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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Erstes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

Gymnasium die Heimatkunde berücksichtigt, und das ist sicherlich der Grund, daß
die Gebildeten unsrer Tage uoch so wenig Sinn und Verständnis für Heimats¬
und Ortsgeschichtc haben. Gerade in akademisch gebildeten Kreisen begegnet man
häufig einer Verstäudnislosigkeit und Gleichgültigkeit auf diesem Gebiete, die nur
daher kämmen kann, daß in der Schulzeit die Heimatkunde vollständig vernachlässigt
worden ist. Es gibt da Leute, die von den trojanischen und pompejnnischen Aus¬
grabungen schwärmen, aber sich bei unsern "alten Töpfen," die ausgegraben werden,
nichts denken können, mögen sie anch älter sein als jene; es fehlt ihnen eben der
Sinn für das Heimattnm, für das naheliegende der vaterländischen Geschichte. Hier
wird und muß die Heimatkunde, wenn sie im Sinne der Hallischen und der Görlitzer
Schulen gehnndhabt wird, einsetzen und Wandel schaffen für spätere Geschlechter
der Gebildeten; denn wenn die Schüler in der Schule und auf Ausflügen auf die
Heimatsgeschichte hingewiesen werden, wenn ihnen z. V. Ausgrabungen gezeigt, alte
Urkunden vorgelegt, Baustile erklärt werden, so werden sie später anch im Leben,
sie mögen einen Beruf haben, welchen sie wollen, die Altertümer mit ganz andern
Augen ansehen, als es jetzt der Fall ist. Da wird -- das Zutrauen muß man zur
Jngend haben -- der Jurist seine halbvermoderten Akten auf dem Aktenboden
nach alten Weistümern durchstöbern, der Geistliche das Kirchenarchiv und den Baustil
seiner Kirche näher untersuchen, der Arzt anthropologische Studien an vorgeschicht¬
lichen Funden machen, und der Lehrer seine Jungen hinausführe" zum Anschauungs¬
unterricht. Und auch die andern Stände werden ihr gut Teil zur Heimatkunde
beitragen können: es gibt ja schon jetzt so manchen alten Offizier, der die Muße
seines Ruhestands mit geschichtlichen Forschungen ausfüllt, so manchen Landwirt, der
für allerlei Funde in seinen Ländereien großes Verständnis hat, und so manchen
Bürger, der sich für den Hausrat aus der Vorfahren Zeit begeistert und allerlei
für die städtische Sammlung zusammenträgt. Die Liebe zur Heimat muß im Hause
und in der Familie Wurzel schlagen, und diese Wurzel kaun nur durch die Schule,
durch den Unterricht gelegt und gepflegt werden.


R. Krieg
Wie Franz Liszt Königsberger Ehrendoktor wurde.

In den vor
kurzem herausgekommenen "Kleinen Schriften" des am 9. Juni 1878 gestorbnen
berühmten Königsberger Altphilologen Karl Lehrs (herausgegeben von Arthur
Ludwich) findet sich auch der Bericht über die Verleihung des Philosophischen Ehren¬
doktors an den damals einunddreißigjährigen Franz Liszt. Im Anfang des Jahres
1842 war es, als die .Königsberger Philosophische Fakultät den großen Pianisten
uns solche Weise ehrte, eine Ehre, die umso größer war, weil ein Drumann, Lobeck,
Neumann, Rosenkranz, Jacobi, Lehrs (als Extraordinarius) dieser Fakultät angehörten,
und weil der Komponist Liszt damals noch nicht geschätzt, geschweige denn überschätzt
wurde. Der berühmte Philosoph Karl Rosenkranz und der nicht minder bedeutende
Mathematiker Jacobi überreichten Liszt das Doktordiplom, wozu Jacobi die folgende
von ihm verfaßte schöne Anrede hielt: "Die Philosophische Fakultät der Albertus-
Universität hat uus aufgetragen, Ihnen das Diplom eines Doktors der Musik zu
überreichen. Es ist dies eine Auszeichnung, welche einst der unsterbliche Haydn
genoß (tiefe Verbeugung von feiten Liszts). welche vielleicht auch Sie nicht ver¬
schmähen werden. Die Universitäten Deutschlands und Englands haben dieselbe
nur selten erteilt; aber alles, was dazu berechtigen kann, findet sich in Ihrem
Genius auf das vollkommenste vereinigt. Die Wunder der Technik sind Ihnen
"ur ein Moment, nnr ein Mittel und Organ für den Ausdruck höherer Seelen-
Sustände. Der wahre Meister gibt uns eine neue Kuustoffeubarung, er tritt damit
in die Gemeinschaft und den Kreis der freien Geister, welche berufen sind, ihre
Zeit zu repräsentieren. Und so begrüßen auch wir Sie als ein echtes Kind unsrer
Zeit, berufen, Ihre Gefühle und Gedanken in der Weise der Tonkunst auszusprechen.
^n den Reihen, welche Ihre Töne durchbebten, werden wir noch lange das Wesen


