Als die Versicherungsanstalten für diesen angeblich gemeinnützigen Zweck schon über 35 Millionen hergegeben hatten, und die Gönner der Genossenschaften, damit noch nicht zufrieden, für die Versichernngsanstalten die Erlaubnis for¬ derten, ihr Vermögen bis zur Hülste auf Genossenschaftshäuser ausleihen zu dürfen, regte sich der Unwille der Hausbesitzer immer stärker, was jedoch die Versichernngsanstalten nicht abhielt, in den nächsten beiden Jahren die Summe der geliehenen Kapitalien auf 78 Millionen anschwellen zu lassen. Der Zins¬ fuß bewegt sich zwischen 2^ und 4^ Prozent, und zwar sind 7^ Millionen zum Durchschnittssatz von 3 bis 3^ Prozent über die Grenze der Mündel¬ sicherheit hinaus geliehen worden. 'Damit sind aber die Wvhnungsreformer noch lange nicht zufrieden. Der hannöversche Landesrat Liebrecht hat in der Zeitschrift "Das Land" und in der vierten Hauptversammlung des Ausschusses für Wohlfahrtspflege auf dem Lande die Jnvaliditätsvcrsichernngsanstalten für die besten Träger der Wohnungsfürsorge erklärt, hat verlangt, daß die Hälfte des Vermögens dieser Anstalten in Arbeiterwohnungen mündelsicher und ein Viertel nicht mündelsicher angelegt werde, und daß sie, um diese neue Auf¬ gabe lösen zu können, das Recht erhalten, selbst Darlehn aufzunehmen. Grävell sucht zu zeigen, daß die Verwendung der Versicherungsgelder zu Bau- hhpvthcken auf einer falschen Interpretation des Gesetzes beruhe .und darum ungesetzlich sei. An uicht weniger als sechs Stellen werde dem Wortlaut des Gesetzes stillschweigend ein andrer Wortlaut untergeschoben. Wir setzen die angeblichen sechs Unterschiebungen in Klammern neben den dnrch das Gesetz vom 12. Juli 1899 geänderten Wortlaut des frühern Paragraphen 129, jetzigen § 164 des Jnvalidenversicherungsgesetzcs. Im ersten Absatz wird ge¬ sagt, daß die Bestände der Versicherungsanstalten in mündelsichern Hypotheken und Wertpapieren (in nicht mündelmäßigen Hypotheken und in solchen, die über die Mündelsicherheit hinausgehn, sagen die Versicherungsanstalten) an¬ gelegt werden sollen. Dann heißt es weiter: "Die Versichernngsanstalten können mit Genehmigung der Aufsichtsbehörde einen Teil ihres Vermögens in andrer als der nach Absatz 1 zulässigen Weise, insbesondre in Grundstücken (Häusern) anlegen. Wollen die Versicherungsanstalten mehr als den vierten Teil ihres Vermögens in dieser Weise anlegen, so bedürfen sie dazu außer¬ dem der Genehmigung des Kommunalverbauds oder der Zentralbehörde des Vundesstciats. für den sie errichtet sind. Eine solche Anlage ist jedoch nur---- für solche Veranstaltungen (Baugenossenschaften sind nach dem Verfasser keine Veranstaltungen) zulässig, die ausschließlich oder überwiegend der Versicherungs¬ pflichtigen Bevölkerung zu gute kommen." (Das sei bei den Baugenossen¬ schaften nicht der Fall; die eine der sechs angeblichen Mißdeutungen verstehn wir uicht. Was in der ersten Klammer steht, rechnet Grüvell als zwei falsche Interpretationen.) Jedenfalls hielt sich der Hansbesitzervcrband dnrch die all¬ gemein angenommene Auslegung des Gesetzes für berechtigt, beim Reichs¬ versicherungsamt anzufragen, ob nicht auch die Privatunternehmer, die doch das Wohnbedürfnis in viel weiteren Umfange befriedigten als die Genossen¬ schaften, von den Versicherungsanstalten Hypothekendarlehn erhalten könnten. Die am 18. Oktober 1900 erteilte Antwort sagte der Hauptsache nach, über
Die Baugenossenschaften und die Wohnungsfrage
