Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Erstes Vierteljahr.Gin Sommcrurlaul' in Pommern Der Trab war nun freilich nur ein kurzes, für das Lindemannsche Hotel¬ Als wir das bewohnte Heringsdorf hinter uns hatten, hielt das Gefährt, und Es war mir nicht schwer, seinem Betragen und seinen Äußerungen zu ent¬ Auf der Karte hatten sich mir die Forkschen Staaten als eine zwischen dem Gin Sommcrurlaul' in Pommern Der Trab war nun freilich nur ein kurzes, für das Lindemannsche Hotel¬ Als wir das bewohnte Heringsdorf hinter uns hatten, hielt das Gefährt, und Es war mir nicht schwer, seinem Betragen und seinen Äußerungen zu ent¬ Auf der Karte hatten sich mir die Forkschen Staaten als eine zwischen dem <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0672" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/240228"/> <fw type="header" place="top"> Gin Sommcrurlaul' in Pommern</fw><lb/> <p xml:id="ID_3587"> Der Trab war nun freilich nur ein kurzes, für das Lindemannsche Hotel¬<lb/> personal abgebranntes Feuerwerk gewesen, denn sowie wir außer Sicht waren, ver¬<lb/> fiel das Gespann in einen behaglichen Schritt, den es auch beibehielt bis zum<lb/> Augenblick der feierlichen Vorfahre vor das Haus meines Oheims. Dieser hatte<lb/> mir allerdings, was körperliche Schönheit, Schlaue und Schick des Auftretens an¬<lb/> langte, die beiden Alcibiadesse des Hoff ausgesucht, aber das wurde mir erst spater<lb/> klar, als ich den Vergleich mit den übrigen machen konnte. Fürs erste ging mein<lb/> Eindruck nicht weiter, als daß ich dem Schicksal dafür dankbar war, daß es mir<lb/> nicht die Notwendigkeit eines Ring- und Faustkampfes mit den Eigentümern dieser<lb/> zwei Paar Arme und Beine auferlegte, und daß ich zu der Überzeugung kam, man<lb/> hätte dem einen wie dein ander» ungezähltes Geld anvertrauen können, so ehr¬<lb/> bar und verläßlich sahen sie aus, und als so ehrbar und verläßlich bewährten sie<lb/> sich auch.</p><lb/> <p xml:id="ID_3588"> Als wir das bewohnte Heringsdorf hinter uns hatten, hielt das Gefährt, und<lb/> der Stangenreiter, der abgesessen und an meinen Fahrtron herangetreten war, fragte<lb/> mich mit gelüfteten Hute, ob ich etwas dagegen habe, daß sie die „Kirchenröcke"<lb/> auszogen. Natürlich hatte ich nicht das mindeste dagegen einzuwenden. Die<lb/> Kirchenröcke — dieses Kleidungsstück hatte ich mir, beiläufig gesagt, bisher immer<lb/> etwas langschößiger vorgestellt — wurden ausgezogen, es kamen zwei Paar blendend<lb/> weiße Hemdärmel und die Umrisse von zwei Paar Achseln zum Vorschein, die Loki<lb/> ohne Zweifel als em-ruros wi-ridies bezeichnet haben würde, das Gelumpe wurde<lb/> im Handnmdrehn auf meinen Koffer geschnürt, und die Fahrt ging weiter, dieses-<lb/> mal jedoch ohne daß sich der Stangenreiter, der im Gegenteil neben mir herging,<lb/> wieder in den Sattel geschwungen hätte.