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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Erstes Vierteljahr.

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Das Miquelsche Lilikoininensteuergesetz im Jahre ^cD2

Neuerung. Wie erzählt wird, enthalten die Miuisterialakten aus den ersten
Jahren der Geltung des Gesetzes interessante Schriftsatze über die Stellung
des Vorsitzenden der Berufungskommission, die den Beifall des Ministers
des Innern nicht gefunden hatten. Und obwohl der Finanzminister Miqnel
damals auf der Höhe seiner Macht und seines Ansehens stand, ist sein
Ministerialtollege -- eine Erklärung dafür kann nicht gegeben werden --
bei diesen Meinungsverschiedenheiten siegreich gewesen. An den gesetzlichen
Vorschriften, an der unmittelbaren Unterordnung des Vorsitzenden der Bc-
rufungskvmmission unter den Finanzminister, an dessen Stellung als Vor¬
gesetzter der Nachgeordneten Behörden konnte selbstverständlich nichts geändert
werden, wohl aber war das möglich an der ünßern Stellung. Das nach dem
Disziplinargesetz für die nicht richterlichen Beamten jedem Dienstvorgesetzten
zustehende Recht auf Erteilung von Verwarnungen und Verweisen wurde dem Vor¬
sitzenden der Berufungskommission abgesprochen, und er wurde in Disziplinar-
angelegeuheiten auf die Vermittlung des Regierungspräsidenten verwiesen. Die
wegen der gesteigerten Verantwortung durch die Gewährung einer persönlichen
Zulage ausgesprvchue Bevorzugung wurde durch deren Zurücknahme auf¬
gehoben. Bei dieser Maßregel schonte man nicht einmal die berechtigte
Empfindlichkeit der Beamten, denn ihren Stellvertretern wurde die Zulage
belassen.

Während die frühere Gesetzgebung die Entscheidung aller Steuerbeschwerden
dem Finanzminister übertragen hatte, ist gegenwärtig die Rechtsprechung von
der obersten Leitung, die dem Finanzminister gebührt, getrennt und dem
Oberverwaltuugsgericht übertragen worden. Die Verdienste sind groß, die sich
dieser Gerichtshof um die Erörterung und Klärung der Fragen der Steuer-
pflicht, des Einkommenbcgriffs, des Verfahrens und um die Gewinnung fester
Grundsätze erworben hat. Anderseits kann aber seinen Entscheidungen der Vor¬
wurf nicht erspart werden, daß sie vielfach eine vorwiegend theoretische Rich¬
tung haben und auf die Praxis geringe Rücksicht nehmen, auch an diese An¬
forderungen stellen, die sie zu erfüllen kaum imstande ist. In der an sich
richtigen Erkenntnis, daß die Einschätzungsbehörden immer eine starke Neigung
haben werden, das fiskalische Interesse in den Vordergrund zu rücken, ist das
Oberverwaltungsgericht dem alten Rechtssprüche folgend: in clubio eontrA üsouin
mehr und mehr auf die Seite der nüssr-z, xle-dö eontribuöNL getreten. Sie zu
schonen und zu schützen sind die den Behörden zufallenden Obliegenheiten bei
der Ermittlung der Einkommen nach und nach ein starre, die Bewegung ein¬
schränkende, oft nicht zu erfüllende Formen gebunden worden.

Mißbilligend schüttelt der Richter in Berlin darüber sein weises Haupt,
wie Steuerkommission und Verufungskommission, obgleich ihre Entscheidung
schon einmal aufgehoben worden war, einem Steuerpflichtigen ein Einkommen
zuerkennen, das er trotz durchaus uicht sparsamer Lebensführung nicht haben
will. Das oberste Gericht, die höhere und daher tingere Behörde, behält
selbstverständlich Recht; überzeugt sind aber die niedern Instanzen von seiner
Entscheidung uicht, und mißbilligend schütteln deren Mitglieder die vorschrifts¬
müßig in der niedern Stellung weniger weisen Häupter.