Als die Versicherungsanstalten für diesen angeblich gemeinnützigen Zweck schon über 35 Millionen hergegeben hatten, und die Gönner der Genossenschaften, damit noch nicht zufrieden, für die Versichernngsanstalten die Erlaubnis for¬ derten, ihr Vermögen bis zur Hülste auf Genossenschaftshäuser ausleihen zu dürfen, regte sich der Unwille der Hausbesitzer immer stärker, was jedoch die Versichernngsanstalten nicht abhielt, in den nächsten beiden Jahren die Summe der geliehenen Kapitalien auf 78 Millionen anschwellen zu lassen. Der Zins¬ fuß bewegt sich zwischen 2^ und 4^ Prozent, und zwar sind 7^ Millionen zum Durchschnittssatz von 3 bis 3^ Prozent über die Grenze der Mündel¬ sicherheit hinaus geliehen worden. 'Damit sind aber die Wvhnungsreformer noch lange nicht zufrieden. Der hannöversche Landesrat Liebrecht hat in der Zeitschrift „Das Land" und in der vierten Hauptversammlung des Ausschusses für Wohlfahrtspflege auf dem Lande die Jnvaliditätsvcrsichernngsanstalten für die besten Träger der Wohnungsfürsorge erklärt, hat verlangt, daß die Hälfte des Vermögens dieser Anstalten in Arbeiterwohnungen mündelsicher und ein Viertel nicht mündelsicher angelegt werde, und daß sie, um diese neue Auf¬ gabe lösen zu können, das Recht erhalten, selbst Darlehn aufzunehmen. Grävell sucht zu zeigen, daß die Verwendung der Versicherungsgelder zu Bau- hhpvthcken auf einer falschen Interpretation des Gesetzes beruhe .und darum ungesetzlich sei. An uicht weniger als sechs Stellen werde dem Wortlaut des Gesetzes stillschweigend ein andrer Wortlaut untergeschoben. Wir setzen die angeblichen sechs Unterschiebungen in Klammern neben den dnrch das Gesetz vom 12. Juli 1899 geänderten Wortlaut des frühern Paragraphen 129, jetzigen § 164 des Jnvalidenversicherungsgesetzcs. Im ersten Absatz wird ge¬ sagt, daß die Bestände der Versicherungsanstalten in mündelsichern Hypotheken und Wertpapieren (in nicht mündelmäßigen Hypotheken und in solchen, die über die Mündelsicherheit hinausgehn, sagen die Versicherungsanstalten) an¬ gelegt werden sollen. Dann heißt es weiter: „Die Versichernngsanstalten können mit Genehmigung der Aufsichtsbehörde einen Teil ihres Vermögens in andrer als der nach Absatz 1 zulässigen Weise, insbesondre in Grundstücken (Häusern) anlegen. Wollen die Versicherungsanstalten mehr als den vierten Teil ihres Vermögens in dieser Weise anlegen, so bedürfen sie dazu außer¬ dem der Genehmigung des Kommunalverbauds oder der Zentralbehörde des Vundesstciats. für den sie errichtet sind. Eine solche Anlage ist jedoch nur---- für solche Veranstaltungen (Baugenossenschaften sind nach dem Verfasser keine Veranstaltungen) zulässig, die ausschließlich oder überwiegend der Versicherungs¬ pflichtigen Bevölkerung zu gute kommen." (Das sei bei den Baugenossen¬ schaften nicht der Fall; die eine der sechs angeblichen Mißdeutungen verstehn wir uicht. Was in der ersten Klammer steht, rechnet Grüvell als zwei falsche Interpretationen.) Jedenfalls hielt sich der Hansbesitzervcrband dnrch die all¬ gemein angenommene Auslegung des Gesetzes für berechtigt, beim Reichs¬ versicherungsamt anzufragen, ob nicht auch die Privatunternehmer, die doch das Wohnbedürfnis in viel weiteren Umfange befriedigten als die Genossen¬ schaften, von den Versicherungsanstalten Hypothekendarlehn erhalten könnten. Die am 18. Oktober 1900 erteilte Antwort sagte der Hauptsache nach, über
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[0653]
Die Baugenossenschaften und die Wohnungsfrage
Als die Versicherungsanstalten für diesen angeblich gemeinnützigen Zweck schon