</p><lb/> <p xml:id="ID_3589"> Es war mir nicht schwer, seinem Betragen und seinen Äußerungen zu ent¬<lb/> nehmen, daß der Oheim mich ihm als dem weltmännisch gewieftern der beiden auf<lb/> die Seele gebunden hatte, und daß er bestrebt war, die Länge der Fahrt durch<lb/> seine Unterhaltung zu kürzen. Es soll Referendare geben, die um ihre hohe Person<lb/> eine dreifache chinesische Mauer ziehn zu müssen glauben! zum Glück war Friedrich<lb/> Wilhelm — so hieß der Stangenreiter, während des Spitzenreiters Name Wilhelm<lb/> Friedrich war — nicht an einen solchen gekommen, ich war im Gegenteil sehr froh<lb/> zu hören, was er zu sagen hatte, und ihn über alles, was er nur ohne Vertraueus-<lb/> mißbrauch über den Hof und die Wirtschaft mitteilen durfte, befragen zu können.</p><lb/> <p xml:id="ID_3590" next="#ID_3591"> Auf der Karte hatten sich mir die Forkschen Staaten als eine zwischen dem<lb/> Wieck und dem Achterwasser in der Richtung von Norden nach Süden gestreckte,<lb/> sieben Kilometer lange und in der höchsten Breite zwei und einen halben Kilometer<lb/> messende Halbinsel nebst einer dazu gehörigen, vom Achterwasser umflossenen kleinern<lb/> Insel dargestellt. Von der Landseite oder richtiger gesagt von dem übrigen Teile<lb/> der Insel Usedom aus war der einzige Zugang zu dem Halbinselchen einen Kilo¬<lb/> meter südlich von dem heutzutage als Seebad bekannten Zinnvwitz, das damals noch<lb/> ein sehr primitives Fischerdorf war. Wenn der Lange Berg und der Streckelsberg<lb/> den sich zwischen Heringsdorf und Zinnowitz in der Richtung von Südwest nach<lb/> Nordost hinziehenden Strand nicht unterbrochen hätten, wäre es zweifellos am<lb/> angenehmsten gewesen, auf der bei Landwind von der See verlassenen und von<lb/> ihr wie eine Tenne festgerammteu und vorzüglich „gesprengten" Strandfläche hin¬<lb/> zufahren, da dies aber, wie gesagt, wegen der an manchen Stellen bis hart an<lb/> die See herantretenden Bodenerhebungen nicht möglich war, so fuhr man — heut¬<lb/> zutage gibt es eine Swinemünde mit der Wolgaster Fähre verbindende Chaussee —<lb/> ohne den etwas rechts bleibenden Schloonsee zu berühren am Gotensee, am Krebssee<lb/> und am Schmollensee vorbei durch den herrlichen Pudaglaer Buchen- und Eichen¬<lb/> forst auf Coserow zu, wo wenig Kilometer südlich von der ins Meer versunkner<lb/> Wendenstadt Vineta die Insel zwischen der Pommerschen Bucht und dem Achter-<lb/> wasfer so schmal wird, daß sich ihre weitere nordwestliche Fortsetzung aufnimmt<lb/> wie eine fast ganz von ihr losgetrennte Halbinsel in der Form eines zum Sprunge</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0672]
Gin Sommcrurlaul' in Pommern
Der Trab war nun freilich nur ein kurzes, für das Lindemannsche Hotel¬
personal abgebranntes Feuerwerk gewesen, denn sowie wir außer Sicht waren, ver¬
fiel das Gespann in einen behaglichen Schritt, den es auch beibehielt bis zum
Augenblick der feierlichen Vorfahre vor das Haus meines Oheims. Dieser hatte
mir allerdings, was körperliche Schönheit, Schlaue und Schick des Auftretens an¬
langte, die beiden Alcibiadesse des Hoff ausgesucht, aber das wurde mir erst spater
klar, als ich den Vergleich mit den übrigen machen konnte. Fürs erste ging mein
Eindruck nicht weiter, als daß ich dem Schicksal dafür dankbar war, daß es mir
nicht die Notwendigkeit eines Ring- und Faustkampfes mit den Eigentümern dieser
zwei Paar Arme und Beine auferlegte, und daß ich zu der Überzeugung kam, man
hätte dem einen wie dein ander» ungezähltes Geld anvertrauen können, so ehr¬
bar und verläßlich sahen sie aus, und als so ehrbar und verläßlich bewährten sie
sich auch.
