Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Erstes Vierteljahr.Das Miqnelsche Einkommensteuergesetz im Jahre ^90A Wenn der hohe Gerichtshof verlangt, ein oft um drei oder noch mehr Der hohe Gerichtshof spricht sehr schön von der Schätzung der einzelnen Grenzboten I 1908 83
Das Miqnelsche Einkommensteuergesetz im Jahre ^90A Wenn der hohe Gerichtshof verlangt, ein oft um drei oder noch mehr Der hohe Gerichtshof spricht sehr schön von der Schätzung der einzelnen Grenzboten I 1908 83
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0657" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/240213"/> <fw type="header" place="top"> Das Miqnelsche Einkommensteuergesetz im Jahre ^90A</fw><lb/> <p xml:id="ID_3540"> Wenn der hohe Gerichtshof verlangt, ein oft um drei oder noch mehr<lb/> Jahre zurückliegendes Einkommen aus Grundbesitz nach Kultur- und Boden¬<lb/> art, nach dem Viehstände, nach dem Verkauf von Vieh und andern Erzeug¬<lb/> nissen unter Berücksichtigung des Ertrags aus Holzungen als erkennbaren<lb/> Rcchnnngsfaktor des landwirtschaftlichen Einkommens festzustellen, so wird<lb/> zwar keine Mühe gespart, diesen Anforderungen nachzukommen, aber die<lb/> größten Zweifel an der Richtigkeit der gewonnenen Zahlen haben die Gut¬<lb/> achter selbst. Es ist der Fehler des hohen Gerichtshofs, daß er sich im Be¬<lb/> mühen nach Genauigkeit, aber in Verkennung der tatsächlichen Verhältnisse<lb/> allzusehr in Einzelheiten verliert und das Einkommen in seine Atome zu<lb/> zerlegen sucht. Dieser Weg ist ungangbar oft schon bei Einkommen des letzten<lb/> Jahres, möglich bei Einkommen früherer Jahre aber nur auf Kosten der Ge¬<lb/> nauigkeit. Alle Atome eines Einkommens sind in der Mehrzahl der Fälle<lb/> überhaupt nicht auffindbar, der Pflichtige wird immer bemüht sein, die Um¬<lb/> stände in den Vordergrund zu stellen, die sein Einkommen verringern, während<lb/> die seinen Einnahmen günstigen Tatsachen von ihm abgeschwächt oder über¬<lb/> gangen werden. Die Kenntnisse und die Befugnisse der Behörden reichen nicht<lb/> ans, all die kleine» Rinnsale zu erkennen und zu erfassen, die zur Bildung<lb/> des Einkommens führen. Außerdem find die Belästigungen groß, die durch<lb/> die Anforderungen des oberste» Gerichts hervorgerufen werden und Mi߬<lb/> stimmung erregen. Der Vorsitzende der Kommission einer größern gewerb-<lb/> reichen Stadt erklärte in meiner Gegenwart, er mache sich anheischig, jeden<lb/> auf Schätzung des Einkommens beruhenden Steuersatz im Beschwerdeweg um¬<lb/> zustoßen. Diese Äußerung geht zweifellos zu weit, aber sie ist charakteristisch<lb/> für die Stellung des Sprechers.</p><lb/> <p xml:id="ID_3541" next="#ID_3542"> Der hohe Gerichtshof spricht sehr schön von der Schätzung der einzelnen<lb/> Jahresergebnisse unter Berechnung des sich daraus ergebenden Durchschnitts<lb/> un Gegensatz zu der unmittelbaren Durchschnittsschätznng. Es wird hervor¬<lb/> gehoben, daß auch vom praktischen Standpunkt aus das erste Verfahren den<lb/> Vorzug verdiene. Sei „einmal das Durchschnittseinkommen der Vorjahre auf<lb/> dem andern Wege gefunden," so wären für die folgende Schätzung die Ergeb¬<lb/> nisse der beiden ersten Vorjahre festgelegt, und es bedürfe nur der Schätzung<lb/> des letzten Jahres, aus der Gesamtsumme den Durchschnitt zu berechnen. „So<lb/> reche sich unter fortschreitender Benutzung der frühern Schätzungsergebnisse die<lb/> euie Veranlagung an die andre, und es könne gar nicht zweifelhaft sein, daß<lb/> Gleichmäßigkeit und Zuverlässigkeit der Veranlagungen hierdurch gewinne."<lb/> Trefflich gesprochen; aber der Sitzung einer „Veranlagungs"- oder Vorein-<lb/> schätznngskommission hat der vom „praktischen Standpunkt" aus schreibende<lb/> Herr Rat niemals beigewohnt. Die Veranlagungs- und geschweige die Vor-<lb/> enischütznngskommission denken gar uicht daran, für jeden Pflichtigen eine<lb/> Rechnung gesondert für die einzelnen Jahre aufzustellen. Bestimmend für<lb/> ihre Schätzungen ist hauptsächlich das letzte und auch das laufende Jahr.<lb/> Dieses Verfahren widerspricht den Vorschriften. Aber die Einschätzungs¬<lb/> behörden müssen damit rechnen und werden dies wahrscheinlich so lange tun<lb/> müssen, bis jeder Voreinschätzungskommissiou ein Oberverwaltungsgerichtsrat</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten I 1908 83</fw><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0657]