Maßgebliches und Unmaßgebliches

Gymnasium die Heimatkunde berücksichtigt, und das ist sicherlich der Grund, daß
die Gebildeten unsrer Tage uoch so wenig Sinn und Verständnis für Heimats¬
und Ortsgeschichtc haben. Gerade in akademisch gebildeten Kreisen begegnet man
häufig einer Verstäudnislosigkeit und Gleichgültigkeit auf diesem Gebiete, die nur
daher kämmen kann, daß in der Schulzeit die Heimatkunde vollständig vernachlässigt
worden ist. Es gibt da Leute, die von den trojanischen und pompejnnischen Aus¬
grabungen schwärmen, aber sich bei unsern „alten Töpfen," die ausgegraben werden,
nichts denken können, mögen sie anch älter sein als jene; es fehlt ihnen eben der
Sinn für das Heimattnm, für das naheliegende der vaterländischen Geschichte. Hier
wird und muß die Heimatkunde, wenn sie im Sinne der Hallischen und der Görlitzer
Schulen gehnndhabt wird, einsetzen und Wandel schaffen für spätere Geschlechter
der Gebildeten; denn wenn die Schüler in der Schule und auf Ausflügen auf die
Heimatsgeschichte hingewiesen werden, wenn ihnen z. V. Ausgrabungen gezeigt, alte
Urkunden vorgelegt, Baustile erklärt werden, so werden sie später anch im Leben,
sie mögen einen Beruf haben, welchen sie wollen, die Altertümer mit ganz andern
Augen ansehen, als es jetzt der Fall ist. Da wird — das Zutrauen muß man zur
Jngend haben — der Jurist seine halbvermoderten Akten auf dem Aktenboden
nach alten Weistümern durchstöbern, der Geistliche das Kirchenarchiv und den Baustil
seiner Kirche näher untersuchen, der Arzt anthropologische Studien an vorgeschicht¬
lichen Funden machen, und der Lehrer seine Jungen hinausführe» zum Anschauungs¬
unterricht. Und auch die andern Stände werden ihr gut Teil zur Heimatkunde
beitragen können: es gibt ja schon jetzt so manchen alten Offizier, der die Muße
seines Ruhestands mit geschichtlichen Forschungen ausfüllt, so manchen Landwirt, der
für allerlei Funde in seinen Ländereien großes Verständnis hat, und so manchen
Bürger, der sich für den Hausrat aus der Vorfahren Zeit begeistert und allerlei
für die städtische Sammlung zusammenträgt. Die Liebe zur Heimat muß im Hause
und in der Familie Wurzel schlagen, und diese Wurzel kaun nur durch die Schule,
durch den Unterricht gelegt und gepflegt werden.


R. Krieg
Wie Franz Liszt Königsberger Ehrendoktor wurde.

In den vor
kurzem herausgekommenen „Kleinen Schriften" des am 9. Juni 1878 gestorbnen
berühmten Königsberger Altphilologen Karl Lehrs (herausgegeben von Arthur
Ludwich) findet sich auch der Bericht über die Verleihung des Philosophischen Ehren¬
doktors an den damals einunddreißigjährigen Franz Liszt. Im Anfang des Jahres
1842 war es, als die .Königsberger Philosophische Fakultät den großen Pianisten
uns solche Weise ehrte, eine Ehre, die umso größer war, weil ein Drumann, Lobeck,
Neumann, Rosenkranz, Jacobi, Lehrs (als Extraordinarius) dieser Fakultät angehörten,
und weil der Komponist Liszt damals noch nicht geschätzt, geschweige denn überschätzt
wurde. Der berühmte Philosoph Karl Rosenkranz und der nicht minder bedeutende
Mathematiker Jacobi überreichten Liszt das Doktordiplom, wozu Jacobi die folgende
von ihm verfaßte schöne Anrede hielt: „Die Philosophische Fakultät der Albertus-
Universität hat uus aufgetragen, Ihnen das Diplom eines Doktors der Musik zu
überreichen. Es ist dies eine Auszeichnung, welche einst der unsterbliche Haydn
genoß (tiefe Verbeugung von feiten Liszts). welche vielleicht auch Sie nicht ver¬
schmähen werden. Die Universitäten Deutschlands und Englands haben dieselbe
nur selten erteilt; aber alles, was dazu berechtigen kann, findet sich in Ihrem
Genius auf das vollkommenste vereinigt. Die Wunder der Technik sind Ihnen
«ur ein Moment, nnr ein Mittel und Organ für den Ausdruck höherer Seelen-
Sustände. Der wahre Meister gibt uns eine neue Kuustoffeubarung, er tritt damit
in die Gemeinschaft und den Kreis der freien Geister, welche berufen sind, ihre
Zeit zu repräsentieren. Und so begrüßen auch wir Sie als ein echtes Kind unsrer
Zeit, berufen, Ihre Gefühle und Gedanken in der Weise der Tonkunst auszusprechen.
^n den Reihen, welche Ihre Töne durchbebten, werden wir noch lange das Wesen


