Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Erstes Vierteljahr.Feuer I keine böswillige Widersetzlichkeit vorliegt, und ihn auch nicht durch die Polizei holen Der Richter warf wieder die Papiere auf den: Tische durcheinander. Er schien Ich erteile Ihnen hiermit kraft der mir als Richter zustehenden Befugnis Er nahm die Kette ab und ging dnrch die Tür im Hintergründe in seine Das Publikum begann sich leise zu unterhalten, aber von denen, die saßen, Hat Agafja uicht gut vorgearbeitet? meinte er lächelnd. Hurra, es lebe Agafja! Sagen Sie, Wassili, fragte ich, Sie scheinen doch die ganze Welt zu kennen -- Gott bewahre! Es ist ein früherer untergeordneter Beamter aus dem alten Er sah sich vorsichtig um, zog daun aus der Brnsttnsche ein kleines Skizzen¬ Ich mußte bei dem ersten Blick fast laut auflachen. Der alte räudige Köter Die halbe Stunde war noch nicht zu Ende, als der Kahlkopf, der unruhig Ich soll doch wohl uicht stehn? verstand ich darauf die halblauten entrüsteten Feuer I keine böswillige Widersetzlichkeit vorliegt, und ihn auch nicht durch die Polizei holen Der Richter warf wieder die Papiere auf den: Tische durcheinander. Er schien Ich erteile Ihnen hiermit kraft der mir als Richter zustehenden Befugnis Er nahm die Kette ab und ging dnrch die Tür im Hintergründe in seine Das Publikum begann sich leise zu unterhalten, aber von denen, die saßen, Hat Agafja uicht gut vorgearbeitet? meinte er lächelnd. Hurra, es lebe Agafja! Sagen Sie, Wassili, fragte ich, Sie scheinen doch die ganze Welt zu kennen — Gott bewahre! Es ist ein früherer untergeordneter Beamter aus dem alten Er sah sich vorsichtig um, zog daun aus der Brnsttnsche ein kleines Skizzen¬ Ich mußte bei dem ersten Blick fast laut auflachen. Der alte räudige Köter Die halbe Stunde war noch nicht zu Ende, als der Kahlkopf, der unruhig Ich soll doch wohl uicht stehn? verstand ich darauf die halblauten entrüsteten <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0621" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/240177"/> <fw type="header" place="top"> Feuer I</fw><lb/> <p xml:id="ID_3369" prev="#ID_3368"> keine böswillige Widersetzlichkeit vorliegt, und ihn auch nicht durch die Polizei holen<lb/> zu lassen. Ich verpflichte mich, ihn in zehn Minuten hierher zu bringen.</p><lb/> <p xml:id="ID_3370"> Der Richter warf wieder die Papiere auf den: Tische durcheinander. Er schien<lb/> nicht übel Lust zu haben, die Entschuldigung nicht gelten zu lassen. Er kämpfte offenbar<lb/> mit sich. Endlich hatte er sich entschlösse». Er setzte sich auf dem Stuhle zurecht.</p><lb/> <p xml:id="ID_3371"> Ich erteile Ihnen hiermit kraft der mir als Richter zustehenden Befugnis<lb/> einen Verweis, sagte er würdevoll, da Sie durch Ihre dem Angeklagten leichtfertig<lb/> gegebne Versicherung die Verhandlung in die Länge ziehn, und ermahne Sie,<lb/> nächstens vorsichtiger zu Werke zu gehn. Ich unterbreche die Sitzung auf eine halbe<lb/> Stunde, da dieses wichtigen Falles wegen auf heute keine andre Sache anberaumt<lb/> worden ist, und fordre Sie auf, binnen dieser Zeit den Kaufmann Jsotow, als dessen<lb/> Rechtsbeistand Sie sich legitimiert haben, zur Stelle zu schaffen.</p><lb/> <p xml:id="ID_3372"> Er nahm die Kette ab und ging dnrch die Tür im Hintergründe in seine<lb/> Wohnung, während der Kahlkopf wie ein Pfeil in das Vorzimmer schoß, wo er<lb/> einem dort Harrenden seinen Auftrag erteilte und ihm noch in das Vorhaus nach¬<lb/> rief, zu laufen, als ob es hinter ihm brenne.