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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Erstes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

rückt das Examen heran; da full im Rigorosuni eine halbe Stunde lang in Philo¬
sophie geprüft werden, und auch im Staatsexamen gibt es eine Pertrackte Rubrik
"allgemeine Bildung," zu der auch Philosophie gehört. Der Kandidat hat das
klare Bewußtsein, daß er von Philosophie keine rechte Vorstellung hat; aber er
weiß, daß seine Freunde mit denselben Kenntnissen durchgekommen sind -- und
schließlich, wenn er in der Philosophie auch nicht besteht, das bricht ihm nicht den
Hals; das Examen im ganzen hat er doch bestanden und braucht es niemand zu
erzählen, daß er Plato ins fünfte und Descartes ins fünfzehnte Jahrhundert
gesetzt hat. So sieht er sich denn in den letzten vierzehn Tagen einige Kompendien
an, liest vielleicht auch eine möglichst kurze Schrift eines nicht zu schweren Philo¬
sophen und gibt dann dem Examinator an, er habe Platons Phädrus oder Berkeleys
'Il'ö-itiso on tuo prineixlss cet human lcuovvloägö gelesen, und der ist durch jahre¬
lange Erfahrungen so mürbe gemacht, daß er nur zu gern darauf eingeht. Ich
habe selbst einmal einem Freunde zwei Tage vor dem Examen auf einem ein¬
stündigem Spaziergange die Kenntnisse eingepaukt, mit denen er nachher bestand.

Gerade im Interesse der Philosophie erscheint es mir fraglich, ob es sich lohnt,
einen Zustand aufrecht zu erhalten, der sie nur herabwürdigen kann. Sobald die
Philosophie aufhört, als Examenfach obligatorisch zu sein, werden sich nur noch
solche Kandidaten in ihr prüfen lassen, die ein wirkliches philosophisches Interesse
haben und sich seit dem Beginn ihrer Studien so eingehend mit den verschiednen
philosophischen Disziplinen befaßt haben, daß sie ein Verständnis für ihre Entwick¬
lung und ihre Probleme gewonnen haben. Und solche Studenten gibt es zum
Glück immer noch.

Aber was soll ans den andern werden, die natürlich die Mehrzahl sind?
Soll man sie mit den Scheuklappen vor beiden Augen laufen lassen, sollen sie nie
lernen, ihre Fachkenntnisse zu einer allseitigen Weltanschauung wenigstens in Be¬
ziehung zu setzen? Hier tritt, meine ich, an die Vertreter der einzelnen Fächer die
ernste Pflicht heran, die Blicke ihrer Schiller über das Nächstliegende hinaus zu
höhern Ideen zu lenken. Es ist gewiß sehr bedauerlich, wenn sich ein Philosoph,
gleichviel welcher Schattierung, nie über die Grundtatsachen des Sprachlebens klar
geworden ist; aber an den meisten Universitäten werden von Sprachforschern (nicht
von Philosophen) Vorlesungen über dieses Thema gehalten, wie denn auch das beste
Buch über diese Fragen von einem Germanisten geschrieben ist. Der klassische
Philosoph muß die Geschichte der griechischen Philosophie kennen, der moderne die
der neuern; aber wenn er eine gute Vorlesung über griechische oder deutsche Lite-
rnturgeschichte hört, so wird er von der Geschichte der geistigen Strömungen soviel
erfahren, wie nötig ist. Ebenso wird der Zoolog, der über Darwinismus liest, nicht
versäumen, auf die Umwälzungen hinzuweisen, die die Entwicklungslehre im modernen
Geistesleben hervorgerufen hat; der Geograph wird die Wandlungen des Weltbildes
mit den Wandlungen der philosophischen Grundanschauungen in Zusammenhang
bringen. Ich möchte sogar fast meinen, daß der Fachmann unter Umständen dieser
Aufgabe besser gewachsen ist als der über dem Ganzen schwebende Philosoph, der
die Fachkenntnisse erst aus zweiter oder dritter Hand schöpfen muß. Die Kenntnis
der stoischen oder der akademischen Philosophie bleibt für den klassischen Philologen
ein etwas totes Wissen, wenn er z. B. nicht weiß, in welcher Form und durch welche
Vermittlung sie bei Cicero erscheint; Locke und Rousseau werden dem Neuphilologen
erst dann recht lebendig, wenn er ihren Einfluß ans die Literatur des achtzehnten
Jahrhunderts kennt. Beides wird meist der Fachvertreter besser darlegen können
als der Philosoph.

