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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Erstes Vierteljahr.

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König Laurin

können, als sich je eher je lieber mit dem besten und tapfersten ihrer Goten zu
vermahlen. Dem verstorbnen Gatten weint sie keine Träne nach: es ist von ihm
in dem Stück nur einmal beiläufig als dem Vater ihres gleichfalls verstorbnen
Söhnchens Athnlarich die Rede, und sie scheint keine guten Erfahrungen in der
Ehe gemacht zu haben, denn sie will keinem zweiten Goten die Hand reichen,
sie will nicht, wie sie sich etwas drastisch ausdrückt, "in den Stall des Manns
heruntersteigen," und sie bezeichnet das von den Goten an sie gestellte Ver¬
langen, sich wieder zu vermählen, mis schnöde, weil die Wahl ihr aufgezwungen
wird. -- Die Königin Elisabeth sagt ganz ähnlich: "Und der Gebieter wird mir
aufgedrungen."

Ich bekenne offen, daß mir das großsprecherische, phantastische Überweib im
Grunde ein wenig zuwider ist, aber sie einem znwiderzumachen ist nicht Wilden¬
bruchs Absicht, denn sie ist die Heldin des Stücks, und wenn die Darstellerin der
Rolle von stattlicher Erscheinung ist, schöne Arme und üppige blonde Haare hat,
so müßte es mit Kräutern zugehn, wenn sie einem nicht schließlich doch gefiele,
namentlich da ihre Gegner, das byzantinische Kaiserpaar, Justinian und seine Theo-
dora, von Wildenbruch als ein so gottvergeßnes, elendes Pack, als solche Bagasch,
wie der Wiener sagt, geschildert werden, daß man sich schon um des Gegensatzes
willen in Amnlasunta verliebt.

Gleich am Anfang des Stücks hat sie eine kncmplige Auseinandersetzung mit
ihren Goten, an der das sonderbarste ist, daß sie in Gegenwart der Abgesandten
des byzantinischen Kaisers in einer Weise geschieht, mis wenn es nicht der Mühe
wert wäre, sich vor ihnen much nur im mindesten zu genieren. I^o lin^o half Sö
iavs EU tÄmille-, sagt der Franzose. Die gotische Königin und ihre Recken sind
offenbar andrer Meinung. Es ist der "Tag" Theoderichs, dessen Andenken bei
dieser Gelegenheit dem Herkommen und einer Bestimmung des Verstorbnen gemäß
im Palast durch ein Fest, ein Trinkgelage gefeiert werden soll, also ungefähr die¬
selbe Idee, die in studentischen Kreisen dem Trauersalamander zu Grunde liegt.
Amalasunta hat diese Festfeier verboten, weil sie nicht ihren Gefühlen entspricht,
und es entspinnt sich zwischen ihr und ihren Goten in Gegenwart einer aus¬
ländischen Gesandtschaft eine Auseinandersetzung, deren größter Vorzug beider¬
seitige Offenheit ohne ängstliche Bedenklichkeit in der Wahl der gebrauchten Aus¬
drücke ist. Zwei bejahrte Führer Kunignst und Triguilln entwickeln Ansichten, die
einen anfänglich etwas befremden, über diese Befremdung trägt wesentlich drzu bei,
einen in das rein gotische Milien zu versetzen, und da die Vorwürfe, die man sich
gegenseitig macht, ein durchaus biedres Gepräge tragen, so findet man sich ohne
zu große Mühe in den einmal eingeschlagnen äußerst Patriarchalischeu Ton. Amala¬
sunta sagt von dem Palast:


Theoderich ging hin.
Jetzt ists mein Hans.

Damit sage sie etwas Falsches, behauptet der alte Triguilla.


Den Goten allesamt gehört das Haus.
Du bist Verwalterin.

Eine Art Kommunismus, den die Königin bcgreiflichermaßen nicht gelten läßt,
und gegen den sie zu Felde zieht, indem sie ausruft:


Verwalterin?

: Nichts andres.

Kunigast
(fährt vom Stuhle auf):
Amnlasuntn

Dir Gebieterin!

Dir Königin!


Triguilla:

Das gibts nicht bei den Goten.
Wo ist der König zu der Königin?
Weib ohne Mann ist halb.


