Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Erstes Vierteljahr.Gin Sommcrurlaub in Pommern die Gelegenheit, hier auszusprechen, daß ich nie in meinem Leben gefälligere, gut¬ Als ich vierzehn Bäder genommen und mich überzeugt hatte, daß ich für die Der Donnerstag kam. Eingepackt war. Ich hatte ein letztes Seebad ge¬ Unten vor dem .weet angekommen sah ich den wartenden Wagen: cui richtiger Die Abfahrt würde glorios und der eines Triumphators vergleichbar gewesen Hatte ein unglücklicher Zufall die Fürstin ans Fenster geführt, oder war nur Gin Sommcrurlaub in Pommern die Gelegenheit, hier auszusprechen, daß ich nie in meinem Leben gefälligere, gut¬ Als ich vierzehn Bäder genommen und mich überzeugt hatte, daß ich für die Der Donnerstag kam. Eingepackt war. Ich hatte ein letztes Seebad ge¬ Unten vor dem .weet angekommen sah ich den wartenden Wagen: cui richtiger Die Abfahrt würde glorios und der eines Triumphators vergleichbar gewesen Hatte ein unglücklicher Zufall die Fürstin ans Fenster geführt, oder war nur <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0671" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/240227"/> <fw type="header" place="top"> Gin Sommcrurlaub in Pommern</fw><lb/> <p xml:id="ID_3581" prev="#ID_3580"> die Gelegenheit, hier auszusprechen, daß ich nie in meinem Leben gefälligere, gut¬<lb/> mütigere, zuverlässigere und umgänglichere Leute gefunden habe, als diese Hcrings-<lb/> dorfer Bootleute waren.</p><lb/> <p xml:id="ID_3582"> Als ich vierzehn Bäder genommen und mich überzeugt hatte, daß ich für die<lb/> schöne Frau B.....und für die Fürstin, mit der ich obendrein in demselben<lb/> Hotel, den, einzigen, wohnte, Luft war und Luft blieb, schrieb ich an den Onkel<lb/> Rudolf, um ihn zu fragen, wann ich, ohne ihm beschwerlich zu sein, bei ihm ein¬<lb/> treffen dürfe, und erhielt umgehend — umgehend natürlich in dem Sinne, wie<lb/> es die damaligen Verkehrsverhttltnisse erlaubten, das heißt nach drei oder vier<lb/> Tagen — die Antwort, daß ich jederzeit willkommen sei, und daß mich der Wagen<lb/> Donnerstag früh gegen zehn Uhr abholen werde.</p><lb/> <p xml:id="ID_3583"> Der Donnerstag kam. Eingepackt war. Ich hatte ein letztes Seebad ge¬<lb/> nommen und saß beim ersten Frühstück, als sich nach einem gesunden Klopfen und<lb/> meinem „Herein!" ein Bursche zeigte, der seinen Hut neben den Türpfosten setzte,<lb/> genau mit derselben Geste, die mir vom Hausknecht her bekannt war, wenn er früh<lb/> das warme Wasser brachte, und der mir dann mit der Meldung, der Wagen sei<lb/> da, einen zweiten Brief meines Oheims überreichte. Der Brief brachte einen aber¬<lb/> maligen Willkommengruß und den Wink, der auf den Wagen geschnürte Korb ent¬<lb/> halte das Frühstück, das ich sicher brauchen werde, da mein Eintreffen bei ihnen<lb/> nicht vor zwei Uhr möglich sei. Das für mich bestimmte sei in weißes Papier<lb/> gewickelt, das für die Leute mitgegebne in braunes. Meinen Koffer, der nicht sehr<lb/> groß, aber verhältnismäßig schwer war, da er außer einigen Kleiderwechsel lauter<lb/> Wasche enthielt, hatte ich seit meiner Abreise noch nicht so als leichtes HuWstcheu<lb/> behandeln sehen: meines Onkels Abgesandter warf ihn über die Schulter, als wenn<lb/> er leer wäre.</p><lb/> <p xml:id="ID_3584"> Unten vor dem .weet angekommen sah ich den wartenden Wagen: cui richtiger<lb/> zum Einfahren von Heu und zum Fortschaffen von Getreidesäcken nach der Mühle<lb/> bestimmter, drei Meter tiefer Leiterwagen, auf dem als Sitz gerade in der Mitte<lb/> zwischen Vorder- und Hinterrädern ein in Decken gewickelter Riesensaal festgemacht<lb/> War, und dem vier tüchtige Wirtschaftsgäule mit Spitzen- und Stangenreiter vor¬<lb/> gespannt waren. Der Stangenreiter war der, der mir den Brief gebracht und den<lb/> Koffer die Treppe hinunter jongliert hatte: er und der Spitzenreiter, der gleich,<lb/> falls abgesessen war und mich freundlich grinsend begrüßte, machten sich sofort<lb/> darüber her, den Koffer festzuschnüren, was im Handnmdrehn bewerkstelligt war.<lb/> Dann schwangen sie sich beide wieder in den Sattel, und die Fuhre kounte abgehn.</p><lb/> <p xml:id="ID_3585"> Die Abfahrt würde glorios und der eines Triumphators vergleichbar gewesen<lb/> sein, wenn entweder der Leiterwagen Federn gehabt hätte, was nicht der Fall war.<lb/> "der wenn mir früher Gelegenheit gegeben worden wäre, Vorstudien darüber an¬<lb/> zustellen, wie man den Stößen eines solchen im vollen Trabe über Stock und Stein<lb/> dähinrasselnden Gefährts anmutig begegnet. So fehlte dem Vorgange das Weihe¬<lb/> volle, wie ich leider aus dem hellen Jnbel des vor dem Hause versammelten Hotel¬<lb/> personals nur zu deutlich ersehen konnte. Die beiden Knechte machten sich in ihren<lb/> dunkelblauen Jacken mit blanken Knöpfen, den Quäkerhüten und den kurzen Peitschen<lb/> ganz gut auf ihren Pferden, nnr ich ließ auf dem schrecklichen Sack, vor nnr in<lb/> beträchtlicher Entfernung der Speisekorb, hinter mir der Koffer, zu wünschen übrig.<lb/> Wer je in einem Trab gefcchrnen Wohnwagen einer Seiltänzerfannlie, einer so¬<lb/> genannten Karawane, die Kaffeekanne auf dein Mitteltisch wie trunken hat hin- und<lb/> herschwanken sehen, kann sich von dem Anblick, den ich bot, einen Begriff machen.</p><lb/> <p xml:id="ID_3586"> Hatte ein unglücklicher Zufall die Fürstin ans Fenster geführt, oder war nur<lb/> diese Verschärfung meiner Folterqualen erspart geblieben? Ich weiß es nicht; ganz habe<lb/> ich mich von dem Gedanken, daß die schöne Frau Zeugin meiner Schande gewesen<lb/> sei. nie frei machen können. Und doch möchte ich die „Knaben Lenker" nicht anklagen,<lb/> denn wenn sie mich im langsamen Schritt weggefnhrcn hätten wie einen Verurteilten,<lb/> der zum Richtplatz gebracht wird, hätte sich das noch schlechter ausgenommen.</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0671]
Gin Sommcrurlaub in Pommern
die Gelegenheit, hier auszusprechen, daß ich nie in meinem Leben gefälligere, gut¬
mütigere, zuverlässigere und umgänglichere Leute gefunden habe, als diese Hcrings-
dorfer Bootleute waren.
Als ich vierzehn Bäder genommen und mich überzeugt hatte, daß ich für die
schöne Frau B.....und für die Fürstin, mit der ich obendrein in demselben
Hotel, den, einzigen, wohnte, Luft war und Luft blieb, schrieb ich an den Onkel
Rudolf, um ihn zu fragen, wann ich, ohne ihm beschwerlich zu sein, bei ihm ein¬
treffen dürfe, und erhielt umgehend — umgehend natürlich in dem Sinne, wie
es die damaligen Verkehrsverhttltnisse erlaubten, das heißt nach drei oder vier
Tagen — die Antwort, daß ich jederzeit willkommen sei, und daß mich der Wagen
Donnerstag früh gegen zehn Uhr abholen werde.