Aber freilich kann der Chemiker nicht Logik und der Botaniker nicht Psychologie
mit seinen Zuhörern treiben. Wenn der Student aber nicht mehr gezwungen ist,
diese Disziplinen auf der Universität zu studieren, wo soll er sie sich aneignen?
Hier muß der propttdeutische Unterricht der höhern Schule wieder eintreten, der
in der letzten Zeit vernachlässigt worden ist; denn die Schule hat die Zuchtmittel,


Maßgebliches und Unmaßgebliches

rückt das Examen heran; da full im Rigorosuni eine halbe Stunde lang in Philo¬
sophie geprüft werden, und auch im Staatsexamen gibt es eine Pertrackte Rubrik
„allgemeine Bildung," zu der auch Philosophie gehört. Der Kandidat hat das
klare Bewußtsein, daß er von Philosophie keine rechte Vorstellung hat; aber er
weiß, daß seine Freunde mit denselben Kenntnissen durchgekommen sind — und
schließlich, wenn er in der Philosophie auch nicht besteht, das bricht ihm nicht den
Hals; das Examen im ganzen hat er doch bestanden und braucht es niemand zu
erzählen, daß er Plato ins fünfte und Descartes ins fünfzehnte Jahrhundert
gesetzt hat. So sieht er sich denn in den letzten vierzehn Tagen einige Kompendien
an, liest vielleicht auch eine möglichst kurze Schrift eines nicht zu schweren Philo¬
sophen und gibt dann dem Examinator an, er habe Platons Phädrus oder Berkeleys
'Il'ö-itiso on tuo prineixlss cet human lcuovvloägö gelesen, und der ist durch jahre¬
lange Erfahrungen so mürbe gemacht, daß er nur zu gern darauf eingeht. Ich
habe selbst einmal einem Freunde zwei Tage vor dem Examen auf einem ein¬
stündigem Spaziergange die Kenntnisse eingepaukt, mit denen er nachher bestand.

Gerade im Interesse der Philosophie erscheint es mir fraglich, ob es sich lohnt,
einen Zustand aufrecht zu erhalten, der sie nur herabwürdigen kann. Sobald die
Philosophie aufhört, als Examenfach obligatorisch zu sein, werden sich nur noch
solche Kandidaten in ihr prüfen lassen, die ein wirkliches philosophisches Interesse
haben und sich seit dem Beginn ihrer Studien so eingehend mit den verschiednen
philosophischen Disziplinen befaßt haben, daß sie ein Verständnis für ihre Entwick¬
lung und ihre Probleme gewonnen haben. Und solche Studenten gibt es zum
Glück immer noch.

Aber was soll ans den andern werden, die natürlich die Mehrzahl sind?
Soll man sie mit den Scheuklappen vor beiden Augen laufen lassen, sollen sie nie
lernen, ihre Fachkenntnisse zu einer allseitigen Weltanschauung wenigstens in Be¬
ziehung zu setzen? Hier tritt, meine ich, an die Vertreter der einzelnen Fächer die
ernste Pflicht heran, die Blicke ihrer Schiller über das Nächstliegende hinaus zu
höhern Ideen zu lenken. Es ist gewiß sehr bedauerlich, wenn sich ein Philosoph,
gleichviel welcher Schattierung, nie über die Grundtatsachen des Sprachlebens klar
geworden ist; aber an den meisten Universitäten werden von Sprachforschern (nicht
von Philosophen) Vorlesungen über dieses Thema gehalten, wie denn auch das beste
Buch über diese Fragen von einem Germanisten geschrieben ist. Der klassische
Philosoph muß die Geschichte der griechischen Philosophie kennen, der moderne die
der neuern; aber wenn er eine gute Vorlesung über griechische oder deutsche Lite-
rnturgeschichte hört, so wird er von der Geschichte der geistigen Strömungen soviel
erfahren, wie nötig ist. Ebenso wird der Zoolog, der über Darwinismus liest, nicht
versäumen, auf die Umwälzungen hinzuweisen, die die Entwicklungslehre im modernen
Geistesleben hervorgerufen hat; der Geograph wird die Wandlungen des Weltbildes
mit den Wandlungen der philosophischen Grundanschauungen in Zusammenhang
bringen. Ich möchte sogar fast meinen, daß der Fachmann unter Umständen dieser
Aufgabe besser gewachsen ist als der über dem Ganzen schwebende Philosoph, der
die Fachkenntnisse erst aus zweiter oder dritter Hand schöpfen muß. Die Kenntnis
der stoischen oder der akademischen Philosophie bleibt für den klassischen Philologen
ein etwas totes Wissen, wenn er z. B. nicht weiß, in welcher Form und durch welche
Vermittlung sie bei Cicero erscheint; Locke und Rousseau werden dem Neuphilologen
erst dann recht lebendig, wenn er ihren Einfluß ans die Literatur des achtzehnten
Jahrhunderts kennt. Beides wird meist der Fachvertreter besser darlegen können
als der Philosoph.