Als wir das bewohnte Heringsdorf hinter uns hatten, hielt das Gefährt, und
der Stangenreiter, der abgesessen und an meinen Fahrtron herangetreten war, fragte
mich mit gelüfteten Hute, ob ich etwas dagegen habe, daß sie die „Kirchenröcke"
auszogen. Natürlich hatte ich nicht das mindeste dagegen einzuwenden. Die
Kirchenröcke — dieses Kleidungsstück hatte ich mir, beiläufig gesagt, bisher immer
etwas langschößiger vorgestellt — wurden ausgezogen, es kamen zwei Paar blendend
weiße Hemdärmel und die Umrisse von zwei Paar Achseln zum Vorschein, die Loki
ohne Zweifel als em-ruros wi-ridies bezeichnet haben würde, das Gelumpe wurde
im Handnmdrehn auf meinen Koffer geschnürt, und die Fahrt ging weiter, dieses-
mal jedoch ohne daß sich der Stangenreiter, der im Gegenteil neben mir herging,
wieder in den Sattel geschwungen hätte.
Es war mir nicht schwer, seinem Betragen und seinen Äußerungen zu ent¬
nehmen, daß der Oheim mich ihm als dem weltmännisch gewieftern der beiden auf
die Seele gebunden hatte, und daß er bestrebt war, die Länge der Fahrt durch
seine Unterhaltung zu kürzen. Es soll Referendare geben, die um ihre hohe Person
eine dreifache chinesische Mauer ziehn zu müssen glauben! zum Glück war Friedrich
Wilhelm — so hieß der Stangenreiter, während des Spitzenreiters Name Wilhelm
Friedrich war — nicht an einen solchen gekommen, ich war im Gegenteil sehr froh
zu hören, was er zu sagen hatte, und ihn über alles, was er nur ohne Vertraueus-
mißbrauch über den Hof und die Wirtschaft mitteilen durfte, befragen zu können.
Auf der Karte hatten sich mir die Forkschen Staaten als eine zwischen dem
Wieck und dem Achterwasser in der Richtung von Norden nach Süden gestreckte,
sieben Kilometer lange und in der höchsten Breite zwei und einen halben Kilometer
messende Halbinsel nebst einer dazu gehörigen, vom Achterwasser umflossenen kleinern
Insel dargestellt. Von der Landseite oder richtiger gesagt von dem übrigen Teile
der Insel Usedom aus war der einzige Zugang zu dem Halbinselchen einen Kilo¬
meter südlich von dem heutzutage als Seebad bekannten Zinnvwitz, das damals noch
ein sehr primitives Fischerdorf war. Wenn der Lange Berg und der Streckelsberg
den sich zwischen Heringsdorf und Zinnowitz in der Richtung von Südwest nach
Nordost hinziehenden Strand nicht unterbrochen hätten, wäre es zweifellos am
angenehmsten gewesen, auf der bei Landwind von der See verlassenen und von
ihr wie eine Tenne festgerammteu und vorzüglich „gesprengten" Strandfläche hin¬
zufahren, da dies aber, wie gesagt, wegen der an manchen Stellen bis hart an
die See herantretenden Bodenerhebungen nicht möglich war, so fuhr man — heut¬
zutage gibt es eine Swinemünde mit der Wolgaster Fähre verbindende Chaussee —
ohne den etwas rechts bleibenden Schloonsee zu berühren am Gotensee, am Krebssee
und am Schmollensee vorbei durch den herrlichen Pudaglaer Buchen- und Eichen¬
forst auf Coserow zu, wo wenig Kilometer südlich von der ins Meer versunkner
Wendenstadt Vineta die Insel zwischen der Pommerschen Bucht und dem Achter-
wasfer so schmal wird, daß sich ihre weitere nordwestliche Fortsetzung aufnimmt
wie eine fast ganz von ihr losgetrennte Halbinsel in der Form eines zum Sprunge
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |