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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Erstes Vierteljahr.

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Moderne englische ^chutzzöllner

s ist für uns Deutsche, die wir gegenwärtig vor einer wichtigen
Entscheidung über die Gestaltung unsrer handelspolitischen Zu¬
kunft stehn, gewiß von Interesse, die Wirkungen der verschiednen
Handelsformen, soweit diese in den einzelnen Staaten durch¬
geführt sind, zu studieren. Die Erfolge des Schutzzolles können
wir nach unsrer eignen Erfahrung beurteilen, dagegen müssen wir, wenn wir
die Ergebnisse des Freihandels kennen lernen wollen, fremde, vor allem eng¬
lische Verhältnisse untersuchen. In England, das seit 1846 eine freihändlerische
Politik getrieben hat, erheben sich in der letzten Zeit Stimmen, die mehr als
bisher die Nachteile dieser Politik betonen und sogar für den Schutzzoll ein¬
treten. Nach einer langen Periode der wirtschaftlichen Blüte und der Über¬
legenheit über seine Konkurrenten steht England jetzt einem wachsenden Wett¬
bewerb andrer, durch Zölle geschützter Völker, besonders der Deutschen und
der Nordamerikaner, gegenüber, einer Konkurrenz, die nicht nur den Absatz
englischer Waren auf fremden Märkten bedroht, sondern auch auf dem Markte
des Mutterlandes selbst Fuß faßt. Diese Erscheinung hat natürlich den Wunsch
einer Abwehr mit gleichen Mitteln erwecken müssen.

Zuerst allerdings versuchte England, die Gefahr mit leichtern Waffen zu
bekämpfen. In der Meinung, daß die äußerlich den englischen Waren voll¬
ständig gleichenden fremden Erzeugnisse ihrem innern Werte nach nnr Schnnd-
ware seien, die mit den bessern englischen Artikeln nicht konkurrieren könnten,
sobald sie nur als fremde erkannt wären, bestimmte die Merchcmdise Mark Act
vom Jahre 1887, daß jede in England einzuführende Ware mit der Bezeich¬
nung des Ursprungslandes versehen werden müsse. Zum Vorteil unsrer In¬
dustrie entsprachen jedoch die Erfolge dieser Maßregel nicht den Erwartungen
der Engländer. Denn es stellte sich nicht nur heraus, daß eine viel größere
Warenmenge, als man vermutet hatte, fremden Ursprungs war, sondern es
erschienen auch Waren der besten Qualität, an deren englischer Herkunft man
nie gezweifelt hatte, mit fremden Ursprungszeugnissen und dienten so als
wirksamste Reklame für die Industrie ihres Heimatlandes. Das Gesetz hatte
also, anstatt der englischen Produktion Hilfe zu bringen, die Gefahr nur noch
vergrößert. Kein Wunder, daß bald nach schärfern Abwehrmaßregeln gerufen


Grenzboten l 1903 65


Moderne englische ^chutzzöllner

s ist für uns Deutsche, die wir gegenwärtig vor einer wichtigen
Entscheidung über die Gestaltung unsrer handelspolitischen Zu¬
kunft stehn, gewiß von Interesse, die Wirkungen der verschiednen
Handelsformen, soweit diese in den einzelnen Staaten durch¬
geführt sind, zu studieren. Die Erfolge des Schutzzolles können
wir nach unsrer eignen Erfahrung beurteilen, dagegen müssen wir, wenn wir
die Ergebnisse des Freihandels kennen lernen wollen, fremde, vor allem eng¬
lische Verhältnisse untersuchen. In England, das seit 1846 eine freihändlerische
Politik getrieben hat, erheben sich in der letzten Zeit Stimmen, die mehr als
bisher die Nachteile dieser Politik betonen und sogar für den Schutzzoll ein¬
treten. Nach einer langen Periode der wirtschaftlichen Blüte und der Über¬
legenheit über seine Konkurrenten steht England jetzt einem wachsenden Wett¬
bewerb andrer, durch Zölle geschützter Völker, besonders der Deutschen und
der Nordamerikaner, gegenüber, einer Konkurrenz, die nicht nur den Absatz
englischer Waren auf fremden Märkten bedroht, sondern auch auf dem Markte
des Mutterlandes selbst Fuß faßt. Diese Erscheinung hat natürlich den Wunsch
einer Abwehr mit gleichen Mitteln erwecken müssen.

