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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Erstes Vierteljahr.

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König Tcmrin

Der fünfte Akt entladet in einer wahren Staatshandlung alles irgend erdenk¬
liche Unheil ans Amalasuntas schuldiges und doch im Vergleich zum Verbrecherpaare
noch Teilnahme und Mitleid erweckendes Haupt. Eine entgleiste aber anständige
Frau wird von zwei Kanaillen verhöhnt, beraubt und ermordet.

Das findet in einem der Höfe des Kaiserpalastes zu Byzanz statt: die
Örtlichkeit wird vou Wildenbruch eingehend beschrieben: sie ist glücklich gewählt und
gibt zu deu gelungensten szenischen, mau kaun sagen malerischen Effekten Veran¬
lassung. Durch ein hohes Tor, das durch ein eisernes Gitter verschlossen werden
kann, sieht man im Hintergrund auf den Platz vor dem Paläste. Auf beiden
Seiten des Tors steigen gleichfalls im Hintergründe Staatstreppen zum obern
Stock des Palastes empor, wo hinter einer prächtigen Arkadenreihe links der Ein¬
gang zu den kaiserlichen Gemächern, rechts der zu Amalasuntas Zimmern ist. Beide
Treppenwangen sind auf halber Höhe durch Absätze unterbrochen, auf deren einem,
dem linken, ein Paar Thronsessel ausgestellt siud. In jedem der beiden Seiten¬
flügel, die rechtwinklig an die Hinterfront des Palastes stoßen, ist zu ebner Erde
eine schwere Pforte.

Obwohl es beim Aufgang des Vorhangs früher Morgen ist, würde die Theater¬
regie doch sehr Unrecht tun, Hof und Treppen, sie mögen noch so schön in byzan¬
tinischem Stile prangen, ungeschminkt und unbelebt zu lassen: man muß im Gegen¬
teil den Eindruck haben, daß man in einem Raum ist, der wie ein Saal zu einer
freudigen Festlichkeit vorbereitet worden ist und noch fertig geschmückt wird. Diener
und Knaben können mit dem Aufhängen von Blumengewinden und mit dem Auf¬
legen kostbarer Teppiche beschäftigt sein; je lebhafter das Treiben uns der Treppe
und nnter der Kolonnade des ersten Stocks ist, umso williger wird sich die Ein¬
bildungskraft des Zuschauers mit dem Gedanken befreunden, daß es sich um eine
feierliche Kopulieruug nicht in der Kirche, sondern im Freien handeln wird.

Der Umschwung in der öffentlichen Meinung zu Gunsten Theodoras wird uns
an deu verschiednen sich zur Zeremonie einfindenden Gruppen der Senntoren, der
Bischöfe, der Grünen und der Blauen veranschaulicht. Johannes von Kappadozien,
der sich auf die Grünen stützte, ist in der Nacht verhaftet worden, und die Blauen,
mit denen es außer dein Kaiser und Theodora auch Belisar und Tribonian halten,
!chwimmen obenauf. Wer noch schwankt, wird durch Anerbieten und Versprechungen
bestochen; auch Pelagius, der Metropolit, der mitten in der Nacht in den Palast
gerufen worden ist, wird gewonnen: er geht "in gold- und juwelenstrotzendem
Ornat" und von dein übrigen Klerus gefolgt in das Innere des Palastes zurück,
aus dem nun in feierlichem Zuge Justinian "im kaiserlichen Pomp, die Krone auf
dem Haupte," tritt. Er führt an der rechten Hand Theodora, die in "gold-
strotzeuder" Kleidung und so tief verschleiert "geht," daß man ihr Gesicht nicht
erkennen kann. Das Paar nimmt auf den links aufgestellten Thronsesfeln Platz
und wird vom Metropoliten kopuliert, der dann Theodora entschleiert.

Sie wird von den Blauen, die am Knöchel zusammengebnndne blauseidne Bein-
leider, aber kein Bedenken tragen, das Geschehene gutzuheißen, bejubelt, während die
Grünen, die zwar auch an? Knöchel zusammengebnndne Beinkleider anhaben, aber
grünseidne, sich mausig zu machen wagen und Nieder Theodora! rufen. Belisar, der
schon im zweiten Auftritt dieses Akts eine Schar Mönche, die mit Gewalt in den
Pnlast einzudringen versucht habe", um sich an Theodorn zu vergreifen, dnrch die
goldnen Leibwächter mit umgedrehten Spießen hat vertreiben lassen, weiß nun auch
den Grünen beizukommen. Er läßt das Gittertor schließen, sodaß sie eingesperrt sind,
und beauftragt einen Hauptmann, mit tausend Mann Herulern in die Häuser zu
dringen, wo die Grünen wohnen, und da zu rauben und zu plündern. Die Grünen,
denen schon die Blauen mit gezückten Dolchen die Courage abgekauft hatten, flehen
Theodora um Gnade und fallen vor der "Kaiserin" auf die Kniee: ihren Un¬
sichrer. Proklos, der sich am längsten hält, zerren sie selbst mit Gewalt auf die
Kniee vor ihr nieder. Theodora verzeiht ihnen:


König Tcmrin

Der fünfte Akt entladet in einer wahren Staatshandlung alles irgend erdenk¬
liche Unheil ans Amalasuntas schuldiges und doch im Vergleich zum Verbrecherpaare
noch Teilnahme und Mitleid erweckendes Haupt. Eine entgleiste aber anständige
Frau wird von zwei Kanaillen verhöhnt, beraubt und ermordet.