In das hin- und herschwankende Wortgefecht, das in derber Weise, aber ohne
jede Malice geführt wird, und aus dem hervorgeht, daß Amalasunta ihren Goten


Grenzboten I 1908 70
König Laurin

können, als sich je eher je lieber mit dem besten und tapfersten ihrer Goten zu
vermahlen. Dem verstorbnen Gatten weint sie keine Träne nach: es ist von ihm
in dem Stück nur einmal beiläufig als dem Vater ihres gleichfalls verstorbnen
Söhnchens Athnlarich die Rede, und sie scheint keine guten Erfahrungen in der
Ehe gemacht zu haben, denn sie will keinem zweiten Goten die Hand reichen,
sie will nicht, wie sie sich etwas drastisch ausdrückt, „in den Stall des Manns
heruntersteigen," und sie bezeichnet das von den Goten an sie gestellte Ver¬
langen, sich wieder zu vermählen, mis schnöde, weil die Wahl ihr aufgezwungen
wird. — Die Königin Elisabeth sagt ganz ähnlich: „Und der Gebieter wird mir
aufgedrungen."

Ich bekenne offen, daß mir das großsprecherische, phantastische Überweib im
Grunde ein wenig zuwider ist, aber sie einem znwiderzumachen ist nicht Wilden¬
bruchs Absicht, denn sie ist die Heldin des Stücks, und wenn die Darstellerin der
Rolle von stattlicher Erscheinung ist, schöne Arme und üppige blonde Haare hat,
so müßte es mit Kräutern zugehn, wenn sie einem nicht schließlich doch gefiele,
namentlich da ihre Gegner, das byzantinische Kaiserpaar, Justinian und seine Theo-
dora, von Wildenbruch als ein so gottvergeßnes, elendes Pack, als solche Bagasch,
wie der Wiener sagt, geschildert werden, daß man sich schon um des Gegensatzes
willen in Amnlasunta verliebt.

Gleich am Anfang des Stücks hat sie eine kncmplige Auseinandersetzung mit
ihren Goten, an der das sonderbarste ist, daß sie in Gegenwart der Abgesandten
des byzantinischen Kaisers in einer Weise geschieht, mis wenn es nicht der Mühe
wert wäre, sich vor ihnen much nur im mindesten zu genieren. I^o lin^o half Sö
iavs EU tÄmille-, sagt der Franzose. Die gotische Königin und ihre Recken sind
offenbar andrer Meinung. Es ist der „Tag" Theoderichs, dessen Andenken bei
dieser Gelegenheit dem Herkommen und einer Bestimmung des Verstorbnen gemäß
im Palast durch ein Fest, ein Trinkgelage gefeiert werden soll, also ungefähr die¬
selbe Idee, die in studentischen Kreisen dem Trauersalamander zu Grunde liegt.
Amalasunta hat diese Festfeier verboten, weil sie nicht ihren Gefühlen entspricht,
und es entspinnt sich zwischen ihr und ihren Goten in Gegenwart einer aus¬
ländischen Gesandtschaft eine Auseinandersetzung, deren größter Vorzug beider¬
seitige Offenheit ohne ängstliche Bedenklichkeit in der Wahl der gebrauchten Aus¬
drücke ist. Zwei bejahrte Führer Kunignst und Triguilln entwickeln Ansichten, die
einen anfänglich etwas befremden, über diese Befremdung trägt wesentlich drzu bei,
einen in das rein gotische Milien zu versetzen, und da die Vorwürfe, die man sich
gegenseitig macht, ein durchaus biedres Gepräge tragen, so findet man sich ohne
zu große Mühe in den einmal eingeschlagnen äußerst Patriarchalischeu Ton. Amala¬
sunta sagt von dem Palast:


Theoderich ging hin.
Jetzt ists mein Hans.

Damit sage sie etwas Falsches, behauptet der alte Triguilla.


Den Goten allesamt gehört das Haus.
Du bist Verwalterin.

Eine Art Kommunismus, den die Königin bcgreiflichermaßen nicht gelten läßt,
und gegen den sie zu Felde zieht, indem sie ausruft:


Verwalterin?

: Nichts andres.

Kunigast
(fährt vom Stuhle auf):
Amnlasuntn

Dir Gebieterin!

Dir Königin!


Triguilla:

Das gibts nicht bei den Goten.
Wo ist der König zu der Königin?
Weib ohne Mann ist halb.


