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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Erstes Vierteljahr.

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Moderne englische Schnhzöllner

bisher die Nachteile des Freihandels an wenigsten empfunden haben, da ihnen
der Abfluß in die sich rasch vermehrenden Schichten der Zwischenglieder immer
möglich war, scheint mitgewirkt zu haben. Wenn aber die Zwischcnklasse an
die'Grenze ihrer Aufnahmefähigkeit gekommen sei, würden auch die Arbeiter
Schutzzöllner werden, und dann sei auch der Sieg der Bewegung gewiß. Ähnlich
werde den Landwirten der Schutzzoll eine Erhöhung ihrer Renten und eine
Steigerung des Ertrags bringen, sodaß diese Klasse, die solange die Führern,
in der Schutzzollbewegung gewesen sei, wieder für den Schutz der Produktion
eintreten müsse.

Es macht also die Lage aller Teile der Bevölkerung von England mit
Ausnahme des dem Handel und dem Transportwesen angehörenden die Ein¬
führung des Schutzzolls notwendig. Allerdings null Byng nicht nur den Schutz
zoll, sondern ein vollständiges "Schutzsystem," d. h. die Tätigkeit der Staats
gewalt ans allen ihr zugänglichen Wegen zur Beförderung des Handels und
der Industrie. Sogar Verstaatlichung der Eisenbahnen wird verlangt; auch
soll dieses "Schutzsystem" nicht auf England beschränkt bleiben, sondern als
eine Art Zollverein das gesamte britische Reich umfassen und so dem englischen
Produzenten den ihm gebührenden Markt, d. h. den einheimischen und den der
großen volkreichen Kolonien, wieder sichern. Freilich verhehlt sich Byng nicht,
daß der Einführung dieser Handelsform große Schwierigkeiten entgegenstehn,
jn daß sie zu politischen Wirren, sogar zum Kriege führen könne. Aber er
meint, um der Sache willen müsse man auch die Folgen ans sich nehmen, denn
der Schutzzoll werde dem Lande, dadurch daß der Verdienst der fremden Pro¬
duzenten und des Zwischenhandels aufhöre, und die dem Freihandel eigentüm¬
liche Verschwendung eingeschränkt werde, in der Minute hundert Pfund ein¬
bringen. Die Einführung des Schutzes erwartet der Verfasser spätestens im
Jahre 1912. Er teilt die Periode des Freihandels in England in drei Teile
ein: in eine Zeit, wo er dem Lande nnr Vorteile gebracht hat, von 1840
bis 1875, in die Zeit vou 1870 bis 1900, wo die Vorteile deu Nachteilen
gleich gewesen sind, bis schließlich in der dritten Periode, in der wir gegen¬
wärtig stehn, die Nachteile so überwiegen, daß bis zu dem genannten Jahre
der Übergang zum "Schutzsystem" wieder erfolgen werde.

Ob sich diese Prophezeiung, die dein Deutschen Reich eine wesentliche Be¬
schränkung seines Absatzes bringen würde, so rasch erfüllen wird, ob namentlich
Byng nicht den Einfluß der Zwischenhändler in England, der noch in der Zu¬
nahme begriffen ist, unterschätzt, muß die Zukunft lehren. Jedenfalls sind die
besprochnen Schriften ein Beweis dafür, daß auch der Freihandel gewichtige
Nachteile mit sich bringt, die von den deutschen Freihändlern wohl beachtet
werden sollten, und daß namentlich eine große Industrie in einem Lande der
Freihandelspolitik, solange diese nicht allgemein durchgeführt ist, schweren Ge¬
fahren ausgesetzt ist.




Moderne englische Schnhzöllner

bisher die Nachteile des Freihandels an wenigsten empfunden haben, da ihnen
der Abfluß in die sich rasch vermehrenden Schichten der Zwischenglieder immer
möglich war, scheint mitgewirkt zu haben. Wenn aber die Zwischcnklasse an
die'Grenze ihrer Aufnahmefähigkeit gekommen sei, würden auch die Arbeiter
Schutzzöllner werden, und dann sei auch der Sieg der Bewegung gewiß. Ähnlich
werde den Landwirten der Schutzzoll eine Erhöhung ihrer Renten und eine
Steigerung des Ertrags bringen, sodaß diese Klasse, die solange die Führern,
in der Schutzzollbewegung gewesen sei, wieder für den Schutz der Produktion
eintreten müsse.

Es macht also die Lage aller Teile der Bevölkerung von England mit
Ausnahme des dem Handel und dem Transportwesen angehörenden die Ein¬
führung des Schutzzolls notwendig. Allerdings null Byng nicht nur den Schutz
zoll, sondern ein vollständiges „Schutzsystem," d. h. die Tätigkeit der Staats
gewalt ans allen ihr zugänglichen Wegen zur Beförderung des Handels und
der Industrie. Sogar Verstaatlichung der Eisenbahnen wird verlangt; auch
soll dieses „Schutzsystem" nicht auf England beschränkt bleiben, sondern als
eine Art Zollverein das gesamte britische Reich umfassen und so dem englischen
Produzenten den ihm gebührenden Markt, d. h. den einheimischen und den der
großen volkreichen Kolonien, wieder sichern. Freilich verhehlt sich Byng nicht,
daß der Einführung dieser Handelsform große Schwierigkeiten entgegenstehn,
jn daß sie zu politischen Wirren, sogar zum Kriege führen könne. Aber er
meint, um der Sache willen müsse man auch die Folgen ans sich nehmen, denn
der Schutzzoll werde dem Lande, dadurch daß der Verdienst der fremden Pro¬
duzenten und des Zwischenhandels aufhöre, und die dem Freihandel eigentüm¬
liche Verschwendung eingeschränkt werde, in der Minute hundert Pfund ein¬
bringen. Die Einführung des Schutzes erwartet der Verfasser spätestens im
Jahre 1912. Er teilt die Periode des Freihandels in England in drei Teile
ein: in eine Zeit, wo er dem Lande nnr Vorteile gebracht hat, von 1840
bis 1875, in die Zeit vou 1870 bis 1900, wo die Vorteile deu Nachteilen
gleich gewesen sind, bis schließlich in der dritten Periode, in der wir gegen¬
wärtig stehn, die Nachteile so überwiegen, daß bis zu dem genannten Jahre
der Übergang zum „Schutzsystem" wieder erfolgen werde.

Ob sich diese Prophezeiung, die dein Deutschen Reich eine wesentliche Be¬
schränkung seines Absatzes bringen würde, so rasch erfüllen wird, ob namentlich
Byng nicht den Einfluß der Zwischenhändler in England, der noch in der Zu¬
nahme begriffen ist, unterschätzt, muß die Zukunft lehren. Jedenfalls sind die
besprochnen Schriften ein Beweis dafür, daß auch der Freihandel gewichtige
Nachteile mit sich bringt, die von den deutschen Freihändlern wohl beachtet
werden sollten, und daß namentlich eine große Industrie in einem Lande der
Freihandelspolitik, solange diese nicht allgemein durchgeführt ist, schweren Ge¬
fahren ausgesetzt ist.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_239555/519>, abgerufen am 28.07.2024.