Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Herbstbilder von der Roter und der pulsnitz

einer Meißner Familie, der Begründer der vergleichenden griechisch-römischen
Rechtsgeschichte, der seit 1845 ans Großkmehleu seinen Studien lebte und am
3, Juni 4894 hier gestorben ist. Nahe bei seinem Grabe ist eine Gartentür,
die in den Gutshof führt. Ms ich mich hier nach rechts drehte, stand ich
wie versteinert vor einem zauberhaften Anblick. Aus einem viereckigen Teiche
erhebt sich in drei Stockwerken übereinander ein Wasserschloß, so kraftvoll und
ursprünglich wie vor vier Jahrhunderten. Nichts an ihm ist geschont und
modernisiert, der Putz rauh, grau und moosig, hie und da ein schmaler Riß
im alten Gemäuer, und doch nichts ruinenhaftes daran; die Fenster leuchten in
hellen Scheiben, weiße Gardinen sind dahinter, wahrend das alte rote Ziegel¬
dach schwärzliche Dohlen mit rauschendem Flügelschlag umkreisen. So ist es
alt und jung zugleich. Wie ich so dastand, mußte ich unwillkürlich an die
moselländische Burg Eltz denken, wo ich wenig Monate vorher einen strahlenden
Septembertag verschwärmt hatte. Eltz ist älter und weit großartiger nicht
nur im Innern sondern auch in der äußern Erscheinung. Es atmet den Geist
der romanischen Kunst und der Gotik und nur in seinem spätesten Viertel den
der Renaissance, während Kmehlens Außenseite mit den drei Rundtürmen an
den Ecken -- die vierte Ecke ist scharfkantig -- durchweg das Kleid der deutschen
Renaissance trägt, aber der Kern von Kmehlen ist sicherlich auch viel älter, und
was ihm vor allem den Reiz des Echten verleiht, das sind die zwei Holzbrückcn,
die sich von Ost und West von den Ufermauern auf die gewaltigen Haustüren
zu schieben. Zwar stehn vor jeder dieser Brücken als Wächter zwei riesige
Kastanien, aber man hat doch den Eindruck: wenig Axtschläge würden genügen,
die Brücken abzubrechen, und dann stünde das Schloß wieder so trutzig einsam
mitten im Wasser wie zur Ritterzeit. Aber wozu zwei Brücken und zwei Haus¬
türen, eine nach Osten und eine nach Westen? Eine neue Reminiszenz an Eltz.
Wie Eltz trotz der gedrungnen Einheitlichkeit seiner Erscheinung eigentlich aus
vier Schlössern besteht, die um einen schmalen Hof herum liegen, deren jedes
auch einem andern Zweige der Grafen von Eltz gehörte, so ist Kmehlen wenigstens
zweigeteilt. Mitten durch das Schloß und quer über den viereckigen Hof läuft
die trennende Mauer -- hüben auf der Westseite residiert jetzt der Herr von
Lingenthal, drüben auf der Ostseite Hausen die von Rothkirch. Sie müssen
sich einander in die Fenster sehen, sie müssen sich unten im Garten gegenseitig
reden hören, sie schlafen Wand an Wand. Man denke sich statt der heutigen
Insassen Männer und Frauen vom Schlage der Monteechi und Ccipuletti
-- Romeo und Julia --, und das "Milieu" eines spannenden Schloßromans ist
fertig. Diese Teilung des Ritterguts und des Schlosses ist nicht von heute und
von gestern: schon ein Obrist Gottlob von Lüttichcm, der 1699 starb, nennt sich
auf dem Grabstein in der Kirche "Herr auf Kmehlen alten und melen Teils," ja
sie geht wohl schon auf den oben genannten Seiffart von Lüttichnn (1474) zurück,
den zwei Söhne, Seifried und Heinrich, die Stifter zweier Linien, überlebte".

