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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Erstes Vierteljahr.

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Uönig Lalu'in

kichern Konflikte hätte führen klaren, statt, wie er es tut, die Sache dadurch zu¬
stande zu bringen, daß er maßlose Dummheit maßloser Schurkerei in die Hände
arbeiten läßt. Shylock hat doch die erlittnen Beschimpfungen als Entschuldigung
für den grimmen Haß, mit dein er auf dem Wortlaut seines Scheines besteht,
während der Kaiser und der Kanzler eine Frau berauben, die sich im Vertrauen
auf ihre Ehrenhaftigkeit auf Verhandlungen mit ihnen eingelassen hat und aus
bloßer Schurkerei fidel übers Ohr gehauen wird.

Soweit siud wir indes noch nicht, denn fürs erste kommt nnn el" sehr ge¬
schickt behandelter Auftritt, bei dem Justinian die Ankunft des gotischen Königs¬
schiffes, auf dem Amalasnuta gesegelt, und das durch den Sturm in den Hafen
von Perinth getrieben worden ist, durch einen geschwätzigen alten Palasttürhüter,
Euphratas, erfährt. Der Auftritt erinnert ein wenig an den, wo Pierrot in Molieres
k''Wein alö 1>i<zri'o die Rettung des galanten Abenteurers von der Gefahr des Er¬
trinkens berichtet, nur daß die Episode, da sie nicht einem Lustspiel, sondern einem
Trauerspiel angehört, mit geringerer Breite und weniger auf die Spitze getriebner
Komik behandelt ist. An solchen Stellen tritt Wildenbrnchs richtiges Gefühl für
szenische Wirkung recht zutage. Da der Gang der Handlung des Stückes mit vielem
Geschick sehr knapp gefaßt ist, so konnte es ohne einige Berichte über Dinge, die nicht
vor unsern Angen ans der Bühne geschehn, nicht abgehn- es war deshalb ein glück¬
licher Gedanke, uns um der Abwechslung willen den halben Schiffbruch, den
Amnlasunta nach ihrer Einfahrt in den Hellespont erlitten hatte, durch jemand be¬
richten zu lassen, der deu auf Nachrichten über ihre Ankunft gespannten Kaiser
durch seine Weitschweifigkeit und Umständlichkeit in die höchste Ungeduld versetzt.
Das Schiff


Ja Herr, das Schiff!
Niemand hat jemals solch ein Schiff gesehn.
Alles, was Holz an andern Schiffe" ist,
Silber und Gold! und in das Segeltuch
Mit bunten Farbe" Bilder eingewirkt,

Wird von Theodnhad in des Türhüters Beschreibung um dem aufrecht steigenden
Roß vorn am Bug als das Köuigsschiff Theuderichs erkannt. Es ist vom Sturm
w der Höhe von Perinth mit solcher Gewalt ans Ufer gestoßen worden,


Das; ihm die Planke" klaffe".

und wenn nicht zur rechten Zeit der Logothet von Heraklen den Goten auf dem
Schiffe zu Hilfe gekommen wäre, weil es sich "umgesprochen" hatte, die Seefahrer
seien auf dem Wege nach Byzanz, so wären sie von dem mit Heugabeln und Spießen
herbeigelanfnen Strandvolk erschlagen worden.


So weit bei solchem Volk

(der alte Türhüter spricht hier von den Goten, die er als Milch- und Buttervolk
bezeichnet)


Man unterscheide" kan", ob Man", ob Frau,
War auch el" Weib dabei . . .

Amalasnuta natürlich.

Der Kaiser befiehlt nach einigen Augenblicken der Überlegung dem Präfekten.
er solle sich "unverweilt" zu Belisar begeben, damit dieser "augenblicklich" mit drei
Schiffen und tausend auserlesenen Leuten nach Heraklea fahre und die Königin un
Namen des Kaisers begrüße. Er soll sie fragen, ob sie dnrch deu bösen Willkomm,
den ihr Natur und Menschen geboten haben, entmutigt, lieber heimkehren oder doch
">n Bosporus verbleiben und als Gast im Hanse der sieben Türme einkehren wolle.
In jenem Falle sollen die gesandten drei Schiffe die Konigin heimführen, in diesem
soll sie als Freundin des Kaisers willkommen sein. Theodahad, der sich trotz seiner
Abstammung von königlichem Blut mehr und mehr zum kaiserlichen Kammerherrn
ausbildet, begleitet den Präfekten, und Justinian, zwischen leidenschaftlichen Gefühlen


Grenzboten I 1903 77
Uönig Lalu'in

kichern Konflikte hätte führen klaren, statt, wie er es tut, die Sache dadurch zu¬
stande zu bringen, daß er maßlose Dummheit maßloser Schurkerei in die Hände
arbeiten läßt. Shylock hat doch die erlittnen Beschimpfungen als Entschuldigung
für den grimmen Haß, mit dein er auf dem Wortlaut seines Scheines besteht,
während der Kaiser und der Kanzler eine Frau berauben, die sich im Vertrauen
auf ihre Ehrenhaftigkeit auf Verhandlungen mit ihnen eingelassen hat und aus
bloßer Schurkerei fidel übers Ohr gehauen wird.

Soweit siud wir indes noch nicht, denn fürs erste kommt nnn el» sehr ge¬
schickt behandelter Auftritt, bei dem Justinian die Ankunft des gotischen Königs¬
schiffes, auf dem Amalasnuta gesegelt, und das durch den Sturm in den Hafen
von Perinth getrieben worden ist, durch einen geschwätzigen alten Palasttürhüter,
Euphratas, erfährt. Der Auftritt erinnert ein wenig an den, wo Pierrot in Molieres
k''Wein alö 1>i<zri'o die Rettung des galanten Abenteurers von der Gefahr des Er¬
trinkens berichtet, nur daß die Episode, da sie nicht einem Lustspiel, sondern einem
Trauerspiel angehört, mit geringerer Breite und weniger auf die Spitze getriebner
Komik behandelt ist. An solchen Stellen tritt Wildenbrnchs richtiges Gefühl für
szenische Wirkung recht zutage. Da der Gang der Handlung des Stückes mit vielem
Geschick sehr knapp gefaßt ist, so konnte es ohne einige Berichte über Dinge, die nicht
vor unsern Angen ans der Bühne geschehn, nicht abgehn- es war deshalb ein glück¬
licher Gedanke, uns um der Abwechslung willen den halben Schiffbruch, den
Amnlasunta nach ihrer Einfahrt in den Hellespont erlitten hatte, durch jemand be¬
richten zu lassen, der deu auf Nachrichten über ihre Ankunft gespannten Kaiser
durch seine Weitschweifigkeit und Umständlichkeit in die höchste Ungeduld versetzt.
Das Schiff


Ja Herr, das Schiff!
Niemand hat jemals solch ein Schiff gesehn.
Alles, was Holz an andern Schiffe» ist,
Silber und Gold! und in das Segeltuch
Mit bunten Farbe» Bilder eingewirkt,

Wird von Theodnhad in des Türhüters Beschreibung um dem aufrecht steigenden
Roß vorn am Bug als das Köuigsschiff Theuderichs erkannt. Es ist vom Sturm
w der Höhe von Perinth mit solcher Gewalt ans Ufer gestoßen worden,


Das; ihm die Planke» klaffe».

und wenn nicht zur rechten Zeit der Logothet von Heraklen den Goten auf dem
Schiffe zu Hilfe gekommen wäre, weil es sich „umgesprochen" hatte, die Seefahrer
seien auf dem Wege nach Byzanz, so wären sie von dem mit Heugabeln und Spießen
herbeigelanfnen Strandvolk erschlagen worden.


So weit bei solchem Volk

(der alte Türhüter spricht hier von den Goten, die er als Milch- und Buttervolk
bezeichnet)


Man unterscheide» kan», ob Man», ob Frau,
War auch el» Weib dabei . . .

Amalasnuta natürlich.

Der Kaiser befiehlt nach einigen Augenblicken der Überlegung dem Präfekten.
er solle sich „unverweilt" zu Belisar begeben, damit dieser „augenblicklich" mit drei
Schiffen und tausend auserlesenen Leuten nach Heraklea fahre und die Königin un
Namen des Kaisers begrüße. Er soll sie fragen, ob sie dnrch deu bösen Willkomm,
den ihr Natur und Menschen geboten haben, entmutigt, lieber heimkehren oder doch
">n Bosporus verbleiben und als Gast im Hanse der sieben Türme einkehren wolle.
In jenem Falle sollen die gesandten drei Schiffe die Konigin heimführen, in diesem
soll sie als Freundin des Kaisers willkommen sein. Theodahad, der sich trotz seiner
Abstammung von königlichem Blut mehr und mehr zum kaiserlichen Kammerherrn
ausbildet, begleitet den Präfekten, und Justinian, zwischen leidenschaftlichen Gefühlen


Grenzboten I 1903 77
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[0609] Uönig Lalu'in kichern Konflikte hätte führen klaren, statt, wie er es tut, die Sache dadurch zu¬ stande zu bringen, daß er maßlose Dummheit maßloser Schurkerei in die Hände arbeiten läßt. Shylock hat doch die erlittnen Beschimpfungen als Entschuldigung für den grimmen Haß, mit dein er auf dem Wortlaut seines Scheines besteht, während der Kaiser und der Kanzler eine Frau berauben, die sich im Vertrauen auf ihre Ehrenhaftigkeit auf Verhandlungen mit ihnen eingelassen hat und aus bloßer Schurkerei fidel übers Ohr gehauen wird. Soweit siud wir indes noch nicht, denn fürs erste kommt nnn el» sehr ge¬ schickt behandelter Auftritt, bei dem Justinian die Ankunft des gotischen Königs¬ schiffes, auf dem Amalasnuta gesegelt, und das durch den Sturm in den Hafen von Perinth getrieben worden ist, durch einen geschwätzigen alten Palasttürhüter, Euphratas, erfährt. Der Auftritt erinnert ein wenig an den, wo Pierrot in Molieres k''Wein alö 1>i<zri'o die Rettung des galanten Abenteurers von der Gefahr des Er¬ trinkens berichtet, nur daß die Episode, da sie nicht einem Lustspiel, sondern einem Trauerspiel angehört, mit geringerer Breite und weniger auf die Spitze getriebner Komik behandelt ist. An solchen Stellen tritt Wildenbrnchs richtiges Gefühl für szenische Wirkung recht zutage. Da der Gang der Handlung des Stückes mit vielem Geschick sehr knapp gefaßt ist, so konnte es ohne einige Berichte über Dinge, die nicht vor unsern Angen ans der Bühne geschehn, nicht abgehn- es war deshalb ein glück¬ licher Gedanke, uns um der Abwechslung willen den halben Schiffbruch, den Amnlasunta nach ihrer Einfahrt in den Hellespont erlitten hatte, durch jemand be¬ richten zu lassen, der deu auf Nachrichten über ihre Ankunft gespannten Kaiser durch seine Weitschweifigkeit und Umständlichkeit in die höchste Ungeduld versetzt. Das Schiff Ja Herr, das Schiff! Niemand hat jemals solch ein Schiff gesehn. Alles, was Holz an andern Schiffe» ist, Silber und Gold! und in das Segeltuch Mit bunten Farbe» Bilder eingewirkt, Wird von Theodnhad in des Türhüters Beschreibung um dem aufrecht steigenden Roß vorn am Bug als das Köuigsschiff Theuderichs erkannt. Es ist vom Sturm w der Höhe von Perinth mit solcher Gewalt ans Ufer gestoßen worden, Das; ihm die Planke» klaffe». und wenn nicht zur rechten Zeit der Logothet von Heraklen den Goten auf dem Schiffe zu Hilfe gekommen wäre, weil es sich „umgesprochen" hatte, die Seefahrer seien auf dem Wege nach Byzanz, so wären sie von dem mit Heugabeln und Spießen herbeigelanfnen Strandvolk erschlagen worden. So weit bei solchem Volk (der alte Türhüter spricht hier von den Goten, die er als Milch- und Buttervolk bezeichnet) Man unterscheide» kan», ob Man», ob Frau, War auch el» Weib dabei . . . Amalasnuta natürlich. Der Kaiser befiehlt nach einigen Augenblicken der Überlegung dem Präfekten. er solle sich „unverweilt" zu Belisar begeben, damit dieser „augenblicklich" mit drei Schiffen und tausend auserlesenen Leuten nach Heraklea fahre und die Königin un Namen des Kaisers begrüße. Er soll sie fragen, ob sie dnrch deu bösen Willkomm, den ihr Natur und Menschen geboten haben, entmutigt, lieber heimkehren oder doch ">n Bosporus verbleiben und als Gast im Hanse der sieben Türme einkehren wolle. In jenem Falle sollen die gesandten drei Schiffe die Konigin heimführen, in diesem soll sie als Freundin des Kaisers willkommen sein. Theodahad, der sich trotz seiner Abstammung von königlichem Blut mehr und mehr zum kaiserlichen Kammerherrn ausbildet, begleitet den Präfekten, und Justinian, zwischen leidenschaftlichen Gefühlen Grenzboten I 1903 77

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_239555/609>, abgerufen am 24.11.2024.