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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Erstes Vierteljahr.

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Der Urcuzzng gegen die Stedinger

durch Eindeichung bewohnbar gemacht und besiedelt. Bald entwickelte sich in
den Ansiedler,: ein kräftiger Gemeingeist. Wie sollte es mich anders sein, denn
jahraus jahrein mußten alle Bewohner, ob gräflicher oder erzbischöflicher
Dienstmann, ob Bauer oder Knecht, gemeinschaftlich den Deich gegen die Fluten
verteidigen, die ihn in den schweren Nvrdweststürmen gierig benagten, und mehr
als einmal überfluteten sie wieder das eben gewonnene Land. Noch durften
die Bewohner gar nicht wagen, sich ans dem flachen Boden selbst anzubauen,
sie mußten ihre Hänser auf künstlichen Hügeln oder auf dem Deiche errichten.
Ein Vorbild sich selbst regierender Bauernschaft waren den Stedingern die so
nahe benachbarten Rustringer Friesen im heutigen Butjadiugerlmid, zwischen
der Wesermündung und dein heutigen Jahdebusen, den es damals allerdings
noch nicht gab. Damals lagen noch Dutzende von blühenden Dörfern, wo
heute die Möwe über das schlammige Wasser zieht. An der Landseite war
das Gebiet der Stedinger durch weite Moore gedeckt, die sich an den Fuß des
höhern Sandbodens lagerten und für Truppenkörper völlig unpassierbar waren.
Wo sich etwa ein Zünglein festem Landes bis an das neu eingedeichte Marsch¬
land erstrecken wollte, wurde es durch Gräben oder Verhau unpassierbar ge¬
macht. Die Stedinger saßen also in einer wohlumwalltcu Festung. Auch vom
Nuß her konnte man nicht in ihr Land eindringen, denn der Landimgsstellen
in dem morastigen Ufer waren wenige, und überdies standen ans den Deichen
die wehrhaften Bauern mit Schwert und Spieß und Streitaxt.

Am 16. März 1158 bestätigte Kaiser Friedrich Rotbart dem Erzbischof
von Bremen die Grafenrechte in allen stedingischen Bereichen. Aber damit
war die Fähigkeit, sie geltend zu machen, noch nicht verbürgt. Der Priester
mußte seine Herrschaft nicht nur gegen die übergriffslustigen Grafen verteidige",
sondern mich gegen den bald beginnenden Unabhängigkeitssinn der Bauern.
An Fehden fehlte es niemals, und mit ihnen boten sich immer Gelegenheiten,
sich durch Eingreifen zu bereichern. Zur Beherrschung des Landes waren zwei
Burgen erbaut, Limen am linken Weserufer und Leistenberg an der Hunde.
Wem sie im Anfang des dreizehnten Jahrhunderts Untertan waren, erzählen
uns die alten Quellen nicht. Wohl aber erfährt man, daß die Burgmänner
das Volk arg bedrückten, sich Erpressungen erlaubten und sich an dem Eigen¬
tum und gnr an den Frauen und Töchtern der Bauern vergriffen. Da traten
die Stediuger zu einem heimlichen Thing zusammen und beschlossen, zu gleicher
Zeit beide Burgen zu überrumpeln. Ihre Tat gelang. Weder Erzbischof
Hartwig uoch einer der Grafen machte auch mir den Versuch, die zerstörten
festen Plätze wieder herzustellen und die Herrschaft wieder aufzurichten. Bald
darauf machten mich die Südstedinger einer kleinen gräflichen Herrschaft zu
Wnrflcth am Weserufer, recht mitten in ihrem Gebiet, ein Eude. Doch noch
hatten die Bauern Wohl nichts gewollt, als ihre Zwiugherreu vertreiben. Als
Bischof Hartwig nach einigen Jahren mit Heeresmacht herankam, zahlten ihm
die Stedinger willig ihre Steuern, und er zog friedlich wieder ab. Das
war 1207.