Das findet in einem der Höfe des Kaiserpalastes zu Byzanz statt: die
Örtlichkeit wird vou Wildenbruch eingehend beschrieben: sie ist glücklich gewählt und
gibt zu deu gelungensten szenischen, mau kaun sagen malerischen Effekten Veran¬
lassung. Durch ein hohes Tor, das durch ein eisernes Gitter verschlossen werden
kann, sieht man im Hintergrund auf den Platz vor dem Paläste. Auf beiden
Seiten des Tors steigen gleichfalls im Hintergründe Staatstreppen zum obern
Stock des Palastes empor, wo hinter einer prächtigen Arkadenreihe links der Ein¬
gang zu den kaiserlichen Gemächern, rechts der zu Amalasuntas Zimmern ist. Beide
Treppenwangen sind auf halber Höhe durch Absätze unterbrochen, auf deren einem,
dem linken, ein Paar Thronsessel ausgestellt siud. In jedem der beiden Seiten¬
flügel, die rechtwinklig an die Hinterfront des Palastes stoßen, ist zu ebner Erde
eine schwere Pforte.

Obwohl es beim Aufgang des Vorhangs früher Morgen ist, würde die Theater¬
regie doch sehr Unrecht tun, Hof und Treppen, sie mögen noch so schön in byzan¬
tinischem Stile prangen, ungeschminkt und unbelebt zu lassen: man muß im Gegen¬
teil den Eindruck haben, daß man in einem Raum ist, der wie ein Saal zu einer
freudigen Festlichkeit vorbereitet worden ist und noch fertig geschmückt wird. Diener
und Knaben können mit dem Aufhängen von Blumengewinden und mit dem Auf¬
legen kostbarer Teppiche beschäftigt sein; je lebhafter das Treiben uns der Treppe
und nnter der Kolonnade des ersten Stocks ist, umso williger wird sich die Ein¬
bildungskraft des Zuschauers mit dem Gedanken befreunden, daß es sich um eine
feierliche Kopulieruug nicht in der Kirche, sondern im Freien handeln wird.

Der Umschwung in der öffentlichen Meinung zu Gunsten Theodoras wird uns
an deu verschiednen sich zur Zeremonie einfindenden Gruppen der Senntoren, der
Bischöfe, der Grünen und der Blauen veranschaulicht. Johannes von Kappadozien,
der sich auf die Grünen stützte, ist in der Nacht verhaftet worden, und die Blauen,
mit denen es außer dein Kaiser und Theodora auch Belisar und Tribonian halten,
!chwimmen obenauf. Wer noch schwankt, wird durch Anerbieten und Versprechungen
bestochen; auch Pelagius, der Metropolit, der mitten in der Nacht in den Palast
gerufen worden ist, wird gewonnen: er geht „in gold- und juwelenstrotzendem
Ornat" und von dein übrigen Klerus gefolgt in das Innere des Palastes zurück,
aus dem nun in feierlichem Zuge Justinian „im kaiserlichen Pomp, die Krone auf
dem Haupte," tritt. Er führt an der rechten Hand Theodora, die in „gold-
strotzeuder" Kleidung und so tief verschleiert „geht," daß man ihr Gesicht nicht
erkennen kann. Das Paar nimmt auf den links aufgestellten Thronsesfeln Platz
und wird vom Metropoliten kopuliert, der dann Theodora entschleiert.

Sie wird von den Blauen, die am Knöchel zusammengebnndne blauseidne Bein-
leider, aber kein Bedenken tragen, das Geschehene gutzuheißen, bejubelt, während die
Grünen, die zwar auch an? Knöchel zusammengebnndne Beinkleider anhaben, aber
grünseidne, sich mausig zu machen wagen und Nieder Theodora! rufen. Belisar, der
schon im zweiten Auftritt dieses Akts eine Schar Mönche, die mit Gewalt in den
Pnlast einzudringen versucht habe», um sich an Theodorn zu vergreifen, dnrch die
goldnen Leibwächter mit umgedrehten Spießen hat vertreiben lassen, weiß nun auch
den Grünen beizukommen. Er läßt das Gittertor schließen, sodaß sie eingesperrt sind,
und beauftragt einen Hauptmann, mit tausend Mann Herulern in die Häuser zu
dringen, wo die Grünen wohnen, und da zu rauben und zu plündern. Die Grünen,
denen schon die Blauen mit gezückten Dolchen die Courage abgekauft hatten, flehen
Theodora um Gnade und fallen vor der „Kaiserin" auf die Kniee: ihren Un¬
sichrer. Proklos, der sich am längsten hält, zerren sie selbst mit Gewalt auf die
Kniee vor ihr nieder. Theodora verzeiht ihnen:


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[0615] König Tcmrin Der fünfte Akt entladet in einer wahren Staatshandlung alles irgend erdenk¬ liche Unheil ans Amalasuntas schuldiges und doch im Vergleich zum Verbrecherpaare noch Teilnahme und Mitleid erweckendes Haupt. Eine entgleiste aber anständige Frau wird von zwei Kanaillen verhöhnt, beraubt und ermordet. Das findet in einem der Höfe des Kaiserpalastes zu Byzanz statt: die Örtlichkeit wird vou Wildenbruch eingehend beschrieben: sie ist glücklich gewählt und gibt zu deu gelungensten szenischen, mau kaun sagen malerischen Effekten Veran¬ lassung. Durch ein hohes Tor, das durch ein eisernes Gitter verschlossen werden kann, sieht man im Hintergrund auf den Platz vor dem Paläste. Auf beiden Seiten des Tors steigen gleichfalls im Hintergründe Staatstreppen zum obern Stock des Palastes empor, wo hinter einer prächtigen Arkadenreihe links der Ein¬ gang zu den kaiserlichen Gemächern, rechts der zu Amalasuntas Zimmern ist. Beide Treppenwangen sind auf halber Höhe durch Absätze unterbrochen, auf deren einem, dem linken, ein Paar Thronsessel ausgestellt siud. In jedem der beiden Seiten¬ flügel, die rechtwinklig an die Hinterfront des Palastes stoßen, ist zu ebner Erde eine schwere Pforte. Obwohl es beim Aufgang des Vorhangs früher Morgen ist, würde die Theater¬ regie doch sehr Unrecht tun, Hof und Treppen, sie mögen noch so schön in byzan¬ tinischem Stile prangen, ungeschminkt und unbelebt zu lassen: man muß im Gegen¬ teil den Eindruck haben, daß man in einem Raum ist, der wie ein Saal zu einer freudigen Festlichkeit vorbereitet worden ist und noch fertig geschmückt wird. Diener und Knaben können mit dem Aufhängen von Blumengewinden und mit dem Auf¬ legen kostbarer Teppiche beschäftigt sein; je lebhafter das Treiben uns der Treppe und nnter der Kolonnade des ersten Stocks ist, umso williger wird sich die Ein¬ bildungskraft des Zuschauers mit dem Gedanken befreunden, daß es sich um eine feierliche Kopulieruug nicht in der Kirche, sondern im Freien handeln wird. Der Umschwung in der öffentlichen Meinung zu Gunsten Theodoras wird uns an deu verschiednen sich zur Zeremonie einfindenden Gruppen der Senntoren, der Bischöfe, der Grünen und der Blauen veranschaulicht. Johannes von Kappadozien, der sich auf die Grünen stützte, ist in der Nacht verhaftet worden, und die Blauen, mit denen es außer dein Kaiser und Theodora auch Belisar und Tribonian halten, !chwimmen obenauf. Wer noch schwankt, wird durch Anerbieten und Versprechungen bestochen; auch Pelagius, der Metropolit, der mitten in der Nacht in den Palast gerufen worden ist, wird gewonnen: er geht „in gold- und juwelenstrotzendem Ornat" und von dein übrigen Klerus gefolgt in das Innere des Palastes zurück, aus dem nun in feierlichem Zuge Justinian „im kaiserlichen Pomp, die Krone auf dem Haupte," tritt. Er führt an der rechten Hand Theodora, die in „gold- strotzeuder" Kleidung und so tief verschleiert „geht," daß man ihr Gesicht nicht erkennen kann. Das Paar nimmt auf den links aufgestellten Thronsesfeln Platz und wird vom Metropoliten kopuliert, der dann Theodora entschleiert. Sie wird von den Blauen, die am Knöchel zusammengebnndne blauseidne Bein- leider, aber kein Bedenken tragen, das Geschehene gutzuheißen, bejubelt, während die Grünen, die zwar auch an? Knöchel zusammengebnndne Beinkleider anhaben, aber grünseidne, sich mausig zu machen wagen und Nieder Theodora! rufen. Belisar, der schon im zweiten Auftritt dieses Akts eine Schar Mönche, die mit Gewalt in den Pnlast einzudringen versucht habe», um sich an Theodorn zu vergreifen, dnrch die goldnen Leibwächter mit umgedrehten Spießen hat vertreiben lassen, weiß nun auch den Grünen beizukommen. Er läßt das Gittertor schließen, sodaß sie eingesperrt sind, und beauftragt einen Hauptmann, mit tausend Mann Herulern in die Häuser zu dringen, wo die Grünen wohnen, und da zu rauben und zu plündern. Die Grünen, denen schon die Blauen mit gezückten Dolchen die Courage abgekauft hatten, flehen Theodora um Gnade und fallen vor der „Kaiserin" auf die Kniee: ihren Un¬ sichrer. Proklos, der sich am längsten hält, zerren sie selbst mit Gewalt auf die Kniee vor ihr nieder. Theodora verzeiht ihnen:

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_239555/615>, abgerufen am 24.11.2024.