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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Erstes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

Die Erziehung ist nicht Sache des Staats, sondern der Gesellschaft, und der Staat
hat die Erziehungsarbeit der Gesellschaft nur zu regeln, damit die Zöglinge und
anderseits die verschiednen erziehenden Gesellschaftskreise zu ihren Rechten kommen.
Die von ihm selbst geleitete Heereserziehung kommt für ihn selbst als solche nicht
in Betracht, sondern sie geht hervor aus dem Interesse seiner Selbsterhaltung. Der
Staat braucht Militär; dieses Militär zieht er sich heran. Aber eine ähnliche Auf¬
gabe für Frauen hat der Staat nicht; öffentlichen Frauendienst im Interesse seiner
Selbsterhaltung braucht er nicht. Es wäre darum schlechterdings nicht durch¬
führbar, daß der Staat jedem jungen Mädchen, das die genügende Gesundheit
hat, einen ähnlichen öffentlichen Dienst abverlangte, wie er ihn von jedem jungen
Manne fordert.

Treten nun doch junge Mädchen in solche Arbeit, so ist das von großer Be¬
deutung, denn ihr Dienst wird dann wirklich ein "freiwilliger." Die größten
Leistungen werden ja immer da gesichert, wo man eine Leistung nicht erzwingt,
sondern wo sie freiwillig aus Überzeugung und ans Liebe getan wird.

Wollen wir einen öffentlichen Freiwilligendienst der Frau, so muß er zunächst
ein Dienst im Interesse der Allgemeinheit sein, er muß ferner der natürlichen Be¬
gabung und Neigung der Frau entsprechen, und endlich muß seine Organisation
derart sein, daß sie nach allen Richtungen hin das Interesse der Frau wahrt und
ihre soziale Erziehung zu fördern geeignet ist. Hierfür ergibt sich als geeignetstes
Mittel die Arbeit im Krankenhause. Deun die Krankenpflege ist etwas, was je
länger je mehr eine wirkliche Übung und ein Verständnis verlangt. Krankenpflege
will gelernt sein. Sie liegt überdies im allgemeinen Interesse, umso mehr, je mehr
die Krankenhäuser uach Zahl und Größe wachsen, und die Krankenpflege aus dem
Hause in das Krankenhaus verlegt wird. Die Krankenpflege ist ferner etwas, was
dem weiblichen Gemüt voll entspricht; während der Mann etwas tun will, will
die Frau einem andern Wesen etwas sein. Kaum mehr aber hat sie Gelegenheit,
jemand etwas zu sein, als wenn sie einen Kranken, ans ihre Hilfe Angewiesenen
Pflegt. So ist es eine begreifliche Tatsache, daß durchgängig von den Pflegerinnen
Typhus- und ähnliche schwere Pflegen am liebsten geleistet werden, weil sie hier
ganz das Gefühl haben, den Kranken eine Hilfe sein zu können und zu müssen.
Die Pflege in einem größern Krankenhause gibt zudem Gelegenheit zur Entwicklung
des Gemeinsinns, sowohl in dem Nebeneinanderwohnen und -arbeiten der Pflege¬
rinnen, wie darin, daß sie den verschiednen Volksklassen zu dienen haben. Zumal
dann, wenn die Pflegerinnen den gebildeten Ständen angehören, ist diese Tatsache
von großer Bedeutung, weil überwiegend die Krankenhäuser von Leuten einfacher
Stände aufgesucht werden, und es sehr wichtig ist, daß Persönlichkeiten ans einer
höhern sozialen Stellung diesen einfachen Männern und Frauen dienen. Diese
sehen dann, daß jene arbeiten können und wollen, und zwar solche Arbeiten leisten,
die sie selber als wirkliche Leistungen zu würdigen gewöhnt sind, und ferner, daß
sie ihnen dienen wollen, obwohl sie sozial über ihnen stehn. Das ist begreiflicher¬
weise von bedeutendem sozialen Einfluß auf die Patienten, aber umgekehrt auch
für die Pflegerinnen ein wichtiges Mittel der sozialen Erziehung.

Ich selber habe in dem Evangelischen Diakonieverein diesen Gedanken zu ver¬
wirklichen gesucht. Dieser Verein ist zwar nicht ausschließlich dafür geschaffen, das
Freiwilligenjahr für Frauen zu ermöglichen, sondern es ist ein konfessioneller Verein,
ebenso wie es die Diakouisscnhnuser sind, und steht wie diese im Dienste der evan¬
gelischen Gemeinde; er will die evangelische Diakonie fördern, aber er will dies
dadurch, daß er denen, die er in die Diakonie stellt, seinerseits dient. Und so ist
für Zweck, beruflvsen Frauen durch Erziehung. Berufsbildung und genossenschaft¬
liche Anstellung und Sicherstellung für ihr Leben Inhalt, Unterhalt und Rückhalt
ZU gewähren und durch ihre Verwendung in der evangelischen Diakonie diese selbst
zu fördern. Die Aufgaben sind nicht bloß Krankenpflege, sondern auch andre Formen
der weiblichen Diakonie; und insofern steckt der Verein seine Grenze weiter, als es


Maßgebliches und Unmaßgebliches

Die Erziehung ist nicht Sache des Staats, sondern der Gesellschaft, und der Staat
hat die Erziehungsarbeit der Gesellschaft nur zu regeln, damit die Zöglinge und
anderseits die verschiednen erziehenden Gesellschaftskreise zu ihren Rechten kommen.
Die von ihm selbst geleitete Heereserziehung kommt für ihn selbst als solche nicht
in Betracht, sondern sie geht hervor aus dem Interesse seiner Selbsterhaltung. Der
Staat braucht Militär; dieses Militär zieht er sich heran. Aber eine ähnliche Auf¬
gabe für Frauen hat der Staat nicht; öffentlichen Frauendienst im Interesse seiner
Selbsterhaltung braucht er nicht. Es wäre darum schlechterdings nicht durch¬
führbar, daß der Staat jedem jungen Mädchen, das die genügende Gesundheit
hat, einen ähnlichen öffentlichen Dienst abverlangte, wie er ihn von jedem jungen
Manne fordert.

Treten nun doch junge Mädchen in solche Arbeit, so ist das von großer Be¬
deutung, denn ihr Dienst wird dann wirklich ein „freiwilliger." Die größten
Leistungen werden ja immer da gesichert, wo man eine Leistung nicht erzwingt,
sondern wo sie freiwillig aus Überzeugung und ans Liebe getan wird.

Wollen wir einen öffentlichen Freiwilligendienst der Frau, so muß er zunächst
ein Dienst im Interesse der Allgemeinheit sein, er muß ferner der natürlichen Be¬
gabung und Neigung der Frau entsprechen, und endlich muß seine Organisation
derart sein, daß sie nach allen Richtungen hin das Interesse der Frau wahrt und
ihre soziale Erziehung zu fördern geeignet ist. Hierfür ergibt sich als geeignetstes
Mittel die Arbeit im Krankenhause. Deun die Krankenpflege ist etwas, was je
länger je mehr eine wirkliche Übung und ein Verständnis verlangt. Krankenpflege
will gelernt sein. Sie liegt überdies im allgemeinen Interesse, umso mehr, je mehr
die Krankenhäuser uach Zahl und Größe wachsen, und die Krankenpflege aus dem
Hause in das Krankenhaus verlegt wird. Die Krankenpflege ist ferner etwas, was
dem weiblichen Gemüt voll entspricht; während der Mann etwas tun will, will
die Frau einem andern Wesen etwas sein. Kaum mehr aber hat sie Gelegenheit,
jemand etwas zu sein, als wenn sie einen Kranken, ans ihre Hilfe Angewiesenen
Pflegt. So ist es eine begreifliche Tatsache, daß durchgängig von den Pflegerinnen
Typhus- und ähnliche schwere Pflegen am liebsten geleistet werden, weil sie hier
ganz das Gefühl haben, den Kranken eine Hilfe sein zu können und zu müssen.
Die Pflege in einem größern Krankenhause gibt zudem Gelegenheit zur Entwicklung
des Gemeinsinns, sowohl in dem Nebeneinanderwohnen und -arbeiten der Pflege¬
rinnen, wie darin, daß sie den verschiednen Volksklassen zu dienen haben. Zumal
dann, wenn die Pflegerinnen den gebildeten Ständen angehören, ist diese Tatsache
von großer Bedeutung, weil überwiegend die Krankenhäuser von Leuten einfacher
Stände aufgesucht werden, und es sehr wichtig ist, daß Persönlichkeiten ans einer
höhern sozialen Stellung diesen einfachen Männern und Frauen dienen. Diese
sehen dann, daß jene arbeiten können und wollen, und zwar solche Arbeiten leisten,
die sie selber als wirkliche Leistungen zu würdigen gewöhnt sind, und ferner, daß
sie ihnen dienen wollen, obwohl sie sozial über ihnen stehn. Das ist begreiflicher¬
weise von bedeutendem sozialen Einfluß auf die Patienten, aber umgekehrt auch
für die Pflegerinnen ein wichtiges Mittel der sozialen Erziehung.

Ich selber habe in dem Evangelischen Diakonieverein diesen Gedanken zu ver¬
wirklichen gesucht. Dieser Verein ist zwar nicht ausschließlich dafür geschaffen, das
Freiwilligenjahr für Frauen zu ermöglichen, sondern es ist ein konfessioneller Verein,
ebenso wie es die Diakouisscnhnuser sind, und steht wie diese im Dienste der evan¬
gelischen Gemeinde; er will die evangelische Diakonie fördern, aber er will dies
dadurch, daß er denen, die er in die Diakonie stellt, seinerseits dient. Und so ist
für Zweck, beruflvsen Frauen durch Erziehung. Berufsbildung und genossenschaft¬
liche Anstellung und Sicherstellung für ihr Leben Inhalt, Unterhalt und Rückhalt
ZU gewähren und durch ihre Verwendung in der evangelischen Diakonie diese selbst
zu fördern. Die Aufgaben sind nicht bloß Krankenpflege, sondern auch andre Formen
der weiblichen Diakonie; und insofern steckt der Verein seine Grenze weiter, als es


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[0511] Maßgebliches und Unmaßgebliches Die Erziehung ist nicht Sache des Staats, sondern der Gesellschaft, und der Staat hat die Erziehungsarbeit der Gesellschaft nur zu regeln, damit die Zöglinge und anderseits die verschiednen erziehenden Gesellschaftskreise zu ihren Rechten kommen. Die von ihm selbst geleitete Heereserziehung kommt für ihn selbst als solche nicht in Betracht, sondern sie geht hervor aus dem Interesse seiner Selbsterhaltung. Der Staat braucht Militär; dieses Militär zieht er sich heran. Aber eine ähnliche Auf¬ gabe für Frauen hat der Staat nicht; öffentlichen Frauendienst im Interesse seiner Selbsterhaltung braucht er nicht. Es wäre darum schlechterdings nicht durch¬ führbar, daß der Staat jedem jungen Mädchen, das die genügende Gesundheit hat, einen ähnlichen öffentlichen Dienst abverlangte, wie er ihn von jedem jungen Manne fordert. Treten nun doch junge Mädchen in solche Arbeit, so ist das von großer Be¬ deutung, denn ihr Dienst wird dann wirklich ein „freiwilliger." Die größten Leistungen werden ja immer da gesichert, wo man eine Leistung nicht erzwingt, sondern wo sie freiwillig aus Überzeugung und ans Liebe getan wird. Wollen wir einen öffentlichen Freiwilligendienst der Frau, so muß er zunächst ein Dienst im Interesse der Allgemeinheit sein, er muß ferner der natürlichen Be¬ gabung und Neigung der Frau entsprechen, und endlich muß seine Organisation derart sein, daß sie nach allen Richtungen hin das Interesse der Frau wahrt und ihre soziale Erziehung zu fördern geeignet ist. Hierfür ergibt sich als geeignetstes Mittel die Arbeit im Krankenhause. Deun die Krankenpflege ist etwas, was je länger je mehr eine wirkliche Übung und ein Verständnis verlangt. Krankenpflege will gelernt sein. Sie liegt überdies im allgemeinen Interesse, umso mehr, je mehr die Krankenhäuser uach Zahl und Größe wachsen, und die Krankenpflege aus dem Hause in das Krankenhaus verlegt wird. Die Krankenpflege ist ferner etwas, was dem weiblichen Gemüt voll entspricht; während der Mann etwas tun will, will die Frau einem andern Wesen etwas sein. Kaum mehr aber hat sie Gelegenheit, jemand etwas zu sein, als wenn sie einen Kranken, ans ihre Hilfe Angewiesenen Pflegt. So ist es eine begreifliche Tatsache, daß durchgängig von den Pflegerinnen Typhus- und ähnliche schwere Pflegen am liebsten geleistet werden, weil sie hier ganz das Gefühl haben, den Kranken eine Hilfe sein zu können und zu müssen. Die Pflege in einem größern Krankenhause gibt zudem Gelegenheit zur Entwicklung des Gemeinsinns, sowohl in dem Nebeneinanderwohnen und -arbeiten der Pflege¬ rinnen, wie darin, daß sie den verschiednen Volksklassen zu dienen haben. Zumal dann, wenn die Pflegerinnen den gebildeten Ständen angehören, ist diese Tatsache von großer Bedeutung, weil überwiegend die Krankenhäuser von Leuten einfacher Stände aufgesucht werden, und es sehr wichtig ist, daß Persönlichkeiten ans einer höhern sozialen Stellung diesen einfachen Männern und Frauen dienen. Diese sehen dann, daß jene arbeiten können und wollen, und zwar solche Arbeiten leisten, die sie selber als wirkliche Leistungen zu würdigen gewöhnt sind, und ferner, daß sie ihnen dienen wollen, obwohl sie sozial über ihnen stehn. Das ist begreiflicher¬ weise von bedeutendem sozialen Einfluß auf die Patienten, aber umgekehrt auch für die Pflegerinnen ein wichtiges Mittel der sozialen Erziehung. Ich selber habe in dem Evangelischen Diakonieverein diesen Gedanken zu ver¬ wirklichen gesucht. Dieser Verein ist zwar nicht ausschließlich dafür geschaffen, das Freiwilligenjahr für Frauen zu ermöglichen, sondern es ist ein konfessioneller Verein, ebenso wie es die Diakouisscnhnuser sind, und steht wie diese im Dienste der evan¬ gelischen Gemeinde; er will die evangelische Diakonie fördern, aber er will dies dadurch, daß er denen, die er in die Diakonie stellt, seinerseits dient. Und so ist für Zweck, beruflvsen Frauen durch Erziehung. Berufsbildung und genossenschaft¬ liche Anstellung und Sicherstellung für ihr Leben Inhalt, Unterhalt und Rückhalt ZU gewähren und durch ihre Verwendung in der evangelischen Diakonie diese selbst zu fördern. Die Aufgaben sind nicht bloß Krankenpflege, sondern auch andre Formen der weiblichen Diakonie; und insofern steckt der Verein seine Grenze weiter, als es

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_239555/511>, abgerufen am 27.11.2024.