</p><lb/> <p xml:id="ID_3373"> Das Publikum begann sich leise zu unterhalten, aber von denen, die saßen,<lb/> rührte sich niemand vom Platze. Jeder fürchtete, später seinen Stuhl besetzt zu<lb/> finden. Die, die stehn mußten, traten in Gruppen zusammen. Einige der Jüngern<lb/> gingen hinaus, um draußen eine Papiros zu rauchen. Jemeljan Afcmasjewitsch<lb/> winkte mich zu sich, rieb sich die Hände und sprach seine Freude aus, daß der<lb/> Fall sich gut aulasse. Burin machte unsägliche Anstrengungen, bis es ihm gelang,<lb/> fich zwischen den vor ihm Sitzenden durchzuarbeiten und zu mir zu gelangen.</p><lb/> <p xml:id="ID_3374"> Hat Agafja uicht gut vorgearbeitet? meinte er lächelnd. Hurra, es lebe Agafja!</p><lb/> <p xml:id="ID_3375"> Sagen Sie, Wassili, fragte ich, Sie scheinen doch die ganze Welt zu kennen —<lb/> wer ist der Bevollmächtigte? Ist es ein wirklicher Rechtsgelehrter?</p><lb/> <p xml:id="ID_3376"> Gott bewahre! Es ist ein früherer untergeordneter Beamter aus dem alten<lb/> abgeschafften Gericht. Er spielt jetzt deu Advokaten bei allerlei ungebildeten Leuten,<lb/> die er zum Teil selbst zum Prozessieren veranlaßt, schreibt ihnen Klagen, Bitt¬<lb/> schriften und so weiter. Sehen Sie, da habe ich ihn schon.</p><lb/> <p xml:id="ID_3377"> Er sah sich vorsichtig um, zog daun aus der Brnsttnsche ein kleines Skizzen¬<lb/> büchlein und zeigte mir ein Blatt, das er eben in seinem Winkel gezeichnet hatte.</p><lb/> <p xml:id="ID_3378"> Ich mußte bei dem ersten Blick fast laut auflachen. Der alte räudige Köter<lb/> Mit dem kahlen schorfigen Rücken und deu wenigen Borsten an der Unterlippe, der,<lb/> den Schwanz eingeklemmt, vom Papierblatte aus jedermann stupid und listig an¬<lb/> zuknurren schien, trug so täuschende Ähnlichkeit mit dem kahlköpfigen Rechtsbeistande<lb/> Kur Schau, daß ihn ein Halbblinder sofort erkannt hätte.</p><lb/> <p xml:id="ID_3379"> Die halbe Stunde war noch nicht zu Ende, als der Kahlkopf, der unruhig<lb/> Zwischen der Tür des Sitzungsraums und dem Fenster des Vorzimmers hin und<lb/> her gewandert war, plötzlich hinansstürzte. Gleich darauf ließ sich draußen im<lb/> Vorhause eine grobe, laut scheltende Stimme vernehmen. Der Kaufmann Jsotow<lb/> war angekommen und wusch vor allen Dingen seinein Rechtsbeistande auf seine Art<lb/> den Kopf für den in gutem Glanben begangnen Irrtum. Beide traten dann ein,<lb/> der Klient breit und herausfordernd voran, der Rechtsbeistand gedrückt und mi߬<lb/> mutig hinterher. Im Vorzimmer sprangen einige junge Leute hinzu und nahmen<lb/> dem Kaufmann deu schweren Pelz von den Schultern. Es mochten wohl seine<lb/> oder seiner Geschäftsfreunde Bedienstete sein. Die große Mardermütze behielt er<lb/> in der Hand. Im Sitzuugsraume sah er sich uach einem Stuhle um. Da es<lb/> keinen unbesetzten gab, sah er das Publikum an, verzog finster und höhnisch das<lb/> Befiehl, als ihm so zahlreiche Polizeiuniformen in die Augen fielen, und sprach<lb/> einige Worte zu seinem Rechtsbeistande. Dieser schaute rund umher und antwortete,<lb/> indem er die Achseln zuckte.</p><lb/> <p xml:id="ID_3380"> Ich soll doch wohl uicht stehn? verstand ich darauf die halblauten entrüsteten<lb/> Worte des Kaufmanns. Schaffe mir einen Stuhl. Warum hast du nicht früher<lb/> dafür gesorgt?</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0621]
Feuer I
keine böswillige Widersetzlichkeit vorliegt, und ihn auch nicht durch die Polizei holen
zu lassen. Ich verpflichte mich, ihn in zehn Minuten hierher zu bringen.
Der Richter warf wieder die Papiere auf den: Tische durcheinander. Er schien
nicht übel Lust zu haben, die Entschuldigung nicht gelten zu lassen. Er kämpfte offenbar
mit sich. Endlich hatte er sich entschlösse». Er setzte sich auf dem Stuhle zurecht.