(Schluß folgt)




Herbstbilder von der Roter und der pulsnitz

einer Meißner Familie, der Begründer der vergleichenden griechisch-römischen
Rechtsgeschichte, der seit 1845 ans Großkmehleu seinen Studien lebte und am
3, Juni 4894 hier gestorben ist. Nahe bei seinem Grabe ist eine Gartentür,
die in den Gutshof führt. Ms ich mich hier nach rechts drehte, stand ich
wie versteinert vor einem zauberhaften Anblick. Aus einem viereckigen Teiche
erhebt sich in drei Stockwerken übereinander ein Wasserschloß, so kraftvoll und
ursprünglich wie vor vier Jahrhunderten. Nichts an ihm ist geschont und
modernisiert, der Putz rauh, grau und moosig, hie und da ein schmaler Riß
im alten Gemäuer, und doch nichts ruinenhaftes daran; die Fenster leuchten in
hellen Scheiben, weiße Gardinen sind dahinter, wahrend das alte rote Ziegel¬
dach schwärzliche Dohlen mit rauschendem Flügelschlag umkreisen. So ist es
alt und jung zugleich. Wie ich so dastand, mußte ich unwillkürlich an die
moselländische Burg Eltz denken, wo ich wenig Monate vorher einen strahlenden
Septembertag verschwärmt hatte. Eltz ist älter und weit großartiger nicht
nur im Innern sondern auch in der äußern Erscheinung. Es atmet den Geist
der romanischen Kunst und der Gotik und nur in seinem spätesten Viertel den
der Renaissance, während Kmehlens Außenseite mit den drei Rundtürmen an
den Ecken — die vierte Ecke ist scharfkantig — durchweg das Kleid der deutschen
Renaissance trägt, aber der Kern von Kmehlen ist sicherlich auch viel älter, und
was ihm vor allem den Reiz des Echten verleiht, das sind die zwei Holzbrückcn,
die sich von Ost und West von den Ufermauern auf die gewaltigen Haustüren
zu schieben. Zwar stehn vor jeder dieser Brücken als Wächter zwei riesige
Kastanien, aber man hat doch den Eindruck: wenig Axtschläge würden genügen,
die Brücken abzubrechen, und dann stünde das Schloß wieder so trutzig einsam
mitten im Wasser wie zur Ritterzeit. Aber wozu zwei Brücken und zwei Haus¬
türen, eine nach Osten und eine nach Westen? Eine neue Reminiszenz an Eltz.
Wie Eltz trotz der gedrungnen Einheitlichkeit seiner Erscheinung eigentlich aus
vier Schlössern besteht, die um einen schmalen Hof herum liegen, deren jedes
auch einem andern Zweige der Grafen von Eltz gehörte, so ist Kmehlen wenigstens
zweigeteilt. Mitten durch das Schloß und quer über den viereckigen Hof läuft
die trennende Mauer — hüben auf der Westseite residiert jetzt der Herr von
Lingenthal, drüben auf der Ostseite Hausen die von Rothkirch. Sie müssen
sich einander in die Fenster sehen, sie müssen sich unten im Garten gegenseitig
reden hören, sie schlafen Wand an Wand. Man denke sich statt der heutigen
Insassen Männer und Frauen vom Schlage der Monteechi und Ccipuletti
— Romeo und Julia —, und das „Milieu" eines spannenden Schloßromans ist
fertig. Diese Teilung des Ritterguts und des Schlosses ist nicht von heute und
von gestern: schon ein Obrist Gottlob von Lüttichcm, der 1699 starb, nennt sich
auf dem Grabstein in der Kirche „Herr auf Kmehlen alten und melen Teils," ja
sie geht wohl schon auf den oben genannten Seiffart von Lüttichnn (1474) zurück,
den zwei Söhne, Seifried und Heinrich, die Stifter zweier Linien, überlebte».