über 35 Millionen hergegeben hatten, und die Gönner der Genossenschaften,
damit noch nicht zufrieden, für die Versichernngsanstalten die Erlaubnis for¬
derten, ihr Vermögen bis zur Hülste auf Genossenschaftshäuser ausleihen zu
dürfen, regte sich der Unwille der Hausbesitzer immer stärker, was jedoch die
Versichernngsanstalten nicht abhielt, in den nächsten beiden Jahren die Summe
der geliehenen Kapitalien auf 78 Millionen anschwellen zu lassen. Der Zins¬
fuß bewegt sich zwischen 2^ und 4^ Prozent, und zwar sind 7^ Millionen
zum Durchschnittssatz von 3 bis 3^ Prozent über die Grenze der Mündel¬
sicherheit hinaus geliehen worden. 'Damit sind aber die Wvhnungsreformer
noch lange nicht zufrieden. Der hannöversche Landesrat Liebrecht hat in der
Zeitschrift „Das Land" und in der vierten Hauptversammlung des Ausschusses
für Wohlfahrtspflege auf dem Lande die Jnvaliditätsvcrsichernngsanstalten für
die besten Träger der Wohnungsfürsorge erklärt, hat verlangt, daß die Hälfte
des Vermögens dieser Anstalten in Arbeiterwohnungen mündelsicher und ein
Viertel nicht mündelsicher angelegt werde, und daß sie, um diese neue Auf¬
gabe lösen zu können, das Recht erhalten, selbst Darlehn aufzunehmen.
Grävell sucht zu zeigen, daß die Verwendung der Versicherungsgelder zu Bau-
hhpvthcken auf einer falschen Interpretation des Gesetzes beruhe .und darum
ungesetzlich sei. An uicht weniger als sechs Stellen werde dem Wortlaut des
Gesetzes stillschweigend ein andrer Wortlaut untergeschoben. Wir setzen die
angeblichen sechs Unterschiebungen in Klammern neben den dnrch das Gesetz
vom 12. Juli 1899 geänderten Wortlaut des frühern Paragraphen 129,
jetzigen § 164 des Jnvalidenversicherungsgesetzcs. Im ersten Absatz wird ge¬
sagt, daß die Bestände der Versicherungsanstalten in mündelsichern Hypotheken
und Wertpapieren (in nicht mündelmäßigen Hypotheken und in solchen, die
über die Mündelsicherheit hinausgehn, sagen die Versicherungsanstalten) an¬
gelegt werden sollen. Dann heißt es weiter: „Die Versichernngsanstalten
können mit Genehmigung der Aufsichtsbehörde einen Teil ihres Vermögens
in andrer als der nach Absatz 1 zulässigen Weise, insbesondre in Grundstücken
(Häusern) anlegen. Wollen die Versicherungsanstalten mehr als den vierten
Teil ihres Vermögens in dieser Weise anlegen, so bedürfen sie dazu außer¬
dem der Genehmigung des Kommunalverbauds oder der Zentralbehörde des
Vundesstciats. für den sie errichtet sind. Eine solche Anlage ist jedoch nur----
für solche Veranstaltungen (Baugenossenschaften sind nach dem Verfasser keine
Veranstaltungen) zulässig, die ausschließlich oder überwiegend der Versicherungs¬
pflichtigen Bevölkerung zu gute kommen." (Das sei bei den Baugenossen¬
schaften nicht der Fall; die eine der sechs angeblichen Mißdeutungen verstehn
wir uicht. Was in der ersten Klammer steht, rechnet Grüvell als zwei falsche
Interpretationen.) Jedenfalls hielt sich der Hansbesitzervcrband dnrch die all¬
gemein angenommene Auslegung des Gesetzes für berechtigt, beim Reichs¬
versicherungsamt anzufragen, ob nicht auch die Privatunternehmer, die doch
das Wohnbedürfnis in viel weiteren Umfange befriedigten als die Genossen¬
schaften, von den Versicherungsanstalten Hypothekendarlehn erhalten könnten.
Die am 18. Oktober 1900 erteilte Antwort sagte der Hauptsache nach, über
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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_239555/653>, abgerufen am 27.11.2024.
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