Ich erteile Ihnen hiermit kraft der mir als Richter zustehenden Befugnis
einen Verweis, sagte er würdevoll, da Sie durch Ihre dem Angeklagten leichtfertig
gegebne Versicherung die Verhandlung in die Länge ziehn, und ermahne Sie,
nächstens vorsichtiger zu Werke zu gehn. Ich unterbreche die Sitzung auf eine halbe
Stunde, da dieses wichtigen Falles wegen auf heute keine andre Sache anberaumt
worden ist, und fordre Sie auf, binnen dieser Zeit den Kaufmann Jsotow, als dessen
Rechtsbeistand Sie sich legitimiert haben, zur Stelle zu schaffen.
Er nahm die Kette ab und ging dnrch die Tür im Hintergründe in seine
Wohnung, während der Kahlkopf wie ein Pfeil in das Vorzimmer schoß, wo er
einem dort Harrenden seinen Auftrag erteilte und ihm noch in das Vorhaus nach¬
rief, zu laufen, als ob es hinter ihm brenne.
Das Publikum begann sich leise zu unterhalten, aber von denen, die saßen,
rührte sich niemand vom Platze. Jeder fürchtete, später seinen Stuhl besetzt zu
finden. Die, die stehn mußten, traten in Gruppen zusammen. Einige der Jüngern
gingen hinaus, um draußen eine Papiros zu rauchen. Jemeljan Afcmasjewitsch
winkte mich zu sich, rieb sich die Hände und sprach seine Freude aus, daß der
Fall sich gut aulasse. Burin machte unsägliche Anstrengungen, bis es ihm gelang,
fich zwischen den vor ihm Sitzenden durchzuarbeiten und zu mir zu gelangen.
Hat Agafja uicht gut vorgearbeitet? meinte er lächelnd. Hurra, es lebe Agafja!
Sagen Sie, Wassili, fragte ich, Sie scheinen doch die ganze Welt zu kennen —
wer ist der Bevollmächtigte? Ist es ein wirklicher Rechtsgelehrter?
Gott bewahre! Es ist ein früherer untergeordneter Beamter aus dem alten
abgeschafften Gericht. Er spielt jetzt deu Advokaten bei allerlei ungebildeten Leuten,
die er zum Teil selbst zum Prozessieren veranlaßt, schreibt ihnen Klagen, Bitt¬
schriften und so weiter. Sehen Sie, da habe ich ihn schon.
Er sah sich vorsichtig um, zog daun aus der Brnsttnsche ein kleines Skizzen¬
büchlein und zeigte mir ein Blatt, das er eben in seinem Winkel gezeichnet hatte.
Ich mußte bei dem ersten Blick fast laut auflachen. Der alte räudige Köter
Mit dem kahlen schorfigen Rücken und deu wenigen Borsten an der Unterlippe, der,
den Schwanz eingeklemmt, vom Papierblatte aus jedermann stupid und listig an¬
zuknurren schien, trug so täuschende Ähnlichkeit mit dem kahlköpfigen Rechtsbeistande
Kur Schau, daß ihn ein Halbblinder sofort erkannt hätte.
Die halbe Stunde war noch nicht zu Ende, als der Kahlkopf, der unruhig
Zwischen der Tür des Sitzungsraums und dem Fenster des Vorzimmers hin und
her gewandert war, plötzlich hinansstürzte. Gleich darauf ließ sich draußen im
Vorhause eine grobe, laut scheltende Stimme vernehmen. Der Kaufmann Jsotow
war angekommen und wusch vor allen Dingen seinein Rechtsbeistande auf seine Art
den Kopf für den in gutem Glanben begangnen Irrtum. Beide traten dann ein,
der Klient breit und herausfordernd voran, der Rechtsbeistand gedrückt und mi߬
mutig hinterher. Im Vorzimmer sprangen einige junge Leute hinzu und nahmen
dem Kaufmann deu schweren Pelz von den Schultern. Es mochten wohl seine
oder seiner Geschäftsfreunde Bedienstete sein. Die große Mardermütze behielt er
in der Hand. Im Sitzuugsraume sah er sich uach einem Stuhle um. Da es
keinen unbesetzten gab, sah er das Publikum an, verzog finster und höhnisch das
Befiehl, als ihm so zahlreiche Polizeiuniformen in die Augen fielen, und sprach
einige Worte zu seinem Rechtsbeistande. Dieser schaute rund umher und antwortete,
indem er die Achseln zuckte.
Ich soll doch wohl uicht stehn? verstand ich darauf die halblauten entrüsteten
Worte des Kaufmanns. Schaffe mir einen Stuhl. Warum hast du nicht früher
dafür gesorgt?
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Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
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