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[0575] Maßgebliches und Unmaßgebliches Gymnasium die Heimatkunde berücksichtigt, und das ist sicherlich der Grund, daß die Gebildeten unsrer Tage uoch so wenig Sinn und Verständnis für Heimats¬ und Ortsgeschichtc haben. Gerade in akademisch gebildeten Kreisen begegnet man häufig einer Verstäudnislosigkeit und Gleichgültigkeit auf diesem Gebiete, die nur daher kämmen kann, daß in der Schulzeit die Heimatkunde vollständig vernachlässigt worden ist. Es gibt da Leute, die von den trojanischen und pompejnnischen Aus¬ grabungen schwärmen, aber sich bei unsern „alten Töpfen," die ausgegraben werden, nichts denken können, mögen sie anch älter sein als jene; es fehlt ihnen eben der Sinn für das Heimattnm, für das naheliegende der vaterländischen Geschichte. Hier wird und muß die Heimatkunde, wenn sie im Sinne der Hallischen und der Görlitzer Schulen gehnndhabt wird, einsetzen und Wandel schaffen für spätere Geschlechter der Gebildeten; denn wenn die Schüler in der Schule und auf Ausflügen auf die Heimatsgeschichte hingewiesen werden, wenn ihnen z. V. Ausgrabungen gezeigt, alte Urkunden vorgelegt, Baustile erklärt werden, so werden sie später anch im Leben, sie mögen einen Beruf haben, welchen sie wollen, die Altertümer mit ganz andern Augen ansehen, als es jetzt der Fall ist. Da wird — das Zutrauen muß man zur Jngend haben — der Jurist seine halbvermoderten Akten auf dem Aktenboden nach alten Weistümern durchstöbern, der Geistliche das Kirchenarchiv und den Baustil seiner Kirche näher untersuchen, der Arzt anthropologische Studien an vorgeschicht¬ lichen Funden machen, und der Lehrer seine Jungen hinausführe» zum Anschauungs¬ unterricht. Und auch die andern Stände werden ihr gut Teil zur Heimatkunde beitragen können: es gibt ja schon jetzt so manchen alten Offizier, der die Muße seines Ruhestands mit geschichtlichen Forschungen ausfüllt, so manchen Landwirt, der für allerlei Funde in seinen Ländereien großes Verständnis hat, und so manchen Bürger, der sich für den Hausrat aus der Vorfahren Zeit begeistert und allerlei für die städtische Sammlung zusammenträgt. Die Liebe zur Heimat muß im Hause und in der Familie Wurzel schlagen, und diese Wurzel kaun nur durch die Schule, durch den Unterricht gelegt und gepflegt werden. R. Krieg Wie Franz Liszt Königsberger Ehrendoktor wurde. In den vor kurzem herausgekommenen „Kleinen Schriften" des am 9. Juni 1878 gestorbnen berühmten Königsberger Altphilologen Karl Lehrs (herausgegeben von Arthur Ludwich) findet sich auch der Bericht über die Verleihung des Philosophischen Ehren¬ doktors an den damals einunddreißigjährigen Franz Liszt. Im Anfang des Jahres 1842 war es, als die .Königsberger Philosophische Fakultät den großen Pianisten uns solche Weise ehrte, eine Ehre, die umso größer war, weil ein Drumann, Lobeck, Neumann, Rosenkranz, Jacobi, Lehrs (als Extraordinarius) dieser Fakultät angehörten, und weil der Komponist Liszt damals noch nicht geschätzt, geschweige denn überschätzt wurde. Der berühmte Philosoph Karl Rosenkranz und der nicht minder bedeutende Mathematiker Jacobi überreichten Liszt das Doktordiplom, wozu Jacobi die folgende von ihm verfaßte schöne Anrede hielt: „Die Philosophische Fakultät der Albertus- Universität hat uus aufgetragen, Ihnen das Diplom eines Doktors der Musik zu überreichen. Es ist dies eine Auszeichnung, welche einst der unsterbliche Haydn genoß (tiefe Verbeugung von feiten Liszts). welche vielleicht auch Sie nicht ver¬ schmähen werden. Die Universitäten Deutschlands und Englands haben dieselbe nur selten erteilt; aber alles, was dazu berechtigen kann, findet sich in Ihrem Genius auf das vollkommenste vereinigt. Die Wunder der Technik sind Ihnen «ur ein Moment, nnr ein Mittel und Organ für den Ausdruck höherer Seelen- Sustände. Der wahre Meister gibt uns eine neue Kuustoffeubarung, er tritt damit in die Gemeinschaft und den Kreis der freien Geister, welche berufen sind, ihre Zeit zu repräsentieren. Und so begrüßen auch wir Sie als ein echtes Kind unsrer Zeit, berufen, Ihre Gefühle und Gedanken in der Weise der Tonkunst auszusprechen. ^n den Reihen, welche Ihre Töne durchbebten, werden wir noch lange das Wesen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_239555/575>, abgerufen am 24.11.2024.