An Hartwigs Tod knüpften sich arge Wirren. Zwei Erzbischöfe wurden
von den verschiednen Parteien gewählt, und beide gerieten in die große Welt-


Der Urcuzzng gegen die Stedinger

durch Eindeichung bewohnbar gemacht und besiedelt. Bald entwickelte sich in
den Ansiedler,: ein kräftiger Gemeingeist. Wie sollte es mich anders sein, denn
jahraus jahrein mußten alle Bewohner, ob gräflicher oder erzbischöflicher
Dienstmann, ob Bauer oder Knecht, gemeinschaftlich den Deich gegen die Fluten
verteidigen, die ihn in den schweren Nvrdweststürmen gierig benagten, und mehr
als einmal überfluteten sie wieder das eben gewonnene Land. Noch durften
die Bewohner gar nicht wagen, sich ans dem flachen Boden selbst anzubauen,
sie mußten ihre Hänser auf künstlichen Hügeln oder auf dem Deiche errichten.
Ein Vorbild sich selbst regierender Bauernschaft waren den Stedingern die so
nahe benachbarten Rustringer Friesen im heutigen Butjadiugerlmid, zwischen
der Wesermündung und dein heutigen Jahdebusen, den es damals allerdings
noch nicht gab. Damals lagen noch Dutzende von blühenden Dörfern, wo
heute die Möwe über das schlammige Wasser zieht. An der Landseite war
das Gebiet der Stedinger durch weite Moore gedeckt, die sich an den Fuß des
höhern Sandbodens lagerten und für Truppenkörper völlig unpassierbar waren.
Wo sich etwa ein Zünglein festem Landes bis an das neu eingedeichte Marsch¬
land erstrecken wollte, wurde es durch Gräben oder Verhau unpassierbar ge¬
macht. Die Stedinger saßen also in einer wohlumwalltcu Festung. Auch vom
Nuß her konnte man nicht in ihr Land eindringen, denn der Landimgsstellen
in dem morastigen Ufer waren wenige, und überdies standen ans den Deichen
die wehrhaften Bauern mit Schwert und Spieß und Streitaxt.

Am 16. März 1158 bestätigte Kaiser Friedrich Rotbart dem Erzbischof
von Bremen die Grafenrechte in allen stedingischen Bereichen. Aber damit
war die Fähigkeit, sie geltend zu machen, noch nicht verbürgt. Der Priester
mußte seine Herrschaft nicht nur gegen die übergriffslustigen Grafen verteidige»,
sondern mich gegen den bald beginnenden Unabhängigkeitssinn der Bauern.
An Fehden fehlte es niemals, und mit ihnen boten sich immer Gelegenheiten,
sich durch Eingreifen zu bereichern. Zur Beherrschung des Landes waren zwei
Burgen erbaut, Limen am linken Weserufer und Leistenberg an der Hunde.
Wem sie im Anfang des dreizehnten Jahrhunderts Untertan waren, erzählen
uns die alten Quellen nicht. Wohl aber erfährt man, daß die Burgmänner
das Volk arg bedrückten, sich Erpressungen erlaubten und sich an dem Eigen¬
tum und gnr an den Frauen und Töchtern der Bauern vergriffen. Da traten
die Stediuger zu einem heimlichen Thing zusammen und beschlossen, zu gleicher
Zeit beide Burgen zu überrumpeln. Ihre Tat gelang. Weder Erzbischof
Hartwig uoch einer der Grafen machte auch mir den Versuch, die zerstörten
festen Plätze wieder herzustellen und die Herrschaft wieder aufzurichten. Bald
darauf machten mich die Südstedinger einer kleinen gräflichen Herrschaft zu
Wnrflcth am Weserufer, recht mitten in ihrem Gebiet, ein Eude. Doch noch
hatten die Bauern Wohl nichts gewollt, als ihre Zwiugherreu vertreiben. Als
Bischof Hartwig nach einigen Jahren mit Heeresmacht herankam, zahlten ihm
die Stedinger willig ihre Steuern, und er zog friedlich wieder ab. Das
war 1207.

An Hartwigs Tod knüpften sich arge Wirren. Zwei Erzbischöfe wurden
von den verschiednen Parteien gewählt, und beide gerieten in die große Welt-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_239555/599>, abgerufen am 24.11.2024.