Das Miquelsche Lilikoininensteuergesetz im Jahre ^cD2

Neuerung. Wie erzählt wird, enthalten die Miuisterialakten aus den ersten
Jahren der Geltung des Gesetzes interessante Schriftsatze über die Stellung
des Vorsitzenden der Berufungskommission, die den Beifall des Ministers
des Innern nicht gefunden hatten. Und obwohl der Finanzminister Miqnel
damals auf der Höhe seiner Macht und seines Ansehens stand, ist sein
Ministerialtollege — eine Erklärung dafür kann nicht gegeben werden —
bei diesen Meinungsverschiedenheiten siegreich gewesen. An den gesetzlichen
Vorschriften, an der unmittelbaren Unterordnung des Vorsitzenden der Bc-
rufungskvmmission unter den Finanzminister, an dessen Stellung als Vor¬
gesetzter der Nachgeordneten Behörden konnte selbstverständlich nichts geändert
werden, wohl aber war das möglich an der ünßern Stellung. Das nach dem
Disziplinargesetz für die nicht richterlichen Beamten jedem Dienstvorgesetzten
zustehende Recht auf Erteilung von Verwarnungen und Verweisen wurde dem Vor¬
sitzenden der Berufungskommission abgesprochen, und er wurde in Disziplinar-
angelegeuheiten auf die Vermittlung des Regierungspräsidenten verwiesen. Die
wegen der gesteigerten Verantwortung durch die Gewährung einer persönlichen
Zulage ausgesprvchue Bevorzugung wurde durch deren Zurücknahme auf¬
gehoben. Bei dieser Maßregel schonte man nicht einmal die berechtigte
Empfindlichkeit der Beamten, denn ihren Stellvertretern wurde die Zulage
belassen.

Während die frühere Gesetzgebung die Entscheidung aller Steuerbeschwerden
dem Finanzminister übertragen hatte, ist gegenwärtig die Rechtsprechung von
der obersten Leitung, die dem Finanzminister gebührt, getrennt und dem
Oberverwaltuugsgericht übertragen worden. Die Verdienste sind groß, die sich
dieser Gerichtshof um die Erörterung und Klärung der Fragen der Steuer-
pflicht, des Einkommenbcgriffs, des Verfahrens und um die Gewinnung fester
Grundsätze erworben hat. Anderseits kann aber seinen Entscheidungen der Vor¬
wurf nicht erspart werden, daß sie vielfach eine vorwiegend theoretische Rich¬
tung haben und auf die Praxis geringe Rücksicht nehmen, auch an diese An¬
forderungen stellen, die sie zu erfüllen kaum imstande ist. In der an sich
richtigen Erkenntnis, daß die Einschätzungsbehörden immer eine starke Neigung
haben werden, das fiskalische Interesse in den Vordergrund zu rücken, ist das
Oberverwaltungsgericht dem alten Rechtssprüche folgend: in clubio eontrA üsouin
mehr und mehr auf die Seite der nüssr-z, xle-dö eontribuöNL getreten. Sie zu
schonen und zu schützen sind die den Behörden zufallenden Obliegenheiten bei
der Ermittlung der Einkommen nach und nach ein starre, die Bewegung ein¬
schränkende, oft nicht zu erfüllende Formen gebunden worden.

Mißbilligend schüttelt der Richter in Berlin darüber sein weises Haupt,
wie Steuerkommission und Verufungskommission, obgleich ihre Entscheidung
schon einmal aufgehoben worden war, einem Steuerpflichtigen ein Einkommen
zuerkennen, das er trotz durchaus uicht sparsamer Lebensführung nicht haben
will. Das oberste Gericht, die höhere und daher tingere Behörde, behält
selbstverständlich Recht; überzeugt sind aber die niedern Instanzen von seiner
Entscheidung uicht, und mißbilligend schütteln deren Mitglieder die vorschrifts¬
müßig in der niedern Stellung weniger weisen Häupter.