Das Miqnelsche Einkommensteuergesetz im Jahre ^90A
Wenn der hohe Gerichtshof verlangt, ein oft um drei oder noch mehr
Jahre zurückliegendes Einkommen aus Grundbesitz nach Kultur- und Boden¬
art, nach dem Viehstände, nach dem Verkauf von Vieh und andern Erzeug¬
nissen unter Berücksichtigung des Ertrags aus Holzungen als erkennbaren
Rcchnnngsfaktor des landwirtschaftlichen Einkommens festzustellen, so wird
zwar keine Mühe gespart, diesen Anforderungen nachzukommen, aber die
größten Zweifel an der Richtigkeit der gewonnenen Zahlen haben die Gut¬
achter selbst. Es ist der Fehler des hohen Gerichtshofs, daß er sich im Be¬
mühen nach Genauigkeit, aber in Verkennung der tatsächlichen Verhältnisse
allzusehr in Einzelheiten verliert und das Einkommen in seine Atome zu
zerlegen sucht. Dieser Weg ist ungangbar oft schon bei Einkommen des letzten
Jahres, möglich bei Einkommen früherer Jahre aber nur auf Kosten der Ge¬
nauigkeit. Alle Atome eines Einkommens sind in der Mehrzahl der Fälle
überhaupt nicht auffindbar, der Pflichtige wird immer bemüht sein, die Um¬
stände in den Vordergrund zu stellen, die sein Einkommen verringern, während
die seinen Einnahmen günstigen Tatsachen von ihm abgeschwächt oder über¬
gangen werden. Die Kenntnisse und die Befugnisse der Behörden reichen nicht
ans, all die kleine» Rinnsale zu erkennen und zu erfassen, die zur Bildung
des Einkommens führen. Außerdem find die Belästigungen groß, die durch
die Anforderungen des oberste» Gerichts hervorgerufen werden und Mi߬
stimmung erregen. Der Vorsitzende der Kommission einer größern gewerb-
reichen Stadt erklärte in meiner Gegenwart, er mache sich anheischig, jeden
auf Schätzung des Einkommens beruhenden Steuersatz im Beschwerdeweg um¬
zustoßen. Diese Äußerung geht zweifellos zu weit, aber sie ist charakteristisch
für die Stellung des Sprechers.
Der hohe Gerichtshof spricht sehr schön von der Schätzung der einzelnen
Jahresergebnisse unter Berechnung des sich daraus ergebenden Durchschnitts
un Gegensatz zu der unmittelbaren Durchschnittsschätznng. Es wird hervor¬
gehoben, daß auch vom praktischen Standpunkt aus das erste Verfahren den
Vorzug verdiene. Sei „einmal das Durchschnittseinkommen der Vorjahre auf
dem andern Wege gefunden," so wären für die folgende Schätzung die Ergeb¬
nisse der beiden ersten Vorjahre festgelegt, und es bedürfe nur der Schätzung
des letzten Jahres, aus der Gesamtsumme den Durchschnitt zu berechnen. „So
reche sich unter fortschreitender Benutzung der frühern Schätzungsergebnisse die
euie Veranlagung an die andre, und es könne gar nicht zweifelhaft sein, daß
Gleichmäßigkeit und Zuverlässigkeit der Veranlagungen hierdurch gewinne."
Trefflich gesprochen; aber der Sitzung einer „Veranlagungs"- oder Vorein-
schätznngskommission hat der vom „praktischen Standpunkt" aus schreibende
Herr Rat niemals beigewohnt. Die Veranlagungs- und geschweige die Vor-
enischütznngskommission denken gar uicht daran, für jeden Pflichtigen eine
Rechnung gesondert für die einzelnen Jahre aufzustellen. Bestimmend für
ihre Schätzungen ist hauptsächlich das letzte und auch das laufende Jahr.
Dieses Verfahren widerspricht den Vorschriften. Aber die Einschätzungs¬
behörden müssen damit rechnen und werden dies wahrscheinlich so lange tun
müssen, bis jeder Voreinschätzungskommissiou ein Oberverwaltungsgerichtsrat
Grenzboten I 1908 83
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