(Schluß folgt)




<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0492" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/240048"/>
          <fw type="header" place="top"> Herbstbilder von der Roter und der pulsnitz</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_2471" prev="#ID_2470"> einer Meißner Familie, der Begründer der vergleichenden griechisch-römischen<lb/>
Rechtsgeschichte, der seit 1845 ans Großkmehleu seinen Studien lebte und am<lb/>
3, Juni 4894 hier gestorben ist. Nahe bei seinem Grabe ist eine Gartentür,<lb/>
die in den Gutshof führt. Ms ich mich hier nach rechts drehte, stand ich<lb/>
wie versteinert vor einem zauberhaften Anblick. Aus einem viereckigen Teiche<lb/>
erhebt sich in drei Stockwerken übereinander ein Wasserschloß, so kraftvoll und<lb/>
ursprünglich wie vor vier Jahrhunderten. Nichts an ihm ist geschont und<lb/>
modernisiert, der Putz rauh, grau und moosig, hie und da ein schmaler Riß<lb/>
im alten Gemäuer, und doch nichts ruinenhaftes daran; die Fenster leuchten in<lb/>
hellen Scheiben, weiße Gardinen sind dahinter, wahrend das alte rote Ziegel¬<lb/>
dach schwärzliche Dohlen mit rauschendem Flügelschlag umkreisen. So ist es<lb/>
alt und jung zugleich. Wie ich so dastand, mußte ich unwillkürlich an die<lb/>
moselländische Burg Eltz denken, wo ich wenig Monate vorher einen strahlenden<lb/>
Septembertag verschwärmt hatte. Eltz ist älter und weit großartiger nicht<lb/>
nur im Innern sondern auch in der äußern Erscheinung. Es atmet den Geist<lb/>
der romanischen Kunst und der Gotik und nur in seinem spätesten Viertel den<lb/>
der Renaissance, während Kmehlens Außenseite mit den drei Rundtürmen an<lb/>
den Ecken &#x2014; die vierte Ecke ist scharfkantig &#x2014; durchweg das Kleid der deutschen<lb/>
Renaissance trägt, aber der Kern von Kmehlen ist sicherlich auch viel älter, und<lb/>
was ihm vor allem den Reiz des Echten verleiht, das sind die zwei Holzbrückcn,<lb/>
die sich von Ost und West von den Ufermauern auf die gewaltigen Haustüren<lb/>
zu schieben. Zwar stehn vor jeder dieser Brücken als Wächter zwei riesige<lb/>
Kastanien, aber man hat doch den Eindruck: wenig Axtschläge würden genügen,<lb/>
die Brücken abzubrechen, und dann stünde das Schloß wieder so trutzig einsam<lb/>
mitten im Wasser wie zur Ritterzeit. Aber wozu zwei Brücken und zwei Haus¬<lb/>
türen, eine nach Osten und eine nach Westen? Eine neue Reminiszenz an Eltz.<lb/>
Wie Eltz trotz der gedrungnen Einheitlichkeit seiner Erscheinung eigentlich aus<lb/>
vier Schlössern besteht, die um einen schmalen Hof herum liegen, deren jedes<lb/>
auch einem andern Zweige der Grafen von Eltz gehörte, so ist Kmehlen wenigstens<lb/>
zweigeteilt. Mitten durch das Schloß und quer über den viereckigen Hof läuft<lb/>
die trennende Mauer &#x2014; hüben auf der Westseite residiert jetzt der Herr von<lb/>
Lingenthal, drüben auf der Ostseite Hausen die von Rothkirch. Sie müssen<lb/>
sich einander in die Fenster sehen, sie müssen sich unten im Garten gegenseitig<lb/>
reden hören, sie schlafen Wand an Wand. Man denke sich statt der heutigen<lb/>
Insassen Männer und Frauen vom Schlage der Monteechi und Ccipuletti<lb/>
&#x2014; Romeo und Julia &#x2014;, und das &#x201E;Milieu" eines spannenden Schloßromans ist<lb/>
fertig. Diese Teilung des Ritterguts und des Schlosses ist nicht von heute und<lb/>
von gestern: schon ein Obrist Gottlob von Lüttichcm, der 1699 starb, nennt sich<lb/>
auf dem Grabstein in der Kirche &#x201E;Herr auf Kmehlen alten und melen Teils," ja<lb/>
sie geht wohl schon auf den oben genannten Seiffart von Lüttichnn (1474) zurück,<lb/>
den zwei Söhne, Seifried und Heinrich, die Stifter zweier Linien, überlebte».</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2472"> (Schluß folgt)</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0492] Herbstbilder von der Roter und der pulsnitz einer Meißner Familie, der Begründer der vergleichenden griechisch-römischen Rechtsgeschichte, der seit 1845 ans Großkmehleu seinen Studien lebte und am 3, Juni 4894 hier gestorben ist. Nahe bei seinem Grabe ist eine Gartentür, die in den Gutshof führt. Ms ich mich hier nach rechts drehte, stand ich wie versteinert vor einem zauberhaften Anblick. Aus einem viereckigen Teiche erhebt sich in drei Stockwerken übereinander ein Wasserschloß, so kraftvoll und ursprünglich wie vor vier Jahrhunderten. Nichts an ihm ist geschont und modernisiert, der Putz rauh, grau und moosig, hie und da ein schmaler Riß im alten Gemäuer, und doch nichts ruinenhaftes daran; die Fenster leuchten in hellen Scheiben, weiße Gardinen sind dahinter, wahrend das alte rote Ziegel¬ dach schwärzliche Dohlen mit rauschendem Flügelschlag umkreisen. So ist es alt und jung zugleich. Wie ich so dastand, mußte ich unwillkürlich an die moselländische Burg Eltz denken, wo ich wenig Monate vorher einen strahlenden Septembertag verschwärmt hatte. Eltz ist älter und weit großartiger nicht nur im Innern sondern auch in der äußern Erscheinung. Es atmet den Geist der romanischen Kunst und der Gotik und nur in seinem spätesten Viertel den der Renaissance, während Kmehlens Außenseite mit den drei Rundtürmen an den Ecken — die vierte Ecke ist scharfkantig — durchweg das Kleid der deutschen Renaissance trägt, aber der Kern von Kmehlen ist sicherlich auch viel älter, und was ihm vor allem den Reiz des Echten verleiht, das sind die zwei Holzbrückcn, die sich von Ost und West von den Ufermauern auf die gewaltigen Haustüren zu schieben. Zwar stehn vor jeder dieser Brücken als Wächter zwei riesige Kastanien, aber man hat doch den Eindruck: wenig Axtschläge würden genügen, die Brücken abzubrechen, und dann stünde das Schloß wieder so trutzig einsam mitten im Wasser wie zur Ritterzeit. Aber wozu zwei Brücken und zwei Haus¬ türen, eine nach Osten und eine nach Westen? Eine neue Reminiszenz an Eltz. Wie Eltz trotz der gedrungnen Einheitlichkeit seiner Erscheinung eigentlich aus vier Schlössern besteht, die um einen schmalen Hof herum liegen, deren jedes auch einem andern Zweige der Grafen von Eltz gehörte, so ist Kmehlen wenigstens zweigeteilt. Mitten durch das Schloß und quer über den viereckigen Hof läuft die trennende Mauer — hüben auf der Westseite residiert jetzt der Herr von Lingenthal, drüben auf der Ostseite Hausen die von Rothkirch. Sie müssen sich einander in die Fenster sehen, sie müssen sich unten im Garten gegenseitig reden hören, sie schlafen Wand an Wand. Man denke sich statt der heutigen Insassen Männer und Frauen vom Schlage der Monteechi und Ccipuletti — Romeo und Julia —, und das „Milieu" eines spannenden Schloßromans ist fertig. Diese Teilung des Ritterguts und des Schlosses ist nicht von heute und von gestern: schon ein Obrist Gottlob von Lüttichcm, der 1699 starb, nennt sich auf dem Grabstein in der Kirche „Herr auf Kmehlen alten und melen Teils," ja sie geht wohl schon auf den oben genannten Seiffart von Lüttichnn (1474) zurück, den zwei Söhne, Seifried und Heinrich, die Stifter zweier Linien, überlebte». (Schluß folgt)

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_239555
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_239555/492
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_239555/492>, abgerufen am 01.09.2024.