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[0656] Das Miquelsche Lilikoininensteuergesetz im Jahre ^cD2 Neuerung. Wie erzählt wird, enthalten die Miuisterialakten aus den ersten Jahren der Geltung des Gesetzes interessante Schriftsatze über die Stellung des Vorsitzenden der Berufungskommission, die den Beifall des Ministers des Innern nicht gefunden hatten. Und obwohl der Finanzminister Miqnel damals auf der Höhe seiner Macht und seines Ansehens stand, ist sein Ministerialtollege — eine Erklärung dafür kann nicht gegeben werden — bei diesen Meinungsverschiedenheiten siegreich gewesen. An den gesetzlichen Vorschriften, an der unmittelbaren Unterordnung des Vorsitzenden der Bc- rufungskvmmission unter den Finanzminister, an dessen Stellung als Vor¬ gesetzter der Nachgeordneten Behörden konnte selbstverständlich nichts geändert werden, wohl aber war das möglich an der ünßern Stellung. Das nach dem Disziplinargesetz für die nicht richterlichen Beamten jedem Dienstvorgesetzten zustehende Recht auf Erteilung von Verwarnungen und Verweisen wurde dem Vor¬ sitzenden der Berufungskommission abgesprochen, und er wurde in Disziplinar- angelegeuheiten auf die Vermittlung des Regierungspräsidenten verwiesen. Die wegen der gesteigerten Verantwortung durch die Gewährung einer persönlichen Zulage ausgesprvchue Bevorzugung wurde durch deren Zurücknahme auf¬ gehoben. Bei dieser Maßregel schonte man nicht einmal die berechtigte Empfindlichkeit der Beamten, denn ihren Stellvertretern wurde die Zulage belassen. Während die frühere Gesetzgebung die Entscheidung aller Steuerbeschwerden dem Finanzminister übertragen hatte, ist gegenwärtig die Rechtsprechung von der obersten Leitung, die dem Finanzminister gebührt, getrennt und dem Oberverwaltuugsgericht übertragen worden. Die Verdienste sind groß, die sich dieser Gerichtshof um die Erörterung und Klärung der Fragen der Steuer- pflicht, des Einkommenbcgriffs, des Verfahrens und um die Gewinnung fester Grundsätze erworben hat. Anderseits kann aber seinen Entscheidungen der Vor¬ wurf nicht erspart werden, daß sie vielfach eine vorwiegend theoretische Rich¬ tung haben und auf die Praxis geringe Rücksicht nehmen, auch an diese An¬ forderungen stellen, die sie zu erfüllen kaum imstande ist. In der an sich richtigen Erkenntnis, daß die Einschätzungsbehörden immer eine starke Neigung haben werden, das fiskalische Interesse in den Vordergrund zu rücken, ist das Oberverwaltungsgericht dem alten Rechtssprüche folgend: in clubio eontrA üsouin mehr und mehr auf die Seite der nüssr-z, xle-dö eontribuöNL getreten. Sie zu schonen und zu schützen sind die den Behörden zufallenden Obliegenheiten bei der Ermittlung der Einkommen nach und nach ein starre, die Bewegung ein¬ schränkende, oft nicht zu erfüllende Formen gebunden worden. Mißbilligend schüttelt der Richter in Berlin darüber sein weises Haupt, wie Steuerkommission und Verufungskommission, obgleich ihre Entscheidung schon einmal aufgehoben worden war, einem Steuerpflichtigen ein Einkommen zuerkennen, das er trotz durchaus uicht sparsamer Lebensführung nicht haben will. Das oberste Gericht, die höhere und daher tingere Behörde, behält selbstverständlich Recht; überzeugt sind aber die niedern Instanzen von seiner Entscheidung uicht, und mißbilligend schütteln deren Mitglieder die vorschrifts¬ müßig in der niedern Stellung weniger weisen Häupter.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_239555/656>, abgerufen am 28.07.2024.