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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Erstes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

Handlungen Bismarcks mit Andrassy, die dann in Wien zum Abschluß des deutsch¬
österreichischen Bündnisses führten, war der Minister von Bülow der treue Ver¬
mittler zwischen Bismcirck und dem Kaiser gewesen, bei dein wegen des von seinem
Kanzler beabsichtigten Schrittes bekanntlich manche Schwierigkeiten zu überwinden
waren. In Bismarcks Briefwechsel reichen Bülows Mitteilungen bis in den Sep¬
tember hinein. Dann erkrankte er während seines Potsdamer Sommeraufenthalts,
am 6. Oktober besuchten ihn Fürst und Fürstin Bismarck vor der Abreise nach
Varzin dort an seinem Krankenlager/") Tags zuvor war nach der Rückkehr des
Grafen Stolberg aus Baden-Baden, wo er in mehrtägigen Bemühungen dem Kaiser
die Zustimmung zu dem Vertrage abgerungen und damit einer schweren Krisis in
unserm Staatsleben vorgebeugt hatte -- für den Fall der Nichtgenehmigung war
Bismarck zum Rücktritt fest entschlossen, und Graf Stolberg hatte dies dem Kaiser
vorzutragen --, eine Sitzung des Staatsministeriums abgehalten worden, an der Bülow
nicht mehr teilnehmen konnte. Der Überführung in ein milderes Klima waren
seine Kräfte nicht mehr gewachsen, er erlag in Frankfurt einem Nervenschlage. Das
überaus warm emvfundne Schreiben, womit Kaiser Wilhelm der Erste auf die An¬
zeige vom Tode des vortreffliche" Mannes seiner Gemahlin sein tiefes Beileid in
einer für den Verstorbnen ehrenvollsten Weise aussprach, ist bisher noch nicht ver¬
öffentlicht worden, es sei hier in der Schreibweise des unvergeßlichen Monarchen
unverändert wiedergegeben:

Baden 21. 10.
79.

Nächst Ihnen, gnädige Frau, u. Ihrer Familie, hat Wohl Niemand in
Preußen ein näheres Anrecht auf Trauer als ich, auf eine gerechte Trauer, bei
dem Hintritt Ihres Gemahls! Wenn ich es nicht aussprechen kann, was ich in
ihm verlohren habe! was müssen Sie und die Ihrigen empfinden!!

Nicht nur den Staats-Mann habe ich in dem Entschlafenen verlohren, sondern
einen Freund, der mein ganzes Vertrauen besaß, u. mit einer seltenen Hingabe
sich dem schweren Wirkungskreise hingab, mit einer Umsicht, vermittelnden Sinn
u. Herzen, immer gleichen freien Blick u. Entschluß, uach reiflicher Überlegung
immer das Rechte treffend --, so viele vereinte Eigenschaften ersetzen sich nicht so
leicht, u. namentlich bei meinem hohen Alter sind solche Verluste kaum zu er¬
tragen!!

Möge Gott Ihnen diesen herben Schlag, durch Ergebung in Seinem Willen,
tragen helfen, den Theilnahme wohl lindern kann, aber der Allmächtige allein ver¬
narben läßt!


Ihrtief erschütterter
KönigWilhelm.

In Preußen war die Tüchtigkeit Bülows schon ein Vierteljahrhundert vor
seinem Eintritt in den Reichsdienst erkannt worden. Schon am 1. November 1851
bezeichnet der preußische Gesandte in Petersburg, General von Rochow, seinem Nach¬
folger uns dem Frankfurter Posten, Herrn von Bismarck-Schönhausen, den dana-



") Unmittelbar vor der Abfahrt nach Potsdam sagte Bismarck zu Busch (Tagebuchblätter
II 368): "Weisen Sie auf Brandenburg hin, an den man durch die jetzige Situation erinnert
wird. Bülow ist dadurch zu Grunde gerichtet worden .... Er soll jetzt von Potsdam nach
Berlin gebracht werden, aber ich will hernach hinaus zu ihm mit meiner Frau. Wer weiß,
ob ich ihn, wenn er dann nach Italien geht, wiedersehe. Ich soll nicht länger als eine Viertel¬
stunde bei ihm bleiben, weil mehr ihn zu sehr angreift. Ich verliere ihn höchst ungern." Bis¬
marck fügte dann auf die Bemerkung Buschs, daß Bülow eine bedeutende Arbeitskraft sei, hinzu:
"Ja, und geschickt, gescheit und treu. Ich lernte ihn schon in Frankfurt kennen und schätzen, als er
noch dänischer Bundestagsgesandter war, und dann erwies er sich auch, wie er mecklenburgischer
Minister geworden war, als Mitglied des Bundesrath sehr tüchtig, sodaß ich ihn haben mußte."
Maßgebliches und Unmaßgebliches