In das hin- und herschwankende Wortgefecht, das in derber Weise, aber ohne
jede Malice geführt wird, und aus dem hervorgeht, daß Amalasunta ihren Goten


Grenzboten I 1908 70
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[0553] König Laurin können, als sich je eher je lieber mit dem besten und tapfersten ihrer Goten zu vermahlen. Dem verstorbnen Gatten weint sie keine Träne nach: es ist von ihm in dem Stück nur einmal beiläufig als dem Vater ihres gleichfalls verstorbnen Söhnchens Athnlarich die Rede, und sie scheint keine guten Erfahrungen in der Ehe gemacht zu haben, denn sie will keinem zweiten Goten die Hand reichen, sie will nicht, wie sie sich etwas drastisch ausdrückt, „in den Stall des Manns heruntersteigen," und sie bezeichnet das von den Goten an sie gestellte Ver¬ langen, sich wieder zu vermählen, mis schnöde, weil die Wahl ihr aufgezwungen wird. — Die Königin Elisabeth sagt ganz ähnlich: „Und der Gebieter wird mir aufgedrungen." Ich bekenne offen, daß mir das großsprecherische, phantastische Überweib im Grunde ein wenig zuwider ist, aber sie einem znwiderzumachen ist nicht Wilden¬ bruchs Absicht, denn sie ist die Heldin des Stücks, und wenn die Darstellerin der Rolle von stattlicher Erscheinung ist, schöne Arme und üppige blonde Haare hat, so müßte es mit Kräutern zugehn, wenn sie einem nicht schließlich doch gefiele, namentlich da ihre Gegner, das byzantinische Kaiserpaar, Justinian und seine Theo- dora, von Wildenbruch als ein so gottvergeßnes, elendes Pack, als solche Bagasch, wie der Wiener sagt, geschildert werden, daß man sich schon um des Gegensatzes willen in Amnlasunta verliebt. Gleich am Anfang des Stücks hat sie eine kncmplige Auseinandersetzung mit ihren Goten, an der das sonderbarste ist, daß sie in Gegenwart der Abgesandten des byzantinischen Kaisers in einer Weise geschieht, mis wenn es nicht der Mühe wert wäre, sich vor ihnen much nur im mindesten zu genieren. I^o lin^o half Sö iavs EU tÄmille-, sagt der Franzose. Die gotische Königin und ihre Recken sind offenbar andrer Meinung. Es ist der „Tag" Theoderichs, dessen Andenken bei dieser Gelegenheit dem Herkommen und einer Bestimmung des Verstorbnen gemäß im Palast durch ein Fest, ein Trinkgelage gefeiert werden soll, also ungefähr die¬ selbe Idee, die in studentischen Kreisen dem Trauersalamander zu Grunde liegt. Amalasunta hat diese Festfeier verboten, weil sie nicht ihren Gefühlen entspricht, und es entspinnt sich zwischen ihr und ihren Goten in Gegenwart einer aus¬ ländischen Gesandtschaft eine Auseinandersetzung, deren größter Vorzug beider¬ seitige Offenheit ohne ängstliche Bedenklichkeit in der Wahl der gebrauchten Aus¬ drücke ist. Zwei bejahrte Führer Kunignst und Triguilln entwickeln Ansichten, die einen anfänglich etwas befremden, über diese Befremdung trägt wesentlich drzu bei, einen in das rein gotische Milien zu versetzen, und da die Vorwürfe, die man sich gegenseitig macht, ein durchaus biedres Gepräge tragen, so findet man sich ohne zu große Mühe in den einmal eingeschlagnen äußerst Patriarchalischeu Ton. Amala¬ sunta sagt von dem Palast: Theoderich ging hin. Jetzt ists mein Hans. Damit sage sie etwas Falsches, behauptet der alte Triguilla. Den Goten allesamt gehört das Haus. Du bist Verwalterin. Eine Art Kommunismus, den die Königin bcgreiflichermaßen nicht gelten läßt, und gegen den sie zu Felde zieht, indem sie ausruft: Verwalterin? : Nichts andres. Kunigast (fährt vom Stuhle auf): Amnlasuntn Dir Gebieterin! Dir Königin! Triguilla: Das gibts nicht bei den Goten. Wo ist der König zu der Königin? Weib ohne Mann ist halb. In das hin- und herschwankende Wortgefecht, das in derber Weise, aber ohne jede Malice geführt wird, und aus dem hervorgeht, daß Amalasunta ihren Goten Grenzboten I 1908 70

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_239555/553>, abgerufen am 24.11.2024.