Zuerst allerdings versuchte England, die Gefahr mit leichtern Waffen zu
bekämpfen. In der Meinung, daß die äußerlich den englischen Waren voll¬
ständig gleichenden fremden Erzeugnisse ihrem innern Werte nach nnr Schnnd-
ware seien, die mit den bessern englischen Artikeln nicht konkurrieren könnten,
sobald sie nur als fremde erkannt wären, bestimmte die Merchcmdise Mark Act
vom Jahre 1887, daß jede in England einzuführende Ware mit der Bezeich¬
nung des Ursprungslandes versehen werden müsse. Zum Vorteil unsrer In¬
dustrie entsprachen jedoch die Erfolge dieser Maßregel nicht den Erwartungen
der Engländer. Denn es stellte sich nicht nur heraus, daß eine viel größere
Warenmenge, als man vermutet hatte, fremden Ursprungs war, sondern es
erschienen auch Waren der besten Qualität, an deren englischer Herkunft man
nie gezweifelt hatte, mit fremden Ursprungszeugnissen und dienten so als
wirksamste Reklame für die Industrie ihres Heimatlandes. Das Gesetz hatte
also, anstatt der englischen Produktion Hilfe zu bringen, die Gefahr nur noch
vergrößert. Kein Wunder, daß bald nach schärfern Abwehrmaßregeln gerufen


Grenzboten l 1903 65
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[0513] [Abbildung] Moderne englische ^chutzzöllner s ist für uns Deutsche, die wir gegenwärtig vor einer wichtigen Entscheidung über die Gestaltung unsrer handelspolitischen Zu¬ kunft stehn, gewiß von Interesse, die Wirkungen der verschiednen Handelsformen, soweit diese in den einzelnen Staaten durch¬ geführt sind, zu studieren. Die Erfolge des Schutzzolles können wir nach unsrer eignen Erfahrung beurteilen, dagegen müssen wir, wenn wir die Ergebnisse des Freihandels kennen lernen wollen, fremde, vor allem eng¬ lische Verhältnisse untersuchen. In England, das seit 1846 eine freihändlerische Politik getrieben hat, erheben sich in der letzten Zeit Stimmen, die mehr als bisher die Nachteile dieser Politik betonen und sogar für den Schutzzoll ein¬ treten. Nach einer langen Periode der wirtschaftlichen Blüte und der Über¬ legenheit über seine Konkurrenten steht England jetzt einem wachsenden Wett¬ bewerb andrer, durch Zölle geschützter Völker, besonders der Deutschen und der Nordamerikaner, gegenüber, einer Konkurrenz, die nicht nur den Absatz englischer Waren auf fremden Märkten bedroht, sondern auch auf dem Markte des Mutterlandes selbst Fuß faßt. Diese Erscheinung hat natürlich den Wunsch einer Abwehr mit gleichen Mitteln erwecken müssen. Zuerst allerdings versuchte England, die Gefahr mit leichtern Waffen zu bekämpfen. In der Meinung, daß die äußerlich den englischen Waren voll¬ ständig gleichenden fremden Erzeugnisse ihrem innern Werte nach nnr Schnnd- ware seien, die mit den bessern englischen Artikeln nicht konkurrieren könnten, sobald sie nur als fremde erkannt wären, bestimmte die Merchcmdise Mark Act vom Jahre 1887, daß jede in England einzuführende Ware mit der Bezeich¬ nung des Ursprungslandes versehen werden müsse. Zum Vorteil unsrer In¬ dustrie entsprachen jedoch die Erfolge dieser Maßregel nicht den Erwartungen der Engländer. Denn es stellte sich nicht nur heraus, daß eine viel größere Warenmenge, als man vermutet hatte, fremden Ursprungs war, sondern es erschienen auch Waren der besten Qualität, an deren englischer Herkunft man nie gezweifelt hatte, mit fremden Ursprungszeugnissen und dienten so als wirksamste Reklame für die Industrie ihres Heimatlandes. Das Gesetz hatte also, anstatt der englischen Produktion Hilfe zu bringen, die Gefahr nur noch vergrößert. Kein Wunder, daß bald nach schärfern Abwehrmaßregeln gerufen Grenzboten l 1903 65

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_239555/513>, abgerufen am 24.11.2024.