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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Erstes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

Maßgebliches und Unmaßgebliches
Deutsche und englische Flotte.

Der Kaiser hat dem Reichstag eine von
ihm selbst gezeichnete, am 10. Januar 1903 abgeschlossene Schiffstafel geschenkt,
die eine Gegenüberstellung des deutschen und des englischen Flottenstandes an
Linienschiffen, Panzerkreuzern und Panzerdeckkreuzeru "geeignet für die Front" ver¬
anschaulicht. Es dürfte im Interesse der weitesten Kreise, und zwar beider Länder
liegen, diese Zeichnung in Deutschland wie in England der breitesten Öffentlichkeit
zugängig zu machen, man Wird sie dadurch am sichersten vor Mißdeutung schützen.
Das Zählenbild ist in Kürze folgendes:

1. In Dienst gestellt:
England 3S Linienschiffe Deutschland 8'
" 12 Panzerkreuzer " 2
" K6 Panzerdeckkreuzer " 12
II. In Reserve:
" 7 Linienschiffe " 4
" 2 Panzerkreuzer " 0
" 43 Panzerdeckkreuzer "5
zusammen: England 42 Linienschiffe Deutschland 12
" 14 Panzerkreuzer " 2
,, 109 Panzerdeckkreuzer " 17
HI. Im Bau:
England 12 Linienschiffe Deutschland 6
" 2V Panzerkreuzer " 3
" 8 Panzerdeckkreuzer " 6

Mau hat nun in Deutschland wie in England nach dem Zweck dieser Tafel
gefragt. Superkluge Leute sahen darin die Ankündigung einer neuen Flvttenvorlage,
andre gar eine gegen England geballte Faust. Eugen Richters "Freisinnige Zeitung"
konnte nicht umhin, ihren Lesern zwischen beiden Lesarten die Wahl zu lassen.
Zur Ankündigung einer neuen Flottenvorlage bedürfte es dieser Tafel schwerlich.
Denn auch wenn Deutschland im nächsten Jahre dazu übergehn sollte, ein Ansland-
geschwnder zu bauen, vielleicht eine Liniendivision und eine Kreuzerdivision, so ist ein auf
Jahre verteilter Zuwachs von acht Schiffen gegenüber dem englischen Schiffsbestande so
minimal, zumal da der englische Schiffbau ja auch nicht stillsteht, daß die etwaigen acht
deutschen Schiffe dagegen gar nicht in Betracht kommen. Noch viel weniger kann
angesichts dieser Zahlen die kaiserliche Zeichnung gar eine Drohung gegen England
sein. Verstehn wir die Sache recht, so hat Kaiser Wilhelm den Deutschen, die
beständig gegen England mit der Faust auf den Tisch schlagen, einmal mit nüch¬
ternen, aber nur zu beredten Zahlen klar machen wollen, was diese papiernen
Feldzüge gegen England in der Praxis eigentlich bedeuten. Diese Zahlen wollen
freilich nicht sagen, daß wir England unter allen Umstanden aus der Hand zu
fressen haben, wohl aber, daß es keinen Sinn hat, einen Staat, dem gegenüber
unsre Kräfte so inferiorer Natur find, unnötig zu reizen und herauszufordern.
Anderseits hat der Kaiser zugleich den Engländern und ihrer Presse zu erkennen
gegeben, daß sie sich unnötig lächerlich machen, wenn sie fortgesetzt von deutschen
Drohungen gegen England schreiben und reden. Ein Staat, der den 42 Linienschiffen
Englands 12, den 14 englischen Panzerkreuzern nur 2, den 109 Panzerdeckkreuzeru
uur 17 entgegenzustellen vermag, wird nie die Rolle des Angreifers für sich in
Anspruch nehmen können. Was die bestgemeinten Leitartikel und Parlmuentsrcdeu
uicht zu leisten vermögen, das leistet diese jeder Selbsttäuschung völlig entkleidete
Gegenüberstellung der nackten Zahlen. Nun wird ja freilich nach der Ausführung
des deutschen Flottcngcsetzcs in: Jahre 1916 -- also in dreizehn Jahren! -- die
deutsche Flotte ein stattlicheres Schlachtenwerkzeug mit 38 Linienschiffe" in der Front


Maßgebliches und Unmaßgebliches

Maßgebliches und Unmaßgebliches
Deutsche und englische Flotte.

Der Kaiser hat dem Reichstag eine von
ihm selbst gezeichnete, am 10. Januar 1903 abgeschlossene Schiffstafel geschenkt,
die eine Gegenüberstellung des deutschen und des englischen Flottenstandes an
Linienschiffen, Panzerkreuzern und Panzerdeckkreuzeru „geeignet für die Front" ver¬
anschaulicht. Es dürfte im Interesse der weitesten Kreise, und zwar beider Länder
liegen, diese Zeichnung in Deutschland wie in England der breitesten Öffentlichkeit
zugängig zu machen, man Wird sie dadurch am sichersten vor Mißdeutung schützen.
Das Zählenbild ist in Kürze folgendes:

1. In Dienst gestellt:
England 3S Linienschiffe Deutschland 8'
„ 12 Panzerkreuzer „ 2
„ K6 Panzerdeckkreuzer „ 12
II. In Reserve:
„ 7 Linienschiffe „ 4
„ 2 Panzerkreuzer „ 0
„ 43 Panzerdeckkreuzer „5
zusammen: England 42 Linienschiffe Deutschland 12
„ 14 Panzerkreuzer „ 2
,, 109 Panzerdeckkreuzer „ 17
HI. Im Bau:
England 12 Linienschiffe Deutschland 6
„ 2V Panzerkreuzer „ 3
„ 8 Panzerdeckkreuzer „ 6

Mau hat nun in Deutschland wie in England nach dem Zweck dieser Tafel
gefragt. Superkluge Leute sahen darin die Ankündigung einer neuen Flvttenvorlage,
andre gar eine gegen England geballte Faust. Eugen Richters „Freisinnige Zeitung"
konnte nicht umhin, ihren Lesern zwischen beiden Lesarten die Wahl zu lassen.
Zur Ankündigung einer neuen Flottenvorlage bedürfte es dieser Tafel schwerlich.
Denn auch wenn Deutschland im nächsten Jahre dazu übergehn sollte, ein Ansland-
geschwnder zu bauen, vielleicht eine Liniendivision und eine Kreuzerdivision, so ist ein auf
Jahre verteilter Zuwachs von acht Schiffen gegenüber dem englischen Schiffsbestande so
minimal, zumal da der englische Schiffbau ja auch nicht stillsteht, daß die etwaigen acht
deutschen Schiffe dagegen gar nicht in Betracht kommen. Noch viel weniger kann
angesichts dieser Zahlen die kaiserliche Zeichnung gar eine Drohung gegen England
sein. Verstehn wir die Sache recht, so hat Kaiser Wilhelm den Deutschen, die
beständig gegen England mit der Faust auf den Tisch schlagen, einmal mit nüch¬
ternen, aber nur zu beredten Zahlen klar machen wollen, was diese papiernen
Feldzüge gegen England in der Praxis eigentlich bedeuten. Diese Zahlen wollen
freilich nicht sagen, daß wir England unter allen Umstanden aus der Hand zu
fressen haben, wohl aber, daß es keinen Sinn hat, einen Staat, dem gegenüber
unsre Kräfte so inferiorer Natur find, unnötig zu reizen und herauszufordern.
Anderseits hat der Kaiser zugleich den Engländern und ihrer Presse zu erkennen
gegeben, daß sie sich unnötig lächerlich machen, wenn sie fortgesetzt von deutschen
Drohungen gegen England schreiben und reden. Ein Staat, der den 42 Linienschiffen
Englands 12, den 14 englischen Panzerkreuzern nur 2, den 109 Panzerdeckkreuzeru
uur 17 entgegenzustellen vermag, wird nie die Rolle des Angreifers für sich in
Anspruch nehmen können. Was die bestgemeinten Leitartikel und Parlmuentsrcdeu
uicht zu leisten vermögen, das leistet diese jeder Selbsttäuschung völlig entkleidete
Gegenüberstellung der nackten Zahlen. Nun wird ja freilich nach der Ausführung
des deutschen Flottcngcsetzcs in: Jahre 1916 — also in dreizehn Jahren! — die
deutsche Flotte ein stattlicheres Schlachtenwerkzeug mit 38 Linienschiffe» in der Front


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[0505] Maßgebliches und Unmaßgebliches Maßgebliches und Unmaßgebliches Deutsche und englische Flotte. Der Kaiser hat dem Reichstag eine von ihm selbst gezeichnete, am 10. Januar 1903 abgeschlossene Schiffstafel geschenkt, die eine Gegenüberstellung des deutschen und des englischen Flottenstandes an Linienschiffen, Panzerkreuzern und Panzerdeckkreuzeru „geeignet für die Front" ver¬ anschaulicht. Es dürfte im Interesse der weitesten Kreise, und zwar beider Länder liegen, diese Zeichnung in Deutschland wie in England der breitesten Öffentlichkeit zugängig zu machen, man Wird sie dadurch am sichersten vor Mißdeutung schützen. Das Zählenbild ist in Kürze folgendes: 1. In Dienst gestellt: England 3S Linienschiffe Deutschland 8' „ 12 Panzerkreuzer „ 2 „ K6 Panzerdeckkreuzer „ 12 II. In Reserve: „ 7 Linienschiffe „ 4 „ 2 Panzerkreuzer „ 0 „ 43 Panzerdeckkreuzer „5 zusammen: England 42 Linienschiffe Deutschland 12 „ 14 Panzerkreuzer „ 2 ,, 109 Panzerdeckkreuzer „ 17 HI. Im Bau: England 12 Linienschiffe Deutschland 6 „ 2V Panzerkreuzer „ 3 „ 8 Panzerdeckkreuzer „ 6 Mau hat nun in Deutschland wie in England nach dem Zweck dieser Tafel gefragt. Superkluge Leute sahen darin die Ankündigung einer neuen Flvttenvorlage, andre gar eine gegen England geballte Faust. Eugen Richters „Freisinnige Zeitung" konnte nicht umhin, ihren Lesern zwischen beiden Lesarten die Wahl zu lassen. Zur Ankündigung einer neuen Flottenvorlage bedürfte es dieser Tafel schwerlich. Denn auch wenn Deutschland im nächsten Jahre dazu übergehn sollte, ein Ansland- geschwnder zu bauen, vielleicht eine Liniendivision und eine Kreuzerdivision, so ist ein auf Jahre verteilter Zuwachs von acht Schiffen gegenüber dem englischen Schiffsbestande so minimal, zumal da der englische Schiffbau ja auch nicht stillsteht, daß die etwaigen acht deutschen Schiffe dagegen gar nicht in Betracht kommen. Noch viel weniger kann angesichts dieser Zahlen die kaiserliche Zeichnung gar eine Drohung gegen England sein. Verstehn wir die Sache recht, so hat Kaiser Wilhelm den Deutschen, die beständig gegen England mit der Faust auf den Tisch schlagen, einmal mit nüch¬ ternen, aber nur zu beredten Zahlen klar machen wollen, was diese papiernen Feldzüge gegen England in der Praxis eigentlich bedeuten. Diese Zahlen wollen freilich nicht sagen, daß wir England unter allen Umstanden aus der Hand zu fressen haben, wohl aber, daß es keinen Sinn hat, einen Staat, dem gegenüber unsre Kräfte so inferiorer Natur find, unnötig zu reizen und herauszufordern. Anderseits hat der Kaiser zugleich den Engländern und ihrer Presse zu erkennen gegeben, daß sie sich unnötig lächerlich machen, wenn sie fortgesetzt von deutschen Drohungen gegen England schreiben und reden. Ein Staat, der den 42 Linienschiffen Englands 12, den 14 englischen Panzerkreuzern nur 2, den 109 Panzerdeckkreuzeru uur 17 entgegenzustellen vermag, wird nie die Rolle des Angreifers für sich in Anspruch nehmen können. Was die bestgemeinten Leitartikel und Parlmuentsrcdeu uicht zu leisten vermögen, das leistet diese jeder Selbsttäuschung völlig entkleidete Gegenüberstellung der nackten Zahlen. Nun wird ja freilich nach der Ausführung des deutschen Flottcngcsetzcs in: Jahre 1916 — also in dreizehn Jahren! — die deutsche Flotte ein stattlicheres Schlachtenwerkzeug mit 38 Linienschiffe» in der Front

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_239555/505>, abgerufen am 24.11.2024.