Aber freilich kann der Chemiker nicht Logik und der Botaniker nicht Psychologie
mit seinen Zuhörern treiben. Wenn der Student aber nicht mehr gezwungen ist,
diese Disziplinen auf der Universität zu studieren, wo soll er sie sich aneignen?
Hier muß der propttdeutische Unterricht der höhern Schule wieder eintreten, der
in der letzten Zeit vernachlässigt worden ist; denn die Schule hat die Zuchtmittel,


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[0572] Maßgebliches und Unmaßgebliches rückt das Examen heran; da full im Rigorosuni eine halbe Stunde lang in Philo¬ sophie geprüft werden, und auch im Staatsexamen gibt es eine Pertrackte Rubrik „allgemeine Bildung," zu der auch Philosophie gehört. Der Kandidat hat das klare Bewußtsein, daß er von Philosophie keine rechte Vorstellung hat; aber er weiß, daß seine Freunde mit denselben Kenntnissen durchgekommen sind — und schließlich, wenn er in der Philosophie auch nicht besteht, das bricht ihm nicht den Hals; das Examen im ganzen hat er doch bestanden und braucht es niemand zu erzählen, daß er Plato ins fünfte und Descartes ins fünfzehnte Jahrhundert gesetzt hat. So sieht er sich denn in den letzten vierzehn Tagen einige Kompendien an, liest vielleicht auch eine möglichst kurze Schrift eines nicht zu schweren Philo¬ sophen und gibt dann dem Examinator an, er habe Platons Phädrus oder Berkeleys 'Il'ö-itiso on tuo prineixlss cet human lcuovvloägö gelesen, und der ist durch jahre¬ lange Erfahrungen so mürbe gemacht, daß er nur zu gern darauf eingeht. Ich habe selbst einmal einem Freunde zwei Tage vor dem Examen auf einem ein¬ stündigem Spaziergange die Kenntnisse eingepaukt, mit denen er nachher bestand. Gerade im Interesse der Philosophie erscheint es mir fraglich, ob es sich lohnt, einen Zustand aufrecht zu erhalten, der sie nur herabwürdigen kann. Sobald die Philosophie aufhört, als Examenfach obligatorisch zu sein, werden sich nur noch solche Kandidaten in ihr prüfen lassen, die ein wirkliches philosophisches Interesse haben und sich seit dem Beginn ihrer Studien so eingehend mit den verschiednen philosophischen Disziplinen befaßt haben, daß sie ein Verständnis für ihre Entwick¬ lung und ihre Probleme gewonnen haben. Und solche Studenten gibt es zum Glück immer noch. Aber was soll ans den andern werden, die natürlich die Mehrzahl sind? Soll man sie mit den Scheuklappen vor beiden Augen laufen lassen, sollen sie nie lernen, ihre Fachkenntnisse zu einer allseitigen Weltanschauung wenigstens in Be¬ ziehung zu setzen? Hier tritt, meine ich, an die Vertreter der einzelnen Fächer die ernste Pflicht heran, die Blicke ihrer Schiller über das Nächstliegende hinaus zu höhern Ideen zu lenken. Es ist gewiß sehr bedauerlich, wenn sich ein Philosoph, gleichviel welcher Schattierung, nie über die Grundtatsachen des Sprachlebens klar geworden ist; aber an den meisten Universitäten werden von Sprachforschern (nicht von Philosophen) Vorlesungen über dieses Thema gehalten, wie denn auch das beste Buch über diese Fragen von einem Germanisten geschrieben ist. Der klassische Philosoph muß die Geschichte der griechischen Philosophie kennen, der moderne die der neuern; aber wenn er eine gute Vorlesung über griechische oder deutsche Lite- rnturgeschichte hört, so wird er von der Geschichte der geistigen Strömungen soviel erfahren, wie nötig ist. Ebenso wird der Zoolog, der über Darwinismus liest, nicht versäumen, auf die Umwälzungen hinzuweisen, die die Entwicklungslehre im modernen Geistesleben hervorgerufen hat; der Geograph wird die Wandlungen des Weltbildes mit den Wandlungen der philosophischen Grundanschauungen in Zusammenhang bringen. Ich möchte sogar fast meinen, daß der Fachmann unter Umständen dieser Aufgabe besser gewachsen ist als der über dem Ganzen schwebende Philosoph, der die Fachkenntnisse erst aus zweiter oder dritter Hand schöpfen muß. Die Kenntnis der stoischen oder der akademischen Philosophie bleibt für den klassischen Philologen ein etwas totes Wissen, wenn er z. B. nicht weiß, in welcher Form und durch welche Vermittlung sie bei Cicero erscheint; Locke und Rousseau werden dem Neuphilologen erst dann recht lebendig, wenn er ihren Einfluß ans die Literatur des achtzehnten Jahrhunderts kennt. Beides wird meist der Fachvertreter besser darlegen können als der Philosoph. Aber freilich kann der Chemiker nicht Logik und der Botaniker nicht Psychologie mit seinen Zuhörern treiben. Wenn der Student aber nicht mehr gezwungen ist, diese Disziplinen auf der Universität zu studieren, wo soll er sie sich aneignen? Hier muß der propttdeutische Unterricht der höhern Schule wieder eintreten, der in der letzten Zeit vernachlässigt worden ist; denn die Schule hat die Zuchtmittel,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_239555/572>, abgerufen am 01.09.2024.