Handlungen Bismarcks mit Andrassy, die dann in Wien zum Abschluß des deutsch¬
österreichischen Bündnisses führten, war der Minister von Bülow der treue Ver¬
mittler zwischen Bismcirck und dem Kaiser gewesen, bei dein wegen des von seinem
Kanzler beabsichtigten Schrittes bekanntlich manche Schwierigkeiten zu überwinden
waren. In Bismarcks Briefwechsel reichen Bülows Mitteilungen bis in den Sep¬
tember hinein. Dann erkrankte er während seines Potsdamer Sommeraufenthalts,
am 6. Oktober besuchten ihn Fürst und Fürstin Bismarck vor der Abreise nach
Varzin dort an seinem Krankenlager/") Tags zuvor war nach der Rückkehr des
Grafen Stolberg aus Baden-Baden, wo er in mehrtägigen Bemühungen dem Kaiser
die Zustimmung zu dem Vertrage abgerungen und damit einer schweren Krisis in
unserm Staatsleben vorgebeugt hatte — für den Fall der Nichtgenehmigung war
Bismarck zum Rücktritt fest entschlossen, und Graf Stolberg hatte dies dem Kaiser
vorzutragen —, eine Sitzung des Staatsministeriums abgehalten worden, an der Bülow
nicht mehr teilnehmen konnte. Der Überführung in ein milderes Klima waren
seine Kräfte nicht mehr gewachsen, er erlag in Frankfurt einem Nervenschlage. Das
überaus warm emvfundne Schreiben, womit Kaiser Wilhelm der Erste auf die An¬
zeige vom Tode des vortreffliche» Mannes seiner Gemahlin sein tiefes Beileid in
einer für den Verstorbnen ehrenvollsten Weise aussprach, ist bisher noch nicht ver¬
öffentlicht worden, es sei hier in der Schreibweise des unvergeßlichen Monarchen
unverändert wiedergegeben:

Baden 21. 10.
79.

Nächst Ihnen, gnädige Frau, u. Ihrer Familie, hat Wohl Niemand in
Preußen ein näheres Anrecht auf Trauer als ich, auf eine gerechte Trauer, bei
dem Hintritt Ihres Gemahls! Wenn ich es nicht aussprechen kann, was ich in
ihm verlohren habe! was müssen Sie und die Ihrigen empfinden!!

Nicht nur den Staats-Mann habe ich in dem Entschlafenen verlohren, sondern
einen Freund, der mein ganzes Vertrauen besaß, u. mit einer seltenen Hingabe
sich dem schweren Wirkungskreise hingab, mit einer Umsicht, vermittelnden Sinn
u. Herzen, immer gleichen freien Blick u. Entschluß, uach reiflicher Überlegung
immer das Rechte treffend —, so viele vereinte Eigenschaften ersetzen sich nicht so
leicht, u. namentlich bei meinem hohen Alter sind solche Verluste kaum zu er¬
tragen!!

Möge Gott Ihnen diesen herben Schlag, durch Ergebung in Seinem Willen,
tragen helfen, den Theilnahme wohl lindern kann, aber der Allmächtige allein ver¬
narben läßt!


Ihrtief erschütterter
KönigWilhelm.

In Preußen war die Tüchtigkeit Bülows schon ein Vierteljahrhundert vor
seinem Eintritt in den Reichsdienst erkannt worden. Schon am 1. November 1851
bezeichnet der preußische Gesandte in Petersburg, General von Rochow, seinem Nach¬
folger uns dem Frankfurter Posten, Herrn von Bismarck-Schönhausen, den dana-



") Unmittelbar vor der Abfahrt nach Potsdam sagte Bismarck zu Busch (Tagebuchblätter
II 368): „Weisen Sie auf Brandenburg hin, an den man durch die jetzige Situation erinnert
wird. Bülow ist dadurch zu Grunde gerichtet worden .... Er soll jetzt von Potsdam nach
Berlin gebracht werden, aber ich will hernach hinaus zu ihm mit meiner Frau. Wer weiß,
ob ich ihn, wenn er dann nach Italien geht, wiedersehe. Ich soll nicht länger als eine Viertel¬
stunde bei ihm bleiben, weil mehr ihn zu sehr angreift. Ich verliere ihn höchst ungern." Bis¬
marck fügte dann auf die Bemerkung Buschs, daß Bülow eine bedeutende Arbeitskraft sei, hinzu:
„Ja, und geschickt, gescheit und treu. Ich lernte ihn schon in Frankfurt kennen und schätzen, als er
noch dänischer Bundestagsgesandter war, und dann erwies er sich auch, wie er mecklenburgischer
Minister geworden war, als Mitglied des Bundesrath sehr tüchtig, sodaß ich ihn haben mußte."
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[0508] Maßgebliches und Unmaßgebliches Handlungen Bismarcks mit Andrassy, die dann in Wien zum Abschluß des deutsch¬ österreichischen Bündnisses führten, war der Minister von Bülow der treue Ver¬ mittler zwischen Bismcirck und dem Kaiser gewesen, bei dein wegen des von seinem Kanzler beabsichtigten Schrittes bekanntlich manche Schwierigkeiten zu überwinden waren. In Bismarcks Briefwechsel reichen Bülows Mitteilungen bis in den Sep¬ tember hinein. Dann erkrankte er während seines Potsdamer Sommeraufenthalts, am 6. Oktober besuchten ihn Fürst und Fürstin Bismarck vor der Abreise nach Varzin dort an seinem Krankenlager/") Tags zuvor war nach der Rückkehr des Grafen Stolberg aus Baden-Baden, wo er in mehrtägigen Bemühungen dem Kaiser die Zustimmung zu dem Vertrage abgerungen und damit einer schweren Krisis in unserm Staatsleben vorgebeugt hatte — für den Fall der Nichtgenehmigung war Bismarck zum Rücktritt fest entschlossen, und Graf Stolberg hatte dies dem Kaiser vorzutragen —, eine Sitzung des Staatsministeriums abgehalten worden, an der Bülow nicht mehr teilnehmen konnte. Der Überführung in ein milderes Klima waren seine Kräfte nicht mehr gewachsen, er erlag in Frankfurt einem Nervenschlage. Das überaus warm emvfundne Schreiben, womit Kaiser Wilhelm der Erste auf die An¬ zeige vom Tode des vortreffliche» Mannes seiner Gemahlin sein tiefes Beileid in einer für den Verstorbnen ehrenvollsten Weise aussprach, ist bisher noch nicht ver¬ öffentlicht worden, es sei hier in der Schreibweise des unvergeßlichen Monarchen unverändert wiedergegeben: Baden 21. 10. 79. Nächst Ihnen, gnädige Frau, u. Ihrer Familie, hat Wohl Niemand in Preußen ein näheres Anrecht auf Trauer als ich, auf eine gerechte Trauer, bei dem Hintritt Ihres Gemahls! Wenn ich es nicht aussprechen kann, was ich in ihm verlohren habe! was müssen Sie und die Ihrigen empfinden!! Nicht nur den Staats-Mann habe ich in dem Entschlafenen verlohren, sondern einen Freund, der mein ganzes Vertrauen besaß, u. mit einer seltenen Hingabe sich dem schweren Wirkungskreise hingab, mit einer Umsicht, vermittelnden Sinn u. Herzen, immer gleichen freien Blick u. Entschluß, uach reiflicher Überlegung immer das Rechte treffend —, so viele vereinte Eigenschaften ersetzen sich nicht so leicht, u. namentlich bei meinem hohen Alter sind solche Verluste kaum zu er¬ tragen!! Möge Gott Ihnen diesen herben Schlag, durch Ergebung in Seinem Willen, tragen helfen, den Theilnahme wohl lindern kann, aber der Allmächtige allein ver¬ narben läßt! Ihrtief erschütterter KönigWilhelm. In Preußen war die Tüchtigkeit Bülows schon ein Vierteljahrhundert vor seinem Eintritt in den Reichsdienst erkannt worden. Schon am 1. November 1851 bezeichnet der preußische Gesandte in Petersburg, General von Rochow, seinem Nach¬ folger uns dem Frankfurter Posten, Herrn von Bismarck-Schönhausen, den dana- ") Unmittelbar vor der Abfahrt nach Potsdam sagte Bismarck zu Busch (Tagebuchblätter II 368): „Weisen Sie auf Brandenburg hin, an den man durch die jetzige Situation erinnert wird. Bülow ist dadurch zu Grunde gerichtet worden .... Er soll jetzt von Potsdam nach Berlin gebracht werden, aber ich will hernach hinaus zu ihm mit meiner Frau. Wer weiß, ob ich ihn, wenn er dann nach Italien geht, wiedersehe. Ich soll nicht länger als eine Viertel¬ stunde bei ihm bleiben, weil mehr ihn zu sehr angreift. Ich verliere ihn höchst ungern." Bis¬ marck fügte dann auf die Bemerkung Buschs, daß Bülow eine bedeutende Arbeitskraft sei, hinzu: „Ja, und geschickt, gescheit und treu. Ich lernte ihn schon in Frankfurt kennen und schätzen, als er noch dänischer Bundestagsgesandter war, und dann erwies er sich auch, wie er mecklenburgischer Minister geworden war, als Mitglied des Bundesrath sehr tüchtig, sodaß ich ihn haben mußte."

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_239555/508>, abgerufen am 24.11.2024.