Der Donnerstag kam. Eingepackt war. Ich hatte ein letztes Seebad ge¬
nommen und saß beim ersten Frühstück, als sich nach einem gesunden Klopfen und
meinem „Herein!" ein Bursche zeigte, der seinen Hut neben den Türpfosten setzte,
genau mit derselben Geste, die mir vom Hausknecht her bekannt war, wenn er früh
das warme Wasser brachte, und der mir dann mit der Meldung, der Wagen sei
da, einen zweiten Brief meines Oheims überreichte. Der Brief brachte einen aber¬
maligen Willkommengruß und den Wink, der auf den Wagen geschnürte Korb ent¬
halte das Frühstück, das ich sicher brauchen werde, da mein Eintreffen bei ihnen
nicht vor zwei Uhr möglich sei. Das für mich bestimmte sei in weißes Papier
gewickelt, das für die Leute mitgegebne in braunes. Meinen Koffer, der nicht sehr
groß, aber verhältnismäßig schwer war, da er außer einigen Kleiderwechsel lauter
Wasche enthielt, hatte ich seit meiner Abreise noch nicht so als leichtes HuWstcheu
behandeln sehen: meines Onkels Abgesandter warf ihn über die Schulter, als wenn
er leer wäre.
Unten vor dem .weet angekommen sah ich den wartenden Wagen: cui richtiger
zum Einfahren von Heu und zum Fortschaffen von Getreidesäcken nach der Mühle
bestimmter, drei Meter tiefer Leiterwagen, auf dem als Sitz gerade in der Mitte
zwischen Vorder- und Hinterrädern ein in Decken gewickelter Riesensaal festgemacht
War, und dem vier tüchtige Wirtschaftsgäule mit Spitzen- und Stangenreiter vor¬
gespannt waren. Der Stangenreiter war der, der mir den Brief gebracht und den
Koffer die Treppe hinunter jongliert hatte: er und der Spitzenreiter, der gleich,
falls abgesessen war und mich freundlich grinsend begrüßte, machten sich sofort
darüber her, den Koffer festzuschnüren, was im Handnmdrehn bewerkstelligt war.
Dann schwangen sie sich beide wieder in den Sattel, und die Fuhre kounte abgehn.
Die Abfahrt würde glorios und der eines Triumphators vergleichbar gewesen
sein, wenn entweder der Leiterwagen Federn gehabt hätte, was nicht der Fall war.
"der wenn mir früher Gelegenheit gegeben worden wäre, Vorstudien darüber an¬
zustellen, wie man den Stößen eines solchen im vollen Trabe über Stock und Stein
dähinrasselnden Gefährts anmutig begegnet. So fehlte dem Vorgange das Weihe¬
volle, wie ich leider aus dem hellen Jnbel des vor dem Hause versammelten Hotel¬
personals nur zu deutlich ersehen konnte. Die beiden Knechte machten sich in ihren
dunkelblauen Jacken mit blanken Knöpfen, den Quäkerhüten und den kurzen Peitschen
ganz gut auf ihren Pferden, nnr ich ließ auf dem schrecklichen Sack, vor nnr in
beträchtlicher Entfernung der Speisekorb, hinter mir der Koffer, zu wünschen übrig.
Wer je in einem Trab gefcchrnen Wohnwagen einer Seiltänzerfannlie, einer so¬
genannten Karawane, die Kaffeekanne auf dein Mitteltisch wie trunken hat hin- und
herschwanken sehen, kann sich von dem Anblick, den ich bot, einen Begriff machen.
Hatte ein unglücklicher Zufall die Fürstin ans Fenster geführt, oder war nur
diese Verschärfung meiner Folterqualen erspart geblieben? Ich weiß es nicht; ganz habe
ich mich von dem Gedanken, daß die schöne Frau Zeugin meiner Schande gewesen
sei. nie frei machen können. Und doch möchte ich die „Knaben Lenker" nicht anklagen,
denn wenn sie mich im langsamen Schritt weggefnhrcn hätten wie einen Verurteilten,
der zum Richtplatz gebracht wird, hätte sich das noch schlechter ausgenommen.
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |