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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Erstes Vierteljahr.

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König Laurin
(Schluß)

>le Handlung, deren Ort im ersten Akt Ravenna gewesen war,
!wird nnn für die vier letzten nach Byzanz verlegt, an den Hos
^^^'^^^.i^^ berühmten -- der eine oder der andre unsrer Leser, der sich
M^l^lWl^mit Jurisprudenz befaßt hat, wird vielleicht lieber sagen des be¬
rüchtigten -- Kaisers Justinian.

Er war, als er 527 zur Negierung kam, vierundfünfzig Jahre
alt, ein Alter, worin der äußere Mensch, naturgetreu aus "kleinen, runden, in goldnen
Nahmen gefaßten" Bildern dargestellt, eher zur Hochachtung als zur Liebe zu be¬
geistern Pflegt. Daher auch jedenfalls der platonische Zug in der von Amalasunta dem
Theodahad angegebnen orakelhaften Botschaft, die sich nur rin der Seelenlabung und
der "Ersättigung an einer auf Gipfelhöhn der Welt gerichteten Tafel" beschäftigt,
während sich die uus als schön und begehrenswert dargestellte Gotenkönigin die
Gefahren und Unbequemlichkeiten der Seereise hatte ersparen können, wenn sie kein
Überweib gewesen wäre, und wenn bescheiden menschliches Fühlen ihr erlaubt hätte,
den unverdorbne", liebenswürdigen Jüngling ihres Stammes, der in ihr für Lebens¬
zeit seinen "weißen Gott" anzubeten bereit war, zum Manne zu nehmen und die
"sich wie Adler überm Meer begegnenden beiden königlichen Seelen" schweben,
man möchte am liebsten sagen schwimmen zu kniffen. Es hätte dann freilich kein
Trauerspiel "König Laurin" geben können: das wäre schade gewesen, und da man
in der Dichtung wie im Leben die Menschen nehmen muß, wie sie uns entgegen¬
treten, ohne daß man daran weiter herumflicken kann, so bleibt einem auch nichts
übrig, als Amalasuntas Entgleisung als eine unabänderliche Tatsache hinzunehmen
und sich soviel als möglich dem süßen, wenn auch nicht immer gesunden Zauber
hinzugeben, mit dem die bilderreiche Schilderung des Berliner Chrysostomus willige
Herzen und Sinne umfängt.

Wildenbruch nimmt, wie wir schon im ersten Akt erfahren haben, an, der
Kaiser sei noch unvcrmnhlt, und wir begegnen im dritten Auftritt des zweiten Aktes
Theodahads Sonne dieser Welt in der nllerelendesten Verfassung. Ein Aufruhr
seiner Haupt- und Residenzstadt, den als Nikaaufstand bekannten Unruhen des
Jahres 332 ähnlich, hat ihn aller Fassung und jeder männlichen Tatkraft beraubt.
Seine Haltung und sein Aussehen, wie er nachts, ein brennendes Licht in der Hand,
in einem kleinen mit purpurrotem Tuch ausgeschlagnen Gemache des Kaiserpalastes
erscheint, das der Prnfekt im nächsten Auftritt als das "verbotene" bezeichnet, sind
die eines Feiglings, den die Furcht jeder Fassung und sogar des Bewußtseins der
Herrseherwürde beraubt hat. Es heißt im Szenarium: "Er geht hastig, ängstlich,
betnah schwankend; seine Stirn ist mit Angstschweiß bedeckt; man sieht ihm die Todes¬
angst in jedem Zuge an." Der Grund seiner Beängstigung ist aber lediglich der um
die Mauern des Palastes tobende Aufstand, und das "verbotene," wie die kaiserlichen
Zimmer mit purpurrotem Tuch ausgeschlagne Gemach ist das Theodvras. Sie ist vor
dem gegen sie vom Präfekten Johannes von Kappadozien angestifteten Aufruhr bei
nächtlicher Weile, als Bauer verkleidet und von einem ihr ergebner Blauen geführt,
aus ihren Zimmern entwichen und hat sich im zweiten Hof in die Kammern des ihr
getreuen Kanzlers Tribonian geflüchtet, während ihre Frauen sie schon als vom Pöbel




König Laurin
(Schluß)

>le Handlung, deren Ort im ersten Akt Ravenna gewesen war,
!wird nnn für die vier letzten nach Byzanz verlegt, an den Hos
^^^'^^^.i^^ berühmten — der eine oder der andre unsrer Leser, der sich
M^l^lWl^mit Jurisprudenz befaßt hat, wird vielleicht lieber sagen des be¬
rüchtigten — Kaisers Justinian.

Er war, als er 527 zur Negierung kam, vierundfünfzig Jahre
alt, ein Alter, worin der äußere Mensch, naturgetreu aus „kleinen, runden, in goldnen
Nahmen gefaßten" Bildern dargestellt, eher zur Hochachtung als zur Liebe zu be¬
geistern Pflegt. Daher auch jedenfalls der platonische Zug in der von Amalasunta dem
Theodahad angegebnen orakelhaften Botschaft, die sich nur rin der Seelenlabung und
der „Ersättigung an einer auf Gipfelhöhn der Welt gerichteten Tafel" beschäftigt,
während sich die uus als schön und begehrenswert dargestellte Gotenkönigin die
Gefahren und Unbequemlichkeiten der Seereise hatte ersparen können, wenn sie kein
Überweib gewesen wäre, und wenn bescheiden menschliches Fühlen ihr erlaubt hätte,
den unverdorbne», liebenswürdigen Jüngling ihres Stammes, der in ihr für Lebens¬
zeit seinen „weißen Gott" anzubeten bereit war, zum Manne zu nehmen und die
„sich wie Adler überm Meer begegnenden beiden königlichen Seelen" schweben,
man möchte am liebsten sagen schwimmen zu kniffen. Es hätte dann freilich kein
Trauerspiel „König Laurin" geben können: das wäre schade gewesen, und da man
in der Dichtung wie im Leben die Menschen nehmen muß, wie sie uns entgegen¬
treten, ohne daß man daran weiter herumflicken kann, so bleibt einem auch nichts
übrig, als Amalasuntas Entgleisung als eine unabänderliche Tatsache hinzunehmen
und sich soviel als möglich dem süßen, wenn auch nicht immer gesunden Zauber
hinzugeben, mit dem die bilderreiche Schilderung des Berliner Chrysostomus willige
Herzen und Sinne umfängt.

Wildenbruch nimmt, wie wir schon im ersten Akt erfahren haben, an, der
Kaiser sei noch unvcrmnhlt, und wir begegnen im dritten Auftritt des zweiten Aktes
Theodahads Sonne dieser Welt in der nllerelendesten Verfassung. Ein Aufruhr
seiner Haupt- und Residenzstadt, den als Nikaaufstand bekannten Unruhen des
Jahres 332 ähnlich, hat ihn aller Fassung und jeder männlichen Tatkraft beraubt.
Seine Haltung und sein Aussehen, wie er nachts, ein brennendes Licht in der Hand,
in einem kleinen mit purpurrotem Tuch ausgeschlagnen Gemache des Kaiserpalastes
erscheint, das der Prnfekt im nächsten Auftritt als das „verbotene" bezeichnet, sind
die eines Feiglings, den die Furcht jeder Fassung und sogar des Bewußtseins der
Herrseherwürde beraubt hat. Es heißt im Szenarium: „Er geht hastig, ängstlich,
betnah schwankend; seine Stirn ist mit Angstschweiß bedeckt; man sieht ihm die Todes¬
angst in jedem Zuge an." Der Grund seiner Beängstigung ist aber lediglich der um
die Mauern des Palastes tobende Aufstand, und das „verbotene," wie die kaiserlichen
Zimmer mit purpurrotem Tuch ausgeschlagne Gemach ist das Theodvras. Sie ist vor
dem gegen sie vom Präfekten Johannes von Kappadozien angestifteten Aufruhr bei
nächtlicher Weile, als Bauer verkleidet und von einem ihr ergebner Blauen geführt,
aus ihren Zimmern entwichen und hat sich im zweiten Hof in die Kammern des ihr
getreuen Kanzlers Tribonian geflüchtet, während ihre Frauen sie schon als vom Pöbel


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[0606] [Abbildung] König Laurin (Schluß) >le Handlung, deren Ort im ersten Akt Ravenna gewesen war, !wird nnn für die vier letzten nach Byzanz verlegt, an den Hos ^^^'^^^.i^^ berühmten — der eine oder der andre unsrer Leser, der sich M^l^lWl^mit Jurisprudenz befaßt hat, wird vielleicht lieber sagen des be¬ rüchtigten — Kaisers Justinian. Er war, als er 527 zur Negierung kam, vierundfünfzig Jahre alt, ein Alter, worin der äußere Mensch, naturgetreu aus „kleinen, runden, in goldnen Nahmen gefaßten" Bildern dargestellt, eher zur Hochachtung als zur Liebe zu be¬ geistern Pflegt. Daher auch jedenfalls der platonische Zug in der von Amalasunta dem Theodahad angegebnen orakelhaften Botschaft, die sich nur rin der Seelenlabung und der „Ersättigung an einer auf Gipfelhöhn der Welt gerichteten Tafel" beschäftigt, während sich die uus als schön und begehrenswert dargestellte Gotenkönigin die Gefahren und Unbequemlichkeiten der Seereise hatte ersparen können, wenn sie kein Überweib gewesen wäre, und wenn bescheiden menschliches Fühlen ihr erlaubt hätte, den unverdorbne», liebenswürdigen Jüngling ihres Stammes, der in ihr für Lebens¬ zeit seinen „weißen Gott" anzubeten bereit war, zum Manne zu nehmen und die „sich wie Adler überm Meer begegnenden beiden königlichen Seelen" schweben, man möchte am liebsten sagen schwimmen zu kniffen. Es hätte dann freilich kein Trauerspiel „König Laurin" geben können: das wäre schade gewesen, und da man in der Dichtung wie im Leben die Menschen nehmen muß, wie sie uns entgegen¬ treten, ohne daß man daran weiter herumflicken kann, so bleibt einem auch nichts übrig, als Amalasuntas Entgleisung als eine unabänderliche Tatsache hinzunehmen und sich soviel als möglich dem süßen, wenn auch nicht immer gesunden Zauber hinzugeben, mit dem die bilderreiche Schilderung des Berliner Chrysostomus willige Herzen und Sinne umfängt. Wildenbruch nimmt, wie wir schon im ersten Akt erfahren haben, an, der Kaiser sei noch unvcrmnhlt, und wir begegnen im dritten Auftritt des zweiten Aktes Theodahads Sonne dieser Welt in der nllerelendesten Verfassung. Ein Aufruhr seiner Haupt- und Residenzstadt, den als Nikaaufstand bekannten Unruhen des Jahres 332 ähnlich, hat ihn aller Fassung und jeder männlichen Tatkraft beraubt. Seine Haltung und sein Aussehen, wie er nachts, ein brennendes Licht in der Hand, in einem kleinen mit purpurrotem Tuch ausgeschlagnen Gemache des Kaiserpalastes erscheint, das der Prnfekt im nächsten Auftritt als das „verbotene" bezeichnet, sind die eines Feiglings, den die Furcht jeder Fassung und sogar des Bewußtseins der Herrseherwürde beraubt hat. Es heißt im Szenarium: „Er geht hastig, ängstlich, betnah schwankend; seine Stirn ist mit Angstschweiß bedeckt; man sieht ihm die Todes¬ angst in jedem Zuge an." Der Grund seiner Beängstigung ist aber lediglich der um die Mauern des Palastes tobende Aufstand, und das „verbotene," wie die kaiserlichen Zimmer mit purpurrotem Tuch ausgeschlagne Gemach ist das Theodvras. Sie ist vor dem gegen sie vom Präfekten Johannes von Kappadozien angestifteten Aufruhr bei nächtlicher Weile, als Bauer verkleidet und von einem ihr ergebner Blauen geführt, aus ihren Zimmern entwichen und hat sich im zweiten Hof in die Kammern des ihr getreuen Kanzlers Tribonian geflüchtet, während ihre Frauen sie schon als vom Pöbel

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_239555/606>, abgerufen am 27.11.2024.