Mittel des bürgerlichen Rechts möglich sei, den

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_239555/690>, abgerufen am 24.11.2024.